123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 42

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 42

Sie hörten genauer hin: Es war eine Art Scharren oder Kratzen, unglaublich leise, aber es war da.

»Ausgerechnet die leisesten Geräusche beunruhigen einen am allermeisten«, wisperte Charlie nervös.

»In dieser Kiste da ist ein Sprung«, hauchte Topaz und deutete auf einen anderen Container, auf dessen Seite knapp unter der Oberkante ein kleiner Spalt zu erkennen war.

»Ich seh’s mir mal an«, erklärte Jake und grinste Charlie an. »Was kann schon passieren? Dass eine Tentakel aus dem Spalt kriecht und mich erwürgt? Komm, hilf mir.«

»Ich glaube, der alte Ich-kann-doch-nicht-einfach-ohne-meine-Tante-verreisen-Jake war mir lieber«, erwiderte Charlie und machte eine Räuberleiter. »Was meinst du, Topaz?«

»Eigentlich, finde ich, war Jake von Anfang an sehr mutig«, antwortete Topaz lächelnd. »Das ist es, was mir so an ihm gefällt.«

Topaz’ Bemerkung verlieh Jake regelrecht Flügel, und er kletterte mühelos an der Außenwand des Containers hinauf, bis er auf der Höhe des Spalts war.

»Sei vorsichtig«, warnte Topaz, denn Jake befand sich jetzt in gut drei Metern Höhe.

»Kannst du schon irgendwas erkennen?«, fragte Charlie.

»Ich rieche was«, erwiderte Jake. »Stinkt wie in der Tierhandlung in Lewisham, die das Gesundheitsamt schließen ließ. Wartet, ich kletter noch ein bisschen höher rauf.« Er griff mit der Hand in den Spalt und zog sich nach oben, um bis auf den Boden des Containers sehen zu können.

Da brach der Spalt, in den Jake mit der Hand gefasst hatte, splitternd zu einem großen Loch auf – Jake konnte sich gerade noch halten, indem er sich mit der anderen Hand am oberen Rand der gigantischen Kiste festhielt – und im Inneren des Containers wurde es nun richtig laut. Jake sah, wie der Boden sich bewegte. Wie Wellen schien etwas darin hin und her zu schwappen, nein, es waren Ratten, die auf der Innenseite der Holzwand emporkletterten und sich durch das Loch über Jakes Kopf, Arme und Schultern ins Freie stürzten.

Lähmendes Entsetzen erfasste Jake. Er hasste Ratten, wenn er sie nur sah, und das hier war tausendmal schlimmer: Dicke, fette Ratten, die Schwänze mindestens genauso lang wie der Körper, krabbelten ihm übers Gesicht, verfingen sich in seinen Haaren. Beinahe hätte er aus vollem Hals losgeschrien, aber er schaffte es irgendwie, seine Panik zu unterdrücken.

Charlie und Topaz sahen, wie der Strom aus widerlichen Nagern sich in den Gang ergoss, aus dem sie gerade gekommen waren.

»Sie werden uns entdecken«, flüsterte Charlie. »Du musst das Loch verschließen, sofort!«

Jake versuchte, den herausgebrochenen Splitter wieder einzusetzen, aber es ging nicht: Die Flut von Ratten war nicht mehr aufzuhalten. Da spürte er einen langen, haarlosen Schwanz zuckend über seinen Mundwinkel streichen, und für einen Sekundenbruchteil berührte die Spitze sogar seine Zunge. Ein weiterer Nager rutschte in den Kragen seines Hemdes, wo er sich, kratzend und beißend, wieder freizukämpfen versuchte.

Das war zu viel für Jake. Er stieß einen markerschütternden Schrei aus und ließ los, doch selbst nachdem er auf dem Boden aufgekommen war, regneten die Ratten weiter auf ihn herab, und Jake schrie und schrie.

Topaz hörte heraneilende Schritte. Sie drehte sich um und sah, wie die Wachen mit gezückten Schwertern auf sie zugestürmt kamen. Sofort waren sie umzingelt, und den Agenten blieb nichts anderes übrig, als ihre Waffen fallen zu lassen und die Hände zu heben.

»Es tut mir leid … Es tut mir so unendlich leid«, stammelte Jake, und die Schande seines Versagens brachte ihn beinahe um.

»Schon gut. Das kann passieren bei so viel Adrenalin im Blut«, flüsterte Topaz mitfühlend. »Jedem von uns.«

Topaz’ Worte spendeten Jake denkbar wenig Trost, denn er war sich schmerzlich bewusst, dass er soeben womöglich ihrer aller Schicksal besiegelt hatte.

Mina Schlitz kam in das Gewölbe geschritten und schob sich zwischen den Wachen hindurch, bis sie direkt vor den Gefangenen stand. Die Ratten strömten immer noch wie eine Sintflut aus dem Loch in dem Container, und selbst manche der Wachen konnten ihren Ekel nicht verbergen. Mina jedoch zuckte nicht einmal mit der Wimper. Als eine der Ratten Anstalten machte, ihren Stiefel anzuknabbern, zertrat sie das Tier einfach mit dem Absatz, ohne auch nur hinzusehen.

Stattdessen musterte sie Jakes Gesicht. Sein Bart klebte nicht mehr richtig, und Mina riss ihn nun ganz herunter. Es tat höllisch weh, aber Jake wäre lieber gestorben, als noch einmal ein Anzeichen von Schwäche oder Angst zu zeigen.

Mina ging weiter zu Charlie und versuchte, ihn mit ihrem starrenden Blick einzuschüchtern, doch Charlie schaute nur unbeeindruckt zurück.

Schließlich stellte sie sich vor Topaz und zog ihr das schwarze Tuch vom Kopf. Mina runzelte kurz die Stirn, als überlege sie, dann dämmerte es ihr, und sie rief erfreut aus: »Irre ich mich, oder ist uns da unverhofft die hoch verehrte Topaz St. Honoré ins Netz gegangen?«

»Unverhofft – allerdings«, erwiderte Topaz. »In Venedig habt Ihr versagt, und diesmal habt Ihr nur Glück gehabt.«

»Ich versage nie!«, fauchte Mina. »Versagen ist genau so wenig zu tolerieren wie« – sie suchte sorgsam nach dem passendsten Wort – »Erbarmen. Bringt sie zu Prinz Zeldt!«

25

BÜCHER, RATTEN UND VERHEERUNG

Sie wurden über eine Hintertreppe nach oben ins Schloss gebracht. Niemand sagte ein Wort, bis sie Zeldts große Bibliothek erreichten.

Es war derselbe lang gestreckte Raum mit Feuern zu beiden Seiten, Regalen voll alter Bücher und Renaissancestatuen in den schattigen Nischen, in den zwei Tage zuvor auch Nathan und Paolo gebracht worden waren.

Jake, Topaz und Charlie wurden unsanft auf Stühle an einem Ende der langen Tafel gedrückt. Hinter ihnen bezog jeweils eine Wache Stellung. Zeldts Thron am anderen Ende war leer. Noch.

»Mr Drake wird durchdrehen vor Angst«, flüsterte Charlie.

Topaz drückte seine Hand. »Er ist ein schlaues Tier, er schafft das schon«, erwiderte sie sanft.

In unbehaglicher Stille saßen sie da und warteten. Durch die Flügelfenster drangen die ersten Strahlen der über dem Rheintal aufgehenden Sonne herein, und das Licht tat ihren Augen weh. Ab und zu drehte einer von ihnen den Kopf, doch alles, was sie zu sehen bekamen, war der stählerne Blick der Wachen.

Als die Uhr sieben schlug, erschienen zwei Diener mit Essen auf silbernen Tabletts, und Charlie, der seit beinahe vierundvierzig Stunden nichts als einen Teller lauwarmer Blumenkohlsuppe gegessen hatte, reckte aufgeregt den Kopf. Doch offensichtlich war das Essen nicht für sie bestimmt, denn die Diener stellten die Tabletts vor den leeren Thron, während den Gefangenen lediglich der köstliche Duft der Speisen in die Nase stieg.

Dann betrat ein alter Bekannter den Saal: Felson, jene grimmige Bestie von einem Hund, die einmal von Bliecke gehört hatte. Er lief die Tafel entlang, und als er Jakes Geruch erkannte, begann er zu knurren.

»Lange nicht gesehen, du hässlicher Flohhaufen«, begrüßte Jake ihn.

Felson fletschte die Zähne, doch als weitere Schritte sich näherten, zog er sich eilig zur nächsten Feuerstelle zurück, wo er sich zitternd hinkauerte.

Mina Schlitz betrat die Bibliothek. Sie ignorierte die Gefangenen und begutachtete stattdessen die Fenster und Feuerstellen, befühlte eine Stelle an der Unterseite der Tafel und inspizierte das Essen, das die Diener aufgetragen hatten. Anscheinend zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Inspektion, ging sie zur Tür und nickte.

Eine unsichtbare Wache öffnete die Tür, und Prinz Zeldt schritt herein.

Jake hatte das Gefühl, als würde es mit einem Schlag eiskalt in der Bibliothek, als würde der Prinz eine spürbare Kälte ausstrahlen. Selbst Zeldt schien diese Kälte zu spüren, denn er zog seinen Fellmantel enger um sich und ging zu einem der Kamine, wo er mit der Spitze seines Stiefels eins der Scheite tiefer hinein in die Flammen schob, woraufhin das Feuer gleich ein Stück heller loderte. Als er sich umdrehte, hielt er ruckartig inne – sein Blick wanderte zu Topaz, und sein Mund verzog sich zu einem bösartigen Lächeln.

Topaz wiederum starrte ausdruckslos auf die Tafel, während Mina Schlitz die beiden aufmerksam beobachtete, ihre Schlange aus dem Gürtelkäfig nahm und zärtlich deren Unterkiefer streichelte.

Zeldt nahm auf seinem Thron Platz, breitete eine Serviette auf dem Schoß aus und ging ein paar Notizen durch, während einer der Diener ihm das Essen servierte.

Jake beobachtete angewidert, wie Zeldt genauso vornehm wie appetitlos sein Frühstück einnahm. Essen war für ihn nichts als ein notwendiges Übel, eine Einstellung, die zumindest zum Teil seine blasse, blutleere Erscheinung erklärte.

Schließlich schob Zeldt den Teller beiseite und goss sich eine Tasse dünnen Jasmintee ein, nippte kurz mit spitzen Lippen daran, um die Tasse dann exakt in der Mitte des Untertellers abzustellen.

»Um zwei Uhr heute Nachmittag wird eine Sonnenfinsternis stattfinden«, sagte er mit so leiser Stimme, dass die Agenten nicht sicher waren, ob er mit ihnen gesprochen hatte. »Da ihr lediglich aus reinem Übermut diesen Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte besucht, hege ich keinen Zweifel, dass euch diese Tatsache bisher entgangen ist«, erklärte er feierlich und nahm einen weiteren Schluck Tee. »Wobei ich zugeben muss, dass dieses Ereignis nicht mein Werk ist. Es wäre eine beachtliche Leistung, zweifellos. Doch nein, ›der Himmel‹ schenkt sie mir. Einfach so.« Wieder hielt Zeldts Blick mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu bei Topaz inne. »Eine Sonnenfinsternis ist eines der wenigen Ereignisse im Verlauf der Erdgeschichte, auf die man sich absolut verlassen kann.«

Charlie warf Topaz und Jake einen fragenden Blick zu.

»Ein imposantes Ereignis, und die dummen, naiven Massen werden nur so zittern vor Angst«, fuhr Zeldt monoton fort. »Doch glaube ich, dass speziell diese Finsternis sich weit tiefer in ihr Gedächtnis einbrennen wird als alle anderen.«

»Wo ist meine Familie?«, unterbrach Jake Zeldts Monolog. »Meine Eltern, wo sind sie?«, wiederholte er und stand von seinem Stuhl auf.