123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 23

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Horkruxe

Während Harry sich ins Schloss zurückschlich, spürte er, wie der Felix Felicis nachließ. Das Portal war für ihn nach wie vor unverschlossen, aber im dritten Stock traf er auf Peeves und konnte es gerade noch verhindern, entdeckt zu werden, indem er seitwärts in eine seiner Abkürzungen hechtete. Als er dann oben beim Porträt der fetten Dame ankam und sich den Tarnumhang herunterzog, überraschte es ihn nicht, sie in keineswegs hilfsbereiter Laune anzutreffen.

»Was ist das für eine Zeit?«

»Es tut mir wirklich Leid – ich musste wegen was Wichtigem raus – «

»Nun, das Passwort hat sich um Mitternacht geändert, dann wirst du eben im Korridor schlafen, nicht wahr?«

»Das soll wohl ein Witz sein!«, sagte Harry. »Warum musste es sich um Mitternacht ändern?«

»So ist es eben«, sagte die fette Dame. »Wenn du dich ärgerst, dann geh und beschwer dich beim Schulleiter, er ist derjenige, der die Sicherheitsmaßnahmen verschärft hat.«

»Na wunderbar«, sagte Harry bitter und sah auf den harten Fußboden um sich herum. »Wirklich klasse. Also, ich würde schon zu Dumbledore gehen und mich beschweren, wenn er da wäre, denn er wollte ja, dass ich – «

»Er ist da«, sagte eine Stimme hinter Harry. »Professor Dumbledore ist vor einer Stunde zur Schule zurückgekehrt.«

Der Fast Kopflose Nick schwebte auf Harry zu, wie immer mit eierndem Kopf auf der Halskrause.

»Ich habe es vom Blutigen Baron, er hat ihn ankommen sehen«, sagte Nick. »Dem Baron zufolge war er offenbar in guter Stimmung, wenn auch ein wenig müde, natürlich.«

»Wo ist er?«, fragte Harry, und sein Herz schlug höher.

»Oh, er ist oben im Astronomieturm, Stöhnen und Scheppern, eine seiner Lieblingsbeschäftigungen – «

»Nicht der Blutige Baron, Dumbledore!«

»Oh – in seinem Büro«, sagte Nick. »Nach dem, was der Baron sagt, hatte er wohl Dinge zu erledigen, ehe er zurückkam – «

»Ja, allerdings«, sagte Harry, und ihm loderte die Brust vor Aufregung bei dem Gedanken daran, Dumbledore sagen zu können, dass er die Erinnerung beschafft hatte. Er drehte sich rasch um und rannte wieder los, ohne auf die fette Dame zu achten, die hinter ihm herrief.

»Komm zurück! Na schön, ich hab gelogen! Ich hab mich geärgert, weil du mich aufgeweckt hast! Das Passwort ist immer noch ›Bandwurm‹!«

Aber Harry sauste schon wieder den Korridor entlang zurück, und wenige Minuten später sagte er »Karamell-Eclairs« zu Dumbledores Wasserspeier, der zur Seite sprang und ihm den Zutritt zur Wendeltreppe gewährte.

»Herein«, sagte Dumbledore, als Harry klopfte. Er klang erschöpft.

Harry drückte die Tür auf und sah Dumbledores Büro, so wie immer, aber mit schwarzem, sternübersätem Himmel vor den Fenstern.

»Du meine Güte, Harry«, sagte Dumbledore überrascht. »Welchem Umstand verdanke ich dieses sehr späte Vergnügen?«

»Sir – ich habe sie. Ich habe die Erinnerung von Slughorn.«

Harry zog die kleine Glasflasche heraus und zeigte sie Dumbledore. Einen Moment lang wirkte der Schulleiter ganz verblüfft. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

»Harry, das ist eine phantastische Nachricht! Sehr gut gemacht, wirklich! Ich wusste, dass es dir gelingen kann!«

Jeder Gedanke daran, wie spät es war, schien vergessen, als er um seinen Schreibtisch herumeilte, die Flasche mit Slughorns Erinnerung in seine unverletzte Hand nahm und zu dem Schrank hinüberging, wo er das Denkarium aufbewahrte.

»Und nun«, sagte Dumbledore, stellte das Steinbecken auf seinen Schreibtisch und leerte den Inhalt der Flasche hinein, »nun endlich werden wir es sehen. Rasch, Harry …«

Harry beugte sich gehorsam über das Denkarium und spürte, wie seine Füße den Boden des Büros verließen … wieder einmal stürzte er durch Dunkelheit und landete, viele Jahre zuvor, in Horace Slughorns Büro.

Da war der viel jüngere Horace Slughorn mit seinem dichten, glänzenden, strohblonden Haar und seinem rötlich blonden Schnurrbart, und wieder saß er in einem bequemen Ohrensessel in seinem Büro, seine Füße ruhten auf einem samtenen Polster und er hielt ein kleines Glas Wein in der einen Hand, während die andere in einer Schachtel mit kandierter Ananas stöberte. Und da war das halbe Dutzend Jungen im Teenageralter, die um Slughorn herumsaßen, in ihrer Mitte Tom Riddle, an dessen Finger Vorlosts goldener Ring mit dem schwarzen Stein funkelte.

Dumbledore landete neben Harry, als Riddle gerade fragte: »Sir, stimmt es, dass Professor Merrythought in den Ruhestand geht?«

»Tom, Tom, wenn ich es wüsste, dürfte ich es Ihnen nicht sagen«, antwortete Slughorn und schlackerte missbilligend mit dem Finger zu Riddle hin, zwinkerte jedoch dabei. »Ehrlich gesagt, wüsste ich gerne, woher Sie Ihre Informationen bekommen, Junge; Sie wissen doch mehr als die halbe Lehrerschaft.«

Riddle lächelte; die anderen Jungen lachten und warfen ihm bewundernde Blicke zu.

»In Anbetracht Ihrer unheimlichen Fähigkeit, Dinge in Erfahrung zu bringen, die Sie nicht wissen sollten, und Ihrer wohl bedachten Schmeicheleien wichtigen Leuten gegenüber – übrigens, vielen Dank für die Ananas, Sie liegen vollkommen richtig, die habe ich am liebsten – «

Wieder kicherten mehrere der Jungen.

» bin ich voller Zuversicht, dass Sie innerhalb von zwanzig Jahren zum Zaubereiminister aufsteigen werden. Fünfzehn, wenn Sie mir weiterhin Ananas schicken. Ich habe ausgezeichnete Beziehungen zum Ministerium.«

Tom Riddle lächelte nur, als die anderen erneut lachten. Harry fiel auf, dass er keinesfalls der Älteste der Gruppe von Jungen war, aber sie blickten offenbar alle zu ihm als ihrem Anführer auf.

»Ich weiß nicht, ob Politik mir liegen würde, Sir«, sagte er, als das Lachen verstummt war. »Zum einen habe ich nicht den richtigen Hintergrund.«

Zwei der Jungen in seinem Umkreis sahen sich grinsend an. Harry war sicher, dass sie sich über einen Witz amüsierten, den nur sie verstanden: Zweifellos ging es darum, was sie über den berühmten Vorfahren ihres Anführers wussten oder vermuteten.

»Unsinn«, sagte Slughorn energisch, »bei Ihren Fähigkeiten kann es keinen Zweifel geben, dass Sie aus gutem Zaubererhause stammen. Nein, Sie werden es weit bringen, Tom, ich habe mich noch nie bei einem Schüler geirrt.«

Die kleine goldene Uhr auf Slughorns Schreibtisch hinter ihm schlug elf und er wandte sich um.

»Du meine Güte, ist es schon so spät? Dann geht mal besser, Jungs, oder wir kriegen alle Ärger. Lestrange, ich bekomme Ihren Aufsatz morgen, oder es gibt Nachsitzen. Dasselbe gilt für Sie, Avery.«

Einer nach dem anderen marschierten die Jungen aus dem Zimmer. Slughorn stemmte sich aus dem Sessel und trug sein leeres Glas hinüber zu seinem Schreibtisch. Ein Geräusch hinter ihm veranlasste ihn, sich umzusehen; Riddle stand immer noch da.

»Nun sputen Sie sich aber, Tom, Sie wollen doch nicht während der Nachtruhe draußen erwischt werden, Sie als Vertrauensschüler …«

»Sir, ich wollte Sie etwas fragen.«

»Dann nur zu, mein Junge, nur zu …«

»Sir, könnten Sie mir sagen, was Sie über … über Horkruxe wissen?«

Slughorn starrte ihn an und strich mit seinen dicken Fingern gedankenverloren über den Stiel seines Weinglases.

»Ein Projekt für Verteidigung gegen die dunklen Künste, oder?«

Aber Harry spürte, dass Slughorn genau wusste, dass dies keine Schularbeit war.

»Nicht direkt, Sir«, sagte Riddle. »Ich bin beim Lesen auf den Begriff gestoßen und ich habe ihn nicht ganz verstanden.«

»Nein … nun … Sie werden Schwierigkeiten haben, ein Buch in Hogwarts zu finden, das Ihnen genaue Auskunft über Horkruxe gibt, Tom. Das geht tief in die schwarze Magie, sehr tief«, sagte Slughorn.

»Aber Sie wissen natürlich alles darüber, Sir? Ich meine, ein Zauberer wie Sie – Verzeihung, ich meine, wenn Sie es mir nicht sagen dürfen, klar – ich wusste nur, wenn es mir jemand sagen kann, dann Sie – also dachte ich, ich frag einfach mal – «

Es war sehr gut gemacht, dachte Harry, das Zögern, der beiläufige Ton, die behutsame Schmeichelei, nichts davon übertrieben. Er, Harry, hatte zu viel Erfahrung, was Versuche betraf, widerwilligen Leuten Informationen abzuschwatzen, als dass er einen Meister bei der Arbeit nicht erkannt hätte. Ihm war klar, dass Riddle diese Information unbedingt haben wollte; vielleicht sogar wochenlang auf diesen Moment hingearbeitet hatte.

»Nun«, sagte Slughorn, der Riddle nicht ansah, sondern an der Kordel auf seiner Schachtel mit kandierter Ananas herumfummelte, »es kann natürlich nicht schaden, wenn ich Ihnen einen Überblick gebe. Nur damit Sie den Begriff verstehen. Horkrux ist das Wort für einen Gegenstand, in dem eine Person einen Teil ihrer Seele verborgen hält.«

»Ich verstehe aber nicht ganz, wie das funktioniert, Sir«, sagte Riddle.

Er beherrschte seine Stimme mit Bedacht, doch Harry konnte seine Aufregung spüren.

»Nun, man spaltet seine Seele, verstehen Sie«, sagte Slughorn, »und versteckt einen Teil davon in einem Gegenstand außerhalb des Körpers. Dann kann man, selbst wenn der eigene Körper angegriffen oder zerstört wird, nicht sterben, denn ein Teil der Seele bleibt erdgebunden und unbeschädigt. Aber, natürlich, die Existenz in einer solchen Form …«

Slughorns Gesichtszüge erschlafften und Harry erinnerte sich unwillkürlich an Worte, die er vor fast zwei Jahren gehört hatte.

»Ich wurde aus meinem Körper gerissen, ich war weniger als ein Geist, weniger als das kläglichste Gespenst… und doch, ich lebte.«

»… wenige würden das wollen, Tom, sehr wenige. Der Tod wäre dem vorzuziehen.«

Doch Riddles heftiges Verlangen war nun offensichtlich; die Gier stand ihm ins Gesicht geschrieben, er konnte sein Begehren nicht länger verbergen.

»Wie spaltet man seine Seele?«

»Nun«, sagte Slughorn unbehaglich, »Sie müssen begreifen, dass die Seele eigentlich intakt und ganz bleiben sollte. Die Spaltung ist ein Akt der Gewalt, sie ist gegen die Natur.«

»Aber wie macht man es?«

»Durch eine böse Tat – durch die böse Tat schlechthin. Indem man einen Mord begeht. Das Töten reißt die Seele auseinander. Der Zauberer, der einen Horkrux erzeugen will, nutzt den Schaden zu seinem Vorteil: Er schließt den abgerissenen Teil ein – «

»Schließt ihn ein? Aber wie –?«

»Es gibt da einen Zauber, aber fragen Sie mich nicht, ich weiß es nicht!«, sagte Slughorn und schüttelte den Kopf wie ein alter Elefant, der von Mücken belästigt wird. »Sehe ich aus, als ob ich es ausprobiert hätte – sehe ich wie ein Mörder aus?«

»Nein, Sir, natürlich nicht«, sagte Riddle rasch. »Verzeihung … ich wollte Sie nicht beleidigen …«

»Keineswegs, keineswegs, ich bin nicht beleidigt«, erwiderte Slughorn schroff. »Es ist nur natürlich, bei diesen Dingen neugierig zu sein … Zauberer eines gewissen Kalibers fühlten sich schon immer zu dieser Seite der Magie hingezogen …«

»Ja, Sir«, sagte Riddle. »Was ich aber nicht verstehe – nur aus Neugier –, ich meine, wäre ein einzelner Horkrux denn von großem Nutzen? Kann man seine Seele nur ein einziges Mal spalten? Wäre es nicht besser, würde es einen nicht stärker machen, wenn man seine Seele in mehreren Teilen hätte? Ich meine, ist nicht beispielsweise sieben die mächtigste magische Zahl, wären nicht sieben –?«

»Beim Barte des Merlin, Tom!«, japste Slughorn. »Sieben! Ist es nicht schlimm genug, sich vorzustellen, auch nur einen Menschen zu töten? Und auf jeden Fall … schlimm genug, die Seele zu teilen … aber sie in sieben Stücke zu reißen …«

Slughorn wirkte jetzt höchst beunruhigt: Er blickte Riddle an, als hätte er ihn noch nie klar gesehen, und Harry spürte, dass er es bereute, sich überhaupt auf dieses Gespräch eingelassen zu haben.

»Natürlich«, murmelte er, »ist das alles hypothetisch, was wir hier besprechen, ja? Alles rein theoretisch …«

»Ja, Sir, natürlich«, sagte Riddle rasch.

»Aber trotzdem, Tom … behalten Sie für sich, was ich Ihnen – das heißt, was wir besprochen haben. Den Leuten wäre unwohl bei dem Gedanken, dass wir uns über Horkruxe unterhalten haben. Es ist ein verbotenes Thema in Hogwarts, wissen Sie … Dumbledore ist in dieser Sache besonders scharf …«

»Ich werde kein Wort sagen, Sir«, erwiderte Riddle und ging hinaus, doch Harry konnte noch einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht werfen, das von wilder Glückseligkeit erfüllt war, wie damals, als er erfahren hatte, dass er ein Zauberer war, jener Art von Glückseligkeit, die seine hübschen Züge nicht besser zur Geltung brachte, sondern sie irgendwie weniger menschlich machte …

»Danke, Harry«, sagte Dumbledore leise. »Gehen wir …«

Als Harry erneut auf dem Boden des Büros landete, setzte Dumbledore sich schon wieder hinter seinen Schreibtisch. Auch Harry nahm Platz und wartete, dass Dumbledore das Wort ergriff.

»Ich habe sehr lange Zeit auf dieses Beweisstück gewartet«, sagte Dumbledore schließlich. »Es bestätigt die Theorie, an der ich arbeite, es sagt mir, dass ich Recht habe, und auch, welch weiter Weg noch zu gehen ist …«

Harry fiel plötzlich auf, dass ausnahmslos alle ehemaligen Schulleiterinnen und Schulleiter in den Porträts an den Wänden ringsumher wach waren und ihrem Gespräch lauschten. Ein beleibter Zauberer mit roter Nase hatte sogar ein Hörrohr hervorgeholt.

»Nun, Harry«, sagte Dumbledore, »ich bin sicher, du hast die Bedeutung dessen, was wir eben gehört haben, verstanden. Als Tom Riddle so alt war wie du jetzt, vielleicht ein paar Monate älter oder jünger, hat er alles getan, was er nur konnte, um herauszufinden, wie er Unsterblichkeit erringen könnte.«

»Dann glauben Sie also, dass es ihm gelungen ist, Sir?«, fragte Harry. »Er hat einen Horkrux gemacht? Und deshalb ist er nicht gestorben, als er mich angegriffen hat? Er hatte irgendwo einen Horkrux versteckt? Ein Stück seiner Seele war sicher?«

»Ein Stück … oder mehrere«, sagte Dumbledore. »Du hast Voldemort gehört: Er wollte von Horace vor allem eine Meinung darüber, was einem Zauberer passieren würde, der mehr als einen Horkrux erzeugte, was einem Zauberer passieren würde, der so entschlossen wäre, dem Tod zu entgehen, dass er bereit wäre, viele Male zu morden, seine Seele mehrmals zu zerteilen und sie in vielen, separat versteckten Horkruxen aufzubewahren. Kein Buch hätte ihm dieses Wissen liefern können. Soweit ich weiß – soweit, da bin ich sicher, Voldemort wusste –, hatte kein Zauberer jemals gewagt, seine Seele in mehr als zwei Teile zu reißen.«

Dumbledore hielt einen Moment inne, ordnete seine Gedanken und sagte dann: »Vor vier Jahren erhielt ich etwas, das ich für einen sicheren Beweis hielt, dass Voldemort seine Seele aufgespaltet hatte.«

»Wo?«, fragte Harry. »Wie?«

»Du hast ihn mir gebracht, Harry«, sagte Dumbledore. »Das Tagebuch, Riddles Tagebuch, das die Anweisungen gab, wie die Kammer des Schreckens von neuem zu öffnen war.«

»Ich verstehe nicht, Sir«, sagte Harry.

»Nun, zwar habe ich den Riddle, der aus dem Tagebuch kam, nicht selber gesehen, doch hast du mir ein Phänomen beschrieben, das ich noch nie erlebt hatte. Ein bloßes Gedächtnis, das anfängt, von allein zu handeln und zu denken? Ein bloßes Gedächtnis, das dem Mädchen, in dessen Hände es gefallen war, das Leben aussaugt? Nein, etwas viel Unheilvolleres hatte in diesem Buch gelebt … ein Bruchstück einer Seele, da war ich mir fast sicher. Das Tagebuch war ein Horkrux gewesen. Doch dies warf ebenso viele Fragen auf, wie es beantwortete. Was mich am meisten interessierte und beunruhigte, war die Tatsache, dass das Tagebuch gleichzeitig als Waffe und als Schutz dienen sollte.«

»Ich verstehe immer noch nicht«, sagte Harry.

»Nun, es hat funktioniert, wie ein Horkrux funktionieren soll – mit anderen Worten, das Bruchstück der Seele, das in seinem Innern verborgen war, wurde sicher aufbewahrt und erfüllte zweifellos seine Aufgabe, den Tod seines Besitzers zu verhindern. Doch es konnte keinen Zweifel daran geben, dass Riddle tatsächlich wollte, dass das Tagebuch gelesen wird, dass er wollte, dass dieser Teil seiner Seele jemand anderen bewohnte oder in Besitz nahm, damit Slytherins Monster wieder freigelassen würde.«

»Nun ja, er wollte nicht, dass seine harte Arbeit vergeblich war«, sagte Harry. »Er wollte die Leute wissen lassen, dass er Slytherins Erbe ist, denn er konnte zur damaligen Zeit den Ruhm noch nicht für sich in Anspruch nehmen.«

»Völlig richtig«, sagte Dumbledore und nickte. »Aber sieh mal, Harry, wenn er die Absicht hatte, dass das Tagebuch einem künftigen Hogwarts-Schüler gegeben oder untergeschoben werden sollte, dann ging er bemerkenswert kaltblütig mit jenem wertvollen Bruchstück seiner Seele um, das darin verborgen war. Wie Professor Slughorn erklärt hat, besteht der Zweck eines Horkruxes darin, einen Teil des Selbst versteckt und sicher aufzubewahren, und nicht darin, ihn irgendjemandem vor die Füße zu werfen und damit das Risiko einzugehen, dass der Betreffende es vielleicht zerstört – wie es dann ja auch tatsächlich geschehen ist: Dieses spezielle Bruchstück seiner Seele existiert nicht mehr; dafür hast du gesorgt.

Die Fahrlässigkeit, mit der Voldemort diesen Horkrux behandelte, ließ mich nichts Gutes ahnen. Sie deutete darauf hin, dass er mehr Horkruxe erzeugt haben musste – oder dies vorhatte –, so dass der Verlust seines ersten keinen größeren Schaden anrichten würde. Ich wollte das nicht glauben, doch nichts anderes schien einen Sinn zu ergeben.

Dann hast du mir zwei Jahre später erzählt, dass Voldemort in der Nacht, als er in seinen Körper zurückkehrte, seinen Todessern etwas höchst Erhellendes und Beunruhigendes verkündete: ›Ich, der ich weiter als alle anderen gegangen bin auf dem Weg, der zur Unsterblichkeit führt‹ Das waren seine Worte, hast du damals gesagt. ›Weiter als alle anderen.‹ Und ich glaubte zu wissen, was das bedeutete, auch wenn die Todesser es nicht wussten. Er verwies auf seine Horkruxe, Horkruxe in der Mehrzahl, Harry, und ich glaube nicht, dass irgendein anderer Zauberer jemals mehrere davon besaß. Doch es passte alles zusammen: Lord Voldemort schien mit den Jahren weniger menschlich geworden zu sein, und die Verwandlung, die er durchgemacht hatte, schien mir nur dadurch erklärbar, dass seine Seele weit über die Grenzen dessen hinaus verstümmelt war, was man vielleicht als das gewöhnliche Böse bezeichnen kann …«

»Also hat er erreicht, dass man ihn nicht mehr töten kann, indem er andere Menschen ermordete?«, sagte Harry. »Warum konnte er keinen Stein der Weisen herstellen, oder einen stehlen, wenn er so an Unsterblichkeit interessiert war?«

»Nun, wir wissen, dass er genau das versucht hat, und zwar vor fünf Jahren«, sagte Dumbledore. »Aber ich denke, es gibt mehrere Gründe, warum ein Stein der Weisen für Lord Voldemort weniger reizvoll ist als Horkruxe.

Das Elixier des Lebens verlängert das Leben zwar tatsächlich, aber es muss regelmäßig getrunken werden, bis in alle Ewigkeit, wenn derjenige, der es trinkt, seine Unsterblichkeit bewahren will. Deshalb wäre Voldemort vollkommen abhängig von dem Elixier, und wenn es zur Neige ginge oder verunreinigt würde, oder wenn der Stein gestohlen würde, dann würde er sterben wie jeder andere Mensch auch. Voldemort zieht es vor, allein alle Fäden zu ziehen, vergiss das nicht. Ich glaube, er hätte die Vorstellung, abhängig zu sein, selbst von dem Elixier, unerträglich gefunden. Natürlich war er bereit, es einzunehmen, wenn es ihm aus dem grauenhaften Halbleben heraushalf, zu dem er nach dem Angriff auf dich verurteilt war, aber nur, um wieder einen Körper zu gewinnen. Danach, davon bin ich überzeugt, hatte er die Absicht, sich weiterhin auf seine Horkruxe zu verlassen: Mehr würde er nicht brauchen, wenn er nur eine menschliche Gestalt zurückgewinnen konnte. Er war bereits unsterblich, verstehst du … oder so nahe an der Unsterblichkeit, wie es ein Mensch nur sein kann.

Aber jetzt, Harry, gewappnet mit dieser Information, der entscheidenden Erinnerung, die du uns hast beschaffen können, sind wir dem Geheimnis, wie Lord Voldemort vernichtet werden kann, näher als irgendjemand zuvor. Du hast ihn gehört, Harry: ›Wäre es nicht besser, würde es einen nicht stärker machen, wenn man seine Seele in mehreren Teilen hätte … Ist nicht sieben die mächtigste magische Zahl …‹ Ist nicht sieben die mächtigste magische Zahl. Ja, ich denke, die Vorstellung einer siebenteiligen Seele würde Lord Voldemort sehr reizvoll finden.«

»Er hat sieben Horkruxe gemacht?«, sagte Harry starr vor Entsetzen, während mehrere der Porträts an den Wänden ähnlich schockierte und empörte Laute von sich gaben. »Aber die können überall auf der Welt sein – versteckt – vergraben oder unsichtbar – «

»Ich bin froh, dass du das Ausmaß des Problems erkennst«, sagte Dumbledore ruhig. »Aber zunächst einmal, nein, Harry, nicht sieben Horkruxe: sechs. Der siebte Teil seiner Seele, wie verstümmelt er auch sein mag, wohnt in seinem wieder zu Kräften gekommenen Körper. Das war jener Teil von ihm, der so viele Jahre während seines Exils eine geisterhafte Existenz führte; ohne ihn hat er überhaupt kein Selbst. Dieses siebte Stück seiner Seele wird das letzte sein, das einer, der Voldemort töten will, angreifen muss – das Stück, das in seinem Körper lebt.«

»Aber die sechs Horkruxe«, sagte Harry ein wenig verzweifelt, »wie sollen wir die denn finden?«

»Du vergisst … dass du bereits einen davon zerstört hast. Und ich habe einen zweiten zerstört.«

»Wirklich?«, sagte Harry begierig.

»Ja, in der Tat«, sagte Dumbledore und hob seine geschwärzte, wie verbrannt aussehende Hand. »Der Ring, Harry. Vorlosts Ring. Und auf ihm lastete auch noch ein schrecklicher Fluch. Ohne meine großartigen Fähigkeiten – vergib, dass es mir an geziemender Bescheidenheit fehlt – und ohne Professor Snapes rechtzeitige Hilfe, als ich schwer verletzt nach Hogwarts zurückkehrte, wäre ich vielleicht jetzt nicht hier und würde diese Geschichte erzählen. Doch eine vertrocknete Hand scheint mir kein übertriebenes Opfer für ein Siebtel von Voldemorts Seele zu sein. Der Ring ist nun kein Horkrux mehr.«

»Aber wie haben Sie ihn gefunden?«

»Nun, wie du jetzt weißt, habe ich mich etliche Jahre damit befasst, so viel wie möglich über Voldemorts Vergangenheit herauszufinden. Ich bin weit gereist, habe jene Orte aufgesucht, an denen er sich einst aufhielt. In der Ruine des Gaunt-Hauses stieß ich zufällig auf den dort verborgenen Ring. Es scheint, dass Voldemort, sobald es ihm gelungen war, einen Teil seiner Seele darin einzuschließen, ihn nicht mehr tragen wollte. Er verbarg ihn, geschützt durch viele mächtige Zauber, in der Hütte, wo seine Vorfahren einst gelebt hatten (Morfin war natürlich längst nach Askaban geschafft worden), er kam nicht auf den Gedanken, dass ich mir eines Tages vielleicht die Mühe machen würde, die Überreste des Hauses zu besuchen, oder dass ich nach Spuren magischer Verstecke Ausschau halten könnte.

Wir sollten uns jedoch nicht allzu sehr beglückwünschen. Du hast das Tagebuch zerstört und ich den Ring, aber wenn wir Recht haben mit unserer Theorie von einer siebenteiligen Seele, bleiben vier Horkruxe übrig.«

»Und die könnten alles sein?«, sagte Harry. »Sie könnten alte Blechbüchsen sein oder, was weiß ich, leere Zaubertrankflaschen …?«

»Du denkst an Portschlüssel, Harry, die ganz gewöhnliche Gegenstände sein müssen, einfach zu übersehen. Aber dass Lord Voldemort Blechbüchsen oder alte Zaubertrankflaschen benutzt, um seine eigene kostbare Seele zu schützen? Du vergisst, was ich dir gezeigt habe. Lord Voldemort sammelte gerne Trophäen, und am liebsten Gegenstände mit einer bedeutenden magischen Geschichte. Sein Stolz, sein Glaube an seine eigene Überlegenheit, seine Entschlossenheit, sich selbst einen außergewöhnlichen Platz in der Geschichte der Magie zu verschaffen; dies alles lässt mich darauf schließen, dass Voldemort seine Horkruxe mit einigem Bedacht ausgewählt hat und dabei Gegenstände bevorzugte, die der Ehre wert waren.«

»Das Tagebuch war nicht so besonders.«

»Das Tagebuch war, wie du selbst gesagt hast, der Beweis dafür, dass er der Erbe Slytherins ist; ich bin sicher, dass Voldemort ihm ungeheure Bedeutung beimaß.«

»Und die anderen Horkruxe?«, sagte Harry. »Meinen Sie, dass Sie wissen, was die sind, Sir?«

»Ich kann nur raten«, erwiderte Dumbledore. »Aus den Gründen, die ich schon genannt habe, glaube ich, dass Lord Voldemort Gegenstände vorziehen würde, die an sich schon eine gewisse Erhabenheit besitzen. Deshalb habe ich mich durch Voldemorts Vergangenheit gearbeitet, um vielleicht Hinweise darauf zu finden, dass solche Artefakte in seiner Umgebung verschwunden sind.«

»Das Medaillon!«, sagte Harry laut. »Hufflepuffs Becher!«

»Ja«, sagte Dumbledore lächelnd. »Ich wäre bereit, vielleicht nicht meine andere Hand, aber zwei Finger darauf zu wetten, dass aus ihnen der dritte und der vierte Horkrux wurden. Die restlichen beiden sind ein größeres Problem, wieder vorausgesetzt, dass er insgesamt sechs geschaffen hat, doch ich würde die Vermutung wagen, dass er, nachdem er sich Gegenstände von Hufflepuff und Slytherin beschafft hatte, auf die Suche nach Gegenständen von Gryffindor oder Ravenclaw ging. Vier Gegenstände von den vier Gründern, das ist in Voldemorts Vorstellung gewiss sehr verlockend gewesen. Ich kann nicht sagen, ob es ihm jemals gelungen ist, etwas von Ravenclaw zu finden. Ich bin jedoch überzeugt, dass das einzige bekannte Relikt von Gryffindor sicher verwahrt ist.«

Dumbledore wies mit seinen geschwärzten Fingern auf die Wand hinter ihm, wo ein mit Rubinen verziertes Schwert in einer Vitrine ruhte.

»Denken Sie, er wollte in Wahrheit deshalb nach Hogwarts zurückkommen, Sir?«, sagte Harry. »Um vielleicht etwas von den anderen Gründern zu finden?«

»Genau das denke ich«, sagte Dumbledore. »Doch leider bringt uns dies nicht viel weiter, denn ich glaube, er wurde weggeschickt, ohne dass er die Gelegenheit hatte, die Schule zu durchsuchen. Ich muss wohl den Schluss ziehen, dass er seinen Wunsch, sich Gegenstände aller vier Gründer zu beschaffen, nie hat verwirklichen können. Er besaß mit Sicherheit zwei – vielleicht fand er einen dritten – mehr können wir im Augenblick nicht wissen.«

»Selbst wenn er etwas von Ravenclaw oder Gryffindor hat, bleibt noch ein sechster Horkrux übrig«, sagte Harry und zählte es an den Fingern ab. »Oder er hat von beiden etwas?«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Dumbledore. »Ich denke, ich weiß, was der sechste Horkrux ist. Was würdest du sagen, wenn ich gestehe, dass ich mich eine Zeit lang für das Verhalten der Schlange Nagini interessiert habe?«

»Der Schlange?«, sagte Harry verdutzt. »Kann man Tiere als Horkruxe verwenden?«

»Nun, es ist nicht empfehlenswert«, sagte Dumbledore, »denn einen Teil seiner Seele einem Wesen zu überantworten, das selbst denken und sich bewegen kann, ist selbstverständlich eine sehr riskante Sache. Wenn meine Berechnungen jedoch stimmen, fehlte Voldemort immer noch mindestens ein Horkrux zu den angestrebten sechs, als er das Haus deiner Eltern in der Absicht betrat, dich zu töten.

Er hat offenbar nur besonders bedeutsame Tode gewählt, wenn es ihm darum ging, Horkruxe zu erzeugen. Du wärst gewiss ein solcher Fall gewesen. Er glaubte, indem er dich tötete, würde er die Gefahr bannen, die von der Prophezeiung verkündet worden war. Er glaubte, er würde sich unbesiegbar machen. Ich bin sicher, er wollte seinen letzten Horkrux mit deinem Tod schaffen.

Wie wir wissen, ist er damit gescheitert. Nach einigen Jahren jedoch setzte er Nagini ein, um einen alten Muggel zu töten, und da kam ihm vielleicht der Gedanke, sie in seinen letzten Horkrux zu verwandeln. Mit ihr wird die Verbindung zu Slytherin betont, die Lord Voldemorts geheimnisvolle Aura noch steigert. Ich denke, er empfindet so viel Zuneigung für sie, wie ihm überhaupt möglich ist; bestimmt hält er sie gern in seiner Nähe, und er hat offenbar eine ungewöhnlich starke Kontrolle über sie, selbst für einen Parselmund.«

»Also«, sagte Harry, »das Tagebuch ist weg, der Ring ist weg. Der Becher, das Medaillon und die Schlange sind immer noch unversehrt, und Sie glauben, es könnte einen Horkrux geben, der einst Ravenclaw oder Gryffindor gehörte?«

»Eine bewundernswert prägnante und genaue Zusammenfassung, ja«, sagte Dumbledore und neigte den Kopf.

»Und … Sie suchen immer noch danach, Sir? Immer wenn Sie die Schule verlassen, sind Sie auf der Suche?«

»Richtig«, sagte Dumbledore. »Ich suche schon seit sehr langer Zeit. Ich denke … vielleicht … bin ich kurz davor, einen weiteren zu finden. Es gibt Zeichen, die Anlass zur Hoffnung geben.«

»Und wenn es so weit ist«, sagte Harry rasch, »darf ich dann mitkommen und helfen, ihn zu zerstören?«

Dumbledore sah Harry einen Moment lang sehr aufmerksam an, dann sagte er: »Ja, ich denke schon.«

»Ich darf?«, sagte Harry, vollkommen überrascht.

»O ja«, sagte Dumbledore mit einem leisen Lächeln. »Ich denke, du hast dir dieses Recht verdient.«

Harry spürte neue Zuversicht. Es tat sehr gut, endlich einmal keine Worte zu hören, die zur Besonnenheit und Vorsicht mahnten. Die Schulleiter und Schulleiterinnen an den Wänden ringsumher schienen von Dumbledores Entscheidung weniger beeindruckt; Harry sah, wie einige von ihnen den Kopf schüttelten, und Phineas Nigellus schnaubte sogar wütend.

»Bekommt es Voldemort mit, wenn ein Horkrux zerstört wird, Sir? Kann er es spüren?«, fragte Harry, ohne weiter auf die Porträts zu achten.

»Eine sehr interessante Frage, Harry. Ich glaube nicht. Ich glaube, Voldemort ist inzwischen so tief in das Böse eingetaucht und diese entscheidenden Teile seines Selbst sind schon so lange von ihm abgetrennt, dass er nicht so fühlt, wie wir fühlen. Vielleicht erkennt er seinen Verlust erst, wenn er stirbt … Aber er war sich beispielsweise nicht bewusst, dass das Tagebuch zerstört worden war, bis er die Wahrheit aus Lucius Malfoy herausgepresst hatte. Als Voldemort entdeckte, dass das Tagebuch verstümmelt und all seiner Kräfte beraubt worden war, muss sein Zorn, wie mir zugetragen wurde, offenbar schrecklich gewesen sein.«

»Aber ich dachte, Lucius Malfoy sollte es für ihn nach Hogwarts schmuggeln?«

»Ja, das wollte er, vor Jahren, als er sicher war, dass er in der Lage sein würde, noch weitere Horkruxe zu erzeugen, aber dennoch sollte Lucius abwarten, bis er von Voldemort die endgültige Anweisung bekam, und die hat er nie erhalten, denn Voldemort verschwand, kurz nachdem er ihm das Tagebuch gegeben hatte. Zweifellos dachte er, Lucius würde es nicht wagen, etwas anderes mit dem Horkrux zu tun als ihn sorgfältig aufzubewahren, doch er verließ sich zu sehr auf Lucius' Angst vor einem Herrn, der seit Jahren fort war und den Lucius für tot hielt. Natürlich wusste Lucius nicht, was es mit dem Tagebuch wirklich auf sich hatte. Ich nehme an, Voldemort hatte ihm gesagt, das Tagebuch würde bewirken, dass sich die Kammer des Schreckens von neuem öffnete, da es geschickt verzaubert sei. Hätte Lucius gewusst, dass er einen Teil der Seele seines Herrn in Händen hielt, dann hätte er es zweifellos mit mehr Ehrerbietung behandelt – aber stattdessen führte er tatsächlich den alten Plan für seine eigenen Zwecke aus: Indem er das Tagebuch Arthur Weasleys Tochter unterschob, hoffte er, mit einem Streich Arthur in Misskredit zu bringen, meine Entlassung aus der Schule zu bewirken und ein schwer belastendes Objekt loszuwerden. Ach, der arme Lucius … in Anbetracht der Wut Voldemorts, dass er den Horkrux zu seinem eigenen Nutzen verschwendet hat, und nach dem letztjährigen Fiasko im Ministerium würde es mich nicht wundern, wenn er insgeheim froh ist, dass er sich im Augenblick sicher in Askaban befindet.«

Harry saß einen Moment lang nachdenklich da, dann fragte er: »Wenn seine Horkruxe also alle zerstört sind, dann könnte Voldemort getötet werden?«

»Ja, ich denke schon«, sagte Dumbledore. »Ohne seine Horkruxe ist Voldemort wohl ein sterblicher Mensch mit einer verstümmelten und geschwächten Seele. Vergiss jedoch nie, dass seine Seele zwar unheilbar beschädigt sein mag, sein Gehirn und seine magischen Kräfte jedoch intakt bleiben. Es bedarf sicher außergewöhnlicher Fähigkeiten und Kräfte, einen Zauberer wie Voldemort zu töten, selbst wenn ihm seine Horkruxe fehlen.«

»Aber ich habe keine außergewöhnlichen Fähigkeiten und Kräfte«, entfuhr es Harry unwillkürlich.

»Doch, die hast du«, sagte Dumbledore bestimmt. »Du hast eine Macht, die Voldemort nie besaß. Du kannst – «

»Ich weiß!«, sagte Harry ungeduldig. »Ich kann lieben!« Nur mit Mühe verkniff er es sich, noch hinzuzufügen: »Na und?«

»Ja, Harry, du kannst lieben«, sagte Dumbledore, der den Eindruck machte, als wüsste er sehr genau, was Harry eben fast gesagt hätte. »Und das ist, nach all dem, was dir zugestoßen ist, großartig und bemerkenswert. Du bist noch zu jung, um zu verstehen, wie ungewöhnlich du bist, Harry.«

»Wenn also die Prophezeiung behauptet, ich würde ›Macht besitzen, die der Dunkle Lord nicht kennt‹, heißt das einfach – Liebe?«, fragte Harry ein wenig enttäuscht.

»Ja – einfach Liebe«, sagte Dumbledore. »Aber Harry, vergiss nie, dass das, was die Prophezeiung behauptet, nur bedeutsam ist, weil Voldemort es bedeutsam gemacht hat. Das habe ich dir am Ende des letzten Jahres gesagt. Voldemort hat dich als die Person ausgesucht, die für ihn am gefährlichsten sein würde – und damit hat er aus dir die Person gemacht, die für ihn am gefährlichsten sein würde!«

»Aber das läuft auf dasselbe – «

»Nein, tut es nicht!«, sagte Dumbledore, und nun klang er ungeduldig. Er deutete mit seiner schwarzen, abgestorbenen Hand auf Harry und sagte: »Du misst der Prophezeiung zu viel Bedeutung bei!«

»Aber«, stotterte Harry, »aber Sie sagten doch, die Prophezeiung – «

»Wenn Voldemort nie von der Prophezeiung gehört hätte, wäre sie dann in Erfüllung gegangen? Hätte sie dann irgendetwas bedeutet? Natürlich nicht! Glaubst du, jede Prophezeiung in der Halle der Prophezeiung ist in Erfüllung gegangen?«

»Aber«, erwiderte Harry verwirrt, »aber letztes Jahr, da sagten Sie, einer von uns würde den anderen töten müssen – «

»Harry, Harry, nur weil Voldemort einen schweren Fehler gemacht hat und auf Professor Trelawneys Worte hin handelte! Wenn Voldemort deinen Vater gar nicht ermordet hätte, hätte er dann ein starkes Verlangen nach Vergeltung in dir geweckt? Natürlich nicht! Wenn er deine Mutter nicht gezwungen hätte, für dich zu sterben, hätte er dir dann einen magischen Schutz verliehen, den er nicht durchdringen konnte? Natürlich nicht, Harry! Verstehst du nicht? Voldemort hat sich seinen schlimmsten Feind selbst geschaffen, genau so, wie es Tyrannen überall tun! Kannst du dir vorstellen, wie sehr Tyrannen die Menschen fürchten, die sie unterdrücken? Ihnen allen ist bewusst, dass ganz sicher eines Tages eines ihrer vielen Opfer sich gegen sie erheben und zurückschlagen wird! Voldemort ergeht es nicht anders! Immer hielt er Ausschau nach dem einen, der ihn herausfordern würde. Er hörte die Prophezeiung und handelte sofort, und die Folge war, dass er nicht nur jenen Menschen sorgsam auswählte, der ihm mit größter Wahrscheinlichkeit sein Ende bereiten würde, sondern ihm auch noch einzigartige tödliche Waffen überreichte!«

»Aber – «

»Es ist äußerst wichtig, dass du dies begreifst!«, sagte Dumbledore, stand auf und schritt im Raum auf und ab, und sein glänzender Umhang rauschte hinter ihm her; Harry hatte ihn noch nie so aufgeregt erlebt. »Durch seinen Versuch, dich zu töten, hat Voldemort selbst den bemerkenswerten Menschen ausgewählt, der hier vor mir sitzt, und ihm die Werkzeuge für die Aufgabe an die Hand gegeben! Es lag an Voldemort selbst, dass du fähig warst, Einblick zu nehmen in seine Gedanken, in seine Vorhaben, dass du sogar die schlangenartige Sprache verstehst, in der er Befehle erteilt, und doch, Harry, trotz deiner privilegierten Einsicht in Voldemorts Welt (ein Talent übrigens, nach dem sich jeder Todesser sehnen würde) wurdest du nie von den dunklen Künsten verführt, hast du nie auch nur eine Sekunde lang den geringsten Wunsch gezeigt, einer von Voldemorts Gefolgsleuten zu werden!«

»Natürlich nicht!«, sagte Harry aufgebracht. »Er hat meine Mum und meinen Dad getötet!«

»Kurzum, du bist geschützt durch deine Fähigkeit zu lieben!«, sagte Dumbledore laut. »Der einzige Schutz, der gegen die Verlockung einer Macht wie der von Voldemort überhaupt wirken kann! Trotz aller Versuchung, der du standgehalten hast, trotz all deiner Leiden bist du nach wie vor reinen Herzens, genauso rein, wie du im Alter von elf Jahren warst, als du in einen Spiegel gestarrt hast, der deinen Herzenswunsch wiedergab und der dir nicht Unsterblichkeit und Reichtümer zeigte, sondern nur einen Weg, Lord Voldemort zu Fall zu bringen. Harry, kannst du dir vorstellen, wie wenige Zauberer das hätten sehen können, was du in diesem Spiegel sahst? Voldemort hätte damals merken müssen, womit er es zu tun hatte, aber er merkte es nicht!

Aber jetzt weiß er es. Du bist immer wieder kurz in Lord Voldemorts Geist eingedrungen, ohne selbst Schaden zu nehmen, aber wie er im Ministerium feststellen musste, kann er dich nicht in Besitz nehmen, ohne tödliche Qualen zu erleiden. Ich glaube nicht, dass er den Grund dafür versteht, Harry, aber es war ihm so eilig damit, seine eigene Seele zu verstümmeln, dass er nie innegehalten hat, um die unvergleichliche Macht einer Seele zu begreifen, die makellos und ganz ist.«

»Aber, Sir«, sagte Harry und bemühte sich tapfer, nicht streitsüchtig zu klingen, »es läuft doch alles auf dasselbe hinaus, oder? Ich muss versuchen, ihn zu töten, oder – «

»Du musst?«, sagte Dumbledore. »Natürlich musst du! Aber nicht wegen der Prophezeiung! Weil du, du selbst, nie ruhen wirst, bis du es versucht hast! Wir beide wissen es! Stell dir bitte nur für einen Moment vor, du hättest diese Prophezeiung nie gehört! Wie würdest du jetzt über Voldemort denken? Überleg!«

Harry beobachtete Dumbledore, der vor ihm auf und ab ging, und überlegte. Er dachte an seine Mutter, an seinen Vater und an Sirius. Er dachte an Cedric Diggory. Er dachte an all die schrecklichen Taten, von denen er wusste, dass Lord Voldemort sie begangen hatte. Eine Flamme schien in seiner Brust aufzulodern und seine Kehle zu verbrennen.

»Ich würde wünschen, dass ihm ein Ende bereitet wird«, sagte Harry leise. »Und ich würde es selber tun wollen.«

»Natürlich!«, rief Dumbledore. »Verstehst du, die Prophezeiung bedeutet nicht, dass du irgendetwas tun musst! Aber die Prophezeiung hat Lord Voldemort veranlasst, dich als sich Ebenbürtigen zu kennzeichnen … mit anderen Worten, du bist frei, deinen Weg zu wählen, es steht dir vollkommen frei, der Prophezeiung den Rücken zuzukehren! Aber Voldemort misst der Prophezeiung immer noch Bedeutung bei. Er wird dich weiterhin jagen … und deshalb ist es in der Tat sicher, dass – «

»Dass einer von uns schließlich den anderen tötet«, sagte Harry.

»Ja.«

Doch er begriff endlich, was Dumbledore ihm zu erklären versucht hatte. Es ging, dachte er, um den Unterschied, den es machte, ob man in die Arena hineingeschleift wurde, um einen Kampf auf Leben und Tod auszutragen, oder ob man erhobenen Hauptes in die Arena einzog. Manche würden vielleicht sagen, dass diese beiden Möglichkeiten sich kaum unterscheiden, aber Dumbledore wusste – und ich weiß es auch, dachte Harry in einer jähen Anwandlung von grimmigem Stolz, ich weiß es, wie meine Eltern es wussten –, dass dies ein himmelweiter Unterschied ist.