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Ich stieg in den Wagen. In ihrem Schoß lag ein Umschlag, den sie mir reichte.
»Für Sie.«
Mein Name war auf den Umschlag gekritzelt, und es war unmöglich, das fürchterliche Gekritzel zu verkennen. Thorney, durchzuckte es mich. Was, zur Hölle, hatte Thorney mit Cynthia Lansing zu tun, die mir auflauerte, sobald ich die Erde betrat?
Sie ließ den Wagen an und lenkte ihn auf die Straße. Ich riß den Umschlag auf. Es handelte sich um einen Bogen mit dem offiziellen Briefkopf der Aldener Universität, und in die obere linke Ecke war säuberlich eingedruckt: Dr. phil. William J. Thorndyke, Archäologische Abteilung.
Der Text war in der gleichen Sudelschrift wie auf dem Umschlag verfaßt. Er lautet:
Lieber Fletch!
Die Überbringerin dieses Briefs ist Miß Cynthia Lansing, und ich möchte Dich dringend bitten, alles zu glauben, das sie Dir erzählt. Ich habe die Beweise untersucht und würde für ihre Authentizität jederzeit meinen Ruf aufs Spiel setzen. Sie möchte Dich bei Deiner Erkundung der Erde begleiten, und ich würde es als den größten Gefallen auffassen, den Du mir tun kannst, wenn Du ihre Begleitung duldest und ihr, soweit möglich, alle Unterstützung und Mitarbeit gewährst. Sie wird ein Pilgerschiff zur Erde nehmen und Dich dort erwarten. Ich habe Gelder der Fakultät zu ihrer Verfügung gestellt, und Du kannst sie erforderlichenfalls verwenden. Ich brauche Dir vorerst lediglich mitzuteilen, . daß ihre Anwesenheit auf der Erde mit dem zusammenhängt, worüber wir bei Deinem letzten Besuch, kurz vor Deinem Abflug, gesprochen haben.
Ich saß mit dem Brief in der Hand und erinnerte mich, wie ich ihn zuletzt gesehen hatte, in dem vom Feuer erhellten, unordentlichen Raum, den er sein Arbeitszimmer nannte, voller Bücherregale bis unter die Decke, mit schäbigem Mobiliar, der Hund auf dem Kaminvorleger zusammengerollt, die Katze auf ihrem Kissen. Er hatte auf einem Polsterschemel gehockt und das Glas mit dem Brandy zwischen seinen Handflächen gedreht. »Fletch«, hatte er gesagt, »ich bin sicher, daß ich recht habe, daß meine Theorie stimmt. Die Anachronier waren keine galaktischen Händler, wie so viele meiner Kollegen glauben. Sie waren Beobachter, sie waren Kulturspione. Bei genauer Betrachtung ist das einleuchtend. Sagen wir einmal, eine große Zivilisation besaß die Kapazität, um zwischen den Sternen umherzustreifen. Nehmen wir einmal an, irgendwie entdeckte sie einen Planeten, auf dem eine intellektuelle Kultur im Entstehen war oder am Anfang ihres Entstehens. Daraufhin stationierte sie einen Beobachter auf diesem Planeten, um auf Entwicklungen aufmerksam zu werden, die sich als wertvoll erweisen mochten. Wie wir wissen, unterscheiden Kulturen sich stark voneinander. Das läßt sich sogar unter den menschlichen Kolonien feststellen, deren Ursprung auf der Erde liegt. Schon wenige Jahrhunderte genügen, um Abweichungen herauszubilden. Derartige Unterschiede sind natürlich viel größer auf solchen Planeten, wo außerdem fremde Kulturen existieren oder einmal existiert haben - fremde Kulturen, die im Gegensatz zu den menschlichen Kulturen stehen. Keine zwei Gruppen von Intelligenzen gehen jemals an irgendeine Sache auf gleichartige Weise heran. Sie mögen schließlich zum gleichen Resultat gelangen, aber sie erzielen es auf unterschiedlichen Wegen, und während dieses Prozesses entwickelt jede eine Fähigkeit oder eine Idee, welche der anderen fehlt. Sogar eine große galaktische Kultur müßte sich auf diese Weise entwickeln, und weil sie es auf diese Weise müßte, würde sie zahlreiche Errungenschaften, viele Ideen und viele Fähigkeiten versäumen oder unterschätzen. Setzt man diese Erkenntnis als richtig voraus, scheint es doch vernünftig zu sein, daß unsere große galaktische Kultur es als vertretbaren Aufwand betrachtet, andere kulturelle Entwicklungen zu verfolgen, um herauszufinden, was sie versäumt und woran sie vielleicht noch nie gedacht hat. Wahrscheinlich wäre nur eine von zehn neuartigen Entdeckungen für die eigene Kultur nutzbar, aber gerade diese eine könnte von allergrößter Wichtigkeit sein. Sie könnte ihnen eine neue Dimension verleihen, sie zu einer reichhaltigeren und solideren Kultur erheben. Angenommen, die Erde wäre - was sie natürlich nicht war - die einzige Kultur gewesen, die das Rad erdacht hat. Selbst wenn nun jene große galaktische Kultur nicht auf das Rad verfallen wäre, hätte sie sich dennoch zu ihrer Größe entwickelt, mittels eines anderen Prinzips, das die Ermangelung des Rads aufhebt. Wäre es aber nicht trotzdem wahrscheinlich, daß die Kenntnis des Rads, sogar eine sehr verspätete, für sie wertvoll sein dürfte? Das Rad ist ein überaus nützliches Ding - wenn man's hat.«
Meine Gedanken kehrten zurück zur Gegenwart. Ich hielt noch immer den Brief in der Hand .Das Fahrzeug näherte sich der Lagerhalle. Der Leichentransporter stand nach wie vor auf seinem Landefeld, aber die Lastfahrzeuge waren verschwunden. Die Entladung mußte abgeschlossen sein.
»Thorney schreibt, daß Sie uns zu begleiten wünschen«, wandte ich mich an Cynthia Lansing. »Ich bezweifle, daß das möglich sein wird. Uns stehen Anstrengungen bevor. Wir kampieren bei jedem Wetter.«
»Ich kann Anstrengungen vertragen. Ich kann kampieren.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Hören Sie«, erhob sie Widerspruch, »ich habe alles riskiert, um hier sein zu können, bevor Sie eintreffen. Ich habe jeden Kredit, den ich hatte, für den unverschämten Flugpreis des Pilgerschiffs geopfert ...«
»Thorney schreibt von einem finanziellen Zuschuß.«
»Ich hatte bei weitem nicht genug für den Flug«, sagte sie. »Zum großen Teil mußte ich dafür den Zuschuß ausschöpfen. Und bis zu Ihrer Ankunft habe ich im Pilgrim Inn gewohnt, das beileibe nicht billig ist. Vom Zuschuß ist nicht viel übrig. Wirklich so gut wie gar nichts ...«
»Sehr bedauerlich«, bemerkte ich. »Aber Sie haben gewußt, was für ein Risiko Sie eingehen. Sie hatten keinen Grund zu der Annahme ...«
»O doch«, sagte sie. »Sie sind genauso bankrott wie ich.«
»Und was heißt das?«
»Das heißt, Sie besitzen kein Geld, um nach Fertigstellung Ihrer Komposition nach Alden zurückzukehren.«
»Das ist mir bewußt«, erwiderte ich, »aber wenn ich die Komposition fer-tig habe ...«
»Dann fehlt Ihnen das Geld noch immer«, meinte sie. »Und die Mother Earth wird es Ihnen nicht leicht machen.«
»Das kann sein«, sagte ich, »aber ich begreife nicht, wieso ich durch Ihre Begleitung ... «
»Das versuche ich Ihnen ja zu erklären. Vielleicht klingt es töricht ...« Sie verstummte und sah mich an. Ihr Gesicht wirkte nicht länger, als neige es zum Lächeln.
»Verdammt nochmal!« entfuhr es ihr dann. »Warum sagen Sie nichts? Warum helfen Sie mir kein bißchen? Weshalb fragen Sie mich überhaupt nicht, was ich zu bieten habe?«
»Also gut. Was haben Sie zu bieten?«
»Ich weiß, wo der Schatz ist.«
»Um Himmelswillen, welcher Schatz?«
»Der Schatz der Anachronier.«
»Thorney ist davon überzeugt«, berichtete ich, »daß die Anachronier auf der Erde gewesen seien. Er wollte, daß ich auf irgendwelche Spuren ihrer Anwesenheit achte. Klar, daß das kein ernsthafter Auftrag ist. Die Archäologen sind sich noch nicht einmal sicher, ob eine solche Rasse überhaupt jemals existiert hat. Ihre Heimatwelt hat man nie gefunden. Es sind lediglich auf einem halben Dutzend Planeten Fragmente von Schriften entdeckt worden, fragmentarische Schriften unter dem Schriftgut und anderen Funden der heimischen Kultur. Einiges spricht anscheinend dafür, obwohl mir die Beweiskraft recht anfechtbar zu sein scheint, daß einst Mitglieder dieser geheimnisvollen Rasse auf anderen Planeten gelebt haben - vielleicht als Händler, wie die Mehrzahl der Archäologen annimmt, oder als Beobachter, wie Thorney glaubt, oder aus anderen Gründen, weder als Händler noch als Beobachter. Er hat mir alles darüber erzählt, aber nie einen Schatz erwähnt.«
»Doch es gab einen Schatz«, sagte sie. »Während des Letzten Kriegs wurde er aus dem alten Griechenland ins alte Amerika gebracht. Ich habe einen Hinweis darauf entdeckt, und Professor Thorndyke ...«
»Erklären Sie mir bitte einmal, welchen Sinn das ergeben sollte«, sagte ich. »Falls Thorney recht hat, waren sie nicht hier, um Schätze anzuhäufen, sondern um Daten zu sammeln, zu beobachten ...«
»Um Daten zu sammeln, gewiß«, bekräftigte sie, »aber was ist mit dem Beobachter? Er dürfte ein Spezialist gewesen sein, oder? Ein Historiker, vielleicht weit mehr als das. Er muß den kulturellen Wert gewisser Artefakte erkannt haben - das Opferbeil eines prähistorischen Stammes, eine griechische Amphore, ägyptischen Schmuck ...«
Ich schob den Brief in meine Jackentasche und sprang aus dem Wagen. »Sprechen wir später darüber«, sagte ich. »Jetzt muß ich mich um Elmer und den Bronco kümmern.«
»Darf ich Sie begleiten?«
»Wir werden sehen«, wich ich aus.
Ich überlegte, wie sie sich wohl am besten abwimmeln ließ. Sie hatte Thorneys Segen; möglicherweise wußte sie tatsächlich etwas von den Anachroniern, vielleicht sogar über einen Schatz. Und ich konnte sie nicht einfach ohne Geld hier sitzenlassen - denn wenn sie jetzt noch nicht pleite war, würde sie es bald sein, falls sie im Pilgrims Inn bleib, und woandershin konnte man nicht. Bei Gott, ich verspürte keine Lust, sie mitzunehmen. Sie würde eine Last und Quelle von Ärgernissen sein. Ich war kein Schatzsucher. Ich war zur Erde gekommen, um eine Komposition zu machen. Ich hoffte, etwas von den Schwingungen der Erde einfangen zu können - der Erde minus Friedhof, der ursprünglichen Erde. Ich konnte mich nicht auf die Suche nach Anachroniern oder Schätzen begeben. Thorney hatte ich nur versprochen, die Augen nach irgendwelchen Spuren offenzuhalten, und das bedeutete, daß ich nicht danach jagte.
Ich schritt zur offenen Tür der Halle; Cynthia blieb mir auf den Fersen. Drinnen war es dunkel und ich verharrte für einen Moment, um meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Etwas bewegte sich, und ich erspähte drei Männer - drei Arbeiter, ihrem Aussehen zufolge.
»Hier stehen einige Kisten von mir«, sagte ich. Ringsum standen eine Menge Särge aufgestapelt, die Fracht des Leichentransporters.
»Dort drüben, Mr. Carson«, sagte einer von ihnen. Er winkte hinüber, und ich sah sie - die Riesenkiste, worin Elmer steckte, und die vier Kisten, in die wir den Bronco verpackt hatten.
»Danke«, sagte ich. »Sehr freundlich, daß Sie sie getrennt vom Rest abgestellt haben. Ich hatte den Kapitän darum gebeten, aber ...«
»Nur noch eine Kleinigkeit«, meinte der Mann. »Bearbeitung und Lagerung.«
»Was soll das heißen, Bearbeitung und Lagerung?«
»Na, die Rechnung. Meine Männer arbeiten nicht umsonst.«
»Sind Sie hier der Vorarbeiter?«
»Ja. Reilly ist mein Name.«
»Wie hoch ist die Rechnung?«
Reilly griff in seine Gesäßtasche und holte einen Zettel hervor. Er musterte ihn angestrengt, als vergewissere er sich, daß er sich nicht verrechnet hatte.
»Also«, sagte er, »sie beläuft sich auf vierhundertsiebenundzwanzig Kre-dits, aber sagen wir, vierhundert.«
»Sie müssen sich irren«, entgegnete ich und rang um Beherrschung. »Sie haben die Kisten doch nur ausgeladen und hier untergestellt, und was die Lagerung betrifft, sie stehen ja erst seit ungefähr einer Stunde hier.«