123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 26

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Die Nacht brach herein, als sich eine Kutsche durch schmale, steinige Serpentinen einen Berg hinaufmühte. Hoch oben auf der Spitze des Berges thronte ein Schloss, aus dessen Gemäuer sich bizarr geformte Türme gen Himmel reckten. In der Kutsche saß Friedrich von Bliecke, Felson lag schlafend zu seinen Füßen. Der Kommandant dachte über die Zukunft nach, über seine eigene Zukunft, und es waren düstere Gedanken, die er hin und her wälzte. Sein Auftrag hatte gelautet, in Venedig vier feindliche Agenten gefangen zu nehmen. Das war ihm nur zur Hälfte gelungen, und er wusste nur zu gut, dass ein unerfüllter Auftrag als Versagen aufgefasst werden würde.

Von Bliecke war nicht allein. Hinter der Kutsche befanden sich in einem mit Ketten und Schlössern gesicherten Anhänger, in nachtschwarzer Finsternis zusammengepfercht und fast umkommend vor Hunger, Nathan Wylder und Paolo Cozzo.

Nathan war kaum bei Bewusstsein. In jeder Kurve und bei jedem Stein, über den sie fuhren, rollte sein Kopf auf dem Boden des hölzernen Verlieses hin und her, während Paolo, dem seit zwölf Stunden das Entsetzen nicht mehr aus dem Blick gewichen war, durch einen kleinen Spalt nach draußen spähte.

»Wir fahren auf etwas zu!«, keuchte er atemlos. »Ich glaube, es ist ein Schloss. Es sieht schrecklich aus! Das war’s dann wohl. Dort werden sie uns dann umbringen!«

»Wenn sie vorgehabt hätten, uns zu töten«, krächzte Nathan, »hätten sie es bereits getan. Was sie mit uns vorhaben, ist, denke ich, schlimmer als der Tod.«

»Schlimmer als der Tod? Was in aller Welt könnte schlimmer sein als der Tod?« Paolo brauchte weniger als eine Sekunde, um selbst auf die Antwort zu kommen. »Doch nicht etwa Folter? Ihr meint, sie wollen uns foltern?«, fragte er verzweifelt.

»Ich würde auf Streckbank tippen. Das hoffe ich zumindest. Ein paar Dehnübungen würden mir guttun«, erwiderte Nathan und versuchte ein Grinsen.

Paolo schüttelte den Kopf. »Das ist wohl kaum die richtige Zeit für Scherze, Signore Nathan.«

»Wer hat denn gesagt, dass ich scherze?«

Langsam kroch die Kutsche weiter den Berg hinauf.

Im ersten Stock des Schlosses befand sich eine Bibliothek, ein endlos langer, finsterer Schlauch, angefüllt mit uralten Folianten. In jeder der finsteren Ecken dieses gespenstischen Raumes standen Statuen, lebensgroße Nachbildungen von Kriegern und Tyrannen, ihre mitleidlosen Mienen in kaltem Marmor verewigt. Zu beiden Seiten spendeten etwa alle zehn Meter offene Feuerstellen unheilvoll flackerndes Licht, dazwischen erstreckte sich ein langer Tisch aus schwerem Eichenholz.

An einem Ende der riesigen Tafel stand ein Thron, und darauf saß – blass und völlig regungslos – eine Gestalt. Über ihren Schultern hing ein langer Mantel aus seidig schimmerndem, schwarzem Pelz, von welchem dem Betrachter mindestens ein Dutzend toter Augenpaare entgegenstarrte. Unter dem Mantel zeigte sich ein ebenso schwarzes, mit dunkel glänzenden Edelsteinen überzogenes Wams aus Samt und Brokat, am Hals zusammengehalten von einer weißen Krause.

Mit einem Knarren öffnete sich die Tür am vorderen Ende, und von Bliecke trat ein. Gefasst schritt er auf den Thron zu, Felson gehorsam an seiner Seite. Als er vor seinem Herrn angelangt war, nahm er Haltung an und schlug die Absätze zusammen.

»Prinz Zeldt«, sagte er und neigte den Kopf. »Ich komme direkt aus Venedig.«

Auf den ersten Blick wirkte Zeldt beinahe wie ein Junge, zart und blass. Er hatte feine, farblose Gesichtszüge, trübe, wasserblaue Augen und silberblondes Haar. Doch das flackernde Licht der Kaminfeuer förderte ein anderes Bild zutage. Zeldt war schon sehr lange kein Jüngling mehr. Seine durchschimmmernde Gesichtshaut machte es unmöglich, sein wahres Alter zu bestimmen: Er mochte vierzig, fünfzig oder vielleicht noch älter sein.

Zeldt musterte von Bliecke mit ausdruckslosen Augen. »Die Gefangenen?«, fragte er mit klarer, eiskalter Stimme.

»Sie sind draußen.«

Der Prinz gab ein Zeichen, und ein Wächter brachte Nathan und Paolo herein, mit Ketten aneinandergefesselt. Paolo zitterte am ganzen Körper, nur Nathan wirkte – als Einziger im Raum – vollkommen entspannt.

Zeldt starrte sie mit kalter Miene an. »Nur zwei?«, fragte er. »Wo ist Mademoiselle St. Honoré? Hatte ich nicht hinreichend klargestellt, dass ihr unser Hauptinteresse gilt?«

»Mademoiselle St. Honoré konnte entkommen, Sir«, erwiderte von Bliecke mit einem Räuspern. »Zusammen mit Agent Chieverley. Es ließ sich nicht verhindern.«

Zeldt erhob sich. Er schritt auf Nathan und Paolo zu, ging einmal im Kreis um sie herum und begutachtete sie von allen Seiten.

Paolo wimmerte vor Angst, doch Nathan grinste Zeldt nur an. »’n Abend«, sagte er gedehnt. »Etwas warm hier drinnen, findet Ihr nicht?«

Zeldt ignorierte ihn und glitt wie ein dunkler Schatten auf von Bliecke zu. »Und was ist mit dem fünften Agenten?«, flüsterte er.

»Der fünfte?« Der Kommandant musste schlucken. »Nein, es waren vier. Der Auftrag lautete, vier Agenten abzufangen und gefangen zu nehmen.«

Der Prinz brachte ihn mit einem erhobenen Finger zum Schweigen. »Unser Informant auf Mont Saint-Michel übermittelte uns die Nachricht, dass sich dem Kommando ein weiterer Agent angeschlossen hat. Der junge Djones

Nathan und Paolo warfen sich einen verstohlenen Blick zu, während von Bliecke kalter Schweiß auf die Stirn trat.

»Doch offensichtlich ahntet Ihr nichts von dieser neuen Entwicklung«, fuhr Zeldt mit Grabesstimme fort. »Hättet Ihr Euren Auftrag zufriedenstellend erfüllt, hättet Ihr alle feindlichen Agenten abgefangen.«

Von Bliecke nickte ergeben. »Ihr habt selbstverständlich recht, Euer Hoheit. Der Fehler liegt ganz bei mir.«

Zeldts Gesichtsausdruck blieb einen Moment lang ungerührt, dann huschte ein Lächeln über seine Lippen. »Aber wie Ihr bereits sagtet: Es ließ sich nicht verhindern.«

Der Kommandant seufzte erleichtert. Er schien noch einmal ungeschoren davonzukommen.

Gemessenen Schrittes ging Zeldt auf eine schwere Metalltür zu, die aussah, als befinde sich dahinter ein Tresor. In der Mitte war ein Rad; es hatte die Form einer sich windenden Schlange. Zeldt drehte daran wie an einer Kurbel. Mit einem dumpfen Klicken öffnete sich ein Riegel, und die Tür schwang auf. Hinter ihr lag eine kleine Kammer.

»Ihr seid den ganzen Tag gereist und müsst sehr erschöpft sein. Das Abendessen wird hier drinnen serviert«, sagte er und bedeutete von Bliecke einzutreten.

Der Kommandant nickte beflissen und eilte, Felson immer noch an seiner Seite, auf die offenstehende Tür zu. »Danke, vielen Dank. Mir werden keine weiteren Fehler unterlaufen, das schwöre ich.«

»Der Hund kann bleiben.«

Von Bliecke wurde kreidebleich. »Sir?«

»Der Hund. Lasst ihn hier.«

»Ja … selbstverständlich.« Von Bliecke fuhr sich mit der Hand über die Stirn und blickte ängstlich auf Felson hinab. Er bückte sich kurz, streichelte seinem Hund mit der vernarbten Hand über den Kopf und nickte ihm zu. Felson begann zu winseln, doch sein Herr war bereits durch die Tür geschritten.

Die dahinterliegende Kammer schien leer zu sein.

»Auf der anderen Seite befindet sich ein Ausgang«, erklärte Zeldt mit einem rätselhaften Lächeln, dann schloss er die Tür und drehte wieder an der Schlangenkurbel, bis der Riegel einschnappte.

Zitternd stand von Bliecke da, von undurchdringlicher Finsternis umgeben. Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell und immer noch schneller, dann hörte er das Knirschen von Stein auf Stein, mit dem sich die Rückwand der Kammer öffnete und den Blick auf einen weiteren, kaum beleuchteten Raum freigab. Vorsichtig trat der Kommandant näher und spähte in die Dunkelheit.

»Gott steh mir bei …«, flüsterte er mit bebender Stimme, als er den Abgrund erblickte, der zu seinen Füßen gähnte. Er hatte von diesem Ort des Schreckens gehört, war aber stets davon ausgegangen, dass es sich um ein Gerücht handelte, mit dem Zeldt seine Soldaten gefügig machte. Von Bliecke stand auf einem schmalen Sims, etwa auf halber Höhe an einer Wand, von der er auf einen sich weit verzweigenden Irrgarten aus morschen Treppen und Geländern blickte, deren Anordnung sich jeglicher Logik entzog: Kreuz und quer führten sie nach links, rechts, oben, unten, um auf halbem Weg in einem unmöglichen Winkel die Richtung zu wechseln. Manche Treppen sahen sogar aus, als stünden sie auf dem Kopf. Auf der gegenüberliegenden Seite, am anderen Ende des Labyrinths, glaubte von Bliecke einen schwachen Lichtschimmer zu erkennen. Das, sagte er sich, musste der Ausgang sein, von dem Zeldt gesprochen hatte. Es war ohnehin seine einzige Chance, auch wenn er klug genug war, um zu wissen, dass diese Chance kaum größer als null sein durfte.

Wie in Zeitlupe setzte er einen Fuß auf die Treppenstufe direkt vor ihm.

Die optische Täuschung war perfekt: Die Stufe war keine Stufe, oder sie war es doch, aber der Winkel, in dem sie sich, für das Auge unsichtbar, dem Abgrund entgegenneigte, bot von Blieckes Stiefel keinen Halt, und alles, was er unter seinem Tritt spürte, war luftleerer Raum. Er fiel, zehn Meter, vielleicht auch zwanzig, und schrie vor Schmerz, als seine Knöchel unter dem harten Aufprall zersplitterten.

Als er sich aufrichten wollte, sah er drei Schlangen, jede davon so dick wie sein eigener Oberschenkel, die sich züngelnd auf ihn zu bewegten. Ihre Köpfe schossen nach oben, und sie rissen ihre geifernden Kiefer auf.

Kurz darauf lauschte Zeldt in der Bibliothek von Blieckes Todesschreien. Felson zitterte wie Espenlaub, und Paolo schien der Ohnmacht nahe.

Als die Schreie schließlich erstarben, nahm der Fürst wieder auf seinem Thron Platz. »Womöglich verstand er mich miss, als ich sagte, das Abendessen werde auf der anderen Seite serviert … Er war das Abendessen.« Sein Blick wanderte zu Nathan und Paolo. »Das Leben, es ist flüchtig wie der Moment«, philosophierte er mit nachdenklicher Stimme. »Man sollte jeden einzelnen davon in vollen Zügen genießen.«

»Da wir gerade dabei sind, einander Ratschläge zu erteilen«, sagte Nathan in die entstandene Stille hinein, »der Agent, der Eurem Büttel durch die Lappen gegangen ist – er ist mit Abstand der beste, den die Welt je gesehen hat. Euer Schicksal ist besiegelt – nehmt Euch Eure eignen Worte zu Herzen und genießt die Zeit, die Euch noch bleibt.«

Zeldt lächelte dünnlippig und erteilte dem Wächter seine weiteren Befehle. »Bringt sie unter den Berg. Werft sie ins Verlies.«

Paolo begann unkontrolliert zu schluchzen, während der Wächter sie davonzerrte, und Nathan rief über die Schulter zurück: »Ihr glaubt mir nicht? Wartet’s nur ab. Jake Djones ist der Phoenix, neben dem alle anderen Agenten der Geschichtshüter verblassen wie harmlose Fünkchen, und er wird kommen, um Euch zu holen. Seid gewarnt: Er ist schnell wie der Wind, gerissen und erbarmungslos wie ein hungriges Raubtier!«

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