123347.fb2 Heimat Erde - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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»Zweierlei«, sagte ich erstaunt - mehr erstaunt über diesen Mann als über seinen Redestrom. »Ich dachte ...«

»Die persönliche Seite«, unterbrach er mich, »daran haben Sie gedacht. Und natürlich ist sie die grundlegende Erwägung. Glauben Sie mir, es liegt eine ganze Welt von Trost in dem Bewußtsein, daß geliebte Menschen, sobald sie gestorben sind, in den heiligen Schoß von Mutter Erde heimkehren. Es liegt eine tiefe Befriedigung im Bewußtsein, daß man selber, wenn die Zeit schließlich gekommen ist, ebenfalls zwischen den Hügeln dieses liebreizenden Planeten zur Ruhe gebettet wird, auf dem die Menschheit ihren Anfang genommen hat. Es ist eine Rückkehr in die Heimat, den Ursprung.«

Unruhig wand ich mich in meinem Sessel. Ich schämte mich für ihn. Er bereitete mir Unbehagen, und ich empfand Widerwillen gegen ihn. Er muß, überlegte ich, mich für einen kompletten Dummkopf halten, wenn er glaubt, daß dieses blumige Geschwätz voller süßlicher Wendungen irgend welche meiner eventuellen Zweifel an der Mother Earth Inc. ausräumen und mich zum Friedhofsbüttel machen könnte.

»Darüber hinaus«, sagte er, »erweisen wir einen zweiten, vielleicht noch wertvolleren Dienst. Wir von der Mother Earth, so glaube ich ernsthaft, dienen als eine Art Bindemittel, das den Rassegedanken aufrecht erhält. Ohne das Wirken der Mother Earth wäre der Mensch ein heimatloser Wanderer geworden. Er hätte längst seine rassische Verwurzlung verloren. Nichts hätte ihn an dies relativ winzige Klümpchen Materie gebunden, das einen ziemlich unbedeutenden Stern umkreist. Gleichgültig, wie dünn das Band sein mag, es scheint von wesentlicher Bedeutung zu sein, daß überhaupt eins existiert, das alle Menschen verbindet, ein Umstand, der allen Menschen eine gewisse Gemeinsamkeit vermittelt. Was könnte dazu besser dienen als ein Gefühl persönlicher Verbundenheit mit dem Ursprungsplaneten ihrer Rasse!«

Für einen Moment zögerte er und starrte mich an. Vielleicht erwartete er irgendeine Reaktion auf diese konzentrierte Darstellung der Edelmütigkeit. Falls er das tat, enttäuschte ich ihn.

»Die Erde ist also ein riesiger galaktischer Friedhof«, fuhr er fort, als feststand, daß ich auf seine bisherigen Äußerungen nicht eingehen wollte. »Man muß jedoch bedenken, daß er weit mehr ist als eine normale Begräbnisstätte. Er ist zugleich Ort des Gedenkens und Denkmal und das Band, das die gesamte Menschheit eint, wo auch das einzelne Individuum sich befinden mag. Ohne unsere Arbeit wäre die Erde längst aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden. Es ist keineswegs unvorstellbar, daß der Planet, worauf die Menschheit ihren Aufstieg begann, unter anderen Umständen zum Gegenstand rein akademischen Interesses und sinnloser Diskussionen herabgesunken wäre, auf dem Expeditionen blindlings nach schemenhaften Beweisen forschten, die die Vermutung zu untermauern hülfen, daß der Ursprung der Menschheit in diesem Sonnensystem zu suchen ist.«

Er beugte sich in seinem Sessel vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Langweile ich Sie, Mr. Carson?«

»Beileibe nicht«, erwiderte ich. Und ich sprach die Wahrheit. Er langweilte mich nicht. Er faszinierte mich. Mir schien es unglaublich, daß er bei gesundem Verstand all diesen blühenden Unsinn glauben konnte.

»Mr. Carson«, wiederholte er. »Aber der Vorname? Entschuldigen Sie, aber Ihr Vorname fällt mir im Moment nicht ein.«

»Fletcher«, sagte ich.

»O ja, Fletcher Carson. Und Sie haben diese Geschichten natürlich gehört. Darüber, wie wir die Leute betrügen würden, daß unsere Preise zu hoch seien, und wie ... «

»Einige solcher Geschichten«, gestand ich, »habe ich kennengelernt.« »Und Sie dachten, sie könnten wahr sein.«

»Mr. Bell«, sagte ich, »mir entgeht wirklich der Sinn ...«

Er unterbrach mich. »Manche unserer Repräsentanten haben sich gewisse Exzesse geleistet«, bekannte er. »Es kann sein, daß der Enthusiasmus unserer Spezialisten zu etwas übertriebenen Werbemethoden geführt hat, die dem widersprechen, was der gute Geschmack vorschreibt. Doch im großen und ganzen haben wir uns stets aufrichtig Mühe gegeben, um eine allgemeine Lauterkeit zu gewährleisten, wie die Verantwortung sie uns abverlangt, die auf unseren Schultern ruht. Jeder Pilger, der unsere Mutter Erde besucht hat, wird bestätigen, daß nichts schöner ist als die fertigen Resultate unseres Projekts. Die Friedhofsgelände sind landschaftsmäßig angelegt, in der geschmackvollsten Weise, mit Immergrün und Eiben, der Rasen wird mit liebevoller Sorgfalt gepflegt, und die Blumenbeete sind höchst exquisit ... aber Sie haben das ja selbst gesehen, Mr. Carson.«

»Einen winzigen Teil«, sagte ich. »Und flüchtig.«

»Um die Art von Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, einmal zu illustrieren, will ich Ihnen folgendes erzählen«, sagte er, anscheinend in einer plötzlichen Regung von Vertrauen, als hätte ich irgendwie Verständnis geäußert. »Einer unserer Verkaufsvertreter in einem abgelegenen Sektor der Galaxis brachte vor mehreren Jahren das Gerücht in Umlauf, daß der Mother Earth der Platz ausgehe, die Erde bald voll belegt sei, so daß jene Familien, die ihre Toten dort zu begraben wünschten, gut daran täten, sich unverzüglich die wenigen noch verbliebenen Grabstellen reservieren zu lassen.«

»Und das Gerücht konnte natürlich nicht den Tatsachen entsprechen«, bemerkte ich. »Oder doch, Mr. Bell?«

Selbstverständlich wußte ich, daß es das nicht konnte. Ich wollte ihn lediglich sticheln, aber anscheinend entging das ihm.

Er seufzte. »Freilich ist es nicht wahr. Auch die Leute, die es gehört haben, hätten das wissen müssen. Sie hätten wissen müssen, daß es sich nur um ein bösartiges Gerücht handelt und die Achseln darüber zucken sollen. Aber eine Menge von ihnen beschwerte sich, und es gab eine höchst peinliche Untersuchung des Falls, die uns endlosen Ärger bescherte, sowohl nervlich wie auch finanziell. Das Schlimmste ist, daß das Gerücht noch immer durch die Galaxis geistert. Auf manchen Planeten flüstert man's sich noch heute zu. Wir versuchen es zu unterdrücken. Wann immer wir darauf aufmerksam werden, wenden wir uns dagegen. Wir haben es stets mit allem Nachdruck dementiert, aber allem Anschein nach nutzt das nichts.«

»Womöglich verkaufen Sie dadurch noch immer zusätzliche Grabstellen«, bemerkte ich. »An Ihrer Stelle würde ich mir nicht zu große Mühe machen, um es zu unterdrücken.«

Er blies seine Wangen auf. »Sie verstehen mich nicht«, sagte er.

»Fairness und äußerste Korrektheit gehören seit jeher zu unseren Geschäftsprinzipien. Und unter Berücksichtigung dieser Tatsache sind wir der Auffassung, daß man die Schuld am Verhalten dieses einen Verkaufsmitarbeiters nicht uns anlasten darf. Infolge der Entfernungen und Kommunikationsprobleme ist unsere Organisation - aus reinem Sachzwang - ziemlich lockerer Art.«

»Das leitet uns zu der Frage des Restes der Erde«, behauptete ich, »des Teils, der nicht Friedhof ist. Wie ist er wohl beschaffen? Ich bin sehr neugierig, zu ... «

Er winkte mit seiner plumpen Hand ab und mißachtete nicht nur die Fragestellung, sondern sogar den Rest der Erde.

»Da ist überhaupt nichts«, sagte er. »Bloß Wildnis. Nichts als Wildnis. Allein der Friedhof besitzt auf diesem Planeten Bedeutung. Die Erde ist praktisch ein Friedhof.«

»Nichtsdestotrotz«, widersprach ich, »würde ich gerne ...« Aber er unterbrach mich erneut und setzte seine Belehrung über die Führung des Friedhofsunternehmens fort.

»Ständig erhebt sich die Problematik unserer Preisgestaltung«, erläuterte er, »immer im Zusammenhang mit der Unterstellung, die Preise seien viel zu hoch. Aber lassen Sie uns einmal für einen Moment die anfallenden Kosten begutachten. Die Kosten für den bloßen Unterhalt einer Organisation wie der unseren übersteigen die Grenzen der Vorstellungskraft. Addieren Sie zu diesen Kosten jene für den Betrieb unserer Flotte von Sargtransportern, die unaufhörlich rundum all die vielen Planeten anfliegen und die Leichname kürzlich Verstorbener einsammeln, um sie heim zur Erde zu befördern. Nun addieren Sie noch die Kosten hinzu, die uns hier auf unserer Mutter Erde entstehen, und sie erhalten eine Gesamtsumme, welche unsere Preise sehr wohl verständlich macht. Nur wenige Verwandte, müssen Sie wissen, nehmen die Unbequemlichkeit auf sich, die es zwangsläufig bedeutet, ihre lieben Toten an Bord der Sargtransporter zu begleiten. Selbst wenn die Bereitschaft bestände, könnten wir ihnen kaum eine bequeme Reise bieten. Sie waren selbst ein paar Monate lang unterwegs und wissen, daß ein Raumflug an Bord eines Sargtransporters keine Luxuskreuzfahrt ist. Die Kosten für Charterschiffe sind zu hoch, außer für sehr Wohlhabende, und die Pilgerschiffe, auf denen ein Flug nicht billig ist, treffen in der Regel nie zur gleichen Zeit wie die Sargtransporter ein. Da also die Angehörigen zumeist verhindert sind, der Feierlichkeit des Begräbnisses im heiligen Boden beizuwohnen, müssen wir für alle traditionellen Gepflogenheiten sorgen. Natürlich ist es undenkbar, jemanden der Mutter Erde zu übergeben, ohne ihm ein entsprechendes Maß eines Ausdrucks von Trauer und schmerzlichen Verlusts zu entbieten. Aus diesem Grund müssen wir eine große Truppe von Sargträgern und Trauergästen beschäftigen. Außerdem braucht es Floristen und Grabarbeiter, Steinmetze und Gärtner, nicht zu vergessen die Pastoren. Die Pastoren sind ein Fall für sich. Es gibt, wie Ihnen klar sein dürfte, eine ganze Menge von Pastoren. Während die Menschheit sich zu den Sternen ausbreitete, haben ihre Religionsgemeinschaften sich immer wieder gespalten, und nun existieren mehrere Tausend Sekten und Glaubensbekenntnisse. Trotzdem jedoch kann die Mother Earth voller Stolz auf die Tatsache verweisen, daß kein Verstorbener in sein Grab gebettet wird, ohne daß das korrekte Begräbniszeremoniell genau jener besonderen Sekte vollzogen wird, welcher der liebe Tote angehörte. Um das gewährleisten zu können, müssen wir eine hohe Anzahl von Pastoren unterhalten, von denen jeder in seinem Bekenntnis Amt und Würde besitzt, und viele davon sind Mitglieder eher obskurer Sekten, so daß wir ihre Dienste nicht häufiger als zweimal im Jahr beanspruchen müssen. Dennoch, damit sie zur Verfügung stehen, sobald ein solcher Fall eintritt, zahlen wir ihre Gehälter ganzjährig. Natürlich stimmt es, daß wir gewisse Einsparungen machen könnten. Es ließen sich erhebliche Einsparungen durch den Einsatz von Erdbewegungsmaschinen zum Ausheben der Gräber realisieren. Aber wir stehen unerschütterlich fest in einer großen Tradition, und folglich zählen unsere Grabarbeiter nach Tausenden. Ferner ergäbe sich eine Ersparnis aus dem Gebrauch metallener Grabsteine, doch auch in dieser Hinsicht erkennen wir die Tradition an. Jeder Grabstein auf dem gesamten Friedhof ist aus dem Fels von Mutter Erde selbst handgemeißelt. Es gibt einen weiteren Aspekt, den viele verständnislos zu ignorieren geneigt sind. Einmal wird der Tag anbrechen - in ferner Zukunft, aber er wird kommen -, da Mutter Erde voll ist, wenn jeder Fußbreit Boden den lieben Verstorbenen als letzte Ruhestätte dient. Dann wird unser Einkommen fortfallen, wogegen uns die Pflicht und die Kosten der weiteren Pflege verbleiben. Deshalb müssen wir, im Hinblick auf dieses Ende, alljährlich unseren Fond der Ewigen Pflege aufstocken, um sicherzugehen, daß niemals, so lange die Erde besteht, die Monumente des Ewigen Gedenkens, welche hier errichtet wurden, dem Vergessen und dem Verfall preisgegeben und ausgelöscht werden.«

»Das ist alles sehr schön«, meinte ich, »und ich freue mich darüber, daß Sie's mir erzählt haben. Aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu verraten, warum?«

»Nun«, antwortete er in leichtem Erstaunen über meine Frage, »nur um Mißverständnisse auszuräumen. Um das Bild zurechtzurücken. Damit Sie eine Vorstellung von den Problemen bekommen, vor denen wir stehen.«

»Und somit Ihr tiefes Pflichtgefühl und Ihre unerschütterliche Hingebung kennenlerne.«

»Ja, das ebenso«, antwortete er ohne jede Verlegenheit und ohne jede Scham. »Wir möchten Ihnen alles zeigen, das es hier zu sehen gibt. Die hübschen kleinen Dörfer, worin unsere Arbeiter wohnen, die Schönheit unserer zahlreichen Waldkapellen, die Werkstätten, wo man die Grabsteine herstellt.«

»Mr. Bell«, sagte ich, »um an einer Fremdenführung teilzunehmen, bin ich nicht hier. Ich bin kein Pilger.«

»Aber sicherlich werden Sie die geringfügige Unterstützung und die kleinen Gefälligkeiten nicht ausschlagen, welche wir Ihnen zu unserer Freude zukommen lassen können.«

Ich schüttelte den Kopf, wie ich hoffte, nicht zu störrisch. »Ich muß alles selbst erledigen. Es geht nur auf diese Weise. Ich und Elmer und der Bron-co.«

»Sie und Elmer und der was?«

»Der Bronco.«

»Der Bronco? Ich verstehe Sie nicht.«

»Mr. Bell«, sagte ich, »um es richtig zu verstehen, müßten Sie die Geschichte der Erde kennen, einige der alten Legenden.«

»Wegen dieses - Broncos?«

»Bronco ist eine alte irdische Bezeichnung für ein Pferd. Eine besondere Art von Pferd.«

»Dieser Bronco ist ein Pferd?«

»Nein, das nicht«, entgegnete ich.

»Mr. Carson, ich bin mir wirklich nicht länger dessen sicher, ob ich weiß, wer Sie sind oder was Sie beabsichtigen.«

»Ich bin Kompositor-Operateur, Mr. Bell. Ich beabsichtige eine Komposition des Planeten Erde zu schaffen.«

Er nickte mit weiser Miene. Jeder Zweifel schien von ihm gewichen zu sein. »Ach, ja, eine Komposition. Ich hätte es mir denken sollen. Sie besitzen eine Ausstrahlung von Einfühlsamkeit. Und Sie hätten keinen besseren Gegenstand oder besseren Ort wählen können. Hier auf unserer Mutter Erde werden Sie eine Inspiration erhalten wie sonst nirgendwo. Dieser Planet weist eine gewisse - wie soll ich sagen? - flüchtige Eigenschaft auf, die sich bisher der Beschreibung entzogen hat. Jeder Hügel und jedes Tal klingt von eigener Musik wieder ...«

»Nicht Musik«, meinte ich. »Nicht Musik.«

»Sie wollen sagen, eine Komposition ist keine Musik?«

»Nicht in diesem Sinn. Eine Komposition ist wesentlich mehr als nur Musik. Sie ist eine totale Kunstform. Sie schließt Musik ein, aber ebenso umfaßt sie das geschriebene und gesprochene Wort, Bildhauerei, Malerei, Gesang.«

»Sie meinen, das alles machen Sie?«

Ich schüttelte den Kopf. »In Wirklichkeit mache ich das wenigste. Bronco leistet die Hauptsache.«