123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 20

Als Jake die großen, comichaften Buchstaben und die auf so herzerweichende Weise kunterbunt durcheinandergewürfelten Groß- und Kleinbuchstaben sah, wurde ihm flau im Magen. Er kannte diese Schrift von Zetteln, auf denen meistens etwas von noch nasser Farbe irgendwo im Haus stand, oder dass er sich im Kramerladen um die Ecke was zu essen holen solle, bis seine Eltern wieder da waren.

»So schreibt mein Vater.«

»Dürfte ich …?«, versuchte Nathan es noch einmal, aber Topaz schenkte ihm noch immer keine Beachtung und las laut vor:

»Beichte. Markusdom. Amerigo Vespucci.«

»Aber natürlich, Amerigo Vespucci!«, rief Nathan. »Ich kenne den Mann, er hat …« Er verstummte kurz. »Was hat er noch mal gemacht?«

»Er war ein berühmter italienischer Entdecker. Amerika ist nach ihm benannt«, beantwortete Topaz seine Frage. »Aber was könnte er mit dem Markusplatz zu tun haben?«

»Dumme Frage. Er liegt dort begraben«, tönte Nathan und versuchte erneut, an das Stück Pergament zu kommen.

»Nein, er wurde in Spanien begraben. In Sevilla, genauer gesagt. Ich habe sein Grab selbst gesehen«, erwiderte Topaz kühl, ließ sich aber endlich dazu herab, Nathan den Zettel zu geben.

»Beichte. Markusdom. Amerigo Vespucci«, wiederholte er nachdenklich. »Nun, ich würde sagen, ein Besuch im Dom dürfte Klarheit in die Angelegenheit bringen. Nach dem Abendessen natürlich … Wer arbeitet schon gern mit leerem Magen?«

Schweigend machten sie sich auf den Weg zurück zum Hafen. Es war die Tageszeit, die Paolo passeggiata nannte: Das Tagwerk war erledigt und jetzt schlenderten alle durch die Straßen, um wiederum den anderen beim Schlendern zuzusehen – weshalb sie sich im Gänsemarsch durch die flanierenden Menschenmassen quetschen mussten. Einmal glaubte Jake zu spüren, dass jemand ihnen folgte, und blickte verstohlen über die Schulter. Er sah kurz ein Stück leuchtend roten Stoffs in der Menge aufblitzen, wurde aber vom unbarmherzigen Strom der Passanten weitergezogen, ohne der Sache auf den Grund gehen zu können.

Im selben Moment verschwand die Gestalt im scharlachroten Umhang hinter einer Säule, wo ihr Kompagnon sie bereits erwartete. Aufmerksam verfolgten die beiden Kuttenmänner aus dem Schatten heraus, wie die fünf sich ihren Weg zum Hafen bahnten.

12

ALLEIN IM SECHZEHNTEN JAHRHUNDERT

Wir sind spätestens in einer Stunde zurück, allerhöchstens in zwei«, erklärte Topaz, als sie mit Charlie wieder an Deck kam. Über ihren Schultern hing ein Cape, denn der Abend wurde bereits merklich kühler.

»Wäre es nicht am besten, wenn wir alle zusammenblieben?«, gab Jake zu bedenken.

»Am besten wäre es, wenn du nicht gleich am ersten Tag draufgehst«, entgegnete Nathan barsch. Er hatte sich eben erst umgezogen und war gerade damit beschäftigt, sich in einem kleinen, mit Gold eingefassten Spiegel zu betrachten, den er »für Notfälle« eigenhändig am Mast angebracht hatte. »Wie, findest du, steht mir diese Farbe?«, fragte er und deutete auf sein Wams.

»Gockelgrün? Ich könnte mir nichts Passenderes vorstellen«, antwortete Topaz.

Nathan war zu sehr von seinem Spiegelbild eingenommen, um die Ironie in ihrer Antwort zu bemerken. »Lenkt es nicht ein wenig zu sehr von der Farbe meiner Augen ab?«, fragte er weiter, diesmal an Jake gewandt.

Jake war kein Modeexperte, aber er erinnerte sich an etwas, das seine Mutter bei solchen Gelegenheiten ein paarmal gesagt hatte. »Passt gut zu deinem Teint.«

»Sehr gute Antwort«, erwiderte Nathan.

»Das ist für dich, Jake«, sagte Topaz und hielt ein Silberkettchen mit einer Phiole daran hoch.

»Was ist das?«

»Atomium. Genau die Dosis, die dich zum Nullpunkt zurückbringt, falls nötig«, erklärte sie. »Darf ich …?« Sie legte ihm die Kette um den Hals und schob die Phiole unter sein Wams, woraufhin Jakes Herz gleich ein paar Takte schneller schlug.

»Pass auf dich auf«, flüsterte sie. »Wir bleiben nicht lange weg.«

»Ich habe Spinatquiche für dich in der Kombüse gelassen«, unterbrach Charlie und zerstörte den Moment. »Ist ganz passabel geworden, wenn auch nicht meine beste. Ich habe wohl ein bisschen zu dick aufgetragen sozusagen.«

Damit verließen Charlie, Topaz, Nathan und Paolo das Schiff und verschwanden in der Menge.

Vier Stunden vergingen. Die Nacht brach an, und der Mond war bereits aufgegangen, doch die vier waren immer noch nicht zurückgekehrt. Jake saß auf der kleinen Treppe, die hinauf zum Vorderdeck führte. Vom Meer her wehte eine kalte Brise, die Deckplanken ächzten, und die gerefften Segel flatterten im Wind. Der Hafen war so gut wie menschenleer. In einem Torweg sah Jake ein junges Liebespaar, das sich verstohlen küsste, ein paar Meter weiter stolperte ein betrunkener Greis fluchend vor sich hin. Ansonsten war alles still.

Jake griff nach dem Silberkettchen und zog die Phiole hervor, die Topaz ihm gegeben hatte. In feinster Handarbeit prangte das gravierte Emblem der Geschichtshüter darauf. Jake öffnete sie vorsichtig und betrachtete eine Weile den glitzernden Inhalt, dann verschloss er das Fläschchen wieder und steckte es zurück.

Da fiel sein Blick auf den Schulblazer, den er erst am Abend zuvor abgelegt hatte und der neben einem aufgerollten Seil immer noch an Deck lag. Jake kamen die Ausweise in der Brusttasche wieder in den Sinn. Er zog sie heraus und schaute sich noch einmal die Fotos an.

Unwillkürlich dachte er an zu Hause, an die Abende in der Küche in ihrem Reihenhaus in London, als alles noch normal gewesen war: wie sein Vater ebenso neugierig wie ahnungslos auf dem Küchentisch irgendwelche Geräte auseinanderschraubte, während seine Mutter stirnrunzelnd eine ihrer berüchtigten Kreationen aus dem Ofen zog. Als sie das letzte Mal versucht hatte, nach eigenem Rezept ein Gâteau au chocolat zu backen, hatte Jake das brennende Backblech mit dem Gartenschlauch löschen müssen. Während der Wind mit den Seiten der Dokumente spielte, blickte Jake gedankenverloren auf die Stadt und fragte sich, ob seine Eltern irgendwo da draußen in der Dunkelheit waren.

Plötzlich hörte er einen Schrei. Erschrocken stopfte er die Pässe in sein Wams und rannte zur Reling.

Jemand kam den Kai entlang in seine Richtung gelaufen – es war Nathan. Er rannte, so schnell er konnte, aber er humpelte und hielt ein Bein mit beiden Händen fest umklammert. Keuchend kam er an Deck gestolpert: »Schnell! Wir haben nicht viel Zeit!«

Jakes Augen weiteten sich vor Schreck. Nathan sah furchtbar aus. Das Haar stand ihm in allen Richtungen vom Kopf, das Wams war zerfetzt, und aus seinem Oberschenkel quoll so viel Blut, dass es auf die Deckplanken tropfte.

»Gib ihn mir! Schnell!«, bellte Nathan und deutete auf Jakes Blazer.

Jake gehorchte und beobachtete erschrocken, wie Nathan das Kleidungsstück in Fetzen riss. Er brauchte den Blazer zwar nicht mehr, aber … Da fiel sein Blick auf die Wunde an Nathans Bein: Sie war mindestens fünf Zentimeter lang und ziemlich tief. »Was ist denn passiert?«, fragte er entsetzt.

»Sie haben uns aufgelauert. Jemand muss ihnen einen Tipp gegeben haben«, keuchte Nathan, sein South-Carolina-Akzent überdeutlich, während er die Stofffetzen fest um seinen Oberschenkel band.

»Was ist mit den anderen …?«, fragte Jake nervös.

»Vielleicht gefangen, vielleicht tot. Vielleicht sind sie auch entkommen. Ich weiß es nicht. Wir wurden getrennt.«

Jake spürte, wie sein Magen sich verkrampfte.

»Hilf mir auf!«

Jake packte Nathan an den Armen und zog ihn auf die Beine.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht schleppte Nathan sich unter Deck. »Beeil dich, uns bleibt höchstens eine Minute, bis sie hier sind.«

»Bis wer hier ist?«, hakte Jake nach.

Doch Nathan ignorierte ihn, stolperte durch die Kombüse und verschwand in seiner Kabine.

Verwirrt beobachtete Jake, wie Nathan seinen Kleiderschrank öffnete und eine Kiste von ganz unten aus einem Stapel zog, woraufhin die anderen polternd zu Boden krachten. »Du willst dich umziehen?«, fragte er ungläubig.

»Halt die Klappe«, fauchte Nathan und riss den Deckel der Kiste auf. Kleidungsstücke flogen durch die Luft und landeten überall auf dem Boden, bis er schließlich fand, wonach er gesucht hatte.

Als Jake die scharlachrote Kutte und den daran befestigten schwarzen Brustpanzer erblickte, traute er seinen Augen kaum.

Schließlich zog Nathan noch eine Schere aus der Kiste. »Schnell! Schnell jetzt!«, keuchte er, und Jake folgte ihm zurück an Deck.

Nathan überprüfte kurz, ob seine Verfolger den Hafen bereits erreicht hatten. »Halt das«, sagte er, drückte Jake Kutte, Brustpanzer und Schere in die Arme und humpelte zu dem Meslith-Schreiber, den Charlie an Deck gelassen hatte. »Halt die Augen offen, und gib mir Bescheid, sobald jemand kommt.«