123878.fb2 Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 50

Jake Djones und die H?ter der Zeit - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 50

Jake blickte sich um: Vier Glocken hingen in dem nach allen Himmelsrichtungen offenen Gestühl, jede davon so groß wie ein kleines Haus. Sein Blick fiel auf eine Eule, die sich in einer dunklen Ecke verkrochen hatte und verunsichert piepte, als überlegte sie, ob es nun Nacht war oder nicht. Da hörte er ein weiteres Geräusch: das Knarren von Seilen. Ein Flaschenzug zog sich zusammen und setzte ein großes Rad in Bewegung – und dieses Rad wiederum eine der Glocken. Als sie gegen den mannsgroßen Klöppel schlug, erschallte ein donnerndes Geläut, so laut, dass es Jake bis in den letzten Knochen fuhr und er nur darauf wartete, dass seine Trommelfelle platzten.

Weitere Flaschenzüge setzten weitere Räder in Bewegung, bis alle vier Glocken mit ohrenbetäubendem Krach ertönten.

»Zwei Uhr!«, schrie Alan, als er hinter Jake heraufkam, gefolgt von Miriam und einem bedauernswert aussehenden Paolo.

Jake kletterte den letzten Teil des Gerüsts hinauf und durch die Decke des Glockenstuhls hinaus auf das windumtoste Dach. In den wenigen Minuten, die er schwitzend und keuchend heraufgehastet war, hatte sich der Himmel stärker verdunkelt, als er es je für möglich gehalten hätte. Nur noch eine hauchdünne Sonnensichel lugte hinter der schwarzen Mondscheibe hervor.

Jake blickte nach unten: Weit unterhalb der Wasserspeier, die ihre grimmigen Fratzen aus der Fassade reckten, sah er die Menge ehrfürchtig und zu Tode erschreckt auf die Sonne starren. Und wieder sah er die Lindwurm, jetzt ein kaum noch erkennbarer Punkt am Horizont.

Erneut drängte sich ihm das Bild von Topaz’ angstverzerrtem Gesicht auf, aber er kämpfte es nieder und ließ den Blick über das Dach schweifen. Links und rechts erhoben sich die Stümpfe der beiden noch im Bau befindlichen Türme, zwischen ihnen ein hölzerner Kran von kolossalen Ausmaßen, der sich gen Himmel reckte. Meter für Meter suchte Jake die hölzerne Gitterkonstruktion ab.

»Unglaublich!«, keuchte Alan, der soeben das Dach erreicht hatte. Das Schauspiel, das sich ihm bot – die grandiose Landschaft um sie herum, der Wind, der ihnen um die Ohren pfiff, und das Geläut der Glocken –, verschlug ihm den Atem.

Jake hatte den Blick immer noch unbeirrt auf den Kran gerichtet. »Da! Da!«, brüllte er plötzlich, genau in dem Moment, als auch Miriam und Paolo zu ihnen stießen. Endlich hatte er entdeckt, wonach er gesucht hatte: Auf halber Höhe des Krans sah er, funkelnd in den letzten Strahlen der nun fast vollkommen verdeckten Sonne, ein gelblich metallisches Schimmern – Zeldts goldene Bombe.

Alan zog sein Fernrohr heraus und inspizierte Jakes Entdeckung. Jake hatte recht. Es war tatsächlich die Pestbombe, die, versteckt hinter einem Querträger, darauf wartete, ihre entsetzliche Bestimmung zu erfüllen.

In der Zwischenzeit hatte Jake sich schon daran gemacht, den Kran so schnell zu erklimmen, wie seine Hände und Füße ihn hinauftragen konnten. Heulend zerrte der Wind an ihm, während unter ihm der Abgrund gähnte, der nur darauf zu warten schien, ihn zu verschlingen.

Als der Mond schließlich auch den letzten fahlen Sonnenstrahl verschluckte und alles in nachtschwarze Finsternis tauchte, schrien die Menschen unten auf dem Platz laut auf, doch Jake hörte sie nicht – er streckte den Arm aus und packte die Bombe.

Da tauchte mit einem Rauschen ein noch dunklerer Umriss vor dem Schwarz des Himmels auf und bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit auf Jake zu. Es war die Eule aus dem Glockenstuhl, die ängstlich und verwirrt aufgeflogen war und mit solcher Wucht gegen Jake prallte, dass die Bombe seinem Griff entglitt.

Miriam stand am nächsten. Mit einem Hechtsprung bekam sie die Teufelsmaschine gerade noch rechtzeitig zu fassen und rutschte, die Bombe schützend an die Brust gepresst, auf den Rand des Daches zu.

»Miriam!« Alan wirbelte herum und eilte auf das Geländer zu in der Befürchtung, tatenlos zusehen zu müssen, wie seine Frau zu Tode stürzte. »Miriam?«, wiederholte er mit zitternder Stimme.

Doch Miriam war direkt auf einem der Wasserspeier gelandet, einer hässlichen Kreatur, halb Löwe, halb Fledermaus, mit weit aufgerissenen Kiefern und ausgebreiteten Schwingen.

»Ein … ein Schutzengel«, stammelte sie wie unter Schock.

»Ich hole dich!«, rief Alan und ließ sich an dem Geländer hinab.

»Zuerst die Bombe«, schrie Miriam zurück. »Wir müssen sie entschärfen.« Mit schweißnassen Fingern untersuchte sie das Gerät. »Nur wie?«

»Im Inneren sind zwei goldene Fäuste, darunter ist ein Glasbehälter!«, brüllte Jake, während er von dem Kran heruntereilte. »Siehst du ihn?«

Miriam kniff die Augen zusammen. Das Licht war so schwach, dass sie kaum etwas erkennen konnte. »Ich glaube, ja.«

»Greif hinein und zieh ihn raus!«, wies Jake sie an.

Miriam streckte die schlanken Finger nach dem Behälter aus. »Nur gut, dass ich letzte Woche bei der Maniküre war«, rief sie, doch dann sah sie, dass der Zeiger der eingebauten Uhr nur noch Sekunden vom Auslöser der Bombe entfernt war.

»Aua, verdammt!«, schrie sie plötzlich und zog die Hand zurück. »Das Ding hat mir einen elektrischen Schlag verpasst.«

»Vorsichtig, Schatz – ganz vorsichtig«, redete Alan ihr gut zu.

»Du musst es noch mal versuchen, Mum!«, rief Jake. »Uns bleiben nur noch Sekunden

Wieder griff Miriam hinein, und wieder bekam sie einen heftigen Stromschlag.

Die Uhr tickte, die Rädchen drehten sich.

Miriam biss die Zähne zusammen und versuchte es ein drittes Mal. Gerade als der Zeiger den Auslösemechanismus betätigte, bekam sie endlich den Glasbehälter zu fassen und zog ihn heraus. Erleichtert atmete sie auf – da hörte sie ein lautes Knacken. Es war der Wasserspeier, auf dem sie saß.

Alle stießen einen Entsetzensschrei aus, als der Kopf des steinernen Ungeheuers abbrach und Miriam stürzte. Die goldene Uhr entglitt ihr, doch Miriam konnte sich gerade noch an dem Flügel der Bestie festhalten, den Glasbehälter mit einer Hand umklammert, während die Uhr an dem Wasserspeier unter ihr in tausend glitzernde Trümmer zersprang.

»Halt aus, Miriam. Ich ziehe dich rauf!«, rief Alan. Doch als er einen Fuß auf den Wasserspeier setzte, bildete sich sofort ein weiterer Riss.

»Das wird nicht funktionieren«, warnte Miriam, ein Auge auf den gähnenden Abgrund gerichtet.

»Du bist zu schwer, Dad. Ich gehe«, sagte Jake, der endlich von dem Gerüst heruntergekommen war, und schob sich an seinem Vater vorbei. Vorsichtig trat er auf den Rücken des steinernen Fabeltiers.

Der Riss wurde noch größer, und die Flügel von Miriams Schutzengel senkten sich bedenklich.

»Wir sind alle zu schwer«, murmelte Jake verzweifelt. Da kam ihm eine Idee. Er drehte sich um und schaute mit festem Blick denjenigen an, der sich als Einziger bis jetzt still im Hintergrund gehalten hatte. »Paolo Cozzo, Zeit für deinen Auftritt!«

Jake hatte recht: Paolo war ihre einzige Hoffnung.

»Che?«, erwiderte Paolo und machte einen Schritt zurück. »Nein, ganz bestimmt nicht. Ich habe schreckliche Angst vor Höhe.«

»Keine Widerrede«, knurrte Alan ihn an und zerrte Paolo zur Brüstung. »Wenn du Mist baust und meine Frau nicht rettest, werfe ich dich persönlich hinterher.«

»Das könnt Ihr doch nicht machen«, wimmerte Paolo. »Jemand würde es melden, und Ihr würdet unverzüglich entlassen werden!«

»Keine Widerrede!«, wiederholte Alan und schob ihn auf den Rand des Daches zu. »Wir halten dich an den Beinen fest. Du lässt dich nach unten hängen und ziehst Miriam rauf.«

Zitternd legte Paolo sich auf den Bauch, während Alan und Jake seine Beine packten und ihn langsam nach unten ließen. Die Sonnenfinsternis hatte inzwischen ihren Höhepunkt überschritten, und die ersten Strahlen fielen auf den Platz weit unter ihnen.

»Es muss doch eine andere Möglichkeit geben!«, protestierte Paolo und versuchte, sich zurück aufs Dach zu schieben.

»Tu es endlich!«, fuhr Alan ihn an, der gesehen hatte, wie Miriams Hand langsam abrutschte.

Paolo schob den Oberkörper wieder auf den Rücken des Untiers und streckte eine zitternde Hand nach Miriam aus.

Wieder ein Knacken.

»Du hast es gleich geschafft«, redete Alan ihm gut zu, »nur noch ein kleines Stückchen.«

Mit Tränen in den Augen reckte Paolo den Arm noch weiter, einzig und allein darauf bedacht, nicht nach unten zu sehen. Mehr denn je verfluchte er sich dafür, dem Geheimdienst der Geschichtshüter beigetreten zu sein.

Da geschah etwas Seltsames. Die Zeit um ihn herum schien stehen zu bleiben, und eine vollkommene Stille senkte sich über Paolo. Er hörte weder den Wind noch die Glocken noch die Stimme der anderen. Das Einzige, was er wahrnahm, war sein eigener Atem. Entschlossen riss er die Augen weit auf, blickte nach unten und machte eine Bestandsaufnahme: Er hing vom Dach des Kölner Doms herab, des höchsten Gebäudes der Welt, unter ihm lag eine riesige Stadt, und vor ihm baumelte eine Frau an dem steinernen Flügel eines Fabelgeschöpfs und hielt etwas in der Hand, das, sollte es zu Bruch gehen, ganz Europa den Tod bringen würde. Paolo spürte einen Gedanken in sich aufsteigen: Ja, er konnte es. Er konnte ein Held sein.

»Das werde ich nicht zulassen!«, brüllte er und streckte Miriam beide Arme entgegen.

Miriam klemmte den Hals des Glasbehälters vorsichtig zwischen die Zähne und ergriff Paolos rechte Hand. Dann ließ sie den Flügel los und packte seine linke.

Paolo keuchte vor Anstrengung, als er ihr ganzes Gewicht halten musste. Seine Wirbelsäule wurde auseinandergezogen, als würde sie jeden Moment zerreißen, aber seine Angst war purer Entschlossenheit gewichen, und er hielt Miriam mit eisernem Griff fest, während Alan und Jake ihn Stück für Stück zurück aufs Dach zogen.