123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 21

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 21

Er drehte die Kurbel an der Rückseite des Geräts, und als ein leises Summen ertönte, fing er sofort an zu tippen. Der Kristallstab knisterte und begann Funken zu sprühen, die Nathans angespannte Gesichtszüge gespenstisch erleuchteten. Er hatte noch nicht einmal die Hälfte seiner Nachricht abgesetzt, da erstarb das elektrische Summen wieder. »Komm schon!«, fluchte Nathan und drehte erneut an der Kurbel.

Jake befühlte den schwarzen Brustharnisch. Er war erstaunlich leicht und schon etwas verbeult, aber er schien aus äußerst robustem Metall gefertigt zu sein. In der Mitte befand sich ein mit echtem Silber hinterlegtes Wappen: eine sich um einen Schild windende Schlange.

Da hörte Jake Geräusche vom Kai. Er spähte in die Finsternis, und sein Herz setzte einen Schlag lang aus. »Nathan. Sie sind hier«, flüsterte er.

Nathan wandte den Kopf und sah mehrere Gestalten näher kommen. »Nichts wie weg hier«, sagte er, klemmte sich den Meslith-Schreiber unter den Arm und humpelte los. Doch als er damit über die Reling klettern wollte, blieb er mit dem verwundeten Bein hängen, ein Schmerzensschrei entrang sich ihm, und das Gerät entglitt seinem Griff, um auf dem gemauerten Kai in tausend Stücke zu zerspringen. Es blieb jedoch nicht viel Zeit, den Verlust zu betrauern, denn die Verfolger kamen immer näher. Also sprang Nathan kurzerhand hinterher und trat die Trümmer des Meslith-Schreibers hastig ins Wasser. »Hier lang, oder wir sind beide tot!«, zischte er und stolperte auf einen steinernen Torbogen zu.

»Soll ich noch irgendwas mitnehmen?«

»Ja, einen Schlafsack und deine Zahnbürste.«

Jake brauchte einen Moment, bis er begriff, dass Nathan lediglich einen sarkastischen Scherz gemacht hatte.

»Komm jetzt, du Idiot!«

Jake sprang über die Reling und folgte Nathan in den schmalen Durchgang. Die Schritte der Kuttenmänner kamen schnell näher.

Nathan zog ihn hastig unter einen Baum und bedeutete ihm, leise zu sein. Dann sahen sie, wie ein Dutzend groß gewachsener und athletisch gebauter Männer neben der Campana stehen blieb. Alle trugen ein Schwert am Gürtel und den gleichen purpurfarbenen Umhang mit schwarzem Brustpanzer. Einer von ihnen führte einen kräftigen, gefährlich aussehenden Mastiff an der Leine, und auf seinen Befehl hin ging die Hälfte der Gruppe an Bord. Sie durchkämmten das Schiff und warfen alles, was ihnen wertlos erschien, ins Meer.

»Banausen«, schnaubte Nathan angewidert, als er seine geliebten Kleider im schmutzigen Hafenwasser treiben sah.

Da drehte der Mann mit dem Mastiff den Kopf in die Richtung des Torbogens, hinter dem Jake und Nathan sich versteckt hielten, und als er seine Kapuze vom Kopf nahm, zuckte Jake unwillkürlich zusammen: Der Mann hatte einen Nacken wie ein Stier, der Schädel war kahlrasiert, und über die ganze Länge seines Gesichts verlief eine Narbe. Unter der Kutte trug er einen schwarzen Ledermantel und hohe, schlammverschmierte Stiefel. Nach einem Moment, der Jake vorkam wie eine Ewigkeit, wandte der Mann sich endlich wieder der Campana zu, aber sein Hund – eine von vielen Kämpfen vernarbte Bestie – starrte weiter in ihre Richtung. Er spürte, dass jemand dort war.

Nathan stieß Jake an und flüsterte: »Da lang. Und keinen Mucks.«

Sie waren kaum um die nächste Ecke verschwunden, da begann der Hund zu knurren, und sie beschleunigten ihren Schritt. Mit zusammengebissenen Zähnen schleppte Nathan sich vorwärts, bis er schließlich anhielt und Jake mit schmerzverzerrtem Gesicht ansah. Er war kreidebleich und schien nur unter größter Anstrengung sprechen zu können. »Ich habe zu viel Blut verloren … du musst allein weiter.« Er setzte sich aufs Pflaster und zog den Druckverband um seinen Oberschenkel fester.

»Weiter? Wohin?«, fragte Jake zurück.

»Du musst mir jetzt gut zuhören. Es ist unsere einzige Chance.«

Aus dem Knurren des Mastiff war inzwischen ein Bellen geworden, und es kam näher.

»Diese Männer beim Schiff – das sind Soldaten der Schwarzen Armee. Der Kerl mit dem Hund heißt Friedrich von Bliecke. Er und seine Bande gehören zu Prinz Zeldt.«

»Zeldt?«, wiederholte Jake verblüfft. »Der, den mein Bruder finden wollte?«

»Genau der. Wir dachten, er wäre tot. Seit drei Jahren hat ihn niemand mehr gesehen. Aber irgendwo hier in Europa scheint er noch sehr lebendig zu sein. Und diese Katastrophe, die sich anbahnt … Er steckt dahinter …« Nathan musste kurz innehalten, bis der Schmerz wieder nachgelassen hatte. »Als ich die roten Kutten sah, wusste ich, dass er es ist.« Nathan deutete auf das Bündel unter Jakes Arm. »Diese Sachen haben einmal einem seiner Soldaten gehört. Und das da ist Zeldts Wappen.« Nathan deutete auf den Schild mit der Schlange.

»Als wir hier ankamen, habe ich einen Mann gesehen, der genau so eine Kutte trug«, erwiderte Jake. »Ich wollte Charlie auf den Kerl aufmerksam machen, aber da war er schon wieder verschwunden.«

Nathan blickte Jake fest in die Augen. »Zeldt ist das personifizierte Böse. Verstehst du, was ich sage? Das absolute Böse!«

Jake nickte.

»Nein, du verstehst gar nichts! Stell dir den schlimmsten Schlächter vor, von dem du je gehört hast, und dann jemanden, der noch tausendmal grausamer ist – dann weißt du, wovon ich spreche!«

»Wer ist dieser Mann?«

»Keine Zeit für Erklärungen. Seine Familie … eine Königsfamilie … und er ist noch nicht mal der Schlimmste …« Nathan drohte das Bewusstsein zu verlieren, aber das Kläffen des Hundes – jetzt noch viel näher – rüttelte ihn wieder wach. Er packte Jake am Arm. »Du musst zum Markusdom. Finde heraus, was deine Eltern entdeckt haben. Beichte, Markusdom, Amerigo Vespucci. Finde heraus, was das bedeutet.«

Jakes Gedanken überschlugen sich.

»Zieh die Kutte an. Verkleide dich als einer der Ihren.«

Jake nickte.

»Hast du die Schere?«, fragte Nathan.

Jake hielt die Schere hoch.

»Schneid dir die Haare ab, sobald sich eine Gelegenheit bietet, damit du unter ihnen nicht auffällst.«

Wieder nickte Jake, dem alles so unwirklich vorkam wie ein böser Traum.

Nathan zog einen kleinen Lederbeutel mit funkelnden Goldmünzen aus seinem Wams. »Hier, das dürfte reichen. Und nimm das hier mit. Damit kannst du Feuer machen«, sagte er und reichte Jake ein Gerät, das aussah wie eine Miniaturlaterne mit einem Feuerstein daran. »Pass gut darauf auf. Sonst wird die Geschichte der Menschheit einen finstereren Verlauf nehmen, als du dir auch nur im Entferntesten vorstellen kannst.«

»Aber, ich verstehe nicht … Was ist mit den anderen?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung, was mit den anderen ist! Hör zu: Ich würde dich nur aufhalten, also musst du allein weiter. Du bist unsere einzige Hoffnung.«

Das Bellen des Hundes war nur noch wenige Meter entfernt. Nathan legte Jake beide Hände auf die Schultern und blickte ihm fest in die Augen: »Sieh mal, Jake. Du scheinst ein Mann zu sein, der etwas taugt. Deine Eltern gehören zu den besten Agenten, die der Geheimdienst jemals hervorgebracht hat. Etwas davon muss auch in dir schlummern, kapiert?«

Jake nickte ein letztes Mal. Neben dem Bellen waren jetzt auch die Stimmen ihrer Verfolger zu hören.

»Ich sorge dafür, dass niemand dich verfolgt. Sie werden mich nicht töten, ich bin zu wertvoll für sie.« Nathan schaffte es gerade noch, seinen Degen zu ziehen. »Sieh dir nur mein schönes Wams an«, stammelte er und deutete auf einen langen, bluttriefenden Riss in dem grünen Seidenstoff. »Feinster Florentiner Brokat. Das Beste, was man für Geld kaufen kann. Was für eine Schande …«

Jake blickte den Kanal entlang in die Richtung, in die er gleich fliehen würde.

»Noch ein Letztes …«, keuchte Nathan mit seinem tiefen Südstaatenakzent und schien einen Moment lang nach den richtigen Worten zu suchen. »Es ist die Geschichte, welche die Dinge zusammenhält – sie ist der Leim, ohne den alles zerfällt. Alles! Ohne sie gibt es keine Zivilisation, und wir retten die Geschichte. Wir, die Geschichtshüter. Das ist die nackte Wahrheit und kein bloßes Gerede. Unsere Mission darf nicht scheitern.«

»Verstanden«, erwiderte Jake mit fester Stimme, und Nathan wusste, dass Jake ihm nichts vormachte.

»Und jetzt, geh. Geh!«

Genau in diesem Moment kam der Mastiff mit gefletschten Lefzen um die Ecke gejagt, die Soldaten in den roten Kutten direkt hinter ihm.

Nathan kam mühsam auf die Beine und hob mit letzter Kraft seinen Degen.

Jake sprang auf die Füße, rannte ein kurzes Stück den Kanal entlang und verschwand dann im Labyrinth der Gassen.

Inzwischen hatte der Mastiff zum Sprung angesetzt. Nathan wurde von den Beinen gerissen, und nur einen Wimpernschlag später war er von den Soldaten umzingelt. Nathan starrte noch einen Moment lang hinauf in von Blieckes vernarbtes Gesicht, dann verlor er das Bewusstsein.

Ohne nachzudenken oder auch nur nach links oder rechts zu blicken, rannte Jake die engen Gassen entlang, über Stufen und Brücken, und blieb erst stehen, als er eine Viertelstunde später den Canal Grande erreichte. Jake stand vor einem kleinen, von Zypressen umstandenen Platz, auf dem überall halb fertig geschnittene Steinblöcke lagen, die wohl für ein neues Gebäude bestimmt waren. Kutte, Brustpanzer und Schere hatte er immer noch unter den Arm geklemmt.

Angestrengt nach Luft schnappend suchte er mit den Augen den Platz ab. Der Canal Grande lag schimmernd im Mondlicht, die mächtigen Paläste zu beiden Seiten in tiefem Schlaf, und zu seiner Linken sah Jake den unverkennbaren Bogen der Rialtobrücke. Anscheinend war ihm niemand gefolgt.

Jake ließ sich am Fuß einer der Zypressen auf den Boden sinken. Allmählich begriff er das Ausmaß der Situation. Ihm fiel wieder ein, wie er als Achtjähriger einmal in einem riesigen Einkaufszentrum seine Eltern verloren hatte, und er dachte an die Angst, die ihn damals ergriffen hatte, während er auf der Suche nach ihnen verzweifelt durch den Irrgarten aus neonbeleuchteten Schaufenstern geirrt war. Damals hatte sein Verstand schließlich die Oberhand gewonnen: Er hatte gewusst, er würde seine Eltern finden, hatte gewusst, in welcher Straße er wohnte und dass alle um ihn herum dieselbe Sprache sprachen wie er.