123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 32

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 32

Schüchtern blickte das Mädchen auf. Als sie Mr Drake sah, ließ sie vor Schreck ihr halb gerupftes Huhn fallen und sprang mit einem gellenden Schrei auf die Füße. Der Papagei, nun seinerseits zutiefst erschrocken, schlug wild mit den Flügeln und begann, ebenfalls ein wildes Gekreische anzustimmen. Das Schreiduell dauerte ein paar Sekunden an, dann schien das Mädchen zu begreifen, dass der seltsame Vogel harmlos war, und ihre Angst löste sich in einen lauten Lachanfall auf.

Charlie hob das Huhn vom Boden auf, machte es sauber und legte es auf den Schemel. Dann begann er, sie so charmant und geschickt auszufragen, dass die Informationen nur so aus ihr heraussprudelten. Die Unterhaltung wurde immer wieder von verlegenem Kichern unterbrochen, und als das Mädchen auch noch anfing, mit ihren Locken zu spielen, tauschten Jake und Topaz einen vielsagenden Blick aus.

»Unser Charlie ist heute mal wieder in Hochform«, kommentierte Topaz. »Mr Chieverley ist der unangefochtene Experte, wenn es darum geht, jemandem seine tiefsten Geheimnisse zu entlocken.«

Nachdem er das kleine Verhör beendet hatte, kam Charlie zurück zu den anderen gelaufen. »Ich habe gute und schlechte Neuigkeiten«, verkündete er aufgeregt. »Die junge Dame da drüben – Heidi heißt sie übrigens – war äußerst auskunftswillig.«

»Ist uns aufgefallen«, erwiderte Jake mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Was die Haartracht betrifft«, warf Topaz schelmisch grinsend ein, »dürfte es selbst unter allen Engeln des Himmels kein schöneres Paar geben als euch beide.«

Charlie errötete leicht und sprach rasch weiter: »Nun, wie dem auch sei … die schlechte Nachricht ist: Das Gespann, das wir zuvor gesehen haben, brachte die letzte Lieferung für die nächsten Tage. Anscheinend haben sie astronomische Mengen bestellt – hundert Fasane, dreißig Kisten Trüffeln, fünfzig Fässer Honigwein und so weiter.«

»Scheint sich um eine größere Festlichkeit zu handeln«, überlegte Topaz laut. »Und die gute Nachricht?«

»Den Dorfbewohnern wurde mitgeteilt, dass sie ab morgen kurz nach Sonnenaufgang mit bis zu dreißig Gruppen hochrangiger Besucher rechnen sollen«, antwortete Charlie. »Aus Portugal, Frankreich, Flandern, Griechenland, sogar aus Kleinasien …«

»Die Teilnehmer der Superia-Konferenz!«, rief Topaz.

»Und sie werden Erfrischungen brauchen, bevor sie sich auf den Weg hinauf zum Schloss machen, der anscheinend mörderisch anstrengend ist.«

»Das ist unsere Chance«, überlegte Topaz. »Irgendwie mischen wir uns unter eine dieser Gruppen. Wir haben noch Zeit bis zum Morgengrauen, um uns einen Plan auszudenken.«

»Bis zum Morgengrauen?«, fragte Jake entsetzt. »Das sind nur noch zwölf Stunden!«

»Acht, um genau zu sein«, korrigierte Charlie.

»Aber bis zur Apokalypse bleiben uns nicht mal mehr eineinhalb Tage«, beharrte Jake. »Sollten wir uns nicht besser gleich was einfallen lassen?«

»Wir alle sind besorgt«, widersprach Topaz mit genauso ruhiger wie fester Stimme, »aber wir haben nur diese eine Chance, und die müssen wir nutzen. Wir dürfen nicht versagen.«

Jake nickte stumm.

»Und um zu etwas Erfreulicherem zu kommen: Im Ort gastiert gerade ein Wandertheater. Heute Abend spielen sie auf der Dorfwiese König Ödipus von Sopho …«

»Oh, eine griechische Tragödie! Na, wenn uns das nicht ein wenig aufheitert«, unterbrach Topaz mit einem ironischen Lächeln.

Sie mieteten sich für die Nacht im Gasthaus ein, und der sonnengebräunte Wirt brachte sie nach oben. Vor ihrem Zimmerfenster stand ein kleiner Topf mit wilden Blumen, ansonsten war die Möblierung eher spärlich und wirkte etwas klapprig, aber zum Frischmachen war alles da, was sie brauchten. Nachdem sie etwas zu Abend gegessen hatten und die Sonne untergegangen war, begannen die Dorfbewohner mit Kerzen bewaffnet aus ihren Häusern zu strömen und machten sich auf den Weg zu der Lichtung am Rheinufer, wo die Vorführung stattfinden würde. Die drei jungen Agenten waren ganz erpicht auf etwas Ablenkung von ihren Sorgen und folgten, ein wenig abseits, dem Zuschauerstrom. Auf einer Wiese war eine einfache Bühne errichtet worden, zu beiden Seiten von Fackeln beleuchtet. Die Rückseite der Bühne war mit einfarbigen Stoffbahnen abgehängt, hinter denen sich die Schauspieler umzogen. Rechts davon warteten drei Musikanten mit Geigen und Trommeln auf einer Bank schon auf ihren Einsatz.

Charlie war absolut hingerissen. »So sahen also die Anfänge des Showbusiness aus!«, sagte er und deutete mit überschwänglicher Geste nach oben. »Nichts als eine nackte Bühne, die Worte der Akteure und darüber das Himmelszelt.«

Topaz sah zwei Dorfbewohnerinnen, die durch das Gewimmel in ihre Richtung kamen. Es waren Heidi, die hilfsbereite Rothaarige, und ihre Freundin, ein Mädchen mit Pferdegebiss und einem Dauergrinsen im Gesicht. Heidi flirtete ausgiebig mit Charlie, kitzelte ihn zum Abschied am Kinn und mischte sich dann wieder unters Volk.

»Charlie Chieverley, je suis impressionnée. Die weibliche Dorfbevölkerung liegt dir zu Füßen, wie man sieht«, kommentierte Topaz.

»Sie haben mich nur nach Mr Drake gefragt, das ist alles«, gab Charlie sichtbar beschämt zurück. »Ich habe ihnen erklärt, dass er gerade ein Nickerchen hält.«

Ein Trommelwirbel erklang, und die Schauspieler betraten in griechische Gewänder gehüllt die Bühne. Ehrfürchtige Stille senkte sich übers Publikum, und das Stück begann.

Jake war wie hypnotisiert. Das Drama wurde zwar auf Deutsch aufgeführt und er verstand die Feinheiten der Handlung nicht (Charlie hatte nur erklärt, dass es um einen Mann ging, der, ohne es zu wissen, seine eigene Mutter heiratete und seinen Vater tötete), aber die Schauspieler sprachen ihren Text mit solcher Eindringlichkeit, ihre Bewegungen waren so grazil und gleichzeitig ausdrucksstark, die von den Fackeln erleuchteten Gesichter von solcher Leidenschaft erfüllt, dass er sich dem Zauber der Aufführung nicht entziehen konnte. Eine Stunde verging wie im Flug. Wort für Wort hing das Publikum an den Lippen der Darsteller, manchmal schweigend, manchmal aufgeregt rufend, immer untermalt vom Spiel der Musikanten.

Jake blickte Topaz an, die mit leuchtenden Augen das Stück verfolgte. Ohne den Blick von der Bühne zu wenden, ergriff sie seine Hand und hielt sie fest umschlossen. Jakes Herz schlug höher – die Schauspieler in den griechischen Kostümen, der Mond über dem Rhein, die gefährliche Aufgabe, die vor ihnen lag, alles verwob sich in dieser warmen Sommernacht zu reinster Magie.

Nachdem das Stück zu Ende war und die Schauspieler sich verneigt hatten, betraten die Musikanten die Bühne. Der Geiger stampfte dreimal mit dem Fuß, dann ging es los. Jubelnd sprang mindestens die Hälfte der Dörfler von ihren Sitzplätzen auf, und sie begannen zu klatschen und ausgelassen zu tanzen. Da tauchten auch Charlies Bewunderinnen wieder auf und zogen ihn auf die Tanzfläche.

»Nein, kommt nicht infrage«, protestierte er. »Ich kann nicht tanzen. Zwei linke Füße, tut mir leid«, erklärte er und schaute entschuldigend zwischen den beiden hin und her, nur um sich gleich darauf in den Reigen einzureihen.

Mit einem breiten Grinsen beobachteten Jake und Topaz das festliche Treiben. Mittlerweile hatten sich so gut wie alle Dorfbewohner unter die Tanzenden gemischt. Freudig rufend tanzte Jung mit Alt, und ein Paar erregte Jakes ganz besondere Aufmerksamkeit: Ein junger Dorfbursche, der aussah, als hätte er den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet, tanzte mit einer barfüßigen älteren Dame im piekfeinen Ballkleid. Die Bewegungen der beiden harmonierten perfekt, sie lachten und trugen abwechselnd die kompliziertesten Tanzschritte zur Schau.

Jake blickte Topaz unsicher an und öffnete den Mund. Eigentlich wollte er sie zum Tanz auffordern, doch stattdessen hörte er sich sagen: »Ziemlich eingängige Melodie, findest du nicht?«

Topaz nickte nur knapp, und Jake wäre wegen seines dämlichen Kommentars am liebsten im Boden versunken. Kurz entschlossen unternahm er einen zweiten Anlauf: »Würde es dir etwas ausmachen, wenn du mit mir …«

Doch es war bereits zu spät. Ein groß gewachsener Jüngling hatte sich vor Topaz in Pose geworfen und hielt ihr elegant die Hand hin. Er hatte langes blondes Haar, trug ein legeres Cape über den Schultern, und an einem Ohr prangte ein mit einem Diamanten besetzter Ohrstecker. Zwei seiner genauso jugendlich frisch aussehenden Freunde, die ebenfalls, wenn auch nicht ganz so legere, Capes über den Schultern trugen, beobachteten gespannt, ob er Erfolg haben würde.

Topaz blickte den Galan lächelnd an. Zu Jake sagte sie: »Es macht dir doch nichts aus, oder?«

»Überhaupt nicht«, log er und schüttelte dabei ein wenig zu eifrig den Kopf.

Schon verschwand Topaz mit ihrem Verehrer im Reigen der Tanzenden. Anfangs schienen ihr die Schritte noch Schwierigkeiten zu bereiten, doch sie hatte den Bogen schnell raus und baute nach einer Weile sogar selbst erdachte Kombinationen ein, die Jakes Herz höherschlagen ließen. Die zwei sahen einfach umwerfend aus, sie waren eindeutig das Paar des Abends, und die beiden anderen Jünglinge bedachten ihren Freund verstohlen mit bewundernden und neidischen Blicken.

»Ziemlich eingängige Melodie«, wiederholte Jake für sich und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. »Was Bescheuerteres ist mir wohl nicht eingefallen!«

Er stand auf und ging hinüber zum Fluss, der lautlos und majestätisch dahinströmte. Der Anblick erinnerte ihn an die Dordogne in Frankreich, wo er mit seiner Familie vor drei Jahren im Urlaub gewesen war. Damals war er elf gewesen, sein Bruder Philip vierzehn, so alt wie er selbst jetzt.

Eines Tages während jenes Urlaubs war Philip zu einem Kanutrip aufgebrochen, und Jake hatte gebettelt, mitkommen zu dürfen. Philip hatte zunächst gezögert, besorgt, ob sein kleiner Bruder schon gut genug mit einem Kanu umgehen konnte, aber dann doch eingewilligt. Es war ein stiller, heißer Morgen gewesen, und der Fluss anfangs noch vollkommen ruhig. Doch schon eine Stunde später waren über den Bergen schwarze Wolken aufgezogen. Dann war, begleitet von sintflutartigen Regenfällen, ein Gewitter losgebrochen, das den Fluss innerhalb von Minuten zu einem reißenden Strom hatte anschwellen lassen.

»Ich paddle lieber ans Ufer!«, schrie Jake.

»Nein, auf keinen Fall!«, brüllte Philip zurück. »Bleib in der Mitte, alles andere ist viel zu gefährlich!«

Doch Jake befolgte den Rat seines Bruders nicht und drehte sein Kanu gegen die Strömung. Ein Schwall schäumenden Wassers brachte es sofort zum Kentern, Jake fand sich in den reißenden Fluten wieder und wurde von der Strömung nach unten gezogen.

Philip zögerte keinen Moment. Er sprang ins Wasser, kämpfte sich an Wirbeln und Strudeln vorbei, bis er seinen Bruder erreicht hatte und ihn an Land ziehen konnte. Gemeinsam krochen sie ans Ufer und versuchten, wieder zu Atem zu kommen.

Jake schämte sich zutiefst, dass er seinen Bruder so enttäuscht hatte. »Tut mir leid«, sagte er leise.

Doch Philip legte ihm nur lächelnd einen Arm um die Schulter. »Wenn der Fluss so reißend wird, dann paddle einfach mit dem Strom. Wenn eine Welle auf dich zukommt, fährst du direkt hinein, auch wenn es wie das Blödeste klingt, das man in so einem Moment tun könnte. Verstanden?«

Jake nickte und zeichnete betreten mit dem Finger Muster auf seine an den Schenkeln klebende Hose. »Und jetzt nimmst du mich nie wieder mit, oder …?«

»Machst du Witze? Das nächste Mal fährst du voraus. Du bist mein Bruder, und ich werde immer auf dich aufpassen, schon vergessen?«, erwiderte er und zerzauste Jakes nasse Locken.

Dieser Urlaub an der Dordogne war der letzte gewesen, den sie gemeinsam verbracht hatten. Im Winter desselben Jahres war Philip verschwunden.

Plötzlich hörte Jake einen Ruf vom Fluss.

»Sieh mal«, sagte Topaz, die plötzlich neben ihm auftauchte und auf ein großes Schiff deutete, das den Fluss entlangsegelte. Auf dem Deck blinkten Laternen, und die Mannschaft winkte den Dorfbewohnern am Ufer zu.