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Hinter dem Hügel, der sich über unser Lager erhob, hörte man wieder das Bellen der Hunde. Es waren einsame, wilde Laute, und mir schauderte, als ich hinhörte; ich rückte näher ans Feuer.
»Sie hetzen etwas«, sagte Elmer. »Vielleicht einen Waschbären oder ein Opossum. Irgendwo dort drüben sind Jäger und lauschen auf die Hunde.«
»Aber warum jagen sie ?« fragte Cynthia. »Die Menschen, meine ich, die Menschen, die die Hunde losgeschickt haben?«
»Aus Vergnügen und um Fleisch zu bekommen«, sagte Elmer.
Ich sah, wie sie zusammenzuckte.
»Dies ist kein Planet wie Alden«, meinte Elmer. »Kein Planet voller Sanftheit und voller Rosa. Die Menschen, die hier in den Wäldern leben, sind vermutlich Halbwilde.«
Wir saßen und lauschten, bis das Hundegebell, so schien es, sich entfernte.
»Was nun diese Geschichte mit dem Schatz betrifft«, sagte Elmer, »sollten wir einmal festzustellen versuchen, welche verwendbaren Anhaltspunkte wir haben. Irgendwo in diesem Land, westlich von unserem Standort, in der Nähe eines Flusses, der früher Ohio hieß, traf jemand aus Griechenland ein und versteckte eine Anzahl von Kisten, von denen einige wahrscheinlich einen Schatz enthielten. Wir wissen, daß eine Kiste Wertgegenstände enthielt und das gleiche bei einigen anderen der Fall gewesen sein mag. Aber die Lage dürfte ziemlich schwierig zu ermitteln sein. Die Angabe ist unbestimmt. Ein Fluß, der von Norden her in den alten Ohio mündet. Es wird wohl eine ganze Menge von Flüssen geben, die aus dem Norden kommen. Außerdem dürften sich die Flußläufe in den Jahrtausenden verlagert haben.«
»Da war diese Hütte«, sagte Cynthia.
»Vor mehr als zehntausend Jahren. Die Hütte wird längst nicht mehr stehen. Wir müßten nach einem Loch suchen, einem Stollen, und der dürfte inzwischen längst verschüttet sein.«
»Ich möchte gerne wissen«, sagte ich, »wieso Thorney zu der Meinung gelangte, diese seltsame Person aus Griechenland sei ein Anachronier.«
»Die Frage habe ich ihm auch gestellt«, sagte Cynthia, »und er gab mir zur Antwort, daß Griechenland oder ein benachbartes Gebiet des Planeten höchstwahrscheinlich genau der Bereich sei, in dem ein außerirdischer Beobachter seinen Beobachtungsposten beziehen würde. Die ersten Siedlungsgemeinschaften der menschlichen Rasse wurden vor unvordenklichen Zeiten in einem Land gegründet, das man Türkei nannte. Ein Beobachter hätte sich nicht zu nahe am Gegenstand seiner Studien etabliert. Er würde es vorgezogen haben, gewisse Observationen vornehmen und dann verschwinden zu können. Griechenland wäre der logischerweise naheliegendste Stützpunkt, sagte Professor Thorndyke. Ein solcher Beobachter dürfte über recht schnelle Beförderungsmittel verfügt haben, so daß die Entfernung zwischen den ersten Menschheitssiedlungen und Griechenland kein Problem für ihn gewesen wären.«
»Für mich klingt das nicht logisch«, sagte Elmer schlichtweg. »Warum Griechenland? Warum nicht der Sinai? Oder am Kaspischen Meer? Oder an einem Dutzend anderer Orte?«
»Thorney verläßt sich auf seinen Spürsinn so gut wie auf Beweise oder auf die Logik«, erklärte ich in die Runde. »Er besitzt einen sehr entwickelten Spürsinn. Häufig behält er recht. Wenn er auf Griechenland beharrt, würde ich mich auf ihn verlassen. Obwohl es natürlich sein könnte, daß unser hypothetischer Beobachter den Standort seines Stützpunkts ab und zu gewechselt hat.«
»Nicht, wenn er überall Beute gemacht hat«, sagte Elmer. »Das Gewicht hätte ihm bald Schwierigkeiten verursacht. Es wäre ein gewaltiger Aufwand gewesen, den Stützpunkt zu verlegen. Als er zum Ohio umzog, brachte er wahrscheinlich mehrere Tonnen davon mit.«
»Aber es war keine Beute!« rief Cynthia. »Sie müssen begreifen, daß er keine Beutezüge unternommen hat. Keine Beute im Sinne von Geld oder welcher Wertäquivalente sich die Anachronier auch bedienen mögen. Was er sich angeeignet hat, waren kulturelle Artefakte.«
»Kulturelle Artefakte«, sagte Elmer, »die weitgehend aus Gold und Edelsteinen bestanden.«
»Wir wollen gerecht sein«, wandte ich mich an Elmer. »Diese Kiste könnte zufällig ausgerechnet mit derartigem Zeug gefüllt gewesen sein. Einige andere Kisten könnten Speer- oder Pfeilspitzen enthalten haben, oder Leinen, Mörser und Stößel.«
»Dr. Thorndyke nahm an«, sagte Cynthia, »daß die Kisten, welche mein früher Vorfahr sah, nur einen winzigen Bruchteil jener Dinge enthielten, die der Beobachter gesammelt hatte. Wahrscheinlich nur eine Auswahl der wichtigsten Gegenstände. Vielleicht liegt irgendwo in Griechenland, in anderen Felshöhlen, die hundertfache Menge dessen, das sich in den Kisten befand.«
Ich nickte, während ich an Thorney dachte, wie er im Zimmer hin und her schritt, die geballte Faust in die Hand klatschte und schimpfte. »Es kommt wahrhaftig soweit«, hatte er ausgerufen, »daß ein ehrlicher Archäologe keine Aussichten mehr hat. Weißt du, wieviel geplünderte Fundstellen während der vergangenen hundert Jahre lokalisiert worden sind, ausgegraben und geplündert, ehe wir sie überhaupt begutachten konnten? Die verschiedenen archäologischen Gesellschaften und einige Regierungen haben Nachforschungen angestellt, aber es gibt keinerlei Hinweise darauf, wer das macht oder wo man die Fundgegenstände verbirgt. Wir haben nie eine Spur von ihnen oder den Verantwortlichen entdeckt. Die Artefakte werden regelrecht geraubt, irgendwo gelagert, und dann gelangen sie ganz allmählich in die Hände der Sammler. Ein großes Geschäft, das organisiert sein muß. Wir haben auf Gesetze gedrängt, die das Privateigentum an Artefakten verbieten, aber das führt zu nichts. Auch in Regierungskreisen gibt es Leute mit speziellen Interessen, Personen, die selbst Sammler sind. Und unzweifelhaft fließen aus irgendeiner Quelle Gelder zur Bekämpfung solcher Gesetzesvorlagen. Wir kommen ganz einfach zu gar nichts. Und aufgrund dieses Van-dalismus entgeht uns die einzige Chance, ein tieferes Verständnis der Entwicklung galaktischer Kulturen zu erringen.«
Das Bellen der Hunde war einem erregten Kläffen gewichen.
»Auf einen Baum«, sagte Elmer. »Was sie gehetzt haben, ist auf einen Baum geflüchtet.«
Ich streckte den Arm zum kleinen Holzstapel hinüber, den Elmer aufgeschichtet hatte, legte neue Äste ins Feuer und scharrte mit einem Zweig die verstreuten Kohlen zusammen. Aus den Kohlen loderten kleine Flammen mit blauen Zungen empor und leckten am neuen Holz. Trockene Rinde entzündete sich und spie Funken. Das frische Holz begann zu brennen, und das Feuer erwachte zu neuem Leben.
»Ein Feuer ist eine angenehme Sache«, bemerkte Cynthia.
»Könnte es sein«, fragte Elmer, »daß eine so lächerliche Flamme sogar jemanden wie mich erwärmt? Ich schwöre, daß mir wärmer zumute ist, hier daneben.«
»Könnte sein«, sagte ich. »Dir stand sehr viel Zeit zur Verfügung, um dich zu einem Menschen zu entwickeln.«
»Ich bin ein Mensch«, sagte Elmer. »Juristisch, meine ich. Und wenn in dieser Hinsicht, warum nicht auch in anderer?«
»Wie kommt Bronco voran?« fragte ich. »Er sollte sich zu uns gesellen.«
»Er sitzt noch abseits und absorbiert alles«, sagte Elmer. »Er webt eine ländliche Fantasie aus den dunklen Umrissen der Bäume, dem Geräusch des Nachtwinds im Laub, dem Gluckern des Wassers, dem Glitzern der Sterne und drei schwarzen Gestalten, die um ein Lagerfeuer kauern. Ein Lagerfeuergemälde, eine Nachtmusik, ein Gedicht, vielleicht eine zierliche Skulptur - er fügt alles zusammen.«
»Er arbeitet pausenlos, der arme Kerl«, sagte Cynthia.
»Für ihn ist es keine Arbeit«, antwortete Elmer. »Es ist sein wahres Dasein. Bronco ist ein Künstler.«
Irgendwo fern in der Finsternis ertönte ein trockener Knall, dem einen Moment später ein zweiter folgte. Die Hunde, die eine Zeitlang ruhig gewesen waren, begannen wieder aufgeregt zu bellen.
»Die Jäger haben vom Baum geschossen, was die Hunde hinaufgejagt haben«, stellte Elmer fest.
Nachdem er gesprochen hatte, sagte niemand mehr ein Wort. Wir saßen am Feuer und stellten uns vor - oder wenigstens stellte ich es mir vor -, was sich dort in den dunklen Wäldern abgespielt hatte; wie die Hunde aufgeregt um den Baum springen, das angelegte Gewehr und das Aufzucken des Mündungsfeuers, ein dunkler Schatten, der vom Baum fällt, die Hunde, die sich auf ihn stürzen.
Während ich dasaß und lauschte und mich meinen Vorstellungen hingab, ertönte ein anderes Geräusch, leise, entfernt - ein Rauschen und Krachen. Ein Windstoß, der hinab in unsere Bodenmulde fuhr, fegte das Geräusch fort, aber als der Wind ausblieb, konnte man es wieder hören, und nun lauter und eindringlicher.
Elmer hatte sich erhoben. Das Flackern der Flammen warf einen geisterhaften, metallischen Widerschein über seinen Rumpf.
»Was ist das?« fragte Cynthia; Elmer gab keine Antwort. Das Geräusch war nun noch näher. Was es auch verursachen mochte, es kam auf uns zu, und es näherte sich schnell.
»Bronco!« rief Elmer. »Komm zu uns ans Feuer, rasch.«
Bronco kam der Aufforderung eilig nach.
»Miß Cynthia«, sagte Elmer, »steigen Sie auf.«
»Aufsteigen?« »Steigen Sie auf Bronco und halten Sie sich fest. Falls er laufen muß, ducken Sie sich auf seinen Rücken, damit kein Ast sie abwirft.«
»Was ist los?« fragte Bronco. »Was ist das für ein Lärm?«
»Ich weiß es nicht«, behauptete Elmer.
»Den Teufel weißt du nicht«, sagte ich, aber er hörte mich nicht; falls doch, ging er nicht darauf ein.
Der Lärm war nun sehr nahe. Es war keine Geräuschentwicklung, wie ich sie schon jemals vernommen hatte. Es klang, als reiße etwas den ganzen Wald nieder. Durch lautes Krachen drang das grelle Knarren und Knacken von mißhandeltem Holz, das schrille Kreischen von Metall. Der Boden bebte, als bearbeite etwas sehr Schweres ihn mit einer Serie von gigantischen Hammerschlägen. Grollend, jaulend, donnernd, das Geräusch von gewaltigen Turbinen oder Motoren.
Ich sah mich um. Cynthia saß auf Bronco, und Bronco tänzelte aus dem Bereich des Feuers und tauchte in der Finsternis unter; er rannte noch nicht, aber er bewegte sich geschmeidig und in ständiger Bereitschaft, im nächsten Moment loszustürmen.
Das Getöse hatte uns fast erreicht, ein Röhren und Heulen von ohrenbetäubender Lautstärke, und das Erdreich stöhnte auf. Ich sprang in Deckung und duckte mich, bereit zur Flucht, und ich glaube, ich wäre fortgelaufen, hätte ich nur gewußt, wohin, und in diesem Augenblick sah ich die riesige Masse - was immer es sein mochte - über uns auf dem Kamm des Hügels, ein gewaltiges dunkles Etwas, das die Sterne verfinsterte. Die Bäume wankten wild und krachten nieder, wurden gebrochen und zermalmt von der schwarzen Masse, die sich über den Hügel schob, fast das Lager streifte und dann vorübergrollte, uns unbeachtet ließ, während das Gerumpel sich durch die Geländemulde fortwälzte. Oben auf dem Hügel stöhnten leise die zerspellten Bäume, bevor sie vollends niedersanken. Ich stand und lauschte dem Lärm, der sich allmählich entfernte, und nach kurzer Zeit war er nicht länger zu vernehmen, aber ich stand noch immer still auf der Stelle, gebannt von dem Ereignis, ohne zu begreifen, was geschehen war, und überlegte angestrengt, was es gewesen sein mochte. Elmer stand, wie ich sah, nicht minder erstarrt als ich.
Erschüttert nahm ich wieder am Feuer Platz, und auch Elmer wandte sich um und kehrte ans Feuer zurück. Cynthia stieg von Bronco.
»Elmer«, sagte ich.