123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 36

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 36

Jake lehnte sich aus dem Fenster und sah, wie sich etwas zwischen den Bäumen bewegte. Angestrengt versuchte er, in dem düsteren Wald etwas zu erkennen, doch es war nur der Wind, der mit den Blättern spielte.

Dann sah er es: ein Schatten, der von Baum zu Baum huschte.

Charlie hatte es im selben Moment entdeckt und ließ vor Schreck die Zügel fallen.

Mit vom feuchten Moos gedämpften Schritten huschte die Gestalt lautlos durch den Wald. Sie trug einen schwarzen Spitzhut, und ihre schwarze Robe blähte sich flatternd im Wind. Etwa fünfzig Meter vor ihnen sprang sie auf die Straße, den Rücken zu ihnen gewandt.

Jake reckte den Hals, um mehr erkennen zu können. Er hatte schon öfter Leute in ganz ähnlichen Kostümen gesehen – an Halloween –, aber das hier war etwas anderes: Das Wesen vorn auf der Straße wirkte irgendwie echt. Sein Umhang war zerrissen und dreckig, sah aber nach feinem Tuch aus, in das, in noch tieferem Schwarz, komplizierte Muster und Symbole gestickt waren.

Regungslos stand die Kreatur da, während die Pferde ängstlich schnaubten und mit den Hufen stampften.

Topaz lockerte den Dolch an ihrem Gürtel, und Charlie zog verstohlen sein Schwert.

Langsam drehte das Geschöpf den Kopf. Sein Gesicht – zumindest das, was davon zu erkennen war – war auf unheimliche Art hässlich und schön zugleich. Die durchschimmernde, blasse Haut war von feinen, quecksilberblauen Adern durchzogen.

Für einen Sekundenbruchteil hatte Charlie Augenkontakt, dann jagte die Kreatur wieder davon. Wie an einem unsichtbaren Faden gezogen, schwebte sie mit atemberaubender Geschwindigkeit zwischen den Bäumen hindurch, um in einiger Entfernung neben zwei weiteren dieser schattenhaften Erscheinungen stehen zu bleiben. Alle drei warfen der Kutsche noch einen letzten Blick zu, dann verschwanden sie endgültig.

Die Agenten atmeten erleichtert auf. Charlie und Topaz steckten ihre Waffen wieder ein.

»Man muss keine Angst vor ihnen haben. Im Grunde genommen sind sie nicht mehr als ein bisschen aufgepeppte Vogelscheuchen«, kommentierte Charlie und versuchte, so unbeeindruckt wie möglich zu klingen, auch wenn sein Puls immer noch raste.

»Vogelscheuchen?«, fragte Jake.

»Ein Trick aus dem frühen Mittelalter. Geht auf reiche Grundbesitzer zurück, die Schauspieler engagiert haben, damit sie ungebetene Gäste fernhalten.«

»Trotzdem wäre es mir lieber, wenn es bei diesem einen kleinen Auftritt bliebe«, erwiderte Jake.

Je näher sie der Spitze des Berges kamen, desto steiler wurde die Straße, und es wurde merklich kälter. Jake blickte aus dem Fenster und sah den gähnenden Abgrund neben der Straße. Immer wieder kullerten Steine über den Rand und verschwanden tief unter ihnen im Nebel. Zu allem Überfluss wollten sich die Pferde seit dem kurzen Zwischenfall einfach nicht mehr beruhigen, und Charlie musste alle Register ziehen, um sie bei Laune zu halten. Doch sosehr er sich auch bemühte, möglichst fröhlich und unbesorgt zu wirken – auch er konnte seine stetig steigende Anspannung nicht verbergen.

Als sie schließlich die letzte Serpentine hinter sich gelassen hatten, ragte vor ihnen Schloss Schwarzheim auf in seiner ganzen schauerlichen Pracht. Zeldts Festung war ein gigantisches Mosaik aus sich in den wolkenverhangenen Himmel schraubenden Rondellen und Türmen und Treppen, das Mauerwerk so massiv, als wäre es aus dem Fels selbst gewachsen. An einem der Türme sah Jake eine ganze Menagerie von fantastischen Wasserspeiern: Drachen, zweiköpfige Gorgonen und Affen, die Mäuler wie tollwütig aufgerissen zu einem tonlosen Schrei. Der Anblick erinnerte ihn an eines seiner Lieblingsbilder, ein Gemälde aus der hochviktorianischen Zeit, auf dem eine Gruppe Reiter unter einem stürmischen Himmel auf eine düstere gotische Festung zugaloppierte.

Die Pferde mühten sich über die letzten Meter der Steigung, bis sie endlich durch einen Torbogen auf den großen Schlosshof gelangten.

Von einer gespannten Nervosität erfasst, sog Jake alles in sich auf: den Anblick der Kutschen, die vor ihnen angekommen waren, den Kontrast, den ihre kräftigen Farben mit dem stumpfen Grau der Granitmauern bildeten, die fein gekleideten Passagiere, die sich von den in rote Kutten gehüllten Schlossdienern heißen Gewürzwein in Zinnbechern reichen ließen, ohne ihnen dabei auch nur die geringste Beachtung zu schenken.

»Irgendwie seltsam, dass sie ganze Familien eingeladen haben«, sagte Topaz und deutete auf eine der anderen Kutschen, aus der gerade ein junges Ehepaar, begleitet von zwei schmollgesichtigen Töchtern und einer ältlichen Dame – offensichtlich die Großmutter der beiden Mädchen –, ausgestiegen war. Die alte Matrone überwachte das Entladen der Kutsche und nahm die neue Umgebung kritisch in Augenschein.

Charlie hatte während der Fahrt bereits Gelegenheit gehabt, sich an die Kälte zu gewöhnen, Jake und Topaz jedoch bemerkten den dramatischen Temperatursturz erst, als sie den gepflasterten Innenhof betraten. Die Luft fühlte sich an, als wäre es Winter, vereinzelt fielen sogar ein paar Schneeflocken.

»Willkommen auf Schloss Schwarzheim, edle Herrschaften«, begrüßte sie eine Stimme auf Englisch. Sie gehörte einer blauäugigen teutonischen Schönheit, deren Lächeln genauso streng war, wie die stramm geflochtenen Zöpfe um ihr Haupt. Unwillkürlich überprüfte Jake den Sitz seines falschen Bartes, während sie weitersprach: »Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise, Mikhail und Irina Volsky … so lauten doch Eure Namen, nicht wahr?«

»Woher wusstet Ihr das?«, fragte Topaz zurück.

»Ich habe das Wappen auf Eurer Kutsche gesehen«, gab das Mädchen knapp zurück. »Euch wurde die Charlemagne-Suite im Ostturm zugeteilt. Das Dinner wird um sieben Uhr im Bankettsaal serviert. Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt.«

Als eine weitere Kutsche in den Schlosshof gefahren kam, bedachte die Teutonin sie mit einem letzten falschen Lächeln und ging. Jake und Topaz blickten ihr nach.

»Herzig«, kommentierte Jake, noch ganz verwirrt von der unterkühlten, selbstbewussten Erscheinung.

»Wie eine Schlangengrube«, ergänzte Topaz.

»Seht nicht gleich hin«, mischte Charlie sich ein, während er sich daran machte, das Gepäck von der Kutsche zu laden, »aber da drüben ist noch eine Schlangengrube. Auf elf Uhr.«

Jake und Topaz drehten sich beiläufig um und sahen eine Gestalt von einem leicht erhöhten Balkon auf den Innenhof hinunterblicken: Mina Schlitz, die mit kaltem Blick alles beobachtete.

»Die macht mir keine Angst«, murmelte Topaz. »Alles nur Fassade …«

Topaz und Jake wurden zum Schloss geführt, Charlie hinterher, voll und ganz damit beschäftigt, die Stapel von Koffern zu balancieren, seine Gedanken bei Mr Drake, der in einer der Kisten hin und her geschüttelt wurde, und da geschah es: Seine Konzentration ließ einen Moment lang nach, er stolperte, und alles fiel zu Boden.

Zwei Schlossdiener eilten ihm zu Hilfe, und Jake konnte nicht widerstehen, Charlie ein wenig aufzuziehen. »Er ist neu, und wir müssen ihn erst noch richtig einarbeiten. Es ist heutzutage verflucht schwierig, gutes Personal zu finden.«

Charlie schüttelte nur den Kopf und zischte unter zusammengebissenen Zähnen hervor: »Ich habe diese Rolle freiwillig übernommen und glaube doch etwas mehr Respekt verdient zu haben.«

Sie gingen die Treppe zum Haupteingang hinauf, als Topaz plötzlich stehen blieb. »Einen Moment«, keuchte sie und ergriff Jakes Arm. Ihr Gesicht war kreidebleich, die Augen rollten nach oben, dann sank Topaz mit flatternden Lidern in Jakes Arme.

»Topaz!«, rief Jake.

Alle auf dem Schlosshof schauten in ihre Richtung, und besorgte Diener eilten herbei.

»Du meinst Irina«, flüsterte Charlie, der bemerkt hatte, wie Mina Schlitz sie vom Balkon aus genau beobachtete.

Topaz kam wieder zu sich und machte sich von Jake los.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ja, natürlich. Es ist nur die Höhe, das ist alles«, gab sie fröhlich zurück. »Wollen wir …?« Mit diesen Worten nahm sie die letzten Stufen und verschwand durch den Eingang, als wäre nichts geschehen.

Der Vorfall beunruhigte Jake, aber er fing sich schnell und war wieder ganz der kühle Geschäftsmann.

Sie fanden sich in einer fürstlichen Eingangshalle wieder. Über zahllose Treppen wurden die ankommenden Gäste zu ihren Suiten geführt, und Jake kam sich vor wie in der geschäftigen Lobby eines Schweizer Nobel-Skihotels – bis auf die Tatsache natürlich, dass alle Anwesenden Kleidung des frühen sechzehnten Jahrhunderts trugen und Skifahren noch gar nicht erfunden war. Auf jeder Seite der Eingangshalle brannte ein großes Feuer, jeder Quadratzentimeter der Wände um sie herum war mit Geweihen, ausgestopften Bärenköpfen und ähnlich makabren Jagdtrophäen gepflastert.

»Wie überaus reizend«, kommentierte Charlie. »Der Anblick dieser toten Tiere macht mir unseren Gastgeber doch gleich viel sympathischer …«

Aber es ging noch weiter: In einer Ecke standen zwei Sofas mit Gestellen aus ausladenden Hirschgeweihen, von kleinen Podesten starrten sie ausgestopfte Adler, Falken und Habichte an, und der Steinboden war übersät mit Bärenfellen.

Jake, Topaz und ihr »Knecht« ließen sich von einem der Kuttenmänner die breite Haupttreppe hinaufführen. Über zahllose Korridore und weitere Stufen gelangten sie schließlich zu einer großen Doppeltür, hinter der die Charlemagne-Suite lag.

Die drei mussten sich gehörig zusammenreißen, um sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen. Die Suite war atemberaubend: Sie erstreckte sich über das gesamte oberste Stockwerk eines der Rondelle, war mit erlesensten Möbeln und Gobelins ausgestattet.

»Dort drüben ist etwas heiße Schokolade, falls sich die Herrschaften ein wenig aufwärmen wollen«, sagte der Diener mit eisig kalter Stimme und deutete auf einen Servierwagen mit einer dampfenden Kanne und zwei Tassen darauf. »Ein heißes Bad steht ebenfalls bereit. Das Dinner wird um sieben serviert.«

Diese Informationen richteten sich natürlich nur an Jake und Topaz. Charlie wartete mit gesenktem Haupt an der Tür.

Mit einem Nicken entfernte sich der Diener im Rückwärtsgang und schloss die Tür hinter sich.

Charlie stellte sofort sämtliche Gepäckstücke ab und entließ Mr Drake aus seinem mit Seide ausgepolsterten Gefängnis. Der Papagei stieß ein heiseres Krächzen aus und drehte eine Runde um den Kronleuchter an der Decke, um seine tauben Flügel ein wenig zu strecken.

»War es wirklich nur die Höhe?«, fragte Jake, erleichtert darüber, seine Maske für den Moment fallen lassen zu können.