123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 24

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Nach einem langen, schwindelerregenden Abstieg erreichten sie endlich den Boden des Lochs. In dem dort abzweigenden Tunnel standen drei Pferdegespanne bereit. Zwei davon waren offene Pritschenwagen mit einfachen Holzbänken darauf, die dritte hingegen glänzte in schwarzem Klavierlack, auf dem Zeldts Schlangenwappen prangte.

Als Jake zu erkennen versuchte, wohin der Tunnel führte, verschlug es ihm beinahe den Atem: Vor sich sah er eine perfekte Gerade, beinahe kreisförmig im Querschnitt wie die U-Bahn-Tunnel in London, an den Wänden brannten Fackeln, deren flackernder Lichtschein sich kilometerweit in die Ferne erstreckte.

Jake war als Letzter an der Reihe, seinen Platz auf einem der beiden Pritschenwagen einzunehmen. Als er gerade hinaufklettern wollte, hörte er ein metallisches Scheppern – die Schere war ihm aus der Tasche gerutscht und klappernd zu Boden gefallen. Einen Moment lang hielt er inne und überlegte, ob er sie aufheben sollte, doch da kam Mina Schlitz bereits in den Tunnel. Jake entschied sich dafür, keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen, schwang sich auf den Pritschenwagen und setzte sich auf den letzten freien Platz.

Versehentlich klemmte er dabei den Umhang seines Nachbarn unterm Hinterteil ein.

»’tschuldigung«, murmelte Jake, ohne nachzudenken.

Der Soldat neben ihm reagierte nicht einmal. Er bedachte Jake nur mit einem kurzen, ausdruckslosen Blick und starrte dann wieder geradeaus.

Unterdessen inspizierte Mina Schlitz die Kutschen.

Jake hoffte inständig, dass ihr das silbrige Glitzern der Schere auf dem schlammigen Boden nicht auffallen würde. Schließlich hörte er erleichtert, wie Mina mit einem lauten Knall die Tür ihrer schwarzen Luxuskarosse hinter sich zuschlug.

Sofort ließen auch die Kutscher ihre Peitschen knallen, und die Karawane setzte sich in Bewegung. Mit einem Knirschen zermalmten die metallbeschlagenen Wagenräder Nathans Schere unter sich.

Jake bestaunte die aus Millionen von Ziegelsteinen errichteten Tunnelwände. Er war so überwältigt von dem Anblick dieses geheimen Stollens, dass er für eine Weile alle seine Sorgen vergaß. Zweifellos hatte der Feind diesen Tunnel nur angelegt, weil er seinen dunklen Zielen diente, doch die bauliche Leistung als solche beeindruckte Jake zutiefst.

Nach einer Weile begann der Stollen sanft anzusteigen, und nach weiteren dreißig Minuten erspähte Jake ein stecknadelgroßes Fleckchen Tageslicht am Ende des Tunnels. Zwanzig Minuten später hatten sie den Ausgang erreicht und befanden sich endlich wieder unter freiem Himmel; sie waren in einen Wald gelangt, den sie auf einer Forststraße durchquerten. Schließlich schlängelte sich die Straße einen Hügel hinauf, von dem aus Jake weit unterhalb die Lagune von Venedig sah. Bei dem Anblick konnte er einen leisen Seufzer nicht unterdrücken. Doch neben aller Anspannung spürte Jake noch etwas anderes, etwas Neues: die Vorfreude des in ihm erwachten Abenteurers.

Der Tross setzte seinen Weg fort, Richtung Norden, nach Bassano.

14

SCHLECHTE NACHRICHTEN

Es war ein strahlender, klarer Tag auf Mont Saint-Michel. Seit der Morgendämmerung waren die letzten Vorbereitungen für Océanes Geburtstagsfest im Gange, das am folgenden Abend im Prunksaal stattfinden würde.

Océane Noire war in Versailles am prunkvollen Hof Ludwigs XV. geboren worden, in einer Zeit, die geprägt war von unvergleichlichem Luxus, und Océane hatte jeden Moment dieser verschwenderischen Zeit in vollen Zügen genossen: die festlichen Bankette, die extravagante Kleidung, die täglichen Vollbäder in Jasminwasser und Rosenblüten.

Als dann die Französische Revolution ausbrach – nicht zuletzt als Auflehnung gegen Leute wie Madame Noire –, war Océane wenig erfreut, denn unpassenderweise fiel sie mitten in die Hochsaison der Debütantinnenbälle. Es ging das Gerücht, dass Marie Antoinettes berühmtes Zitat: »Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Brioche essen«, ursprünglich von ihr stammte, doch diejenigen, die Océane besser kannten, hielten dem entgegen, dass jemand wie sie solch feines Gebäck niemals an Leute »verschwendet« hätte, die damit nur ihren Hunger stillen wollten.

Während ein großer Teil des französischen Adels aus seinem Heimatland floh, harrten Océanes Eltern (einstmals hochgeschätzte Agenten, die mittlerweile ihren Ruhestand in Cap d’Antibes genossen) gemeinsam mit ihrer verzogenen Tochter in Frankreich aus; bis sich die Wogen schließlich wieder einigermaßen geglättet hatten und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts das vergleichsweise ruhige Zeitalter der Romantik anbrach.

Von da an war es nur noch bergab gegangen. Océane plagte das unerträgliche Gefühl, ein vollkommen durchschnittliches Leben zu führen. Sie sehnte sich nach jenen verschwenderischen Zeiten zurück und war deshalb wild entschlossen, ihr Geburtstagsfest (auch wenn sie nicht sonderlich erpicht darauf war, vierzig zu werden) in einer auf Mont Saint-Michel noch nie da gewesenen Pracht zu feiern.

Den ganzen Morgen über hatte sich ein nicht enden wollender Strom von Händlern vom Festland über die Insel ergossen, um das Festbankett mit ihren Waren zu bereichern: Floristen brachten Pfingstrosen und Rittersporn, Fleischhändler lieferten Fasane und Wachteln, Konditoren hatten feinste Pralinen, Nugat und Kaffee aus Paris im Gepäck.

Normalbürger bekamen das Innere des Schlosses nur selten zu sehen, weshalb die Lieferanten – obwohl sie unablässig recht geschäftig taten – neugierig Augen und Ohren weit offen hielten auf der Suche nach etwas, das sie auf dem Festland weitertratschen konnten. Natürlich wusste keiner von ihnen, was auf der Insel wirklich vor sich ging, dass sie das Hauptquartier des Geheimdienstes der Geschichtshüter war. Sie hielten Mont Saint-Michel für eine Kolonie von Malern und Schriftstellern, was ihrer Neugier aber nicht den geringsten Abbruch tat.

Die Bewohner wiederum taten das Ihre, um keinen Verdacht zu erwecken. Noch am Tag zuvor hatte Norland an alle ein von Jupitus Cole verfasstes Kommuniqué verteilt, in dem es hieß, dass sich wegen der Anwesenheit von Einheimischen jeder »ohne Ausnahme« dem frühen sechzehnten Jahrhundert gemäß zu kleiden habe. Und so hatte Signore Gondolfino seine Kostümschneiderei noch vor dem Morgengrauen geöffnet und war seither ununterbrochen auf den Beinen gewesen.

Im Prunksaal überwachte Océane Noire mit Argusaugen die Arbeit der Floristen, ihr Blick so hart und kalt wie die sündhaft teuren Diamanten an ihren Ohren. Als Rose Djones hereinkam, verschlug es ihr den Atem beim Anblick der prächtigen Festdekoration, und sie ging sofort hinüber zu Océane. »Ziemlich prächtig, die ganze Ausstattung und alles«, meinte sie. »Soll auch getanzt werden?«

Océanes Miene verfinsterte sich. »Du hast also vor, auch zu kommen?«

»Sind denn nicht alle eingeladen?«

»Heute Abend herrscht eine strikte Kleiderordnung, falls du es noch nicht gehört haben solltest«, gab Océane steif zurück.

»Ich müsste noch irgendwo das Gewand haben, das Olympe de Gouges mir geliehen hat. Ich hoffe, ich kann mich irgendwie hineinquetschen. Hmm, mit ein bisschen Nadel und Faden vielleicht …«

»Könnte höchstens passieren, dass du darin aussiehst wie ein Walross und dich entsprechend unwohl fühlst«, gab Océane zu bedenken.

Rose war klug genug, nichts ernst zu nehmen, das aus Océane Noires Mund kam, konnte sich ihrerseits aber eine kleine Stichelei nicht verkneifen. »Dafür, dass du heute deinen Fünfzigsten feierst, hast du dich erstaunlich gut gehalten.«

Océanes Gesicht wurde rot vor Zorn. »Comment?«

»Ich hoffe, ich sehe noch genauso gut aus wie du, wenn ich ein halbes Jahrhundert alt bin.«

»Quarante«, zischte Océane. »J’ai quarante ans! Vierzig.«

»Ach so«, erwiderte Rose und inspizierte die Fältchen im Gesicht ihres Gegenübers. »Dann habe ich mich wohl getäuscht.«

»A vrais dire, je suis très occupée. Ich bin sehr beschäftigt.« Océane drehte sich naserümpfend um und fragte in den Saal hinein: »Wo ist eigentlich Norland? Wir müssen die Speisekarte für heute Abend besprechen, und zwar immédiatement!« Sie versetzte einem Diener, der gerade in der Nähe stand, einen Schlag mit ihrem Fächer und stolzierte hinaus.

Rose verließ ebenfalls den Saal und stieg die Treppe hinauf. Sie musste sich ernsthafteren Dingen zuwenden. Spät in der vorigen Nacht war Charlies Meslith-Nachricht eingetroffen, dass Jake sich an Bord der Campana geschmuggelt hatte und mit den anderen nach Venedig gereist war. Rose hatte sofort gewusst, warum: Jake war ausgezogen, um seine Eltern zu finden. Natürlich hatte sie Angst um ihn, aber gleichzeitig war Rose auch unendlich stolz auf ihren Neffen. Sie selbst hätte in ihrer Jugend, als sie noch kräftiger war, nichts anderes getan.

Als sie Gallianas Suite erreichte, kam gerade Norland aus der Tür.

»Océane Noire sucht Sie. Ich glaube, es ist dringend«, ließ Rose ihn wissen.

»Dringend?«, fragte Norland mit einem ironischen Lächeln zurück. »Na, dann werde ich wohl erst mal ein ausgiebiges Bad nehmen, denke ich …« Dann lachte er laut los und verschwand in einem der Korridore.

»Galliana? Bist du da drin?«, fragte Rose, im Türrahmen stehend.

Olivia, die gerade ihr morgendliches Nickerchen gehalten hatte, spitzte schwanzwedelnd die Ohren, und Galliana trat aus dem Schlafzimmer. »Rose, danke, dass du gekommen bist. Ich habe eben erst eine Kanne Rauchtee aufgesetzt.«

Galliana holte ein Tablett mit Porzellantassen, und sie machten es sich auf den türkischen Sitzkissen im Schreibzimmer bequem. Die Glasvitrinen in dem Raum waren vollgestopft mit Kostbarkeiten, die Galliana während ihrer zahlreichen Reisen durch die Geschichte gesammelt hatte: lebensgroße Marmorbüsten, Miniaturstatuen aus Jade, kunstvolle Schachfiguren, wunderschöne Fächer vom spanischen Hof, bizarr geformte Stalaktiten, Dinosaurierfossile, konservierte Schmetterlinge und Käfer, Duelldegen und antike Dolche. Inmitten all dieser Kostbarkeiten saß Galliana im Schneidersitz, den Rücken aufrecht, den Blick voll gelassener Weisheit.

»Du bist der einzige Mensch, dem ich uneingeschränkt vertrauen kann«, sagte sie zu Rose und reichte ihr einen Teller mit süßem Gebäck.

»Echtes französisches Gebäck! Wie habe ich es nur ohne ausgehalten?« Rose bestaunte die köstlich aussehenden Teigwaren. Sie wollte schon nach einem Baba au Rhum greifen, überlegte dann kurz, ob sie nicht doch lieber das Montebianco nehmen sollte, und entschied sich schließlich für ein prall mit Crème Pâtissier gefülltes Millefeuille. »Eigentlich gehörten die Dinger als Suchtmittel verboten«, meinte sie schmatzend, nachdem sie einen riesigen Bissen davon verschlungen hatte. »Was ist eigentlich passiert?«

»Ich glaube, wir haben einen Spitzel in unseren Reihen«, antwortete Galliana ohne Umschweife.

Um ein Haar hätte Rose einen Hustenanfall bekommen und schaffte es gerade noch, den halb zerkauten zweiten Bissen hinunterzuschlucken. »Sprich weiter«, erwiderte sie ernst.

»Zu später Stunde letzte Nacht erhielt ich diese Nachricht von Agent Wylder.« Galliana reichte Rose ein Meslith-Kommuniqué.

»›Prinz Zeldt am Leben!‹«, las Rose entsetzt vor.

Galliana bedeutete ihr weiterzulesen.

»›Sie wussten, dass wir kommen. Möglicherweise Spion …‹ Das war alles? Ist ihnen etwas passiert?«