123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 46

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 46

»Nun, Spiegel lassen sich in viele Richtungen ausrichten, die Schwerkraft nicht«, meinte Charlie, nahm eine Handvoll Steinchen und schleuderte sie hinaus in die Dunkelheit: Ausgerechnet auf einer Treppe, die unmöglich eine sein konnte, blieben sie liegen.

Verblüfft starrten die Agenten auf das allen Regeln der Logik widersprechende Gebilde.

Charlie fasste sich ein Herz und machte einen großen Schritt – ins Nichts, wie es aussah –, doch sein Fuß landete sicher auf der Stufe. »Seht ihr? Es ist eigentlich ganz einfach«, sagte er und atmete insgeheim erleichtert auf. »Nehmt euch alle eine Handvoll Staub und folgt mir.«

Jake, Nathan und Paolo taten, wie geheißen, und wagten sich vorsichtig hinaus. Charlie ging voraus, Nathan legte Jake eine Hand auf die Schulter, um sein verletztes Bein zu entlasten, und Paolo kam leise wimmernd als Letzter hinterdrein. Behutsam arbeiteten sie sich Stufe für Stufe vor, bis sie den unteren Treppenabsatz erreichten. Drei weitere Treppen zweigten dort in völlig verschiedene Richtungen ab.

Charlie streute etwas Staub aus und brachte die »echten« Stufen zum Vorschein. Sie führten steil nach oben und waren viel schmaler als die, die sie gerade genommen hatten.

Je höher sie kamen, desto mehr konnten sie von dem Labyrinth erkennen. Der Boden unter ihnen schien sich endlos in alle Richtungen zu erstrecken, und er war uneben, denn überall ragten Felsen auf, zwischen denen sie mittlerweile vertraute, aber nichtsdestoweniger verhasste schlängelnde Bewegungen sahen.

Behutsam überwanden sie Treppe um Treppe, gewannen und verloren an Höhe, machten kehrt und arbeiteten sich von Neuem vor. Jakes Blick wanderte unablässig durch den düsteren Raum, und nach zwanzig langwierigen, nervenzerfetzenden Minuten des Vorwärtstastens entdeckte Nathan endlich einen blassen Lichtschimmer.

»Seht!« Er deutete auf einen Durchgang am oberen Ende der Wendeltreppe vor ihnen.

Paolo quiekte aufgeregt, und sein Gesicht begann zu strahlen. »Das ist er! Das ist der Ausgang!«, rief er und schob sich an den anderen vorbei.

»Warte! Komm sofort zurück«, befahl Nathan. »Es könnte eine Falle sein.«

»Nein, ich kann schon den Himmel sehen! Ich schwöre, es ist der Himmel«, rief Paolo über die Schulter und eilte auf das Licht zu. »Wir haben es geschafft, wir haben es tatsächlich geschafft!«, schrie er und rannte so schnell, dass er gar nicht merkte, wie die nächste Stufe unter seinem Fuß nachgab.

Surrend setzte sich ein Mechanismus in Bewegung.

Paolo war noch wenige Stufen von dem vermeintlichen Ausgang entfernt, als die Treppe zur Seite wegkippte. Zunächst nur ein wenig, dann immer stärker, bis er mit einem Entsetzensschrei den Halt verlor.

Hilflos mussten die anderen drei zusehen, wie er an ihnen vorbei nach unten stürzte, wo er in einer Staubwolke aufschlug. Einen Moment lang lag Paolo bewusstlos da. Als er wieder zu sich kam, öffnete er den Mund zu einem Schrei, doch kein Laut kam heraus. Sprachlos starrte er in die toten Augen von Friedrich von Bliecke. Neben dessen Kopf lag der halb abgenagte Arm des Kommandanten, die Hand steckte noch im Handschuh und hielt von Blieckes Schwert umklammert. Von den Beinen war nichts zu sehen. Wieder stieß Paolo einen lautlosen Schrei aus.

»Zurück, da lang! Schnell!«, bellte Nathan und stürzte auf den nächstgelegenen Treppenabsatz zu, doch es war zu spät.

Aus allen Richtungen ertönte das Knarren von Balken und Quietschen von Rädern, mit dem sich alle Treppen des Labyrinths in Bewegung setzten. Unfähig, mit seinem verletzten Bein das Gleichgewicht zu halten, stürzte Nathan als Nächster, prallte im Fallen gegen ein Gerüst und krachte unsanft auf den Boden.

Jake und Charlie schafften es gerade noch auf eine Treppe, die sich noch nicht bewegt hatte, nur um sich just in diesem Moment kopfüber zu drehen. Charlie verlor sofort den Halt, doch Jake gelang es, sich an der Nachbartreppe festzuhalten – die daraufhin ebenfalls zur Seite kippte, und zwar auf die falsche. Mit aller Kraft klammerte er sich an das Holz, doch schließlich begannen seine Finger zu rutschen, und er musste loslassen. Als er auf dem Boden aufkam, hörte er ein leises Knirschen unter seinen Füßen, ruderte kurz mit den Armen und fiel dann auf den Rücken.

Zu seiner Überraschung fand er den Untergrund mit feinem, dunklem Sand bedeckt, viel weicher, als es von oben ausgesehen hatte. Dennoch zitterte er von den Nachwirkungen des Aufpralls am ganzen Körper. Eine Kakofonie von Stimmen erklang in seinem Schädel und steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden Pfeifen.

Jake setzte sich auf und untersuchte seine Umgebung. Neben ihm lag etwas Weißes auf dem Boden – kleine, mehr oder weniger kugelförmige Gebilde, und er brauchte eine Weile, bis er dahinterkam, um was es sich dabei handelte: Eier. Schlangeneier, von Schwarzen Mambas genauer gesagt, und Jake hatte bei seinem Aufprall einige davon zerquetscht.

Da kehrte mit einem lauten Plopp sein Gehör zurück.

»Links!«, brüllte Nathan. »Links von dir!«

Jake sah die Bestie aus dem Augenwinkel: wahrscheinlich die Mutter der soeben von ihm ins Jenseits beförderten Schlangenbabys. Der Körper so dick wie ein Laternenmast, glitt sie auf ihn zu.

Jake versuchte, auf die Beine zu kommen, doch er war wie gelähmt vor Angst.

Die Schlange bäumte sich auf und riss die pechschwarzen Kiefer auseinander, um mit einem lauten Fauchen die gifttriefenden Fangzähne zu entblößen und sich wie eine Furie auf Jake zu stürzen.

Jake rollte sich zur Seite weg und vernahm ein kaum hörbares Zischen, begleitet von einem schneidenden Geräusch – ein etwa dreißig Zentimeter langes Stück Mamba flog über ihn hinweg und hinein ins Gewirr des Labyrinths. Der Rest des Körpers erstarrte für die Dauer eines Wimpernschlags mitten in der Angriffsbewegung und sackte dann zu einem leblosen Haufen zusammen.

Charlie stand keuchend über ihm, von Blieckes Schwert in der Hand. »Hat sie dich erwischt?«, fragte er besorgt.

»Ihr beiden! Hier rauf, jetzt!«, schrie Nathan, der mit Paolo auf einem hohen Felsbrocken Zuflucht gesucht hatte.

Charlie zog Jake auf die Füße, und im Zickzack rannten sie zwischen den Schlangen hindurch auf den rettenden Fels zu.

Nathan streckte eine Hand zu ihnen herunter und zog Jake hinauf, doch als Charlie ihm gerade folgen wollte, kam eine kleinere, dafür umso schnellere Mamba aus der Dunkelheit geschossen und grub ihre nadelspitzen Zähne in das dicke Leder seiner Stiefel. Mit einem Schrei schlug Charlie mit dem Schwert den Kopf des Tieres ab. Ein Zischen wie von entweichender Luft ertönte, der abgetrennte Schlangenkörper zuckte für eine Sekunde, als stünde er unter Strom, und erstarrte. Charlie schüttelte seinen Fuß, bis die toten Kiefer endlich losließen, dann kletterte er zu den anderen hinauf.

»Gut gemacht«, meinte Nathan und klopfte ihm auf die Schulter. »Am Ende war es wohl doch keine so schlechte Idee, die schweren Bullenlederstiefel zu nehmen, nicht wahr?«

»Warum bin ich nur dieser Organisation beigetreten, warum?«, jammerte Paolo. »Ich hätte Buchhalter werden können. Meine Mutter wollte, dass ich Buchhalter werde. Ich hätte in Florenz bei der Banca dei Medici arbeiten können. In Ruhe und Frieden mit einem Abakus am Schreibtisch sitzen und die Pfauen im Garten beobachten. Mein Leben wäre erfüllt gewesen von Sonnenschein und Torta della Nonna, und nun sitze ich hier wie eine hässliche Krähe auf einem Felsen, ohne Ärmel am Rock, umzingelt von Schwarzen Mambas!«

»Betrachte es doch mal von der positiven Seite«, unterbrach Nathan seine Litanei. »Wir leben noch, und wir haben von Blieckes Schwert. Ohne das Schwert wären wir fürwahr weit übler dran.«

»Hurra, hurra! Wir haben ein Schwert! Lasst uns feiern und tanzen!«, rief Paolo, als hätte er den Verstand verloren. Er jubilierte und hüpfte auf dem Felsen herum, hielt dann plötzlich inne und sagte: »Idiot, wir werden alle sterben. Habt Ihr das immer noch nicht begriffen?«

Trotz allem draufgängerischen Heldenmut ahnte auch Nathan, dass sie wenig Hoffnung hatten zu überleben, selbst mit von Blieckes Schwert. Mit drei oder vier der Monster wären sie vielleicht noch zurechtgekommen, aber die kamen von überallher auf den Felsen zugekrochen – unter Steinen hervor, aus schattigen Unterschlupfen und dunklen Löchern im Boden erhoben sie sich wie die Brut des Leviathan, um den vier Agenten den Garaus zu machen. Mit jeder Sekunde wurden es mehr und immer noch mehr …

Mit geschlossenen Augen fing Paolo an zu beten, und die anderen drei rückten enger zusammen. Als die ersten Mambas züngelnd den Fuß des Felsens erreichten, stießen sie ein zorniges Fauchen aus und rissen hungrig die Mäuler auf.

Da ertönte ein noch viel lauteres Zischen, das von außerhalb des Labyrinths zu kommen schien, gefolgt von einem Donnerkrachen. Steinsplitter brachen aus einer Wand neben ihnen und eine Staubwolke erfüllte den Raum.

Verblüfft blickten die vier auf. Mit einem zweiten ohrenbetäubenden Knall brach ein gewaltiger Gesteinsbrocken durch die Mauer, sauste durch die Luft und pulverisierte auf seiner Bahn mehrere Treppen und Gerüstteile. Wie ein Stein über Wasser hüpfend und schließlich rollend, zerquetschte das Geschoss, begleitet vom wütenden Fauchen der Mambas, alles, was ihm im Weg war, prallte schließlich gegen die gegenüberliegende Wand und blieb dort liegen. Durch das Loch, das es hinterlassen hatte, drang Tageslicht herein.

Mit blitzenden Augen ergriff Nathan Charlies Schwert, ließ sich von dem Felsen fallen und erledigte die noch übrigen Schlangen.

Sonnenstrahlen fielen auf Jakes überraschtes Gesicht, und zwei Silhouetten tauchten in dem Loch in der Mauer auf.

»Jake? Bist du da drinnen?«, hallte eine Stimme durch das Labyrinth.

Jakes Herz setzte einen Schlag lang aus. »Mum …?«, fragte er und traute seinen Ohren nicht.

»Jake!«, rief die Gestalt daneben. »Bist das wirklich du?«

»Dad?«, schrie Jake jetzt aus vollem Hals. »Mom! Dad!« Mit einem Satz war er auf dem Boden und rannte über die platt gewalzten Schlangenkadaver hinweg und zwischen den anderen Felsen hindurch auf die Öffnung zu, kletterte durch das Loch und fand sich in einem Innenhof des Schlosses wieder – und stand seinen Eltern von Angesicht zu Angesicht gegenüber.

Zuerst wusste Jake gar nicht, was er sagen sollte, und schaute sie nur mit großen Augen von oben bis unten an, wie sie vor ihm standen, in altertümliche Gewänder gekleidet, als kämen sie gerade von einem Maskenball. Miriam trug ein prunkvolles (wenn auch zerrissenes) Samtkleid, Alan ein Wams, Strumpfhose und hohe Lederstiefel. Beide sahen erschöpft und zerschlagen aus. Und überglücklich.

»Ich dachte schon, ich würde euch nie wiedersehen«, rief Jake und schlang die Arme um seine Eltern. »Ich habe geglaubt, ihr wäret tot«, murmelte er und drückte sie an sich.

»Wie in aller Welt bist du hierhergekommen?«, fragte seine Mutter und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ausgerechnet ins sechzehnte Jahrhundert – Alan und ich wären beinahe gestorben vor Schreck, als wir euch gestern in dieser Kutsche sahen. Am Anfang haben wir dich kaum erkannt ohne deine hübschen Locken«, fügte sie seufzend hinzu und strich ihm über die staubige Stoppelfrisur.

»Was auch immer passiert ist, wie auch immer es dich hierherverschlagen hat«, sagte Alan stolz, »du siehst aus wie ein richtiger Abenteurer, Jake.«

»Ich dachte, wir wären uns einig gewesen«, unterbrach Miriam und warf ihrem Gatten einen bösen Blick zu, »ihn nicht zu irgendwelchen Dummheiten zu ermutigen. Schon vergessen?«

Jake lachte nur vor Freude über das Wiedersehen und fragte: »Ihr habt uns gestern durchs Torhaus fahren sehen? Wo seid ihr die ganze Zeit über gewesen?«

»Es hat uns volle vier Tage gekostet, uns aus dieser lächerlichen Schlangengrube zu befreien«, antwortete Miriam seufzend.