123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

Die Höhle

Harry roch Salz und hörte Wellen brausen; eine leichte kalte Brise zerzauste ihm das Haar, während er auf das mondhelle Meer und den sternübersäten Himmel hinaussah. Er stand auf einem hohen dunklen Felsblock, und unter ihm schäumte und toste das Wasser. Er blickte über die Schulter. Hinten ragte eine mächtige Klippe auf, ein senkrechter Felssturz, schwarz und gesichtslos. Einige große Steinbrocken wie der, auf dem Harry und Dumbledore standen, machten den Eindruck, als wären sie irgendwann in der Vergangenheit aus der Klippenwand herausgebrochen. Es war eine trostlose, raue Szenerie; das Meer und der Felsen wurden durch keinen Baum, keinen Fleck Gras oder Sand belebt.

»Was denkst du?«, fragte Dumbledore, als wollte er Harrys Meinung darüber einholen, ob dies ein guter Platz für ein Picknick sei.

»Sie haben die Kinder aus dem Waisenhaus hierher gebracht?«, fragte Harry, der sich keinen ungemütlicheren Ort für einen Tagesausflug vorstellen konnte.

»Nicht direkt hierher«, sagte Dumbledore. »Hinter uns, etwa auf halbem Weg die Klippen entlang, liegt ein kleines Dorf. Man brachte die Waisen wohl dorthin, damit sie ein wenig Seeluft schnuppern und sich die Wellen ansehen konnten. Nein, ich glaube, Tom Riddle und seine jungen Opfer waren die Einzigen, die jemals bis hierher vordrangen. Für Muggel war dieser Fels unzugänglich, außer es waren sehr gute Bergsteiger, und Boote können sich den Klippen nicht nähern; die Strömungen im Umkreis sind zu gefährlich. Ich nehme an, dass Riddle hinuntergeklettert ist; Magie wird dabei sicher nützlicher gewesen sein als ein Seil. Und er brachte zwei kleine Kinder mit, vermutlich um ihnen zum Vergnügen Angst einzujagen. Ich denke, schon allein der Weg hierher hätte diesen Zweck erfüllt, meinst du nicht?«

Harry blickte von neuem die Klippe hinauf und spürte eine Gänsehaut.

»Aber sein eigentliches Ziel – und unseres – liegt noch ein Stück entfernt. Komm mit.«

Dumbledore winkte Harry zum äußersten Felsrand, wo eine Reihe ausgezackter Nischen, die den Füßen Halt boten, zu Felsblöcken hinabführten, die halb unter Wasser und näher an der Klippe lagen. Es war ein tückischer Abstieg, und Dumbledore, der ein wenig durch seine verdorrte Hand behindert war, bewegte sich langsam. Die tiefer liegenden Felsen waren glitschig vom Meerwasser. Harry spürte, wie ihm kalte salzige Gischtspritzer ins Gesicht schlugen.

»Lumos«, sagte Dumbledore, als er den Felsblock erreichte, welcher der Klippenwand am nächsten war. Tausend goldene Lichtflecke funkelten auf der dunklen Wasseroberfläche wenige Meter unterhalb der Stelle, wo er kauerte; auch die schwarze Felsmauer neben ihm war beleuchtet.

»Siehst du?«, sagte Dumbledore leise und hielt seinen Zauberstab ein wenig höher. Harry sah einen Spalt in der Klippe, in den dunkles Wasser hineinwirbelte.

»Es macht dir nichts aus, wenn du ein wenig nass wirst?«

»Nein«, sagte Harry.

»Dann nimm deinen Tarnumhang ab – der ist jetzt überflüssig – und lass uns den Sprung wagen.«

Und auf einmal so beweglich wie ein junger Mann, glitt Dumbledore von dem Felsblock, landete im Meer und begann in perfektem Bruststil auf den dunklen Schlitz in der Felswand zuzuschwimmen, den erleuchteten Zauberstab zwischen den Zähnen. Harry zog sich den Tarnumhang herunter, stopfte ihn in seine Tasche und folgte Dumbledore.

Das Wasser war eisig; Harrys voll gesogene Kleider trieben um seinen Körper und zogen ihn hinab. Er atmete tief, der scharfe Geruch von Salz und Tang drang ihm in die Nasenlöcher, und er folgte weit ausgreifend dem schimmernden, schwindenden Licht, das jetzt tiefer in die Klippe eindrang.

Der Spalt öffnete sich bald zu einem dunklen Tunnel, der, wie Harry erkennen konnte, bei Flut unter Wasser stand. Die glitschigen Wände waren kaum einen Meter voneinander entfernt und glänzten wie feuchter Teer im vorüberziehenden Licht von Dumbledores Zauberstab. Ein wenig tiefer im Innern bog der Höhlengang nach links und Harry sah, dass er weit in die Klippe hineinreichte. Er schwamm weiter in Dumbledores Kielwasser und die Spitzen seiner tauben Finger streiften den rauen nassen Fels.

Dann sah er, wie Dumbledore mit glänzendem Silberhaar und dunklem Umhang vor ihm aus dem Wasser emporstieg. Als Harry die Stelle erreichte, fand er Stufen, die in eine große Höhle führten. Er kletterte sie hoch, und seine durchnässten Kleider trieften von Wasser, als er hemmungslos zitternd an der stillen und eiskalten Luft auftauchte.

Dumbledore stand mitten in der Höhle, hielt seinen Zauberstab in die Höhe und drehte sich langsam auf der Stelle, während er Wände und Decke absuchte.

»Ja, hier ist es«, sagte Dumbledore.

»Woher wissen Sie das?«, flüsterte Harry.

»Hier herrscht Magie«, antwortete Dumbledore nur.

Harry wusste nicht, ob er wegen der Kälte schauderte, die ihm bis ins Mark drang, oder weil er ebenfalls spürte, dass hier Zauber wirksam waren. Er beobachtete Dumbledore, der sich weiter auf der Stelle drehte und sich offenbar auf Dinge konzentrierte, die Harry nicht sehen konnte.

»Dies ist nur die Vorhalle, die Eingangshalle«, sagte Dumbledore nach einer kleinen Weile. »Wir müssen ins Innere vordringen … Nun sind es Lord Voldemorts Hindernisse, die uns im Weg stehen, und nicht mehr die von der Natur geschaffenen …«

Dumbledore näherte sich der Höhlenwand, ließ seine geschwärzten Fingerspitzen darübergleiten und murmelte Worte in einer merkwürdigen Sprache, die Harry nicht verstand. Zweimal umrundete Dumbledore den ganzen Hohlraum und berührte so viel von dem rauen Fels, wie er konnte, wobei er gelegentlich stockte und mit den Fingern über einer bestimmten Stelle hin und her strich, bis er endlich, die Hand flach gegen die Wand gedrückt, innehielt.

»Hier«, sagte er. »Wir gehen hier durch. Der Eingang ist verborgen.«

Harry fragte nicht, woher Dumbledore dies wusste. Er hatte noch nie einen Zauberer etwas auf diese Weise erkunden sehen, nur durch Beobachtung und Berühren; aber Harry hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass Knallen und Rauch öfter Zeichen von Unfähigkeit als von großem Können waren.

Dumbledore trat von der Höhlenwand zurück und richtete seinen Zauberstab auf den Fels. Einen Augenblick lang erschien dort ein bogenförmiger Umriss, strahlend weiß, als ob hinter dem Riss ein grelles Licht wäre.

»Sie h-haben es geschafft!«, sagte Harry mit klappernden Zähnen, doch noch ehe die Worte über seine Lippen kamen, war der Umriss verschwunden und der Fels so kahl und fest wie zuvor. Dumbledore sah sich um.

»Harry, tut mir sehr Leid, das hab ich ganz vergessen«, sagte er; dann richtete er seinen Zauberstab auf ihn, und Harrys Kleider waren schlagartig warm und trocken, als ob sie vor einem lodernden Feuer gehangen hätten.

»Danke«, sagte Harry, aber Dumbledore hatte seine Aufmerksamkeit schon wieder der festen Höhlenwand zugewandt. Er versuchte es nicht mit einem weiteren Zauber, sondern stand nur da und starrte sie aufmerksam an, als würde etwas äußerst Interessantes darauf geschrieben stehen. Harry verharrte vollkommen reglos; er wollte Dumbledores Konzentration nicht stören.

Dann, nach zwei geschlagenen Minuten, sagte Dumbledore leise: »Oh, nicht doch. Wie primitiv.«

»Was ist, Professor?«

»Ich vermute«, sagte Dumbledore, steckte seine unverletzte Hand in seinen Umhang und zog ein kurzes silbernes Messer hervor, ähnlich wie das, mit dem Harry Zaubertrankzutaten klein schnitt, »man verlangt von uns, dass wir für den Durchgang bezahlen.«

»Bezahlen?«, sagte Harry. »Sie müssen der Tür etwas geben?«

»Ja«, sagte Dumbledore. »Blut, wenn ich nicht sehr irre.«

»Blut?«

»Ich sagte ja, es ist primitiv«, erwiderte Dumbledore, der verächtlich, ja enttäuscht klang, als ob Voldemort nicht dem Niveau entsprechen würde, das er von ihm erwartete. »Der Gedanke dabei ist, wie du sicher verstanden hast, dass der Feind sich selbst schwächen muss, ehe er oder sie eintreten darf. Wieder einmal begreift Lord Voldemort nicht, dass es viel schrecklichere Dinge gibt als körperliche Verletzungen.«

»Ja, aber trotzdem, wenn man sie vermeiden kann …«, sagte Harry, der genug Schmerzen erlitten hatte, als dass er unbedingt noch weitere haben wollte.

»Manchmal allerdings sind sie unvermeidlich«, sagte Dumbledore, schüttelte den Ärmel seines Umhangs zurück und machte den Unterarm seiner verletzten Hand frei.

»Professor!«, protestierte Harry und stürzte vorwärts, als Dumbledore sein Messer erhob. »Ich mach es, ich bin – «

Er wusste nicht, was er sagen wollte – jünger, gesünder? Aber Dumbledore lächelte nur. Silber blitzte auf und etwas spritzte scharlachrot; die Felswand war mit dunklen, glitzernden Tropfen übersät.

»Das ist sehr freundlich von dir, Harry«, sagte Dumbledore, der nun mit der Spitze seines Zauberstabs über den tiefen Schnitt fuhr, den er seinem eigenen Arm zugefügt hatte, worauf er sofort verheilte, genau wie Snape Malfoys Wunden geheilt hatte. »Aber dein Blut ist mehr wert als meines. Ah, das scheint geklappt zu haben, nicht wahr?«

Der strahlend silberne bogenförmige Umriss war erneut an der Wand aufgetaucht, und diesmal verblasste er nicht: Der blutbespritzte Felsen innerhalb des Bogens verschwand einfach und gab eine Öffnung in scheinbar völlige Dunkelheit frei.

»Nach mir, denke ich«, sagte Dumbledore und schritt durch den Bogen, dicht gefolgt von Harry, der im Gehen hastig seinen eigenen Zauberstab entzündete.

Ein unheimlicher Anblick bot sich ihren Augen: Sie standen am Rand eines großen schwarzen Sees, der so weit reichte, dass Harry die fernen Ufer nicht ausmachen konnte, inmitten einer Felsenhalle, so hoch, dass auch die Decke nicht zu sehen war. Ein nebliges grünliches Licht leuchtete in der Ferne, offenbar in der Mitte des Sees; es spiegelte sich in dem vollkommen ruhigen Wasser darunter. Der grünliche Schein und das Licht der beiden Zauberstäbe waren alles, was die ansonsten samtene Schwärze durchbrach, doch die Strahlen der Zauberstäbe drangen nicht so weit vor, wie Harry erwartet hätte. Die Dunkelheit war irgendwie dichter als gewöhnliche Dunkelheit.

»Gehen wir«, sagte Dumbledore leise. »Achte besonders darauf, dass du nicht ins Wasser trittst. Bleib nah bei mir.«

Er machte sich auf den Weg um den See herum und Harry folgte ihm auf den Fersen. Ihre Schritte hallten klatschend auf dem schmalen Felssteg, der rund um das Wasser führte. Weiter und weiter gingen sie, doch das Bild änderte sich nicht: Auf der einen Seite war die raue Felswand, auf der anderen die grenzenlose Fläche ruhiger, spiegelglatter Schwärze, in deren Mitte dieses geheimnisvolle grünliche Leuchten war. Der Ort und die Stille bedrückten und zermürbten Harry.

»Professor?«, fragte er schließlich. »Glauben Sie, dass der Horkrux hier ist?«

»O ja«, sagte Dumbledore. »Ja, ich bin mir sicher. Die Frage ist, wie kommen wir an ihn heran?«

»Könnten wir es nicht … könnten wir es nicht einfach mit einem Aufrufezauber probieren?«, fragte Harry, überzeugt, dass dies ein dummer Vorschlag war, doch es lag ihm viel mehr daran, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, als er zugeben wollte.

»Natürlich könnten wir das«, sagte Dumbledore und blieb so plötzlich stehen, dass Harry beinahe mit ihm zusammenstieß. »Warum führst du ihn nicht aus?«

»Ich? Oh … okay …«

Das hatte Harry nicht erwartet, aber er räusperte sich und sagte laut und mit erhobenem Zauberstab: »Accio Horkrux!«

Mit einem explosionsartigen Lärm brach etwa sechs Meter entfernt etwas sehr Großes und Bleiches aus dem dunklen Wasser hervor; ehe Harry erkennen konnte, was es war, verschwand es laut platschend wieder im Wasser und hinterließ große, tiefe Wellen auf der spiegelnden Oberfläche. Erschrocken sprang Harry zurück und stieß gegen die Felswand; sein Herz hämmerte noch wie wild, als er sich an Dumbledore wandte.

»Was war das?«

»Etwas, das sicher gleich reagiert, falls wir versuchen, uns den Horkrux zu beschaffen.«

Harry blickte wieder auf das Wasser. Die Oberfläche des Sees war erneut ein glänzender schwarzer Spiegel: Die Wellen waren unnatürlich schnell verschwunden; aber Harrys Herz schlug immer noch heftig.

»Haben Sie sich gedacht, dass das passieren würde, Sir?«

»Ich dachte, dass irgendetwas passieren würde, wenn wir einen offenen Versuch machen, den Horkrux in die Hände zu bekommen. Das war eine sehr gute Idee, Harry; bei weitem der einfachste Weg, um herauszufinden, womit wir es zu tun haben.«

»Aber wir wissen nicht, was das für ein Wesen war«, sagte Harry und sah auf das unheilvoll glatte Wasser.

»Was das für Wesen sind, meinst du«, erwiderte Dumbledore. »Ich bezweifle sehr, dass es nur eines davon gibt. Wollen wir weitergehen?«

»Professor?«

»Ja, Harry?«

»Glauben Sie, dass wir in den See hinein müssen?«

»Hinein? Nur wenn wir viel Pech haben.«

»Meinen Sie nicht, dass der Horkrux auf dem Grund ist?«

»O nein … ich glaube, der Horkrux ist in der Mitte.«

Und Dumbledore deutete auf das neblige grüne Licht in der Mitte des Sees.

»Also müssen wir den See überqueren, damit wir an ihn rankommen?«

»Ja, ich denke schon.«

Harry sagte nichts. Sein Kopf war voller Seeungeheuer, Riesenschlangen, Dämonen, Kelpies und Wassergeister …

»Aha«, sagte Dumbledore und blieb erneut stehen; diesmal stieß Harry tatsächlich mit ihm zusammen; er wankte einen Moment lang am Rand des dunklen Wassers, bis Dumbledores gesunde Hand sich fest um seinen Oberarm schloss und ihn zurückzog. »Entschuldige, Harry, ich hätte dir ein Zeichen geben sollen. Tritt bitte an den Fels zurück; ich glaube, ich habe die Stelle gefunden.«

Harry hatte keine Ahnung, was Dumbledore meinte; dieser Abschnitt des dunklen Ufers unterschied sich, soweit er sehen konnte, überhaupt nicht von jeder anderen Stelle, aber Dumbledore schien hier etwas Besonderes entdeckt zu haben. Diesmal fuhr er mit der Hand nicht über die Felsmauer, sondern durch die Luft, als erwartete er, etwas Unsichtbares finden und ergreifen zu können.

»Oho«, sagte Dumbledore nach einigen Sekunden erfreut.

Seine Hand hatte sich mitten in der Luft um etwas geschlossen, das Harry nicht sehen konnte. Dumbledore trat näher ans Wasser heran; Harry beobachtete nervös, wie die Spitzen seiner Schnallenschuhe den äußersten Rand des Felsufers erreichten. Dumbledore hielt die geballte Hand weiter in der Luft, während er mit der anderen Hand seinen Zauberstab hob und mit der Spitze auf seine Faust tippte.

Sofort erschien aus dem Nichts eine dicke spangrüne Kette, die sich aus der Tiefe des Wassers bis zu Dumbledores geballter Hand spannte. Dumbledore tippte gegen die Kette, und sie begann wie eine Schlange durch seine Faust zu gleiten, rollte sich mit einem Rasseln am Boden zusammen, das laut von den Felswänden widerhallte, und zog etwas aus den Tiefen des schwarzen Wassers. Harry stockte der Atem, als der geisterhafte Bug eines kleinen Bootes durch die Oberfläche brach, das genauso grün schimmerte wie die Kette und das Wasser kaum merklich kräuselte, während es auf die Stelle am Ufer zuschwamm, wo Harry und Dumbledore standen.

»Woher wussten Sie, dass es da war?«, fragte Harry erstaunt.

»Magie hinterlässt immer Spuren«, antwortete Dumbledore, als das Boot mit einem sanften Stoß ans Ufer schlug, »manchmal sehr deutliche Spuren. Ich war Tom Riddles Lehrer. Ich kenne seinen Stil.«

»Ist… ist das Boot sicher?«

»O ja, ich denke schon. Voldemort musste sich ein Hilfsmittel schaffen, um den See zu überqueren, ohne sich den Zorn jener Kreaturen zuzuziehen, die er darin ausgesetzt hatte, falls er eines Tages seinen Horkrux besuchen oder holen wollte.«

»Also werden uns die Wesen im Wasser nichts tun, wenn wir in Voldemorts Boot übersetzen?«

»Ich denke, wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, dass sie irgendwann erkennen werden, dass wir nicht Lord Voldemort sind. Bis hierher sind wir jedoch gut vorangekommen. Sie haben uns erlaubt, das Boot zu heben.«

»Aber warum haben sie das zugelassen?«, fragte Harry, der die Vorstellung nicht loswerden konnte, dass Greifarme aus dem dunklen Wasser emporkommen würden, sobald das Ufer außer Sichtweite wäre.

»Voldemort muss einigermaßen zuversichtlich gewesen sein, dass niemand außer einem sehr großen Zauberer in der Lage sein würde, das Boot zu finden«, sagte Dumbledore. »Ich glaube, er war bereit, das aus seiner Sicht äußerst unwahrscheinliche Risiko einzugehen, dass ein anderer es finden würde, denn er wusste ja, dass er noch weitere Hindernisse aufgestellt hatte, die nur er würde durchdringen können. Wir werden sehen, ob er Recht hat.«

Harry blickte hinunter auf das Boot. Es war wirklich sehr klein.

»Es sieht nicht so aus, als wäre es für zwei Leute gebaut. Wird es uns beide tragen? Sind wir zusammen nicht zu schwer?«

Dumbledore gluckste.

»Voldemort wird sich keine Gedanken über das Gewicht gemacht haben, sondern über das Ausmaß der Zauberkraft, die den See überquert. Ich denke eher, dass ein Bann auf dieses Boot gelegt wurde, damit nur ein Zauberer auf einmal darin fahren kann.«

»Aber dann –?«

»Ich glaube nicht, dass du zählst, Harry: Du bist minderjährig und noch nicht mit der Schule fertig. Voldemort hätte wohl nie erwartet, dass ein Sechzehnjähriger diesen Ort erreicht: Ich halte es für unwahrscheinlich, dass deine Kräfte ins Gewicht fallen, wenn man sie mit meinen vergleicht.«

Diese Worte trugen keineswegs dazu bei, Harrys Moral zu heben; vielleicht wusste Dumbledore das, denn er fügte hinzu: »Voldemorts Fehler, Harry, Voldemorts Fehler … das Alter ist töricht und nachlässig, wenn es die Jugend unterschätzt … nun, diesmal lasse ich dir den Vortritt, und achte darauf, dass du das Wasser nicht berührst.«

Dumbledore trat beiseite und Harry kletterte vorsichtig in das Boot. Auch Dumbledore stieg hinein und rollte die Kette auf dem Boden auf. Sie hatten beide zusammen kaum Platz; Harry konnte nicht bequem sitzen, sondern kauerte sich hin und seine Knie ragten über den Rand des Bootes, das sich sofort in Bewegung setzte.

Außer dem sanften Rauschen, mit dem der Bug das Wasser teilte, war nichts zu hören; das Boot bewegte sich ohne ihr Zutun, als ob ein unsichtbares Tau es vorwärts ziehen würde, zu dem Licht in der Mitte hin. Bald konnten sie die Wände der Felsenhalle nicht mehr erkennen; sie hätten auch auf dem Meer sein können, nur gab es keine Wellen.

Harry blickte hinunter und sah die goldene Spiegelung vom Licht seines Zauberstabs auf dem schwarzen Wasser funkeln und glitzern, während sie dahinglitten. Das Boot schnitt tiefe Rillen in die glatte Oberfläche, Furchen in den dunklen Spiegel…

Und dann sah er sie, marmorweiß, nur Zentimeter unter der Oberfläche schwebend.

»Professor!«, sagte Harry und seine erschrockene Stimme hallte laut über das stille Wasser.

»Harry?«

»Ich glaube, ich habe eine Hand im Wasser gesehen – eine menschliche Hand!«

»Ja, das überrascht mich nicht«, sagte Dumbledore ruhig.

Harry starrte ins Wasser hinunter, auf der Suche nach der Hand, die verschwunden war, und ein Brechreiz überkam ihn.

»Dieses Wesen, das aus dem Wasser gesprungen ist, war also –?«

Aber Harry wusste es, noch ehe Dumbledore antworten konnte; das Licht des Zauberstabs war über eine neue Stelle im Wasser geglitten und hatte ihm diesmal einen toten Mann gezeigt, der mit dem Gesicht nach oben wenige Zentimeter unter der Oberfläche lag; seine offenen Augen waren wie von Spinnweben verschleiert, sein Haar und sein Umhang wirbelten um ihn herum wie Rauch.

»Da drin sind Leichen!«, sagte Harry, und seine Stimme klang viel höher als gewöhnlich und hörte sich sehr fremd an.

»Ja«, sagte Dumbledore gelassen, »aber vorläufig müssen wir uns deswegen keine Sorgen machen.«

»Vorläufig?«, wiederholte Harry und riss sich vom Anblick des Wassers los, um Dumbledore anzusehen.

»Nicht solange sie nur friedlich unter uns dahintreiben«, sagte Dumbledore. »Von einer Leiche ist nichts zu befürchten, Harry, genauso wenig wie von der Dunkelheit. Lord Voldemort, der insgeheim natürlich beides fürchtet, ist da anderer Meinung. Aber er zeigt wieder einmal seinen Mangel an Weisheit. Es ist das Unbekannte, das wir angesichts von Tod und Dunkelheit fürchten, sonst nichts.«

Harry schwieg; er wollte nicht widersprechen, aber er fand die Vorstellung, dass Leichen um sie und unter ihnen hertrieben, grauenhaft, und mehr noch, er glaubte nicht, dass sie ungefährlich waren.

»Aber eine von ihnen ist rausgesprungen«, sagte er und versuchte dabei, einen so ausgeglichenen und ruhigen Ton anzuschlagen wie Dumbledore. »Als ich den Horkrux aufrufen wollte, ist eine Leiche aus dem See gesprungen.«

»Ja«, sagte Dumbledore. »Ich bin sicher, dass sie uns, sobald wir den Horkrux mitnehmen, weniger friedlich begegnen werden. Aber, wie viele Kreaturen, die in Kälte und Dunkelheit leben, fürchten sie Licht und Wärme, und die werden wir uns deshalb zu Hilfe rufen, falls es nötig sein sollte. – Feuer, Harry«, fügte Dumbledore mit einem Lächeln hinzu, als Antwort auf Harrys verwirrte Miene.

»Oh … verstehe …«, sagte Harry rasch. Er wandte den Kopf und spähte zu dem grünlichen Schein, auf den das Boot immer noch unaufhaltsam zusteuerte. Jetzt konnte er nicht mehr so tun, als hätte er keine Angst. Der große schwarze See, der von Toten wimmelte … es kam ihm vor, als wären viele, viele Stunden vergangen, seit er Professor Trelawney getroffen, seit er Ron und Hermine den Felix Felicis gegeben hatte … er wünschte plötzlich, er hätte sich besser von ihnen verabschiedet … und Ginny hatte er überhaupt nicht gesehen …

»Wir sind gleich da«, sagte Dumbledore munter.

Tatsächlich, das grünliche Licht schien nun endlich größer zu werden, und nach wenigen Minuten kam das Boot zum Stillstand, indem es sanft gegen etwas stieß, das Harry zunächst nicht sehen konnte. Doch als er seinen leuchtenden Zauberstab hob, erkannte er, dass sie eine kleine Insel aus glattem Fels mitten im See erreicht hatten.

»Gib Acht, dass du das Wasser nicht berührst«, sagte Dumbledore erneut, als Harry aus dem Boot kletterte.

Die Insel war nicht größer als Dumbledores Büro: eine ebene dunkle Steinfläche, auf der nichts als die Quelle des grünlichen Lichtes stand, das viel heller wirkte, wenn man es von nahem erblickte. Harry sah es mit zusammengekniffenen Augen an; im ersten Moment hielt er es für eine Art Lampe, doch dann erkannte er, dass das Licht aus einem steinernen Becken ganz in der Art des Denkariums kam, das auf einem Sockel stand.

Dumbledore näherte sich dem Becken und Harry folgte ihm. Seite an Seite standen sie da und sahen hinein. Das Becken war mit einer smaragdgrünen Flüssigkeit gefüllt, von der dieses phosphoreszierende Leuchten ausging.

»Was ist das?«, fragte Harry leise.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Dumbledore. »Aber jedenfalls etwas Beunruhigenderes als Blut und Leichen.«

Dumbledore schob den Ärmel seines Umhangs über seine geschwärzte Hand zurück und streckte die Spitzen seiner verbrannten Finger nach der Oberfläche des Zaubertranks aus.

»Sir, nein, nicht berühren –!«

»Ich kann es nicht berühren«, sagte Dumbledore und lächelte matt. »Siehst du? Ich komme nicht näher heran als bis hier. Versuch du es.«

Mit starrem Blick steckte Harry seine Hand in das Becken und versuchte den Zaubertrank zu berühren. Er traf auf eine unsichtbare Blockade, die verhinderte, dass er näher als drei Zentimeter herankam. Wie heftig er auch drückte, seine Finger stießen nur auf etwas wie feste und unnachgiebige Luft.

»Geh bitte zur Seite, Harry«, sagte Dumbledore.

Er hob seinen Zauberstab und machte komplizierte Bewegungen über der Oberfläche des Tranks, wobei er stumm die Lippen bewegte. Nichts geschah, außer dass der Zaubertrank vielleicht ein wenig heller leuchtete. Harry schwieg, während Dumbledore beschäftigt war, doch nach einer Weile zog Dumbledore seinen Zauberstab zurück und Harry hatte den Eindruck, dass er getrost wieder etwas sagen konnte.

»Glauben Sie, dass der Horkrux dadrin ist, Sir?«

»O ja.« Dumbledore schaute noch genauer in das Becken. Harry sah sein Gesicht kopfüber in der glatten Oberfläche des grünen Tranks gespiegelt. »Aber wie kommen wir an ihn heran? Dieser Zaubertrank kann nicht von Hand durchdrungen werden, zum Verschwinden gebracht, geteilt, leer geschöpft oder abgesaugt werden, und auch nicht verwandelt, verzaubert oder auf irgendeine andere Art dazu gebracht werden, seine Beschaffenheit zu ändern.«

Beinahe geistesabwesend hob Dumbledore erneut seinen Zauberstab, ließ ihn einmal durch die Luft wirbeln und fing den Kristallkelch auf, den er aus dem Nichts heraufbeschworen hatte.

»Ich kann nur zu dem Schluss kommen, dass dieser Zaubertrank getrunken werden soll.«

»Was?«, sagte Harry. »Nein!«

»Doch, ich denke schon: Nur indem ich ihn trinke, kann ich das Becken leeren und sehen, was auf seinem Grund liegt.«

»Aber wenn – wenn er Sie tötet?«

»Oh, ich bezweifle, dass dies seine Wirkung ist«, sagte Dumbledore leichthin. »Lord Voldemort würde die Person, die diese Insel erreicht, nicht töten wollen.«

Harry war fassungslos. War dies ein neues Beispiel für Dumbledores verrückte Entschlossenheit, in jedem nur das Gute zu sehen?

»Sir«, sagte Harry und versuchte seine Stimme überzeugend klingen zu lassen, »Sir, es geht hier um Voldemort –«

»Verzeihung, Harry, ich hätte besser sagen sollen, er würde die Person, die diese Insel erreicht, nicht sofort töten wollen«, korrigierte sich Dumbledore. »Er würde sie lange genug am Leben lassen, um herauszufinden, wie sie es geschafft hat, so weit durch seine Abwehrzauber zu dringen, und vor allem, warum sie so erpicht darauf war, das Becken zu leeren. Vergiss nicht, dass Lord Voldemort glaubt, nur er allein wisse von seinen Horkruxen.«

Harry wollte wieder etwas sagen, aber diesmal hob Dumbledore seine Hand, um ihm Schweigen zu gebieten. Er sah mit einem leichten Stirnrunzeln auf die smaragdgrüne Flüssigkeit und dachte offenbar scharf nach.

»Es gibt keinen Zweifel«, sagte er schließlich, »dass dieser Zaubertrank auf eine Art wirken muss, die mich daran hindert, den Horkrux wegzunehmen. Er könnte mich lähmen, mich vergessen machen, wozu ich eigentlich hier bin, mir so viel Schmerzen bereiten, dass ich abgelenkt werde, oder mich auf irgendeine andere Weise handlungsunfähig machen. Sollte dies der Fall sein, Harry, ist es deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ich weitertrinke, selbst wenn du den Trank in meinen aufbegehrenden Mund leeren musst. Hast du verstanden?«

Ihre Blicke trafen sich über dem Becken; beide blassen Gesichter waren von jenem seltsamen grünen Licht erhellt. Harry sagte nichts. War das der Grund, weshalb er hatte mitkommen dürfen – damit er Dumbledore mit Gewalt einen Zaubertrank einflößen konnte, der ihm vielleicht unerträgliche Schmerzen bereitete?

»Du erinnerst dich«, sagte Dumbledore, »an die Bedingung, unter der ich dich mitgenommen habe?«

Harry zögerte und blickte in die blauen Augen, die das Licht des Beckens grün widerspiegelten.

»Aber was, wenn –?«

»Du hast geschworen, jeden Befehl zu befolgen, den ich dir erteilen würde, richtig?«

»Ja, aber…«

»Ich habe dich gewarnt, dass es gefährlich werden könnte, richtig?«

»Ja«, sagte Harry, »aber…«

»Nun, dann«, sagte Dumbledore, schüttelte erneut seine Ärmel zurück und hob den leeren Kelch, »ist dies mein Befehl.«

»Warum kann nicht ich an Ihrer Stelle den Zaubertrank trinken?«, fragte Harry verzweifelt.

»Weil ich viel älter, viel klüger und viel weniger wert bin«, sagte Dumbledore. »Ein für alle Mal, Harry, habe ich dein Wort, dass du alles in deiner Macht Stehende tun wirst, damit ich weitertrinke?«

»Könnte nicht –?«

»Habe ich es?«

»Aber…«

»Dein Wort, Harry.«

»Ich – also gut, aber…«

Ehe Harry weiter protestieren konnte, ließ Dumbledore den Kristallkelch in das Becken sinken. Für den Bruchteil einer Sekunde hoffte Harry, dass Dumbledore nicht in der Lage wäre, den Zaubertrank mit dem Kelch zu berühren, doch das Kristall tauchte in die Oberfläche, wie nichts sonst es getan hatte; als das Glas randvoll war, hob Dumbledore es an den Mund.

»Auf dein Wohl, Harry.«

Und er leerte den Kelch. Harry sah entsetzt zu, die Hände so fest an den Beckenrand geklammert, dass seine Fingerspitzen taub waren.

»Professor?«, sagte er beklommen, als Dumbledore das leere Glas sinken ließ. »Wie geht es Ihnen?«

Dumbledore schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf. Harry fragte sich, ob er Schmerzen hatte. Blindlings tauchte Dumbledore das Glas wieder ins Becken, füllte es auf und trank noch einmal.

Stumm leerte er drei Kelche mit dem Zaubertrank. Dann, mitten im vierten Kelch, geriet er ins Wanken und stürzte vornüber gegen das Becken. Seine Augen waren noch immer geschlossen und er atmete schwer.

»Professor Dumbledore?«, sagte Harry mit angespannter Stimme. »Können Sie mich hören?«

Dumbledore antwortete nicht. Sein Gesicht zuckte, als würde er tief schlafen, aber einen furchtbaren Traum träumen. Sein Griff um den Kelch lockerte sich; gleich würde der Zaubertrank verschüttet werden. Harry streckte die Hand aus, packte den Kristallkelch und hielt ihn fest.

»Professor, können Sie mich hören?«, wiederholte er laut, und seine Stimme hallte durch die Höhle.

Dumbledore keuchte und sprach dann mit einer Stimme, die Harry nicht erkannte, denn er hatte Dumbledore noch nie so angsterfüllt sprechen hören.

»Ich will nicht … zwing mich nicht …«

Harry starrte in das erbleichte Gesicht, das er so gut kannte, auf die Hakennase und die Halbmondbrille, und wusste nicht, was er tun sollte.

»… möchte nicht … will aufhören …«, stöhnte Dumbledore.

»Sie … Sie können nicht aufhören, Professor«, sagte Harry. »Sie müssen weitertrinken, erinnern Sie sich? Sie haben mir gesagt, dass Sie weitertrinken müssen. Hier …«

Er hasste sich und es widerte ihn an, was er tat, aber Harry führte den Kelch an Dumbledores Mund zurück und neigte ihn, so dass Dumbledore den restlichen Zaubertrank darin schluckte.

»Nein …«, stöhnte er, als Harry den Kelch wieder in das Becken tauchte und für ihn füllte. »Ich will nicht … ich will nicht … lass mich los …«

»Es ist schon gut, Professor«, sagte Harry, und seine Hand zitterte. »Es ist schon gut, ich bin da – «

»Lass es aufhören, lass es aufhören«, stöhnte Dumbledore.

»Ja … ja, das hier noch, dann hört es auf«, log Harry. Er kippte den Inhalt des Kelches in Dumbledores offenen Mund.

Dumbledore schrie; der Schrei hallte durch die riesige Höhle, über das tote schwarze Wasser.

»Nein, nein, nein … nein … ich kann nicht … ich kann nicht, zwing mich nicht, ich will nicht …«

»Es ist schon gut, Professor, es ist schon gut!«, sagte Harry laut, und seine Hände zitterten jetzt so schlimm, dass er kaum den sechsten Kelch mit Zaubertrank füllen konnte; das Becken war jetzt halb leer. »Es passiert Ihnen nichts, Sie sind in Sicherheit, das hier ist nicht wirklich, ich schwöre, es ist nicht wirklich – nehmen Sie jetzt den, nehmen Sie …«

Und Dumbledore trank gehorsam, als würde Harry ihm einen Heiltrank anbieten, doch als er den Kelch geleert hatte, sank er haltlos zitternd auf die Knie.

»Es ist alles meine Schuld, alles meine Schuld«, schluchzte er, »bitte lass es aufhören, ich weiß, dass ich Falsches getan habe, oh, bitte lass es aufhören und ich werde nie, nie mehr …«

»Das hier noch, dann hört es auf, Professor«, sagte Harry, und seine Stimme brach, als er das siebte Glas Zaubertrank in Dumbledores Mund kippte.

Dumbledore kauerte sich nun zusammen, als würden unsichtbare Folterer ihn umzingeln; er fuchtelte wild mit der Hand und schlug Harry beinah den gefüllten Kelch aus den zitternden Händen, dabei stöhnte er: »Tu ihnen nicht weh, tu ihnen nicht weh, bitte, bitte, es ist meine Schuld, tu doch mir weh …«

»Hier, trinken Sie das, trinken Sie das, dann wird es Ihnen gut gehen«, sagte Harry verzweifelt, und abermals gehorchte ihm Dumbledore und öffnete den Mund, während er die Augen fest geschlossen hielt und es ihn am ganzen Körper schüttelte.

Und nun fiel er vornüber, schrie erneut auf, hämmerte mit den Fäusten auf den Boden, während Harry den neunten Kelch füllte.

»Bitte, bitte, bitte, nein … nicht das, nicht das, ich tu alles …«

»Trinken Sie nur, Professor, trinken Sie nur …«

Dumbledore trank wie ein verdurstendes Kind, doch als er fertig war, schrie er wieder, als würden seine Eingeweide brennen.

»Nichts mehr, bitte, nichts mehr …«

Harry schöpfte einen zehnten Kelch mit dem Zaubertrank voll und spürte, wie das Kristall über den Beckenboden schürfte.

»Wir haben es fast geschafft, Professor, trinken Sie das, trinken Sie …«

Er hielt Dumbledore an den Schultern und Dumbledore leerte erneut das Glas; Harry war wieder auf den Beinen und füllte den Kelch, als Dumbledore qualvoller denn je zu schreien begann: »Ich will sterben! Ich will sterben! Lass es aufhören, lass es aufhören, ich will sterben!«

»Trinken Sie das, Professor, trinken Sie …«

Dumbledore trank, und kaum hatte er den Kelch geleert, brüllte er: »TÖTE MICH!«

»Mit diesem – mit diesem hier!«, keuchte Harry. »Trinken Sie nur … dann ist es vorbei … endgültig vorbei!«

Dumbledore nahm hastige Schlucke aus dem Kelch, leerte ihn bis auf den letzten Tropfen, und dann wälzte er sich mit einem schweren, rasselnden Keuchen herum und blieb auf dem Gesicht liegen.

»Nein!«, schrie Harry, der aufgestanden war, um den Kelch erneut zu füllen; er ließ ihn stattdessen ins Becken fallen, warf sich neben Dumbledore zu Boden und stemmte ihn auf den Rücken; Dumbledores Brille saß schief, sein Mund stand offen, seine Augen waren geschlossen. »Nein«, sagte Harry und schüttelte Dumbledore, »nein, Sie sind nicht tot, Sie sagten, es sei kein Gift, aufwachen, aufwachen – Rennervate!«, rief er, den Zauberstab auf Dumbledores Brust gerichtet; ein roter Blitz leuchtete auf, doch nichts geschah.

»Rennervate – Sir – bitte – «

Dumbledores Augenlider zuckten; Harry fasste Mut.

»Sir, sind Sie –?«

»Wasser«, krächzte Dumbledore.

»Wasser«, keuchte Harry, »…ja…«

Er sprang auf und packte den Kelch, den er in das Becken hatte fallen lassen; von dem goldenen Medaillon, das mit eingerollter Kette darunterlag, nahm er kaum Notiz.

»Aguamenti!«, rief er und stieß mit seinem Zauberstab gegen den Kelch.

Der Kelch füllte sich mit klarem Wasser; Harry sank neben Dumbledore auf die Knie, hob seinen Kopf und hielt ihm das Glas an die Lippen – doch es war leer. Dumbledore stöhnte und begann zu keuchen.

»Aber ich hatte doch – warten Sie – Aguamenti!«, wiederholte Harry und richtete seinen Zauberstab auf den Kelch. Wieder glitzerte eine Sekunde lang klares Wasser darin, doch als er es an Dumbledores Mund führte, verschwand das Wasser abermals.

»Sir, ich versuche es ja, ich versuche es!«, sagte Harry verzweifelt, aber er glaubte nicht, dass Dumbledore ihn hören konnte; er hatte sich auf die Seite gerollt und atmete mit schweren, rasselnden Zügen, die schmerzhaft klangen. »Aguamenti – Aguamenti – AGUAMENTI!«

Der Kelch füllte und leerte sich noch einmal. Und nun wurde Dumbledores Atem schwächer. Während Harry panische Gedanken durch den Kopf wirbelten, erkannte er instinktiv die einzig verbliebene Möglichkeit, Wasser zu beschaffen, denn Voldemort hatte es so geplant…

Er warf sich über den Felsrand, tauchte den Kelch in den See und holte ihn wieder hoch, bis oben hin voll mit eisigem Wasser, das nicht verschwand.

»Hier – Sir!«, schrie Harry, stürzte vorwärts und kippte das Wasser ungeschickt über Dumbledores Gesicht.

Mehr brachte er nicht fertig, denn das eisige Gefühl an seinem anderen Arm, der nicht den Kelch hielt, rührte nicht von der nachklingenden Kälte des Wassers her. Eine schleimige weiße Hand hatte ihn am Handgelenk gepackt, und die Kreatur, zu der sie gehörte, zog ihn langsam über den Fels zurück. Die Oberfläche des Sees war nicht mehr spiegelglatt; sie war aufgewühlt, und wo Harry auch hinsah, tauchten weiße Köpfe und Hände aus dem dunklen Wasser auf, Männer und Frauen und Kinder mit tief liegenden, blinden Augen bewegten sich auf den Fels zu: eine Armee von Toten, die dem schwarzen Wasser entstieg.

»Petrificus Totalus!«, schrie Harry und suchte verzweifelt nach Halt auf dem glatten, nassen Fels der Insel, während er seinen Zauberstab auf den Inferius richtete, der seinen Arm gepackt hatte: Der Inferius ließ ihn los und stürzte klatschend rücklings ins Wasser. Harry rappelte sich hoch; doch viele weitere Inferi kletterten bereits auf den Felsen, klammerten sich mit ihren knochigen Händen an seine glitschige Oberfläche, richteten ihre leeren, milchigen Augen auf Harry, zogen triefende Lumpen hinter sich her und grinsten ihn aus ihren eingefallenen Gesichtern heimtückisch an.

»Petrificus Totalus!«, brüllte Harry von neuem und wich zurück, während er seinen Zauberstab durch die Luft schwang; sechs oder sieben von ihnen brachen zusammen, doch es kamen weitere auf ihn zu. »Impedimenta! Incarcerus!«

Manche von ihnen stolperten, ein oder zwei waren mit Seilen gefesselt, aber jene, die hinter ihnen auf den Fels kletterten, stiegen einfach über die gestürzten Leichen oder traten auf sie. Harry peitschte immer noch mit dem Zauberstab durch die Luft und schrie: »Sectumsempra! SECTUMSEMPRA!«

Doch obwohl tiefe Risse in ihren durchweichten Lumpen und auf ihrer eiskalten Haut sichtbar wurden, gab es kein Blut, das sie vergießen konnten: Sie gingen weiter, empfindungslos, die runzligen Hände nach ihm ausgestreckt, und als er noch weiter zurückwich, spürte er, wie Arme ihn von hinten umschlangen, dünne, fleischlose Arme, kalt wie der Tod, und er verlor den Boden unter den Füßen, als sie ihn hochhoben und ihn langsam und unerbittlich in Richtung Wasser zurücktrugen, und er wusste, es würde kein Entkommen geben, er würde ertränkt und ein weiterer toter Wächter eines Teils von Voldemorts zerbrochener Seele werden …

Doch dann loderte Feuer durch die Dunkelheit: karminrot und golden, ein Ring aus Feuer, der den Fels umschloss, so dass die Inferi, die Harry so fest hielten, stolperten und zauderten; sie wagten es nicht, durch die Flammen zu gehen, um zum Wasser zu gelangen. Sie ließen Harry fallen; er schlug auf, rutschte auf dem Fels aus, fiel hin und schürfte sich die Arme auf, kämpfte sich aber wieder hoch, hob seinen Zauberstab und starrte umher.

Dumbledore war wieder auf den Beinen, bleich wie all die Inferi ringsherum, doch auch größer als sie alle, und das Feuer tanzte in seinen Augen; er hatte seinen Zauberstab wie eine Fackel erhoben und aus dessen Spitze brachen die Flammen hervor wie ein riesiges Lasso und hüllten sie alle in Wärme.

Die Inferi rannten gegeneinander und versuchten blindlings, dem Feuer zu entkommen, in dem sie eingeschlossen waren …

Dumbledore nahm das Medaillon vom Boden des Steinbeckens und steckte es in seinen Umhang. Mit einer stummen Geste gebot er Harry, an seine Seite zu kommen. Abgelenkt von den Flammen, schienen die Inferi nicht zu bemerken, dass ihre Beute im Begriff war zu fliehen, während Dumbledore Harry zurück zum Boot führte und der Feuerring um sie herum sich mit ihnen bewegte. Die verwirrten Inferi begleiteten sie bis zum Felsrand, wo sie dankbar in ihr schwarzes Wasser zurückglitten.

Harry, der am ganzen Körper zitterte, fürchtete einen Moment, Dumbledore würde nicht fähig sein, in das Boot zu klettern; er schwankte leicht, als er es versuchte; all seine Kräfte schienen darauf gerichtet, den schützenden Flammenring um sie herum zu erhalten. Harry stützte ihn und half ihm zurück auf seinen Platz. Sobald beide wieder eng zusammengedrängt und sicher im Boot waren, setzte es sich in Bewegung, von dem Felsen weg und zurück über das schwarze Wasser, noch immer umgeben von dem Feuerring, und es schien, als würden die Inferi, die unter ihnen umherschwärmten, es nicht wagen, wieder aufzutauchen.

»Sir«, keuchte Harry, »Sir, ich habe – das mit dem Feuer – vergessen – sie kamen auf mich zu und ich geriet in Panik – «

»Völlig verständlich«, murmelte Dumbledore. Harry war besorgt, weil seine Stimme so schwach klang.

Mit einem leichten Stoß gelangten sie ans Ufer. Harry sprang hinaus und drehte sich rasch herum, um Dumbledore zu helfen. Kaum hatte Dumbledore das Ufer erreicht, ließ er seine Hand mit dem Zauberstab sinken; der Feuerring verschwand, aber die Inferi kamen nicht noch einmal aus dem Wasser. Das kleine Boot sank wieder ins Wasser; klirrend und rasselnd glitt auch seine Kette in den See zurück. Dumbledore seufzte schwer und lehnte sich an die Wand der Felsenhalle.

»Ich bin schwach …«, sagte er.

»Keine Sorge, Sir«, sagte Harry sofort, beunruhigt, wie furchtbar blass und offensichtlich erschöpft Dumbledore war. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich bring uns zurück … stützen Sie sich auf mich, Sir …«

Und Harry legte sich Dumbledores unverletzten Arm über die Schulter und führte seinen Schulleiter um den See herum zurück, wobei fast sein gesamtes Gewicht auf ihm lastete.

»Alles in allem … war der Schutz … gut ausgedacht«, sagte Dumbledore mit schwacher Stimme. »Einer allein hätte es nicht geschafft … du hast dich sehr gut geschlagen, Harry, sehr gut …«

»Sprechen Sie jetzt nicht«, sagte Harry, entsetzt, wie undeutlich Dumbledores Stimme geworden war, wie sehr er die Füße schlurfen ließ, »schonen Sie Ihre Kräfte, Sir … wir sind bald draußen …«

»Der Bogen wird sich wieder verschlossen haben … mein Messer …«

»Nicht nötig, ich hab mich am Fels geschnitten«, sagte Harry bestimmt, »sagen Sie mir einfach, wo …«

»Hier …«

Harry wischte mit dem aufgeschürften Unterarm über den Stein: Nachdem der Bogen seinen Blutzoll erhalten hatte, öffnete er sich augenblicklich. Sie durchquerten die äußere Höhle und Harry half Dumbledore zurück in das eisige Meerwasser, das die Spalte in der Klippe füllte.

»Es wird alles gut werden, Sir«, sagte Harry immer und immer wieder und war besorgter über Dumbledores Schweigen, als er es über seine geschwächte Stimme gewesen war. »Wir sind fast da … ich kann uns beide zurückapparieren … keine Sorge …«

»Ich mache mir keine Sorgen, Harry«, sagte Dumbledore, trotz des eisigen Wassers nun mit etwas kräftigerer Stimme. »Du bist ja bei mir.«