123347.fb2 Heimat Erde - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

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»Wir nehmen Lebensmittel«, sagte Cynthia, »und Decken ...«

»Nicht zuviel Lebensmittel«, unterbrach der Volkszähler. »Nur das Aller-nötigste. Auf eurem Weg werdet ihr etwas zu essen finden. Ihr habt doch Angelhaken mit, oder nicht?«

»Ja, wir haben Schnur und einige Angelhaken«, sagte Cynthia. »Von Fisch allein können wir aber nicht leben.«

»Es gibt auch Wurzeln und Beeren.«

»Wir wissen aber doch nicht, welche Wurzeln und Beeren.«

»Das braucht ihr auch nicht«, sagte der Volkszähler. »Ich kenne sie alle.«

»Heißt das, daß du uns begleitest?«

»Natürlich werden wir das«, warf O'Gillicuddy ein. »Wir alle werden euch begleiten. Viel können wir nicht ausrichten, aber geringere Hilfe vermögen wir doch zu erweisen. Zum Beispiel nach Verfolgern Ausschau halten ...«

»Aber Geister ...«, gab ich zu bedenken.

»Gespenster«, korrigierte mich O'Gillicuddy.

»Aber Gespenster existieren doch am Tage nicht.«

»Das ist ein menschlicher Trugschluß«, erwiderte O'Gillicuddy. »Wir können bei Tageslicht natürlich nicht gesehen werden. Aber nachts verhält es sich genauso. Wenn wir es nicht wollen, kann man uns nicht sehen.«

Die anderen Gespenster ließen ein Gemurmel der Zustimmung vernehmen.

»Wir packen unsere Habseligkeiten«, sagte Cynthia, »und lassen den Rest zurück. Elmer und Bronco werden wiederkommen, und deshalb müssen wir für sie eine Nachricht hinterlassen. Damit sie sie auch finden, befestigen wir sie an einem der Bündel.«

»Wir müssen ihnen mitteilen, wohin wir aufbrechen«, sagte ich.

»In die Berge«, sagte der Volkszähler.

»Kennst du einen Fluß«, fragte Cynthia, »den man Ohaio oder so ähnlich nett?«

»Den Ohio? Den kenne ich sehr gut«, antwortete der Volkszähler. »Wollt ihr dorthin?«

»Nun hör einmal zu«, sagte ich zu Cynthia. »Wir können nicht ...«

»Warum nicht?« unterbrach sie mich. »Wenn wir fort müssen, irgendwohin, können wir genauso gut dorthin, wohin wir eigentlich wollten ...«

»Aber ich dachte, wir wären uns darin einig ...«

»Ich weiß«, sagte Cynthia. »Du hast dich klar genug ausgedrückt. Deine Komposition hat Vorrang, und ich schlage vor, daß das auch so bleibt. Aber du kannst überall daran arbeiten, nicht wahr?«

»Gewiß, so lange es sinnvoll ist.«

»Dann erklären wir den Ohio zu unserem Ziel«, sagte Cynthia. Sie wandte sich an den Volkszähler. »Falls du keine Einwände hast.«

»Ich bin damit einverstanden«, erwiderte er. »Um den Fluß zu erreichen, müssen wir durch die Berge. Ich hoffe, daß es uns gelingt, die Wölfe irgendwo in den Bergen abzuschütteln. Darf ich fragen ...?«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte ich knapp. »Wir erzählen sie dir später.«

»Hast du jemals von einem Unsterblichen gehört, der das Leben eines Einsiedlers führt?« erkundigte sich Cynthia.

Wenn sie einmal die Krallen in etwas geschlagen hatte, dann ließ sie nicht mehr locker.

»Ich glaube, ja«, sagte der Volkszähler. »Vor sehr langer Zeit. Nach meiner Auffassung handelte es sich bloß um einen Mythos. Die Erde hatte so viele Mythen.«

»Und jetzt hat sie keine mehr?« meinte ich.

Betrübt schüttelte er den Kopf. »Jetzt nicht mehr. Die Mythen der Erde sind alle tot.«

14

Der Himmel hatte sich stark bewölkt und der Wind nach Norden gedreht. Dabei hatte er aufgefrischt und war kalt geworden. Trotz der Kühle hing ein seltsamer Geruch von Feuchtigkeit in der Luft. Die Kiefern, die an den Hängen wuchsen, bogen sich und ächzten.

Meine Uhr war stehengeblieben, aber das spielte keine große Rolle. Seit ich Alden verlassen hatte, war sie so gut wie nutzlos gewesen. An Bord des Sargtransporters hatte man nach Galaktischer Zeit gerechnet, so daß ich mit ihr nichts anfangen konnte; und auf der Erde stimmte die Zeiteinteilung nicht mit ihrer überein, die der Aldener Zeitrechnung entsprach. Mit etwas Geschick allerdings kam man gut zurecht. In der Ansiedlung, als wir auf den Beginn des Volksfestes warteten, hatte ich mich nach der Uhrzeit erkundigt, doch offenbar wußte sie niemand und kümmerte sich niemand darum. Wie ich in Erfahrung bringen konnte, gab es in der gesamten Ansiedlung nur eine einzige Uhr, ein recht primitives, selbstgebautes Ding, das hauptsächlich aus geschnitztem Holz bestand und nur selten lief, weil sich anscheinend niemand der Mühe unterzog, es regelmäßig aufzuziehen. Daher hatte ich meine Uhr nach der Sonne stellen wollen, hatte jedoch den Zeitpunkt versäumt, als sie am höchsten stand, und folglich hätte ich die Zeitspanne abschätzen müssen, die sie sich schon auf ihrem Abstieg nach Westen befand. Jetzt stand die Uhr, und ich konnte sie nicht richtig stellen. Warum es mich störte, wußte ich nicht; ohne sie ging es genauso gut.

Voraus schritt der Volkszähler, Cynthia folgte ihm, und ich machte den Schlußmann. Seit dem Morgengrauen hatten wir eine ziemlich weite Strek-ke zurückgelegt, obgleich ich keine Ahnung hatte, wie lange wir nun schon marschierten. Die Sonne war hinter Wolken verborgen; meine Uhr stand. Es gab keine Möglichkeit, um die Tageszeit festzustellen.

Von den Gespenstern war keine Spur zu erblicken, aber mich verließ nie das unangenehme Gefühl, daß sie sich in unmittelbarer Nähe aufhielten. Und der Volkszähler beunruhigte mich durchaus nicht weniger als die unsichtbaren Gespenster. Von Angesicht zu Angesicht enthüllte sich seine ganze Nichtmenschlichkeit, es sei denn, man betrachtete auch eine Stoffpuppe als menschlich. Denn sein Gesicht glich dem einer Stoffpuppe - ein verkniffener, leicht schiefer Mund; Augen, die Kreuzstichen ähnelten; eine Nase fehlte, ebenso ein Kinn. Sein Gesicht ging glatt in den Hals über, ohne Kiefer dazwischen. Kapuze und Robe, die ich für Kleidungsstücke gehalten hatte, schienen bei näherem Hinsehen Teile seines grotesken Körpers zu sein. Wäre es nicht so unwahrscheinlich gewesen, man hätte glauben können, daß sie seinen Körper bildeten. Ob er Füße hatte, sah man nicht, da seine Robe (oder sein Körper) bis weit herab auf den Boden fiel. Er bewegte sich zwar, als besäße er Füße, aber man sah überhaupt nichts von ihnen; ich ertappte mich bei der Überlegung, wie er es wohl schaffen mochte, falls er keine Füße besaß, sich so gut fortzubewegen. Denn er kam wirklich zügig voran. Er schritt ungemein hurtig aus und schaukelte vor uns dahin. Wir konnten nicht mehr leisten, als mit ihm Schritt zu halten.

Seit unserem Aufbruch hatte er kein Wort mehr gesprochen, sondern nur, indem er vorausging, den Weg gewiesen. Wir beide eilten hinterdrein; auch wir unterhielten uns nicht, denn bei dieser Marschgeschwindigkeit konnten wir nicht den zum Sprechen erforderlichen Atem erübrigen.

Die Gegend war öde, eine urwüchsige Wildnis ohne jegliche Anzeichen einer früheren menschlichen Besiedlung; und doch mußte es einst eine gegeben haben. Meilenweit folgten wir dem Verlauf der Höhenzüge, stiegen manchmal hinab, um Täler zu durchqueren, dann überwanden wir erneut eine Reihe von Anhöhen, erklommen weitere Hügel. Von den Höhen aus vermochten wir weite Landstriche zu überschauen, aber nirgendwo sah man die Tiefe einer Ebene. Wir sahen keine Ruinen, fanden keine eingestürzten Schornsteine, stiegen über keine uralten Weidezäune. In den Talsohlen stand starker, dichter Waldwuchs; auf den Kämmen der Hügel standen streckenweise nur vereinzelt Büsche und Bäume. Es war ein felsiges Land; überall lagen riesige Findlinge verstreut, und große graue Felsmassen ragten aus den Flanken der Berge empor. Es gab nur wenig Leben. Zwischen den Bäumen flogen bisweilen Vögel und zwitscherten, und gelegentlich sah man, obschon selten, kleineres Getier; ich erkannte Hasen und Eichhörnchen.

Wir hatten einige Male Halt gemacht, um aus seichten Bächen zu trinken, die durch die Täler flössen, welche wir durchwanderten; aber es waren nur kurze Pausen gewesen, gerade lang genug, um uns auf die Bäuche zu legen und einige Mundvoll Wasser zu schlürfen, während der Volkszähler (der solche Erfrischungen anscheinend nicht benötigte), ungeduldig wartete, bis wir den Weg fortsetzten.

Schließlich legten wir die erste Rast seit unserem Abmarsch ein. Die Höhe, über die wir zogen, gipfelte in einer steilen Klippe und verlief dahinter in einem sanften Hang wieder abwärts. Unterhalb dieser Höhe lag ein wüstes Durcheinander von Felsbrocken, groß wie Scheunen, als habe ein urzeitlicher Riese mit ihnen gespielt, wie ein kleiner Junge mit Bauklötzen, und wäre ihrer dann überdrüssig geworden und hätte sie hier herumliegen lassen, wo sie jetzt noch lagen. Dazwischen wuchsen verkümmerte Kiefern, die sich mit krummen, knotigen Wurzeln verzweifelt ins Erdreich krallten.

Der Volkszähler, einige Meter voraus, stieg einen schmalen Pfad hinauf, der mitten durch das Felsengewirr führte, und verschwand plötzlich.

Als wir die Stelle erreichten, wo wir ihn zuletzt gesehen hatten, sahen wir ihn in einer Mulde sitzen, an drei Seiten von Fels umschlossen. In der Mulde war man vor dem bitterkalten Wind geschützt, der wehte, doch zugleich erlaubte sie einen Ausblick in die Richtung, aus der wir kamen.

Mit einer Geste forderte der Volkszähler uns auf, es ihm gleichzutun.

»Wir wollen ein wenig rasten«, sagte er. »Vielleicht möchtet ihr etwas essen. Aber macht kein Feuer. Vielleicht heute nacht. Warten wir ab.«

Ich wollte nichts essen. Ich wollte mich bloß hinsetzen und nie wieder aufstehen.

»Vielleicht wäre es besser, wir marschierten weiter«, sagte Cynthia. »Bestimmt sind sie schon hinter uns her.«

Sie wirkte nicht so, als könne sie weiter. Sie war müde und erschöpft.

»Bisher sind sie noch nicht zur Höhle zurückgekehrt«, sagte der kleine, scharfe Mund im Stoffpuppengesicht.

»Woher willst du das wissen?« fragte ich.

»Die Gespenster«, antwortete er, »hätten mir andernfalls bereits berichtet. Ich habe noch nichts von ihnen gehört.«