123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 18

»Kommt überhaupt nicht infrage«, protestierte Nathan und wischte Jakes Hand beiseite. »Diese Waffe ist nur für besondere Gelegenheiten.« Als Ersatz bot er ihm das hässlichste Stück aus der ganzen Sammlung an: ein plumpes Kurzschwert. »Schon mal eins in der Hand gehabt?«, fragte er und hielt es Jake vorsichtig hin.

»Selbstverständlich. Im Fecht-Klub in der Schule. Gehört zum Pflichtprogramm«, schwindelte der und versuchte, mit einem besonders schnell geführten Stoß anzugeben. Das Schwert entglitt seinem Griff, flog quer durch die Kajüte und blieb zitternd in der hölzernen Schiffswand stecken.

Ohne eine Miene zu verziehen, zog Charlie das Schwert behutsam wieder heraus und reichte es Nathan, der es – denkbar wenig beeindruckt von Jakes Schwertkünsten – zurück in die Scheide steckte und den Gurt um Jakes Hüfte befestigte. »Da gehört es hin, und da bleibt es auch«, erklärte er. »Als modisches Accessoire, verstanden?«,

»Und was ist das?«, fragte Jake und griff nach einem Lederbeutel mit falschen Bärten darin, der halb offen neben Nathans Schwertkoffer lag.

Diesmal war es Charlie, der Jakes Hand zur Seite wischte.

»Ne touche pas!«, rief Nathan in affektiertem Französisch. »Diese Sammlung von Rattenschwänzen ist sein ganzer Stolz. Ich persönlich ziehe es ja vor, mich au naturel in die Höhle des Löwen zu begeben« – Nathan kniff die Augen zusammen und zog eine Braue nach oben – »und mich allein durch mein Mienenspiel zu verkleiden.«

»Du weißt genauso gut wie ich, Nathan, dass diese ›Rattenschwänze‹ dir mehr als einmal das Leben gerettet haben«, erwiderte Charlie kopfschüttelnd, knotete den Beutel zu und befestigte ihn an seinem Gürtel.

Jake konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Es war unglaublich, wie sehr Charlie mit seinen nur vierzehn Jahren einem kauzigen alten Besserwisser glich.

»Zeit für eine Bestandsaufnahme, würde ich sagen«, meinte Charlie und hielt einen Spiegel hoch.

Jake musste zweimal hinsehen, um den kühnen Abenteurer, der ihm da ins Gesicht schaute, als sein Spiegelbild zu erkennen.

Unter einer gleißenden Morgensonne segelte die Campana weiter durch das stille Mittelmeer, und über die Mittagszeit heizte sich die Luft schier unerträglich auf, bis Helios sich am Nachmittag endlich anschickte, träge wieder gen Horizont zu sinken.

Jake genoss den Duft der Meeresluft und schaute hinaus auf die Wellen. Sein Blick wanderte hinunter zu seinem Kurzschwert, dann drehte er flink den Kopf, um sicherzugehen, dass niemand ihn beobachtete, und zog es verstohlen aus der Scheide.

»Halte ein, Schurke!«, rief er und reckte die Spitze der Waffe einem unsichtbaren Feind entgegen. »Ich bin es, Jake Djones aus Greenwich …«

Jake verstummte. Irgendetwas stimmte noch nicht ganz.

»Ich bin es, Jake Djones«, hob er erneut an, »Spezialagent des Geheimdienstes der Geschichtshüter, Beschützer der Guten, Nemesis alles Bösen. Sprich dein letztes …«

Wieder verstummte er abrupt, denn Charlie und Mr Drake lugten hinter dem Mast hervor und beobachteten interessiert das Spektakel. Jake lief knallrot an und steckte die Waffe eilig zurück in die Scheide.

Um drei Uhr nachmittags kam ihr Zielhafen in Sicht. Schimmernd wie Gold lag die einzigartige Silhouette Venedigs vor ihnen in der flirrenden Hitze.

Der Hafen brummte nur so vor Betriebsamkeit, und je näher sie kamen, desto lauter wurden die Geräusche des geschäftigen Treibens in der Stadt, die der Wind übers Wasser zu ihnen herüberwehte. Schiffe unterschiedlichster Größen und Bauarten gingen vor Anker oder setzten gerade Segel, löschten ihre Ladung oder nahmen Fracht an Bord. Noch nie hatte Jake so viele Schiffe auf einmal gesehen, ein so beeindruckendes Durcheinander von Masten, Takelagen, Bannern und Flaggen, Matrosen und Händlern, die alle durcheinanderschrien.

»Venedig, die Perle der Adria«, sagte Charlie und spielte den Fremdenführer. »Gegründet im sechsten Jahrhundert, wurde die Stadt aufgrund ihrer geografischen Lage schnell zum Dreh-und Angelpunkt des Verkehrs zwischen Europa und Asien. Wenn auch die Entdeckungsfahrten der Spanier in die Neue Welt den Einfluss Venedigs bald schmälern sollten, blieben seine Händler und Bankiers noch für mehrere Jahrhunderte ein wichtiger Faktor im Welthandel. Das pastellfarbene Gebäude dort drüben« – er deutete auf ein kunstvoll mit Marmor verkleidetes Bauwerk – »ist der Dogenpalast. Bei der bleistiftförmigen Erhebung daneben handelt es sich um den Campanile di San Marco, den Glockenturm des Markusdoms, der, wie wir nicht vergessen dürfen, erst in ein paar Jahren zu seiner vollen Pracht erblühen wird.«

Während die Campana zwischen einem kleinen Fischerboot und einer großen persischen Galeone vertäut wurde, sog Jake den exotischen Anblick in sich auf. Schon jetzt wusste er, dass er diesen Moment nie vergessen würde: Das Gewimmel der Leute, die unverkennbar einem anderen Zeitalter angehörten als er, gab ihm das Gefühl, als wäre er wirklich in eins jener alten Meisterwerke eingetaucht, die er so sehr liebte.

Jake sah reiche Kaufleute in Wams und Kniehose, Soldaten in Rüstung, Männer mit Turbanen auf dem Kopf und wallenden Umhängen über den Schultern, daneben Bettler in Lumpen. Überall liefen Hunde herum; der Dobermann einer elegant gekleideten Adligen spielte mit dem verlausten Terrier eines Straßenverkäufers; Katzen hockten auf Mauerkronen und beobachteten das Treiben im Hafen oder streunten auf der Suche nach Fischabfällen zwischen den Beinen der Matrosen herum. Hier und da wurden Käfige verladen mit Ziegen, Pferden oder Papageien darin (welche Mr Drake mit großem Interesse und nicht ohne einen Anflug von Mitleid beäugte), während Jake überwältigt wurde vom Duft der Gewürze und Kräuter, dem Geruch von frischem Fisch und gepökeltem Fleisch. Und während er die ganze Szenerie beobachtete, hüpfte ihm vor freudiger Erwartung das Herz in der Brust.

Da fiel ihm eine hochgewachsene Gestalt in schwarzem Brustharnisch und scharlachroter Kutte auf. Unbeweglich wie ein Fels stand sie mitten im Gedränge der Leute. Zwar konnte Jake das Gesicht des Mannes nicht sehen, doch beschlich ihn das unangenehme Gefühl, dass sein Blick genau auf die Campana gerichtet war.

»Siehst du den Mann dort drüben?«, fragte er Charlie. »Er schaut genau zu uns herüber.«

Als Charlie Jakes Blickrichtung folgte, war die Gestalt wieder verschwunden. Jake hielt noch eine Weile nach der auffälligen Kutte Ausschau, konnte sie aber nirgends mehr entdecken. Stattdessen sah er, wie ein dürrer Bursche, etwa in seinem Alter, sich über den Kai drängte und dabei verstohlen die Namen der Schiffe las. Sein Kopf war rot, die Bewegungen linkisch, und ständig rempelte er die umstehenden Leute an, woraufhin er sich jedes Mal, etwas Unverständliches murmelnd, entschuldigte. Als er die Campana erreichte, blieb er stehen und verglich den Namen mit einem Stück Pergament, das er in Händen hielt. Sein Blick wanderte hinauf zu Charlie. Ein Auge immer noch auf den Notizzettel gerichtet, sagte er steif: »Willkommen in Venedig. Was ist Eure Ladung?«

Es schien sich um eine Art Geheimcode zu handeln, denn Charlie antwortete in ähnlich seltsamem Tonfall: »Tamarinden aus dem Osten.«

Auf diese Worte hin entspannte sich der Junge merklich und winkte grinsend zu ihnen herauf. »Buon Giorno. Paolo Cozzo mein Name. Ich bin euer Kontaktmann.«

Nathan sprang über die Reling und dem Jungen, den er um mehr als einen Kopf überragte, direkt vor die Füße. »Warum versuchst du es das nächste Mal nicht mit einer Sprechtrompete, damit dich auch ja alle im Hafen hören?«

Paolo brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass der Kommentar ironisch gemeint war. Als ihm die Erkenntnis endlich dämmerte, nickte er verlegen und wischte sich mit einem unsicheren Grinsen den Schweiß von der Stirn.

Inzwischen waren auch Charlie und Topaz auf den Pier gekommen. »Bonjour. Agentin Topaz St. Honoré«, stellte sie sich vor. »Agent Charlie Chieverley, und das hier ist Jake Djones«, fügte sie mit einer Geste in Jakes Richtung hinzu, der als Einziger noch an Bord der Campana geblieben war.

»Er begleitet uns in der Funktion eines Beobachters«, erklärte Nathan.

Bei Topaz’ Anblick wurde das Gesicht des Jungen noch röter. »S-Signorina St. Honoré«, stotterte er, »sind wir uns nicht schon einmal begegnet? 1708 in Siena, im F-F-Frühling? Meine Eltern waren auch dabei. Ich habe Limonade für Euch zubereitet«, fragte er nervös.

»O ja, jetzt erinnere ich mich«, erwiderte Topaz strahlend. »Es war die beste Limonade, die ich je gekostet habe. Du wolltest mir das Rezept geben.«

Paolo kicherte und wurde – falls das überhaupt möglich war – noch röter.

»Wo treibt das Hauptquartier nur immer diese Profis auf?«, brummte Nathan augenrollend und fragte: »Venedig ist also deine Operationsbasis?«

»Rom, eigentlich … wohne ich in Rom«, stammelte Paolo. »Aber meine Tante, die lebt hier. Ich bin extra angereist, um die letzten beiden Agenten in Empfang zu nehmen. Die, die verschwunden sind.«

Topaz, entsetzt über Paolos Taktlosigkeit, warf Jake einen mitfühlenden Blick zu.

»Meine Instruktionen lauten, euch ins hiesige Büro zu geleiten und in allen Italien betreffenden Angelegenheiten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen«, erklärte Paolo stolz.

»Zum hiesigen Büro also«, wiederholte Nathan und stürmte sofort los. »Gehen wir!«

Keiner rührte sich.

»Verzeihung, aber zum Büro geht es da lang«, meinte Paolo vorsichtig und deutete in die entgegengesetzte Richtung.

Topaz konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Nathan wie ein Zinnsoldat auf dem Absatz kehrtmachte.

»Bleibe ich allein hier, oder kann ich …?«, fragte Jake zaghaft.

»Ins Büro kannst du uns begleiten, wenn du willst«, antwortete Topaz, »aber wenn die eigentliche Arbeit beginnt, musst du zum Schiff zurück. Verstanden?«

Paolo dirigierte sie durch das nachmittägliche Gedränge im Hafen.

»Ziemlicher Betrieb hier um diese Stunde, findet ihr nicht?«, kommentierte Nathan und lupfte im Vorübergehen den Hut vor einer hübschen Blumenverkäuferin. »Ob wohl noch genug Zeit für eine heiße Schokolade wäre? Wenn mich nicht alles täuscht, serviert man im Caffè Florian an der Piazza San Marco die beste entlang der gesamten Adriaküste.«

»Du kannst es ja versuchen, aber das Florian eröffnet erst in über zweihundert Jahren«, rief Topaz ihm ins Gedächtnis.

»Mit dieser Karavelle dort«, sagte Paolo und deutete auf einen kleinen Zweimaster, »haben Signore und Signora Djones sich hier eingeschifft.«

Jakes Magen machte einen kleinen Satz, und er beäugte neugierig das Schiff. Die Segel waren gerefft, das Deck vollkommen leer, da fiel sein Blick auf einen Schriftzug am Bug: Mystère stand dort in geschwungenen Lettern geschrieben. Wie passend, dachte er. Mysteriöser könnte die Angelegenheit in der Tat kaum sein. Nichts hätte Jake lieber getan, als das gesamte Schiff nach Hinweisen auf den Verbleib seiner Eltern abzusuchen.

»Sollen wir kurz nachsehen gehen?«, fragte er vorsichtig.

Doch Nathan war bereits aufs Deck der Mystère gesprungen und im Bauch des Schiffes verschwunden. Nur wenige Augenblicke später kam er kopfschüttelnd wieder herauf. »Da drinnen sieht es aus wie auf einem Geisterschiff«, sagte er und schwang sich zurück auf den Kai. »Das hier sind die einzigen Hinweise auf Leben, die ich finden konnte.« Nathan hielt ihnen seine geöffnete Handfläche hin, auf der ein paar kleine Kerne lagen.