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»Ihr habt uns überfallen«, antwortete ich.
»Ihr habt uns nachspioniert«, behauptete der Mann.
»Wir hatten bloß den Rauch gerochen«, entgegnete Cynthia. »Wir haben nicht spioniert.«
Irgendwo zur Linken ertönten Schnauflaute und das Geräusch von Füßen oder Hufen, die am Boden scharrten. Im Gehölz jenseits des Feuers mußten Tiere sein.
»Ihr habt uns belauert«, beharrte der Mann. »Ihr und euer Riesenviech da.«
Während er sprach, stahlen sich andere Männer nach beiden Seiten. Sie begannen uns in die Zange zu nehmen.
»Unterhalten wir uns einmal vernünftig«, sagte ich. »Wir sind Reisende. Wir wußten überhaupt nicht, daß ihr hier seid, und ...«
Rechts und links von uns trampelten plötzlich Füße los, und von irgendwo aus dem Wald erscholl ein heulender Schrei, der diese Füße sogleich zum Halt brachte - ein wilder, grausamer Kriegsruf, der das Blut gerinnen und die Haare zu Berge stehen ließ. Aus dem Finstern der Bäume brach eine mächtige stählerne Gestalt, die mit hoher Geschwindigkeit heranstürmte, und bei ihrem Anblick begann das Gesindel, das sich hatte auf uns stürzen wollen, ums Leben zu rennen.
»Elmer!« schrie Cynthia, aber er beachtete uns nicht. Einer der Fliehenden war gestolpert, als er sich zur Flucht wandte, und Elmer packte ihn noch im Fall, hob den wie rasend sich windenden Körper hoch in die Luft und schleuderte ihn weit fort in die Dunkelheit. Ein Schuß peitschte, und die Kugel traf mit einem hohlen Schlag Elmers metallenen Rumpf, aber das blieb der einzige Schuß, den abzufeuern die Fliehenden sich die Zeit nahmen. Sie liefen schreiend am Feuer vorbei und hinein in den Wald, und Elmer war ihnen dicht auf den Fersen. Sie brüllten vor Entsetzen, und durch ihr Gebrüll vernahm man das Platschen des Wassers, als sie sich in den Fluß jenseits des Lagers stürzten.
Cynthia lief zum Bronco, der mit den Beinen strampelte, und ich folgte ihr. Zu zweit stellten wir ihn wieder auf die Füße.
»Das war Elmer«, sagte Bronco, als er stand. »Der macht ihnen die Hölle heiß.«
Das Schreien und Brüllen verklang in der Ferne. »Da sind noch mehr«, sagte Bronco. »dort im Gehölz angebunden. Sie sind nicht böse, sie sind schlichte Geschöpfe.«
»Pferde«, sagte Cynthia. »Es müssen viele sein. Ich glaube, diese Leute sind Händler.«
»Kannst du mir erklären, was passiert ist?« fragte ich sie. »Wir gingen ins Gehölz, und da waren Schatten. Dann kam ich wieder zu Bewußtsein, als mir jemand Wasser ins Gesicht schüttete.«
»Sie haben dich niedergeschlagen und mich gepackt und uns beide in ihr Lager gezerrt«, berichtete Cynthia. »Dich haben sie an den Füßen mitgeschleift.«
»Und Bronco?«
»Ich rannte hin, um euch zu befreien«, sagte Bronco, »aber dabei machte ich einen Fehltritt und fiel um. Als sie mir was wollten, habe ich ihnen mit meinen gesunden Klauen ein paar kräftige Tritte verpaßt.«
»Sie haben sich durch nichts verraten«, sagte Cynthia. »Sie warteten auf uns. Sie haben uns kommen sehen und sich in den Hinterhalt gelegt. Wir konnten das Feuer nicht bemerken, dieser Hohlweg ist ziemlich tief ...«
»Zweifellos hatten sie Posten aufgestellt«, sagte ich. »Es war unser Pech, daß wir ihnen direkt in die Arme gelaufen sind.«
Wir gingen hinunter zum Lager und standen ums Feuer. Obwohl es inzwischen abgebrannt war, schürten wir es nicht. Irgendwie fühlten wir uns ohne allzu starke Beleuchtung ein bißchen sicherer. Kisten und Ballen lagen an einer Seite, auf der anderen ein Stoß Holz, das Brennmaterial. Überall lagen Koch- und Eßgeschirre, Gewehre und Decken verstreut.
Etwas kam laut platschend durchs Wasser und dann mit Gekrache durchs Unterholz. Ich bückte mich, um ein Gewehr aufzuheben, aber Bronco sagte: »Das ist nur Elmer, der zurückkommt«, und ich ließ das Gewehr fallen. Ich weiß nicht, wozu ich es überhaupt aufhob; ich hatte nicht die leiseste Vorstellung davon, wie es funktionierte.
Elmer prasselte durchs Gehölz.
»Sie sind fort«, sagte er. »Ich habe einen von ihnen zu fangen versucht, um zu hören, was er uns erzählen könnte, aber sie waren zu flink für mich.«
»Sie hatten Angst«, sagte Bronco.
»Sind alle unversehrt?« fragte Elmer.
»Wir sind alle in Ordnung«, sagte Cynthia. »Einer hat Fletch mit einem Knüppel auf den Kopf geschlagen, so daß er das Bewußtsein verlor, aber anscheinend geht's ihm wieder gut.«
»Ich habe eine Beule«, stellte ich fest, »und jetzt, da wir davon sprechen, bemerke ich auch einen leichten Kopfschmerz. Aber sonst bin ich wohlbehalten.«
»Fletch«, sagte Elmer, »warum schiebst du nicht Holz ins Feuer und wärmst etwas Nahrung? Du und Miß Cynthia, ihr dürftet etwas gebrauchen können. Wahrscheinlich auch Schlaf. Ich habe das Zeug, das ich trug, im Wald abgelegt. Ich gehe zurück und hole es.«
»Sollten wir nicht lieber verschwinden?« fragte ich.
»Sie werden nicht wiederkommen«, versicherte Elmer. »Nicht gleich. Nicht am hellichten Tag, und die Dämmerung kommt bald. Morgen abend werden sie zurückkehren, aber bis dahin sind wir fort.«
»Sie haben im Gehölz Pferde angebunden«, sagte Bronco. »Ohne Zweifel Packtiere, um diese Kisten und Ballen zu transportieren. Wir könnten ein paar von diesen Tieren verwenden.«
»Wir nehmen sie mit«, sagte Elmer. »Unsere Freunde sollen zu Fuß gehen. Und dann - ich brenne darauf, einen Blick in diese Ballen zu tun. Darin muß sich etwas befinden, das wir nicht sehen sollten.«
»Vielleicht waren sie nur streitlustig«, wandte Bronco ein. »Vielleicht waren sie nur gemein und böse.«
12
Aber es ging nicht um bloße Gemeinheit.
Sie hatten allen Grund, wert darauf zu legen, daß niemand erfuhr, was die Kisten und Ballen enthielten.
Der erste Ballen, den wir aufschlitzten, enthüllte Metall, roh in Platten zerteilt, anscheinend mit Meißeln.
Elmer nahm zwei Platten und schlug sie gegeneinander. »Stahl«, sagte er, »beschichtet mit Bronze. Ich möchte gerne wissen, woher sie das haben.«
Aber noch bevor er den Satz beendet hatte, wußte er es; und ich wußte es auch. Er sah mich an und erkannte - oder vermutete -, daß ich es wußte.
»Das ist Sargmetall, Fletch«, sagte er.
Wir standen und starrten es an; hinter uns blickte Bronco über unsere Schultern. Elmer warf die beiden Stücke auf den Boden.
»Ich hole das Werkzeug«, sagte er, »dann kümmern wir uns um Bronco.
Wir müssen schneller hier weg, als ich geglaubt habe.«
Mit den Werkzeugen, die Elmer aus dem Geräteschuppen der Siedlung entwendet hatte, machten wir uns an die Arbeit. Ein Bein brachten wir ohne große Mühe in Ordnung, bogen es zurecht, beulten es aus und rasteten es an seinem Platz wieder ein, und danach war es so gut wie neu. Das zweite Bein bereitete uns einige Schwierigkeiten.«
»Was meinst du, wie lange das schon getrieben wird ?« fragte ich, während wir arbeiteten. »Diese Grabräuberei. Der Friedhof muß doch davon wissen.«
»Vielleicht weiß man es«, antwortete Elmer, »aber was könnten sie dagegen tun und warum sollten sie überhaupt dagegen sein? Wenn jemand ein bißchen eleganten Grabraub betreiben möchte was macht das schon? Hauptsache, sie tun es dort, wo es nicht sonderlich auffällt.«
»Aber es muß auffallen. Der Friedhof wird gepflegt und ...«
»Wo man es sieht«, sagte Elmer. »Ich wette, daß es Friedhofsgelände gibt, die man nicht pflegt - und die Besucher nicht sehen dürfen.«
»Aber falls jemand kommt, um ein bestimmtes Grab zu besuchen?«