123303.fb2 Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 28

Harry Potter und der Halbblutprinz - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 28

Die Flucht des Prinzen

Harry war, als würde auch er durch die Luft geschleudert; es war nicht geschehen … es konnte nicht geschehen sein …

»Raus hier, schnell«, sagte Snape.

Er packte Malfoy am Genick und drängte ihn vor den anderen durch die Tür; Greyback und die beiden untersetzten Geschwister folgten ihnen, Bruder wie Schwester aufgeregt keuchend. Als sie durch die Tür verschwanden, spürte Harry, dass er sich wieder bewegen konnte; jetzt war es nicht Magie, die ihn wie gelähmt an die Mauer bannte, sondern Grauen und Entsetzen. Gerade als der Todesser mit dem brutalen Gesicht als Letzter den Turm verließ, warf Harry den Tarnumhang ab.

»Petrificus Totalus!«

Der Todesser knickte ein, als hätte ihn etwas Schweres im Rücken getroffen, und fiel steif wie eine Wachsfigur zu Boden, doch kaum war er aufgeschlagen, stieg Harry schon über ihn hinweg und jagte die dunkle Treppe hinab.

Panische Angst zerrte an Harry … er musste zu Dumbledore und er musste Snape kriegen … irgendwie hing beides zusammen … er konnte das Geschehene rückgängig machen, wenn er beide zusammen hatte … Dumbledore konnte nicht gestorben sein …

Er übersprang die letzten zehn Stufen der Wendeltreppe und blieb mit erhobenem Zauberstab stehen, wo er gelandet war: Der spärlich beleuchtete Korridor war voller Staub; die halbe Decke schien eingestürzt zu sein und vor ihm tobte ein Kampf, doch während er noch herauszufinden versuchte, wer gegen wen kämpfte, hörte er die verhasste Stimme rufen: »Es ist vorbei, Zeit zu gehen!«, und sah Snape am anderen Ende des Korridors um die Ecke verschwinden; er und Malfoy schienen sich unversehrt einen Weg durch das Kampfgetümmel gebahnt zu haben. Als Harry ihnen hinterherstürmte, löste sich einer der Kämpfer aus dem Durcheinander und schoss auf ihn zu: Es war Greyback, der Werwolf. Ehe Harry seinen Zauberstab heben konnte, hatte er sich auf ihn gestürzt: Harry fiel hintenüber, schmutziges, verfilztes Haar im Gesicht, Schweiß- und Blutgestank in Nase und Mund, heißen, gierigen Atem an der Kehle –

»Petrificus Totalus!«

Harry spürte, wie Greyback über ihm zusammenbrach; mit ungeheurer Anstrengung schob er den Werwolf von sich herunter auf den Boden, als ein grüner Lichtstrahl auf ihn zugeflogen kam; er duckte sich und rannte Hals über Kopf ins Getümmel. Seine Füße stießen auf etwas Weiches und Rutschiges am Boden und er geriet ins Straucheln: Da lagen zwei Körper, mit dem Gesicht in einer Blutlache, doch er hatte keine Zeit, genauer hinzuschauen: Vor sich sah er jetzt rotes Haar wie Flammen auflodern: Ginny steckte mitten im Kampf mit dem plumpen Todesser Amycus, der unablässig Flüche nach ihr schleuderte, denen sie ein ums andere Mal auswich: Amycus, der den Zeitvertreib genoss, kicherte: »Crucio – Crucio – du kannst nicht ewig tanzen, hübsches – «

»Impedimenta!«, schrie Harry.

Sein Zauber traf Amycus in die Brust: Er quiekte vor Schmerz wie ein Schwein, wurde von den Füßen gerissen und krachte an die Wand gegenüber, rutschte daran herunter und verschwand hinter Ron, Professor McGonagall und Lupin außer Sicht, die jeder mit einem anderen Todesser kämpften. Noch weiter hinten sah Harry Tonks mit einem riesigen blonden Zauberer ringen, der Flüche kreuz und quer durch die Gegend schoss, so dass sie von den Wänden ringsumher abprallten, Steine bersten und das nächste Fenster zerspringen ließen.

»Harry, wo kommst du her?«, rief Ginny, aber es war keine Zeit, ihr zu antworten. Er zog den Kopf ein und spurtete los, wobei er gerade noch einem Geschoss auswich, das über seinem Kopf explodierte und einen Schauer von Mauersplittern über alle niedergehen ließ: Snape durfte nicht entkommen, er musste Snape einholen.

»Nimm das!«, rief Professor McGonagall, und Harry sah, wie die Todesserin Alecto, die Arme über dem Kopf, durch den Korridor davonrannte, dicht gefolgt von ihrem Bruder. Harry setzte ihnen nach, blieb jedoch mit dem Fuß irgendwo hängen und lag im nächsten Moment quer über den Beinen von irgendjemandem: Er wandte sich um und sah Nevilles bleiches rundes Gesicht flach am Boden.

»Neville, bist du –?«

»Alles okay mit mir«, murmelte Neville und hielt sich den Bauch. »Harry … Snape un' Malfoy … sin' vorbeigerannt …«

»Ich weiß, ich mach schon!«, sagte Harry und ließ vom Boden aus einen Zauber auf den riesigen blonden Todesser los, der das meiste Chaos verursachte: Der Mann heulte vor Schmerz auf, als der Zauber ihn ins Gesicht traf; er wirbelte herum, taumelte und stampfte davon, dem Geschwisterpaar hinterher.

Harry rappelte sich hoch und begann den Korridor entlangzurennen, ohne auf das Knallen hinter ihm zu achten, auf die Rufe der anderen, er solle zurückkommen, und auf die stummen Schreie der Gestalten am Boden, deren Schicksal er noch nicht kannte …

Er schleuderte um die Ecke, da seine Turnschuhe rutschig vom Blut waren; Snape hatte einen gewaltigen Vorsprung – war es möglich, dass er bereits im Raum der Wünsche war und das Kabinett betreten hatte, oder hatte der Orden Schritte unternommen, den Raum zu sichern, um zu verhindern, dass sich die Todesser auf diesem Weg zurückzogen? Während er den nächsten leeren Korridor entlangraste, konnte er nichts hören außer seine eigenen stampfenden Füße und sein hämmerndes Herz, doch dann sah er einen blutigen Fußabdruck, der bewies, dass zumindest einer der fliehenden Todesser den Weg zum Schlossportal eingeschlagen hatte – vielleicht war der Raum der Wünsche tatsächlich versperrt –

Er schleuderte um eine weitere Ecke und ein Fluch flog an ihm vorbei; er tauchte hinter einer Rüstung ab, die explodierte; er sah die beiden Todessergeschwister die Marmortreppe vor ihm hinunterrennen und schoss ihnen Flüche hinterher, traf aber nur ein paar Hexen mit Perücken in einem Porträt auf dem Treppenabsatz, die kreischend in benachbarte Gemälde rannten; als er über die zertrümmerte Rüstung sprang, hörte Harry noch mehr Rufe und Schreie; andere Leute im Schloss schienen aufgewacht zu sein …

Er stürmte auf eine Abkürzung zu, in der Hoffnung, er könnte das Geschwisterpaar überholen und den Abstand zu Snape und Malfoy verkürzen, die inzwischen sicher schon draußen auf dem Gelände waren; er vergaß nicht, die verschwindende Stufe in der Mitte der verborgenen Treppe zu überspringen, und brach durch einen Wandbehang an deren Fuß hinaus auf einen Korridor, wo einige verwirrte Hufflepuffs in Schlafanzügen standen.

»Harry! Wir haben Lärm gehört und jemand sagte was vom Dunklen Mal – «, begann Ernie Macmillan.

»Aus dem Weg!«, schrie Harry und stieß zwei Jungen beiseite, als er auf den Treppenabsatz zuraste und die letzten Stufen der Marmortreppe hinuntereilte. Das Eichenportal war aufgesprengt worden; die Steinplatten waren blutverschmiert, und etliche verängstigte Schüler standen gegen die Wand gedrängt, ein oder zwei kauerten noch mit den Armen über dem Gesicht am Boden; das gewaltige Stundenglas der Gryffindors war von einem Fluch getroffen worden und seine Rubine fielen nach wie vor mit lautem Klirren hinunter auf die Steinplatten …

Harry flog durch die Eingangshalle und hinaus auf das dunkle Gelände: Er konnte gerade noch drei Gestalten erkennen, die über den Rasen liefen, auf das Tor zu, hinter dem sie disapparieren konnten – wie es aussah, waren es der riesige blonde Todesser und, ein Stück vor ihm, Snape und Malfoy …

Die kalte Nachtluft zerrte an Harrys Lungen, als er ihnen nachjagte; er sah einen Blitz in der Ferne, der für einen Augenblick die Umrisse seiner Gegner erkennen ließ; er wusste nicht, woher der Blitz kam, rannte aber weiter, denn noch war er nicht nahe genug, um einen Fluch gut abschießen zu können.

Ein weiterer Blitz, Rufe, Lichtstrahlen als Revanche, und Harry begriff: Hagrid war aus seiner Hütte gekommen und versuchte die Todesser an der Flucht zu hindern, und obwohl ihm jeder Atemzug die Lungen zu zerreißen schien und das Stechen in seiner Brust wie Feuer war, rannte Harry nun noch schneller, während eine ungebetene Stimme in seinem Kopf sagte: Nicht Hagrid … nicht auch noch Hagrid …

Etwas traf Harry hart im Kreuz, er schlug vornüber, mit dem Gesicht auf den Boden, und Blut strömte ihm aus beiden Nasenlöchern: Er wusste, noch während er auf die Seite rollte, den Zauberstab bereit, dass die beiden Geschwister, die er dank der Abkürzung überholt hatte, nun von hinten auf ihn zukamen …

»Impedimenta!«, schrie er, wälzte sich erneut herum und schmiegte sich dicht an den dunklen Boden, und wunderbarerweise traf sein Fluch eines der Geschwister, das strauchelte und stürzte und auch das andere zum Stolpern brachte; Harry sprang auf die Beine und rannte weiter, Snape hinterher …

Und nun sah er im Licht des Halbmonds, der plötzlich hinter den Wolken auftauchte, die riesige Silhouette von Hagrid; der blonde Todesser schoss einen Fluch nach dem anderen auf den Wildhüter ab, aber Hagrids ungeheure Stärke und die zähe Haut, die er von seiner Riesen-Mutter geerbt hatte, schienen ihn zu schützen; Snape und Malfoy jedoch waren immer noch auf der Flucht; bald würden sie das Tor hinter sich gelassen haben und disapparieren können.

Harry rannte an Hagrid und seinem Gegner vorbei, zielte auf Snapes Rücken und schrie: »Stupor!«

Er verfehlte ihn; der rote Lichtstrahl schnellte an Snapes Kopf vorbei; Snape rief: »Lauf, Draco!«, und drehte sich um; zwanzig Meter voneinander entfernt, sahen er und Harry sich an, dann hoben sie gleichzeitig den Zauberstab.

»Cruc-«

Aber Snape wehrte den Fluch ab, ehe Harry ihn zu Ende bringen konnte, und es warf Harry rücklings von den Füßen; er rollte zur Seite und rappelte sich wieder hoch, und schon schrie der riesige Todesser hinter ihm: »Incendio!«; Harry hörte den Knall einer Explosion und sie wurden in ein flackerndes orangerotes Licht getaucht: Hagrids Hütte stand in Flammen.

»Da ist Fang drin, du verdammter …!«, brüllte Hagrid.

»Cruc-«, schrie Harry zum zweiten Mal und zielte auf die Gestalt vor ihm, die von dem flackernden Licht des Feuers erhellt wurde, aber Snape blockte den Fluch erneut ab; Harry konnte ihn höhnisch grinsen sehen.

»Keine Unverzeihlichen Flüche von dir, Potter!«, rief er durch das Tosen der Flammen, Hagrids Schreie und das wilde Jaulen von Fang, der in der Falle saß. »Du hast weder den Mut noch die Fähigkeit – «

»Incarc-«, brüllte Harry, aber Snape lenkte den Fluch mit einem geradezu lässigen Schlenker seines Arms ab.

»Wehr dich!«, schrie Harry ihn an. »Wehr dich, du feiger – «

»Feigling hast du mich genannt, Potter?«, rief Snape. »Dein Vater hat mich nur angegriffen, wenn sie vier gegen einen waren, wie würdest du ihn wohl nennen?«

»Stup-«

»Wieder abgeblockt, und wieder und wieder, bis du lernst, den Mund zu halten und deinen Geist zu verschließen, Potter!«, höhnte Snape und lenkte den Fluch erneut ab. »Jetzt komm!«, rief er dem riesigen Todesser hinter Harry zu. »Höchste Zeit zu verschwinden, ehe die vom Ministerium auftauchen – «

»Impedi-«

Doch ehe Harry diesen Fluch vollenden konnte, erfasste ihn ein unerträglicher Schmerz; er kippte vornüber ins Gras, jemand schrie, sicher würde er an diesen Qualen sterben, Snape würde ihn zu Tode foltern oder bis zum Wahnsinn –

»Nein!«, brüllte Snapes Stimme, und der Schmerz hörte so jäh auf, wie er begonnen hatte; Harry lag zusammengerollt im dunklen Gras, umklammerte seinen Zauberstab und rang nach Atem; irgendwo über ihm rief Snape: »Hast du unseren Befehl vergessen? Potter gehört dem Dunklen Lord – wir sollen ihn am Leben lassen! Geh! Geh!«

Und Harry spürte, wie der Boden unter seinem Gesicht bebte, als der Bruder und die Schwester und der riesige Todesser gehorchten und auf das Tor zurannten. Harry stieß einen unverständlichen Wutschrei aus: In diesem Augenblick war es ihm gleich, ob er lebte oder starb; er kämpfte sich wieder hoch und stolperte blind auf Snape zu, den Mann, den er jetzt genauso hasste wie Voldemort selbst.

»Sectum-«

Mit einem kurzen Schnippen seines Zauberstabs wehrte Snape den Fluch wieder ab; doch Harry war jetzt nur noch wenige Schritte entfernt und konnte Snapes Gesicht endlich deutlich sehen: Er grinste nicht mehr spöttisch oder höhnisch; die lodernden Flammen offenbarten ein zornentbranntes Gesicht. Harry konzentrierte sich mit aller Kraft und dachte Levi-

»Nein, Potter!«, schrie Snape. Ein lauter Knall ertönte, Harry schnellte zurück und schlug erneut hart auf den Boden, und diesmal flog ihm der Zauberstab aus der Hand. Er konnte Hagrid brüllen und Fang heulen hören, als Snape sich ihm näherte und auf ihn herabblickte, wie er dalag, ohne Zauberstab und genauso wehrlos, wie Dumbledore es gewesen war. Snapes bleiches Gesicht, das von der brennenden Hütte beleuchtet wurde, war von Hass gezeichnet wie zuvor, als er Dumbledore den Fluch auf den Hals gejagt hatte.

»Du wagst es, meine eigenen Zauber gegen mich einzusetzen, Potter? Ich war es, der sie erfunden hat – ich, der Halbblutprinz! Und du willst meine Erfindungen gegen mich richten, genau wie dein dreckiger Vater, ja? Das will ich aber nicht meinen … nein!«

Harry war nach seinem Zauberstab gehechtet; Snape jagte ihm einen Fluch hinterher und der Zauberstab flog einige Meter weiter fort in die Dunkelheit und war nicht mehr zu sehen.

»Dann töte mich doch«, keuchte Harry, der keinerlei Angst empfand, nur Zorn und Verachtung. »Töte mich, wie du ihn getötet hast, du Feigling…«

»NEIN…«, schrie Snape, und sein Gesicht war plötzlich wie im Wahn verzerrt, unmenschlich, als hätte er ebensolche Schmerzen wie der jaulende, heulende Hund, der in der brennenden Hütte hinter ihnen gefangen war, »…NENN MICH NICHT FEIGLING!«

Und er schlug in die Luft: Harry spürte, wie ihn etwas Glühendheißes wie eine Peitsche mitten ins Gesicht traf, er wurde nach hinten gerissen und zu Boden geschmettert. Lichtfunken explodierten vor seinen Augen und einen Moment lang schien alle Luft aus seinem Körper gepresst, dann hörte er Flügelrauschen über sich und etwas Gewaltiges verdunkelte die Sterne: Seidenschnabel war gegen Snape geflogen, der rückwärts stolperte, während die rasiermesserscharfen Krallen nach ihm ausschlugen. Als Harry sich aufsetzte, der Kopf noch schwindlig von seinem letzten Aufprall auf den Boden, sah er Snape so schnell wie möglich davonrennen, und das gewaltige Tierwesen setzte ihm flügelschlagend nach und kreischte dabei, wie Harry es noch nie hatte kreischen hören.

Harry kämpfte sich auf die Beine und sah sich benommen nach seinem Zauberstab um, in der Hoffnung, die Verfolgung wieder aufnehmen zu können, doch noch während er mit den Fingern durchs Gras tastete und Zweige beiseite warf, wusste er, dass es zu spät sein würde, und tatsächlich, als er seinen Zauberstab gefunden hatte, wandte er sich um und sah nur noch den Hippogreif, der über dem Tor kreiste: Snape hatte es geschafft, gleich hinter der Grenze des Schulgeländes zu disapparieren.

»Hagrid«, murmelte Harry noch immer betäubt und sah sich um. »HAGRID?«

Er stolperte auf die brennende Hütte zu, als eine riesige Gestalt aus den Flammen auftauchte, die Fang auf dem Rücken trug. Harry schrie dankbar auf und sank auf die Knie; er zitterte an allen Gliedern, sein ganzer Körper tat ihm weh, und das Atmen bereitete ihm stechende Schmerzen.

»Alles okay mit dir, Harry? Alles okay mit dir? Sag was, Harry …«

Hagrids riesiges behaartes Gesicht schwebte über Harry und verdeckte die Sterne. Harry konnte verbranntes Holz und Hundehaar riechen; er streckte die Hand aus und spürte, dass Fangs beruhigend warmer und lebendiger Körper neben ihm bebte.

»Mir geht's gut«, keuchte Harry. »Und dir?«

»'türlich auch … 's braucht schon mehr als das, um mich zu erledigen.«

Hagrid fasste Harry unter den Armen und riss ihn mit solcher Wucht hoch, dass Harry kurz den Boden unter den Füßen verlor, ehe Hagrid ihn wieder aufrecht hinstellte. Unter einem von Hagrids Augen, das rasch zuschwoll, war ein tiefer Schnitt zu sehen, aus dem Blut über seine Wange tröpfelte.

»Wir sollten dein Haus löschen«, sagte Harry, »der Zauber heißt Aguamenti…«

»Hab doch gewusst, 's war so was in der Art«, brummte Hagrid, hob einen glimmenden geblümten rosa Schirm empor und sagte: »Aguamenti!«

Ein Wasserstrahl schoss aus der Spitze des Schirms. Harry hob seinen Zauberstabarm, der sich wie Blei anfühlte, und murmelte ebenfalls »Aguamenti!«. Er und Hagrid spritzten gemeinsam Wasser über die Hütte, bis die letzte Flamme gelöscht war.

»Nich allzu schlimm«, sagte Hagrid Minuten später hoffnungsvoll mit einem Blick auf die rauchenden Trümmer. »Nichts, was Dumbledore nich wieder richten könnt …«

Beim Klang des Namens spürte Harry einen bohrenden Schmerz im Magen. Während um ihn herum reglose Stille herrschte, schwoll das Grauen in seinem Inneren an.

»Hagrid …«

»Ich hab grade 'n paar Bowtruckle-Beine zusammengebunden, da hab ich sie kommen hör'n«, sagte Hagrid traurig, der immer noch auf seine zerstörte Hütte starrte. »Werden sich die Zweigchen verbrannt haben, die armen klein' Dinger …«

»Hagrid …«

»Aber was is' passiert, Harry? Ich hab nur die Todesser vom Schloss runterlaufen sehn, aber was zum Teufel noch mal hat Snape bei denen zu suchen gehabt? Wo is' er hin – hat er sie gejagt?«

»Er …« Harry räusperte sich; die Panik und der Rauch hatten ihm die Kehle ausgetrocknet. »Hagrid, er hat jemanden umgebracht …«

»Umgebracht?«, sagte Hagrid laut und starrte auf Harry hinab. »Snape soll jemand'n umgebracht haben? Wie kommst du denn da drauf, Harry?«

»Dumbledore«, sagte Harry. »Snape hat … Dumbledore umgebracht.«

Hagrid sah ihn nur an; soweit sein Gesicht zu erkennen war, wirkte es völlig verdutzt und verständnislos.

»Was is' mit Dumbledore, Harry?«

»Er ist tot. Snape hat ihn getötet …«

»Sag so was nich«, erwiderte Hagrid schroff. »Snape soll Dumbledore getötet ham – nu hör aber auf, Harry. Was soll das?«

»Ich hab es gesehen.«

»Nich möglich.«

»Ich hab es gesehen, Hagrid.«

Hagrid schüttelte den Kopf; seine Miene war ungläubig, aber mitfühlend, und Harry wusste, dass Hagrid glaubte, er hätte einen Schlag auf den Kopf bekommen, er wäre durcheinander, vielleicht wegen der Nachwirkungen eines Zaubers …

»Also, 's muss so passiert sein, dass Dumbledore Snape gesagt hat, er soll mit den Todessern gehen«, sagte Hagrid überzeugt. »Ich schätz, er muss seine Tarnung behalten. Hör mal, ich bring dich jetz' wieder in die Schule zurück. Komm schon, Harry …«

Harry unternahm keinen Versuch zu widersprechen oder die Sache zu erklären. Er zitterte immer noch am ganzen Leib. Hagrid würde es bald genug herausfinden, nur zu bald … Als sie ihre Schritte auf das Schloss zu lenkten, sah Harry, dass viele der Fenster jetzt erleuchtet waren: Er konnte sich lebhaft vorstellen, was sich dort abspielte, während die Leute von Raum zu Raum liefen und sich gegenseitig erzählten, dass Todesser eingedrungen waren, dass das Mal über Hogwarts leuchtete und dass wohl jemand getötet worden sein musste …

Das eichene Schlossportal vor ihnen stand offen, Licht flutete auf den Zufahrtsweg und den Rasen. Langsam, unsicher, kamen Leute in Morgenmänteln die Stufen heruntergeschlichen und sahen sich nervös nach irgendwelchen Hinweisen auf Todesser um, die in die Nacht hinaus geflohen waren. Harrys Augen jedoch waren auf den Boden vor dem höchsten Turm geheftet. Er meinte dort einen schwarzen formlosen Haufen im Gras liegen zu sehen, obwohl er eigentlich noch zu weit weg war, um dergleichen erkennen zu können. Doch noch während er wortlos auf die Stelle starrte, wo Dumbledores Leichnam seiner Vermutung nach liegen musste, sah er andere darauf zugehen.

»Was gucken die denn alle da?«, fragte Hagrid, als er und Harry sich dem Schloss von vorne näherten, Fang so dicht an ihren Fersen, wie er nur konnte. »Was'n das, was liegt da im Gras?«, fügte Hagrid in scharfem Ton hinzu und wandte sich nun der Stelle unter dem Astronomieturm zu, wo sich eine kleine Menge versammelte. »Siehst du's, Harry? Gleich unten vorm Turm? Unterhalb vom Mal … meine Güte … meins' du, da wurde jemand runter-?«

Hagrid verstummte, der Gedanke schien ihm offenbar zu schrecklich, um ihn laut auszusprechen. Harry ging neben ihm her und sein Gesicht und die Beine brannten und schmerzten dort, wo die verschiedenen Zauber ihn in der letzten halben Stunde getroffen hatten, und doch waren ihm diese Beschwerden merkwürdig fern, als würde jemand in seiner Nähe darunter leiden. Wirklich und unausweichlich war nur der schreckliche Druck, den er in seiner Brust spürte …

Er und Hagrid bewegten sich wie im Traum durch die murmelnde Menge bis ganz nach vorne zur Mauer, wo sich zwischen den schreckensstarren Schülern und Lehrern eine Lücke auftat.

Harry hörte, wie Hagrid gequält und entsetzt aufstöhnte, blieb aber nicht stehen; er ging langsam weiter, bis er die Stelle erreichte, wo Dumbledore lag, und kauerte sich neben ihn nieder.

Harry hatte gewusst, dass es keine Hoffnung mehr gab, schon von dem Moment an, als der Körperklammer-Fluch, mit dem Dumbledore ihn belegt hatte, von ihm abgefallen war, er hatte gewusst, dass dies nur geschehen konnte, weil der Urheber des Fluchs tot war; trotzdem war er nicht darauf vorbereitet, ihn hier zu sehen, Arme und Beine von sich gestreckt und gebrochen: den größten Zauberer, den Harry je gekannt hatte und je kennen würde.

Dumbledores Augen waren geschlossen; wenn nicht seine Arme und Beine seltsam abgewinkelt gewesen wären, hätte man meinen können, er schliefe. Harry streckte die Hand aus, rückte die Halbmondbrille auf der Hakennase gerade und wischte mit seinem Ärmel Blutstropfen von Dumbledores Mund. Dann blickte er hinunter auf das weise alte Gesicht und versuchte die ungeheuerliche und unfassbare Wahrheit in sich aufzunehmen: dass Dumbledore nie wieder mit ihm sprechen würde, ihm nie wieder würde helfen können …

Die Menge hinter Harry murmelte. Nach einer langen Zeit, wie es ihm vorkam, bemerkte er, dass er auf etwas Hartem kniete, und sah hinab.

Das Medaillon, das sie vor so vielen Stunden hatten stehlen können, war aus Dumbledores Tasche gefallen. Es hatte sich geöffnet, vielleicht durch die Wucht des Aufpralls. Und obwohl Harry nicht noch mehr Entsetzen und Grauen und Trauer empfinden konnte, als er es schon tat, wusste er, als er das Medaillon aufhob, dass etwas nicht stimmte …

Er drehte das Medaillon in den Händen. Es war weder so groß wie das Medaillon, das er im Denkarium gesehen hatte, noch befanden sich irgendwelche Zeichen darauf, keine Spur von dem reich verzierten S, das angeblich Slytherins Symbol war. Außerdem war nichts darin, nur ein zusammengefalteter Fetzen Pergament, an der Stelle festgeklemmt, die für ein Porträt vorgesehen war.

Automatisch, ohne recht darüber nachzudenken, was er tat, zog Harry das Stück Pergament heraus, faltete es auseinander und las es im Licht der vielen Zauberstäbe, die inzwischen hinter ihm entzündet worden waren:

An den Dunklen Lord

Ich weiß, ich werde tot sein, lange bevor du dies liest, aber ich will, dass du weißt, dass ich es war, der dein Geheimnis entdeckt hat.

Ich habe den echten Horkrux gestohlen und ich will ihn zerstören, sobald ich kann.

Ich sehe dem Tod entgegen in der Hoffnung, dass du, wenn du deinen Meister findest, erneut sterblich sein wirst.

R. A. B.

Harry wusste weder, was diese Botschaft bedeutete, noch kümmerte es ihn. Nur eins war wichtig: Dies war kein Horkrux. Dumbledore hatte sich selbst geschwächt, indem er diesen schrecklichen Zaubertrank getrunken hatte, doch es war vergeblich gewesen. Harry zerknüllte das Pergament in der Hand und in seinen Augen brannten Tränen, als hinter ihm Fang zu heulen begann.