124030.fb2 King Kongs Rivalen - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 2

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TEIL I.ENTFERNTE VERWANDTE 

DER MONSTERGOTTvon H. Rider Haggard

Der Erzähler, der Forscher Allan Quatermain, leitet eine Safari, die in ein feindliches afrikanisches Gebiet eindringt. Er hofft, eine wertvolle Orchidee zu finden, die als »Heilige Blume« bekannt ist. Kalubi, ein verängstigter Negerhäuptling, führt Quatermain durch den Urwald…

Die Dunkelheit brach herein. Es war nicht völlig schwarz, denn der Mond stieg auf. Aber dichte Regenwolken verdeckten ihn, und auch die hohen Bäume schienen das schwache Licht aufzusaugen.

Wir kauerten uns eng aneinander, in unsere Decken gewickelt, um uns vor der Kälte und der Feuchtigkeit zu schützen, aßen Biltong, getrocknetes Wildfleisch und geröstetes Getreide, das der junge Jerry glücklicherweise in einem Beutel über der Schulter getragen hatte, als er ins Kanu geworfen worden war. Ich war nun froh, daß ich daran gedacht hatte, diese Nahrungsmittel mitzunehmen, und auch eine Flasche Alkohol.

Dann hörten wir es zum erstenmal. Ein gräßliches Heulen drang durch den Urwald zu uns, gefolgt von dumpfen Trommelschlägen. Keiner von uns hatte je zuvor solche Laute gehört. Das Heulen ließ sich weder mit dem Gebrüll eines Löwen noch mit anderen tierischen Schreien vergleichen.

»Was ist das?« fragte ich.

»Der Gott«, jammerte Kalubi. »Der Gott betet den Mond an – immer, wenn er gemeinsam mit ihm aufsteht.«

Ich sagte nichts, denn ich überlegte, daß wir nur vier Kugeln im Gewehr hatten. Das war nicht viel und nichts sollte mich dazu verleiten, die wertvolle Munition zu verschwenden.

Da wir keine Schreie mehr hörten, fragte Bruder John Kalubi, wo denn die Mutter der Blumen wüchse.

»Herr«, antwortete Kalubi, noch immer völlig verwirrt, »da drüben, im Osten. Sie müssen einen Hügel hinaufsteigen, so lange, wie die Sonne braucht, um ein Viertel ihrer täglichen Reise zu vollenden. Sie müssen einem Pfad folgen, der durch Kerben in den Baumstämmen markiert ist, bis Sie hinter dem Garten des Gottes auf dem Gipfel zu einem Gewässer gelangen, in dessen Mitte eine Insel liegt. Am Ufer werden Sie ein Kanu finden, zwischen Büschen versteckt. Damit können Sie zur Insel fahren, auf der die Mutter der Heiligen Blumen wächst.«

Bruder John schien mit dieser Information nicht zufrieden zu sein und meinte, Kalubi könne uns den Weg ja morgen zeigen.

»Ich kann Ihnen den Weg nicht zeigen«, stöhnte das zitternde Häufchen Unglück.

In diesem Augenblick begann der Gott wieder zu heulen. Inzwischen schien er näher an uns herangekommen zu sein. Kalubi, von einer bösen Vorahnung ergriffen, erkundigte sich bei Bruder John nach den diversen Möglichkeiten eines Lebens nach dem Tode. Er wußte, daß unser Bruder ein Priester war, der Repräsentant irgendeiner unbekannten Religion.

Bruder John, ein verdienstvoller Missionar, bemühte sich gerade, Kalubi himmlischen Trost zu spenden, als der Urwaldgott ganz in unserer Nähe auf eine große Trommel zu schlagen begann. Diesmal brüllte er nicht, er bearbeitete nur sein Instrument, eine Art Militärtrommel. Zumindest klang es so, und ich kann versichern, daß es sehr unangenehm war, diesen Lärm im nächtlichen Urwald mitanzuhören.

Die Trommelschläge verstummten, und Bruder John riß sich zusammen und fuhr fort, seine frommen Ratschläge zu erteilen. Um diese Zeit hatte sich gerade wieder eine dicke Regenwolke vor den Mond geschoben, und das Dunkel im Wald war noch dichter geworden. Ich hörte, wie John Kalubi erklärte, dieser sei in Wirklichkeit nicht Kalubi, sondern eine unsterbliche Seele (ob der Häuptling das verstand?). Dann nahm ich einen schrecklichen Schatten wahr – ich kann ihn nicht anders beschreiben –, einen Schatten, der schwärzer war als das Dunkel rings um uns. Er kam blitzschnell auf uns zu, vom Rand der Lichtung her, auf der wir uns niedergelassen hatten.

Im nächsten Augenblick hörte ich davoneilende Schritte, gefolgt von einem erstickten Schrei, und dann sah ich, wie sich der Schatten in die Richtung zurückzog, aus der er gekommen war.

»Was ist denn los?« fragte ich.

»Zünden Sie ein Streichholz an«, sagte Bruder John. »Ich glaube, irgend etwas ist passiert.«

Das Streichholz brannte sehr gut, denn kein Lüftchen regte sich, und im Schein der Flamme sah ich zuerst einmal die ängstlichen Gesichter unseres Expeditionstrupps – wie bleich sie waren – und dann Kalubi, der sich erhoben hatte und seinen rechten Arm schwenkte – einen blutigen Arm ohne Hand.

»Der Gott hat mich heimgesucht und mir meine Hand genommen«, wimmerte er.

Niemand sagte etwas. Es gab keine Worte, um das Entsetzen auszudrücken, das uns alle ergriffen hatte. Im Licht von Streichholzflammen verbanden wir den Arm des bedauernswerten Mannes. Dann setzten wir uns wieder und starrten ins Dunkel, das immer dichter wurde. Das Schweigen des nächtlichen Tropenwaldes wurde nur von unseren Atemzügen durchbrochen, vom Summen der Moskitos, vom Plätschern eines Krokodils in der Ferne, vom Stöhnen des Verwundeten.

Eine halbe Stunde später glaubte ich wieder den schwarzen Schatten zu sehen. Er schien auf mich zuzuschnellen, wie eine Harpune, die geschleudert wird, um einen Fischleib zu durchbohren. An meiner linken Seite, wo Hans zwischen mir und Kalubi saß, klangen raschelnde Geräusche auf, dann ertönte ein Schrei.

»Der Häuptling ist verschwunden«, flüsterte Hans. »Ich spürte, wie er davonflog, als hätte ihn der Wind fortgeweht.«

Plötzlich kam der Mond hinter einer Wolke hervor, und in seinem bleichen Licht sah ich, am Rand der Lichtung – was erblickte ich: Den Teufel, der eine verlorene Seele vernichtete… Zumindest sah es so aus. Ein großes, grauschwarzes Wesen, grotesk menschlich in seiner Gestalt, hatte den dünnen Kalubi fest im Griff. Offenbar war er schon tot.

Ich sprang auf, richtete mein entsichertes Gewehr auf den Kopf der Bestie. Ich feuerte, aber entweder die Zündkapsel oder das Pulver war während unserer Reise feucht geworden, und so ging der Schuß erst einen Sekundenbruchteil später als beabsichtigt los. In dieser kurzen Zeitspanne sah mich der Teufel – das ist der einzige passende Name, den ich dem Ungeheuer geben kann. Er sah mich – oder vielleicht sah er nur das Licht,

das in der Mündung aufblitzte. Jedenfalls warf er Kalubi ins Gras, und als hätte ein Instinkt ihn gewarnt, hob er den massiven rechten Arm. Ich erinnere mich, daß es ein außergewöhnlich langer Arm war – und dick wie ein männlicher Oberschenkel. Schützend hielt er den Arm vor seinen Kopf.

Das Gewehr explodierte, ich hörte, wie die Kugel traf. Im Schein der Mündungsflamme sah ich den langen Arm hilflos herabsinken, und im nächsten Augenblick hallte der Urwald von jenem schrecklichen Gebrüll wider, das wir bereits einmal vernommen hatten, und jeder Schrei endete in einem jaulenden Schmerzenslaut, der mich an einen tödlich verwundeten Hund erinnerte.

»Sie haben ihn getroffen, Baas«, sagte Hans. »Und er kann kein Geist sein, denn das hat ihm nicht gefallen. Aber er ist immer noch sehr lebendig.«

»Kommt alle her zu mir!« befahl ich. »Und haltet die Speere bereit, während ich mein Gewehr nachlade.«

Ich befürchtete, daß sich das Ungeheuer auf uns stürzen würde. Aber das tat es nicht. In jener schrecklichen Nacht sahen und hörten wir nichts mehr von ihm. Ich hoffte, daß meine Kugel vielleicht doch ein lebenswichtiges Organ erreicht hatte, daß der große Affe tot war.

Endlich, nach Stunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, brach der Tag an. Blaß und zitternd saßen wir im grauen Nebel. Alle außer Stephan, der sich schlafen gelegt hatte. Sein Kopf ruhte auf Mavovos Schulter. Er hatte Nerven wie Stricke und eine so unerschütterliche Ruhe, daß ihn wohl nicht einmal die Trompete des Erzengels am Tag des Jüngsten Gerichts erschrecken könnte. Das sagte ich ihm auch einigermaßen verärgert, als es mir endlich gelungen war, ihn aus seinem unangebrachten Schlummer zu reißen. »Das Resultat beweist doch, daß deine Kritik nicht gerechtfertigt ist«, sagte er gähnend. »Ich bin frisch wie der junge Morgen, während du aussiehst, als hättest du eine lange Ballnacht durchtanzt. Habt ihr Kalubi schon geholt?«

Kurze Zeit später, als sich der Nebel aufgelöst hatte, gingen wir zum Rand der Lichtung, um nach Kalubi zu sehen. Ich will nicht beschreiben, was wir fanden. Er war ein grausamer Bursche gewesen, doch ich bedauerte ihn zutiefst. Wenigstens war sein Leiden beendet.

Wir legten ihn in die Kiste, die Komba bereitgestellt hatte, und Bruder John sprach ein Gebet. Dann machten wir unsere Pläne für den Tag, der vor uns lag, und brachen in bedrückter Stimmung auf, um die Heimat der Heiligen Blume zu suchen. Es fiel uns nicht schwer, den Weg zu finden, denn ein deutlich erkennbarer Pfad führte vom Rand der Lichtung einen Hügel hinauf, von dem Kalubi gesprochen hatte. Danach wurde es etwas schwieriger, denn der Wald verdichtete sich. Glücklicherweise wuchsen in diesem Teil des Urwaldes nur wenige Schlingpflanzen, aber die Wipfel der Bäume trafen sich hoch über unseren Köpfen und schlössen das Tageslicht aus, so daß unten am Boden fast nächtliches Dunkel herrschte.

Es war eine traurige Reise. Von Angst erfüllt kämpften wir uns durch den Wald, von Stamm zu Stamm, suchten die Kerben, die uns den Weg wiesen, sprachen nur im Flüsterton miteinander, um nicht die Aufmerksamkeit des schrecklichen Gottes auf uns zu lenken. Nach ein oder zwei Meilen stellten wir fest, daß er uns trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bemerkt hatte, denn wir sahen immer wieder eine große graue Masse zwischen den Baumstämmen vorbeigleiten. Offenbar hatte er eine Richtung eingeschlagen, die parallel zu unserem Kurs verlief. Hans versuchte mich zu einem Schuß zu überreden, aber ich weigerte mich, denn ich wußte, daß die Chance, mein Ziel unter diesen Umständen zu treffen, nur gering war. Da ich nur noch drei Kugeln hatte, mußte ich sparsam damit umgehen.

Wir hielten an und berieten, was wir tun wollten. Schließlich sagten wir uns, daß es nicht gefährlicher wäre, weiterzugehen als umzukehren. So setzten wir also unseren Weg fort, blieben immer dicht beieinander. Da ich als einziger bewaffnet war, kam mir die Ehre zu, an der Spitze der Prozession zu marschieren, eine Ehre, auf die ich allerdings gern verzichtet hätte.

Nach einer weiteren halben Meile hörten wir wieder die seltsamen Trommeltöne, die das Biest offenbar produzierte, indem es sich auf die Brust schlug. Aber wir konnten feststellen, daß der Trommelwirbel nicht mehr so eindrucksvoll klang wie in der vergangenen Nacht.

»Ha!« sagte Hans. »Jetzt hat er nur noch einen Trommelschlegel. Ihre Kugel hat den anderen zerschmettert, Baas.«

Etwas später begann der Gott zu heulen, ganz in unserer Nähe und so laut, daß die Luft zu erzittern schien.

Nach weiteren hundert Yards kam es zur Katastrophe. Wir hatten eine Stelle erreicht, wo ein Baum umgestürzt war. Zwischen den Wipfeln war auf diese Weise ein Loch entstanden, durch das ein wenig Licht hereinfiel. Die Rinde des mächtigen gefallenen Stammes war mit grauem Moos und Farnen bewachsen. Auf unserer Seite des umgestürzten Baumes erstreckte sich eine etwa vierzig Fuß breite Lichtung, auf die ein lotrechter Lichtstrahl fiel. Ich starrte auf den dicken Stamm, und war der erste, der zwei rotglühende Augen im Schatten zwischen den Farben entdeckte, die Umrisse eines bestialischen Kopfes, ein bleiches Gesicht mit buschigen, überhängenden Brauen und großen gelben Stoßzähnen zu beiden Seiten des Mauls.

Bevor ich Zeit fand, das Gewehr an die Schulter zu reißen, hatte sich das Monstrum mit einem ohrenbetäubenden Gebrüll auf uns gestürzt. Ich sah, wie sich der mächtige graue Körper über dem Baumstamm erhob, sah ihn an mir vorbeischnellen. Er bewegte sich aufrecht wie ein Mensch, aber mit vorgeschobenem Kopf. Der Arm, der dicht an mir vorbeiglitt, hing schlaff herab und schien gebrochen zu sein. Als ich mich umwandte, hörte ich einen Schreckensschrei und sah, daß das Ungeheuer den armen Mazitu Jerry gepackt hatte, der als vorletzter in unserer Reihe stand, vor Mavovo. Der Affe hatte ihn gepackt und trug ihn nun davon, mit dem gesunden Arm an die Brust gepreßt. Wenn ich erkläre, daß Jerry, ein großer, kräftiger Mann, in dieser grausigen Umarmung wie ein Kind aussah, wird der Leser vielleicht eine Vorstellung von der Größe des Ungeheuers bekommen.

Mavovo, mutig wie ein Büffel, schwang seinen Kupferspeer hoch und stieß ihn der Bestie in die Seite. Dann gingen sie alle wie die Berserker zum Angriff über, außer mir. Glücklicherweise kannte ich einen anderen Trick. Innerhalb von drei Sekunden hatte sich eine wilde, kämpfende Masse in der Mitte der Lichtung gebildet. Bruder John, Stephen, Mavovo und Hans, alle stachen sie auf den großen Gorilla ein, denn es war ein Gorilla, wie ich jetzt feststellen konnte. Aber die Speerspitzen schienen ihm keine schlimmeren Wunden zuzufügen, als es harmlose Nähnadeln vermocht hätten. Zum Glück ließ er Jerry nicht los, und da er nur einen gesunden Arm hatte, konnte er nur nach seinen Angreifern schnappen. Denn wenn er versucht hätte, nach ihnen zu treten, hätte sein schwerer kopflastiger Körper das Gleichgewicht verloren.

Schließlich schien ihm bewußt zu werden, daß er sei nen Gegnern auf diese Weise nichts anhaben konnte. Er ließ Jerry fallen, stieß Bruder John und Hans zu Boden und stürzte sich auf Mavovo. Dieser sah ihn kommen und stemmte sich das Kupferende seines Speers gegen die Brust, so daß die Spitze sich in den Körper des Gorilla bohrte. Die Bestie spürte den Schmerz, ließ Mavovo los und warf Stephen um, als sie zurücktaumelte. Dann hob das Ungeheuer seine große Hand, um Mavovo mit einem einzigen Schlag zu zerschmettern.

Das war die Chance, auf die ich gewartet hatte. Bis jetzt hatte ich nicht zu schießen gewagt, aus Angst, ich könnte einen meiner Kameraden treffen. Doch jetzt bot der Gorilla ein gutes Ziel. Ich hob das Gewehr, feuerte auf den mächtigen Kopf. Als sich der Pulverrauch aufgelöst hatte, sah ich den Affen noch immer vor mir stehen, ganz still, als wäre er tief in Gedanken versunken.

Dann hob er den gesunden Arm, die glühenden Augen blickten zum Himmel auf, und mit einem mitleiderregenden, gräßlichen Schrei brach er zusammen. Er war tot. Die Kugel war dicht hinter dem Ohr in sein Gehirn gedrungen.

Das große Schweigen des Waldes umgab uns. Minutenlang sagten wir nichts, rührten uns nicht. Dann drang aus dem Farn eine dünne Stimme zu mir, und sie klang, als würde Luft aus einem aufblasbaren Gummikissen entweichen. »Das war ein guter Schuß, Baas«, piepste die Stimme. »So gut wie der Schuß, der den Königsgeier in Dingaans Kral getötet hat, aber viel schwieriger. Und wenn der Baas jetzt so gut sein würde, den Gott von mir zu schieben – danke.«

Das »Danke« war kaum zu hören. Kein Wunder, denn der arme Hans war in Ohnmacht gefallen. Da lag er unter dem gewaltigen Körper des Gorilla, und nur Mund und Nase kamen zwischen Körper und Arm der Bestie hervor. Hätte Hans nicht auf einem weichen Moospolster gelegen, das Gewicht des toten Affen hätte ihn zermalmt.

Irgendwie gelang es uns, den Gorilla zur Seite zu rollen und Hans zu befreien. Dann flößten wir ihm Brandy ein, der eine wundersame Wirkung hatte, denn nach kaum einer Minute setzte er sich auf, schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und bat um einen weiteren Schluck.

Ich überließ es Bruder John, Hans zu untersuchen und nachzusehen, ob er verletzt war, und kümmerte mich um den armen Jerry. Ein Blick genügte. Er war tot. Er war erdrückt worden wie ein schwaches Reh, das von einer Boa Constrictor umschlungen wird. Später erzählte mir Bruder John, daß Jerrys Arme und fast alle Rippen in der schrecklichen Umarmung zerbrochen waren. Auch seine Wirbelsäule war verrenkt.

Ich habe mich oft gefragt, wieso der Gorilla an mir und den anderen vorbeigestürmt war, um seinen Zorn an Jerry auszulassen. Ich kann den Grund nur erraten. Vielleicht, weil der unglückliche Mazitu in der vergangenen Nacht neben Kalubi gesessen halte. Vielleicht hatte der Gorilla den Geruch des Häuptlings gewittert, den er gehaßt und getötet hatte. Hans hatte auf der anderen Seite Kalubis gesessen, aber vielleicht hatte der Geruch des Pongo nicht so stark an ihm gehaftet. Oder vielleicht hatte der Gorilla sich den guten Hans erst vornehmen wollen, nachdem er Jerry erledigt hatte. Nachdem wir festgestellt hatten, daß dem Mazitu nicht mehr zu helfen war und daß wir keine ernsthaften Verletzungen erlitten hatten, wenn auch Stephens Kleider völlig zerrissen waren, sahen wir uns den toten Gott etwas genauer an.

Wir konnten seine Größe nicht messen, aber ich habe noch nie einen so riesenhaften Gorilla gesehen. Wir hatten alle fünf zupacken müssen, um ihn zur Seite zu rollen und Hans zu befreien. Und auch als wir ihn hin und her drehten, um ihm die Haut abzuziehen, mußten alle zugreifen. Ich hätte nie gedacht, daß ein Tier, das nicht mehr als sieben Fuß maß, wenn es aufrecht stand, so schwer sein könnte. Er mußte schon ziemlich alt gewesen sein, denn die gelben Eckzähne waren abgewetzt, die Augen lagen tief in den Höhlen. Das Haupthaar, das bei jüngeren Gorillas rot oder braun ist, war fast weiß, und die breite Brust, die früher schwarz gewesen war, hatte nun ein graues Fell. Es ist natürlich unmöglich – aber es ist durchaus vorstellbar, daß diese Kreatur zweihundert Jahre alt war, wie die Motombo behauptet hatten.

Stephen schlug vor, ihm die Haut abzuziehen, und wenn ich auch keinen Sinn darin sah, das schwere Fell mitzuschleppen, beteiligte ich mich an der Operation, vor allem, um meine Neugier zu befriedigen. Außerdem fand ich, daß wir uns nach all den ausgestandenen Ängsten und dem harten Kampf eine Ruhepause verdient hatten, wenn sich Bruder John auch über die Zeitvergeudung beschwerte. Es dauerte eine Stunde, bis wir die Haut abgezogen hatten, die so hart und dick war, daß die Speerspitzen kaum ins Fleisch gedrungen waren. Die Kugel, die ich in der letzten Nacht abgefeuert hatte, fanden wir am Oberarmknochen, den sie zerschmettert hatte, so daß der Gorilla diesen Arm nicht mehr benutzen konnte. Das war unser Glück, denn hätte das Ungeheuer zwei unversehrte Arme gehabt, hätten wir sicher noch mehr Tote zu beklagen. Wir waren nur gerettet worden, weil der Affe mit seinem gesunden Arm den bedauernswerten Jerry umklammert hatte. Er hatte keinen zweiten Arm zur Verfügung gehabt, um uns anzugreifen, und glücklicherweise hatte er mit seinen Zähnen, die die rechte Hand Kalubis mit so spielerischer Leichtigkeit abgebissen hatte, uns nichts anhaben können.

Wir ließen die Haut in der Mitte der Lichtung von der Sonne trocknen. Nachdem wir Jerry im hohlen Stamm des umgestürzten Baumes bestattet hatten, wuschen wir uns die Hände mit dem feuchten Moos und nahmen unser Mittagessen ein.

Als wir dann unseren Weg fortsetzten, hatte sich unsere Stimmung gebessert. Sicher, Jerry war tot, aber auch der Gott, und wir waren am Leben und unverletzt. Niemals mehr würden die Eingeborenen im Pongo-Land zu Füßen dieser schrecklichen Gottheit um ihr Leben zittern. Denn ich glaube, mit Ausnahme der beiden, die aus Angst Selbstmord verübt hatten, waren alle Eingeborenen ein Opfer des Gorillagottes geworden.

Was würde ich darum geben, die Geschichte des Monstrums zu erfahren! War es möglich, daß es die Pongos aus ihrer Heimat in West- oder Zentralafrika in ihr neues Land begleitet hatte, wie die Motombo behaupteten? Oder hatten sie den Gorilla als Gefangenen mitgenommen? Ich kann diese Fragen nicht beantworten, aber es sollte vermerkt werden, daß weder die Mazitu noch andere Eingeborene von der Existenz weiterer Gorillas dieser Art in jenem Teil Afrikas gehört hatten. Wenn unser Affe aus diesem Gebiet stammte, mußte er entweder ein Einzelgänger gewesen sein, oder seine Artgenossen hatten ihn vertrieben, wie es manchmal alten Elefanten passiert, die dann ebenso wild und gewalttätig werden wie der Gorilla.

Das ist alles, was ich über die Bestie sagen kann. Die Pongo haben natürlich viel mehr zu erzählen. Sie behaupten, ein böser Geist hätte sich im Körper des Affen verborgen, die Seele eines Eingeborenen, der vor langer Zeit gelebt hatte. Der Gorilla hätte jenen Mann getötet

und sich seinen Geist einverleibt. Um seinen Geist am Leben zu erhalten, hätte der Affengott immer wieder Eingeborene und andere Opfer getötet, um mit ihren Seelen seinen Geist zu nähren, um dem Alterungsprozeß entgegenzuwirken, um Unsterblichkeit zu erlangen.

Aber wenn der Affe wirklich ein Gott gewesen war, so hatten seine übernatürlichen Kräfte jedenfalls nicht ausgereicht, um ihn vor der Kugel eines Purdey-Gewehrs zu retten.

DER KULT DES WEISSEN AFFENvon Hugh B. Cave

Es ist Mitternacht. Die Öllampe vor mir auf dem Tisch wirft einen unheimlichen Schein auf mein Gesicht. Es ist ein schwaches, unzureichendes Licht, das unablässig flackert, während das Wellblechdach der Hütte unter dem Regen erzittert. Schon seit vier Monaten regnet es hier in Kodagis Dorf. Das Plätschern ist wie ein schreckliches, entnervendes Klagelied, das in die Gehirne der Menschen eindringt und ihren Verstand umnebelt. Die M’Boto-Berge im Kongo, versunken im stinkenden Schweiß des Regengürtels, scheinen zu solchen Qualen verdammt zu sein.

Es hatte geregnet, als Matthew Betts hier ankam. Ich war gerade draußen, arbeitete auf der Veranda, im Käfig der Moskitonetze. Ein Mann muß manchmal fliehen aus der Monotonie der Regentage, sonst wird er verrückt. Seit die belgische Regierung mich als Chef de Poste hierhergeschickt hatte, wußte ich, daß die Insektenkunde, mein Hobby, ein Himmelsgeschenk war.

Als Betts eintraf, sortierte ich gerade ein paar Exemplare und begann sie auf dem kleinen Okiholztisch in meinem Verandalaboratorium zu präparieren. Neben mir auf der Türschwelle hockte der alte Kodagi. Er ist ein schlauer Mann, der alte Kodagi mit seinem runzligen Affengesicht, der Pergamenthaut und den durchlöcherten Zähnen, mit dem breiten Grinsen, das verstecktes Wissen verrät. Ich glaube, er gehört zu den Zapo Zaps, einer seltsam deformierten Rasse, die in diesem geheimnisvollen Dschungel beheimatet ist. Jahrelang hat er im Dorf Ngana gelebt, als Medizinmann des Stammes.

Ich glaube, daß Kodagi mein Freund ist. Es ist eine merkwürdige Freundschaft, die sich kaum durch Worte oder Gesten äußert, und doch bin ich dankbar für die wenigen Freuden, die mir vergönnt sind. Es gibt Gerüchte, daß Kodagi die weißen Männer haßte, die vor mir die Stellung des Chef du Poste bekleidet hatten, daß diese Weißen eines langsamen, qualvollen, unerklärlichen Todes gestorben wären. Mehrmals schon stieg der Verdacht in mir auf, daß Kodagi den Bakanzenzi angehört, jener schrecklichen Kannibalensekte, von der sogar die Eingeborenen meines Dorfes nur in ängstlichem Flüsterton sprechen.

Kodagi beobachtete mich interessiert, als ich an meinem Tisch saß und arbeitete. Seine schwarzen Knopfaugen verfolgten alle meine Bewegungen. Gelangweilt sagte er etwas, aber das monotone Trommeln des Regens verschluckte seine Stimme.

Plötzlich hob er den Kopf und starrte zum anderen Ende der Lichtung. »Schau, Bwana!«

Gehorsam blickte ich in die Richtung, in die sein dünner Finger wies, und sah die ersten Teilnehmer einer Safari, die sich mühsam zu unserer stillen Domäne schleppte. Sie stapften durch den weichen Schlamm,

mit gesenkten Köpfen, die Rücken unter der Last ihres Gepäcks gebeugt. An ihrer Spitze schritt ein weißer Mann, ein Riese mit rotem Gesicht in einem locker sitzenden weißen Drillichanzug, der wie ein nasses Leichentuch an ihm hing. In einer Hand trug er einen Kiboko, die andere hob er hoch, um mich zu begrüßen. Er rief mir etwas zu, dann wandte er sich um und schrie die gebeugten Eingeborenen an. Offenbar hatten sie Angst vor ihm, denn sie wichen zurück, blieben am Rand der Lichtung stehen, in flüsternden Gruppen zusammengedrängt, während der Weiße auf die Veranda zukam.

Ich sah ihm mit ausdruckslosem Gesicht entgegen. Ich glaubte zu wissen, wer er war, denn man hatte mir mitgeteilt, daß eine große Gummigesellschaft einen Landstrich in der Nähe des Dorfes verpachtet hätte. Diese Company, so stand in dem Bericht, würde einen Burschen namens Matthew Betts nach Kodagi schicken, der mit verschiednen Bäumen und Reben, die Milchsaft produzierten, experimentieren wollte.

Wenn dies der Mann war, den die Company ins Dorf geschickt hatte, so war mir sofort klar, daß ich ihn nicht mochte. Er war betrunken, und es ist nicht gut, wenn die Weißen im heißen, von Fieberkrankheiten heimgesuchten Kongo den Rum der Eingeborenen trinken. Ich war froh, als mir mein Jopalou-Hausdiener die lästige Pflicht abnahm, dem Neuankömmling die Verandatür zu öffnen.

Dann sah ich, daß er stockbetrunken war. Er stolperte auf den Stufen, verlor beinahe das Gleichgewicht. Vielleicht sah er Kodagi nicht, der auf der Schwelle hockte. Vielleicht sah er ihn, ignorierte ihn jedoch. Jedenfalls blieb sein Fuß zwischen Kodagis schwarzen Beinen hängen. Er taumelte, fiel gegen das Moskitonetz, und ehe ich es verhindern konnte, wirbelte er mit einem wütenden Schrei zu Kodagi herum. Sein schwerer Stiefel traf die nackten Rippen des Ngana. Kodagi heulte auf vor Schmerz, krümmte sich zusammen, stürzte die Stufen hinab, in den Schlamm.

Betts richtete sich auf und kam grinsend auf mich zu. Er machte zwei Schritte, öffnete den Mund, dann erstarb sein Grinsen abrupt. Nackte Angst spiegelte sich in seinem aufgedunsenen Gesicht. Seine Augen weiteten sich, er wurde aschfahl, dann warf er sich zur Seite und hob eine Luger. Flammen schossen aus der Mündung, die Kugeln zischten gefährlich nah an mir vorbei und drangen in das dichte Gestrüpp neben dem Geländer der Veranda.

Sekundenlang war es totenstill. Betts stand zitternd vor mir. Dann bewegte sich etwas hinter ihm, am Rand der Lichtung. Die Gepäckträger kreischten auf vor Angst, stoben in alle Richtungen davon, um sich in Sicherheit zu bringen. Njo, mein Hausdiener, kniete in der Tür, murmelte etwas in seiner Muttersprache vor sich hin. Kodagi, der verkrümmt am Fuß der Treppe gelegen hatte, war verschwunden.

Langsam wandte ich mich um, starrte in das Gestrüpp, das Betts’ Aufmerksamkeit erregt hatte. Ich sah nichts – überhaupt nichts. Wütend ging ich auf Betts zu und packte ihn am Arm. »Sind Sie verrückt?«

»Verrückt?« wisperte er mit trockenen Lippen. »Haben Sie es denn nicht gesehen, Varicks?«

»Was?«

»Das – das Ding – da zwischen den Zweigen.« Seine Augen glitten zur Seite, gerötete braune Augen, in geschwollenen Lidern eingebettet, so daß sie unnatürlich klein wirkten. Er hob einen bebenden Zeigefinger.

Ich zuckte mit den Schultern. »Sie sind betrunken. Kommen Sie herein.«

»Ich – ich habe ihn gesehen, Varicks«, stammelte er. »Einen Affen – einen weißen Affen – riesengroß. Er stand da und knurrte mich an.«

»Kommen Sie.« Ich griff nach seinem Arm. Offenbar hatte er sehr tief ins Glas geschaut. Weiße Affen – im Kongo! Was für ein Unsinn!

Aber er ließ sich nicht in die Hütte führen. Er entzog mir seinen Arm, blieb störrisch stehen und erklärte, er könne diesem Ding nicht den Rücken zuwenden. Ich erkannte, daß ich ungewöhnliche Maßnahmen ergreifen mußte, sonst würde ich einen tobenden, fiebernden, betrunkenen Wahnsinnigen am Hals haben.

»Sie haben sich das nur eingebildet«, sagte ich beruhigend. »Kommen Sie, wir werden nachsehen. Wenn sich etwas im Gestrüpp versteckt hat, müßten wir Fußspuren im Schlamm finden.«

Widerstrebend ging er mit mir. Wir stiegen die Verandastufen hinab, wateten durch den Schlamm zu dem ominösen Gebüsch. Betts stand neben mir, zitternd und unbehaglich, als ich die Zweige auseinanderschob. Und dann stockte mein Atem. Ungläubig starrte ich auf den Abdruck eines Fußes. Betts riß die Augen auf. Seine Finger gruben sich in meinen Unterarm. Er flüsterte etwas, aber ich verstand seine Worte nicht, denn ich lag bereits auf den Knien, um den Fußabdruck zu inspizieren.

Es war der Abdruck eines Männerfußes – eines nackten Fußes. In der Ferse hatte sich ein kleiner Teich gebildet, Wasser vermischt mit Blut.

Wortlos richtete ich mich auf, dann durchsuchte ich das ganze Gestrüpp. Ich fand nichts – nichts außer diesem geheimnisvollen, blutigen Fußabdruck. Als ich Betts schließlich zur Treppe zurückstieß, war mein Mund staubtrocken. Ich hatte Angst.

Auf der Veranda ließ ich mich in einen Sessel fallen. Betts setzte sich zu mir und starrte mich furchtsam an. Minutenlang wagte keiner von uns das Schweigen zu brechen. Dann beugte sich Betts vor, legte eine Hand auf mein Knie und flüsterte: »Was – was war das?«

Ich antwortete nicht sofort. Ich dachte an Kodagi, den er in den Schlamm geworfen hatte, der so unglaublich schnell verschwunden war. Eben noch hatte der Medizinmann reglos im Schmutz gelegen, im nächsten Augenblick hatte Betts die seltsame Erscheinung im Gestrüpp gesehen, und Kodagi war plötzlich verschwunden.

»Ich weiß nicht, was es war«, sagte ich ruhig. »Ich weiß nur, daß Sie eine Riesendummheit gemacht haben.«

»Eine Dummheit? Ich?«

»In diesem Dorf werden die Eingeborenen nicht getreten und geschlagen. Wir sind im tiefsten Dschungel. Hier leben nicht die halb zivilisierten, friedlichen Neger, an die Sie gewöhnt sind. Die Leute hier sind atavistisch, und viele gehören den Bakanzenzi an.«

»Sie – Sie meinen…«

»Sie sind hier im Herzen eines fremdartigen Dschungels, inmitten fremdartiger Menschen. Hier geschehen seltsame Dinge. Das ist die einzige Erklärung, die ich Ihnen anbieten kann.«

»Aber der Affe – ich habe ihn doch gesehen…«

»Hier gibt es keine Gorillas, Betts. Die Menschenaffen kommen nie in diese Gegend. Sie verlassen niemals ihre Heimat in den Ogowwi- und Kivu-Distrikten.«

Er blinzelte mich verständnislos an. Zitternd hob er eine dicke Hand, um sich den Schweiß vom Kinn zu wischen. Meine Worte hatten ihn offenbar tief beeindruckt, denn in seinen Augen stand Entsetzen, und seine Lippen zuckten. »Geben Sie mir einen Drink, Varicks« stieß er hervor. »Ich kann einen brauchen.«

Ich zögerte. Er hatte schon mehr als genug getrunken. Aber ein Glas würde vielleicht seine Nerven stärken und einen Zusammenbruch verhindern. Ich stand auf, um die Flasche zu holen. Auch er erhob sich und wandte sich schwerfällig zur Verandatür um. Er öffnete sie und blickte zum anderen Ende der Lichtung, wo die Safari aufgetaucht war.

»Lucilia!« schrie er. »Lucilia!«

Ich war verwirrt, und meine Verwirrung wuchs noch, als ich der Richtung seines Blickes folgte und sah, was mir zuvor entgangen war. Ein Masheela-Stuhl, eine Art verschleierter Sänfte, stand am Waldrand, wo die vier Träger ihn abgesetzt hatten, bevor sie Hals über Kopf davongestürzt waren. Nun waren sie zurückgekommen. Betts befahl ihnen, den Masheela zur Hütte zu tragen, und sie gehorchten.

»Mein Gott«, flüsterte ich, »Sie haben eine Frau mitgebracht?«

»Warum nicht?«

»Hier hat eine weiße Frau nichts zu suchen, Betts. Das wissen Sie ganz genau…«

»Das ist meine Sache«, unterbrach er mich. »Sie ist meine Frau.«

Ich schluckte die Entgegnung hinunter, die mir auf der Zunge lag. Dann wandte ich mich um und starrte die Frau an, die auf uns zukam. Sie war jung, – viel jünger als ihr Mann, eine schlanke, sehr schöne Frau. Als Betts uns miteinander bekanntmachte und sie ihre Hand in die meine legte, war ich nur zu gern bereit, die Anwesenheit ihres betrunkenen Mannes hier in Kodagi zu ertragen. Eine weiße Frau an diesem schrecklichen Ort – es war, als sei ein Engel vom Himmel herabgestiegen.

Am nächsten Tag sah ich nur wenig von Betts und seiner Frau. Sie führten ihre Safari ans andere Ende des Dorfes und ließen sich mit ihrer gesamten Ausrüstung in einer Gruppe halbverfallener, leerstehender Hütten nieder. N jo, mein Hausdiener, erzählte mir am späten Nachmittag, daß Betts allein in den Dschungel gegangen war, um eine Besichtigungstour zu unternehmen.

»Allein?« Ich runzelte die Stirn und starrte auf Njos gelbe Zähne.

»Ja, Bwana. Er ist ein unwissender Narr.«

»Ist er betrunken?«

»So betrunken, Bwana, daß er nicht gerade gehen kann.«

»Hm. Glaubst du, daß er auch betrunken war, als er behauptete, er hätte einen weißen Affen gesehen?«

Die Augen des kleinen Jopaous weiteten sich vor Angst. Er schnitt Grimassen und warf sich vor mir auf die Knie. Ich mußte meine Frage wiederholen, bevor ich eine Antwort bekam.

»Andere haben den weißen Affen auch gesehen, Bwana«, flüsterte er. »Ich selbst sah ihn eines Abends im Dschungel, in der Nähe des Mondturms, wo sich die Bakanzenzi treffen. Und viele Manyimas und Zapo Zaps haben ihn gesehen. Es ist Mafui – der Weraffe. Er ist nicht von dieser Welt, Bwana.«

»Hast du Angst vor ihm?«

»Angst? Und wie! Der Mafui ist ein Todesbote.«

Ich sah ihn prüfend an. Kein Zweifel, die Angst, die ich in seinen Augen las, war echt. Ich zuckte gleichmütig mit den Schultern, um mein eigenes Unbehagen zu verbergen, wandte mich ab, drehte mich dann jedoch noch einmal zu Njo um. »Wo ist Kodagi?«

»In seiner Hütte, Bwana, auf der anderen Seite des Dorfes.«

»Geh zu ihm«, befahl ich. »Sag ihm, es tut mir leid, daß der weiße Mann ihn getreten hat. Sag ihm, er soll zu mir kommen, ich werde seine Wunden heilen.«

»Ja, Bwana.«

N jo lief davon. Eine Zeitlang ging ich in meiner Hütte auf und ab und lauschte dem Regen, der auf das Dach trommelte. Dann trat ich auf die Veranda hinaus und vergewisserte mich, daß mein Revolver, ein Webley 44, in der Halfter steckte.

Eine Stunde später kam Betts zu Besuch. Er kam allein, watete mühsam durch den dunklen Schlamm, stockbetrunken und in schlechter Laune. Zitternd sank er neben mir auf einen Verandastuhl. »Dieses verdammte Wetter…«

»Sie trinken zuviel. In dieser Gegend kann man sich nicht vollaufen lassen, wenn man am Leben bleiben will. Man kann nicht…«

»Man kann nicht, man kann nicht!« unterbrach er mich wütend. »Das ist offenbar der wichtigste Satz in diesem verfluchten Land. Man hat mir gesagt, daß ich im Ituri-Distrikt keinen Gummi produzieren kann. Aber, bei Gott, ich habe die Konzession, und ich werde es tun.«

Ich zuckte mit den Schultern. Wenn er sich mit dem starken Rum der Eingeborenen umbringen wollte, so war das seine Sache. Aber ich dachte an seine schöne junge Frau mit dem zarten Gesicht. Ich bedauerte sie aus tiefster Seele.

Das Ende war unausweichlich. Der Alkohol und der Regen würden ihn um den Verstand bringen. Er würde Lucilia das Leben zur Hölle machen. Ein Blick in ihr sorgenvolles Gesicht hatte mir genügt, um zu erkennen, daß diese Entwicklung bereits begonnen hatte.

»Sie müssen Ihre Frau zurückschicken«, sagte ich. »Sie haben kein Recht dazu, sie hierzuhalten und…«

Die Tür hinter mir öffnete sich. Ich drehte mich rasch um. Njo kam auf mich zu. Er war aus dem Dorf zurückgekehrt und hatte eine Nachricht für mich.

Er beugte sich zu mir herab und flüsterte mir ins Ohr: »Bwana, Kodagi sagt, daß er kommen wird, und er bedankt sich. Er sagt, daß du sein Freund bist, aber der weiße Mann mit den roten Augen soll sich in acht nehmen. Das ist alles, Bwana.«

Njo verschwand im Haus, und ich wandte mich wieder zu Betts. Meine Augen verengten sich. »Sie sind in Gefahr. Sie haben kein Recht dazu, auch Ihre Frau dieser Gefahr auszusetzen.«

»Nein? Komisch, daß Sie sich so für meine Frau interessieren…«

»Ich werde tun, wozu Sie nicht imstande sind – weil Sie zu betrunken sind«, stieß ich hervor. Ich konnte mich nur noch mühsam beherrschen. Am liebsten hätte ich ihn erwürgt.

»Wenn es in diesem Dorf so gefährlich ist, warum bleiben Sie dann hier?« fragte er spöttisch.

»Weil ich nicht in Gefahr bin. Ich trete nicht nach Medizinmännern, und ich schieße nicht auf weiße Affen. Ich kümmere mich nur um meine eigenen Angelegenheiten.«

»Und?«

»Mein Vorgänger war so wie Sie. Er tat immer nur das, wozu er Lust hatte. Er starb ganz langsam – und qualvoll – und auf geheimnisvolle Weise.«

Meine Worte verfehlten ihre Wirkung. Betts stand schwankend auf und grinste mich an. »Sie sind schlimmer als die Nigger mit Ihrem verdammten Aberglauben. Ich bin vernünftiger. Und was ich begonnen habe, werde ich auch zu Ende bringen.«

»Sie weigern sich also, Lucilia zurückzuschicken?«

»Sie bleibt hier bei mir. Ich brauche jemanden, der mir die Drinks eingießt, Varicks. Zu was anderem ist sie nicht zu gebrauchen, aber vielleicht lernt sie mit der Zeit noch was dazu.«

»Sind Sie…« Ich brach ab. Diese Frage war indiskret.

»Was?«

»Sind Sie schon lange verheiratet?«

»Etwa einen Monat.« Er wandte sich ab. »Ich glaube, es war ein Fehler. Aber vielleicht lernt sie’s noch. Ja, ich werde es ihr schon beibringen.«

Dann stolperte er die Treppe hinab und taumelte durch das Dunkel davon.

Danach sah ich ihn ziemlich oft. Er war ständig betrunken, und immer, wenn er zu mir kam, prahlte er mit den großartigen Fortschritten, die er gemacht hätte. Er hatte seine Hütten bereits repariert, so daß sie dem trommelnden Regen standhielten. Und er hatte Vorbereitungen getroffen, um seine Milchsaftgewächse zu pflanzen. Seine Frau begleitete ihn nur selten, wenn er mich besuchte. Zuerst konnte ich das nicht verstehen. Aber eines Abends, als sie ihn begleitete, erkannte ich den Grund. Sie schämte sich.

Häßliche rote Flecken entstellten ihren schönen Hals. Rote Striemen zogen sich über ihre blasse linke Wange. Er mußte sie geschlagen oder gekratzt haben. Aber sie sagte nichts. Sie schwieg auch, wenn wir uns zufällig allein begegneten.

Und dann sagte Betts eines Abends: »Ich habe eine große Lichtung im Dschungel gesehen, Varicks – etwa eine Viertelmeile vom Dorf entfernt. Was ist denn das für ein komischer Turm in der Mitte dieser Lichtung?«

Ich wußte, was er meinte. Er hatte den Versammlungsort der Bakanzenzi gefunden, der kannibalistischen Sekte. Der Turm war eine massive Säule aus schimmerndem weißen Stein, eine Plattform umgab die Spitze, die sich wie ein Gegenstand aus einer anderen Welt aus dem Dschungel erhob.

Während der vier Monate, die ich nun in Kodagis Dorf lebte, hatte ich mir diesem Turm schon oft angesehen. Er war nicht hohl, und die Steine waren offenbar aus weiter Ferne angeschleppt worden, denn in der näheren Umgebung hatte ich kein ähnliches Gestein entdecken können. Ich glaube, daß die Phönizier diesen Turm gebaut haben, vor vielen Jahrhunderten. Im dunklen Innern des afrikanischen Kontinents stehen viele solche Türme. Sie waren zu Ehren der phönizischen Göttin Astarte errichtet worden. Aber nun sind sie den Göttern der Eingeborenen geweiht, und der schwarzen Magie.

Ich erklärte das alles dem Mann, der mir gegenübersaß, so gut ich konnte. Er zuckte mit den Schultern, als ich Astarte erwähnte, und grinste spöttisch, als ich von Mafui sprach. »Was sind denn das für merkwürdige Leute, diese Bakanzenzi?«

»Das weiß ich nicht genau, Betts. Kein Weißer kennt die geheimen Kulte der Schwarzen. Die Bakanzenzi sind Kannibalen, die sich angeblich zu bestimmten Zeiten in Tiere verwandeln können. Kodagi hat mir erzählt, daß jene Lichtung den Bakanzenzi heilig ist. Sie feiern bei dem alten weißen Turm ihre kultischen Feste. Die Lichtung ist von verkrümmten Okis umgeben, die angeblich Zauberbäume sind. Kodagi behauptet, daß jeder, der den heiligen Ort entweiht, mit dem Tode bestraft wird – mit einem grausamen Tod.«

»Unsinn«, sagte Betts. »Sie sind ein altes Waschweib, Varicks.«

»Ich habe lange genug im Dschungel gelebt, um vorsichtig zu sein«, erklärte ich.

»Tatsächlich? Und ich bin lange genug hier, um zu wissen, daß diese Lichtung eine wunderbare Plantage abgeben wird. Morgen werde ich anfangen, den Boden zu bebauen.«

Ich versuchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber er sagte, die Lichtung gehöre zu seinem Pachtgrund und es sei sein gutes Recht, sie zu bepflanzen. Am nächsten Tag ging er mit einer Negerschar in den Dschungel, um in der Lichtung der Astarte Gummipflanzen einzusetzen. Er trieb die Eingeborenen brutal an, und während sie sich für ihn abrackerten, lag er im Schatten des Turms und schüttete Rum in sich hinein.

An diesem Abend kam seine Frau zu meiner Hütte – allein. Wir saßen drinnen, denn die Nachtluft war kalt und feucht. Als sie sich im Schein der Lampe zu mir beugte, sah ich neue Spuren seiner Brutalität in ihrem Gesicht und an ihrem Hals.

»Ich – habe Angst«, flüsterte sie. »Er trinkt mehr denn je. Und einige unserer schwarzen Diener hat er so geprügelt, daß sie nicht mehr gehen können.«

»Hat er Sie auch geschlagen?« fragte ich sanft.

Sie wich meinem Blick aus, und ich sah, daß ihr das Blut in die Wangen stieg. Ich griff nach ihrer Hand. »Es wird Ärger geben«, sagte ich seufzend. »Sie haben mir erzählt, daß er seine Diener geschlagen hat. Aber noch kein Eingeborener ist zu mir gekommen, um sich zu beschweren. Das ist merkwürdig. Normalerweise kommen sie mit allen ihren Problemen zu mir, seit ich diesen Posten angetreten habe. Dieses Schweigen kann nur bedeuten, daß sie die Angelegenheit auf eigene Faust regeln wollen.«

»Und Sie können gar nichts tun?«

»Ich werde mein Bestes tun. Kodagi kommt morgen zu mir, um sich seine Wunden frisch verbinden zu lassen. Ihr Mann hat brutal nach ihm getreten, und ich fürchte, der Medizinmann hat auch innere Verletzungen.«

Unwillkürlich preßte Lucilia eine Hand auf ihre Rippen, sie stöhnte und unterdrückte einen Schmerzensschrei, als ihre Finger eine verborgene Verletzung berührten. Nun wußte ich, daß nicht nur Kodagi Betts’ Stiefel zu spüren bekommen hatte, und eine dumpfe Wut stieg in mir auf. O Gott – wenn ich ihn dabei erwische, wenn er Lucilia Fußtritte versetzte…

»Weiß er, daß Sie hier sind?« fragte ich.

»Nein. Er ist in den Dschungel gegangen – allein. Ich weiß nicht genau, wohin. Er ist immer betrunken – und mißgelaunt. Ich wage es nicht, ihm Fragen zu stellen.«

Ich ballte die Hände, sah, daß sie weinte, und zog sie an mich. Sie legte den Kopf an meine Schulter.

»Warum haßt er Sie, Lucilia?« fragte ich leise.

»Weil – weil er soviel trinkt. Und weil er eifersüchtig auf Sie ist. Sie sind so, wie er gern sein möchte. Stark und voller Selbstvertrauen…«

»Wenn ich wirklich stark wäre, wenn ich Mut hätte«, sagte ich bitter, »dann würde ich ihm seine Frau wegnehmen.«

Langsam hob sie den Kopf.

»Ich wünschte, Sie würden es tun«, flüsterte sie.

Ich widerstand der Versuchung. Sie war seine Frau. Ich war ein zivilisierter Weißer, trotz der Wildnis, die mich umgab. Ich konnte ihn töten – ich würde ihn töten, wenn ich mit ansehen müßte, daß er sie mißhandelte. Aber ich durfte sie nicht lieben, trotz der Gefühle, die sie in mir geweckt hatte. Es gab einen Unterschied zwischen Schutz und Diebstahl.

Ich begleitete sie durch das Dorf, durch den Regen.

Die Hütte, in der sie wohnte, war leer. Betts war noch nicht zurückgekommen. Flüsternd verabschiedete ich mich von Lucilia, dann ging ich langsam und mit schwerem Herzen nach Hause, zu meinem trostlosen Heim am anderen Ende des Dorfes.

Am nächsten Nachmittag kam Kodagi zu mir. Er humpelte und stützte sich auf die Schultern zweier Zapo Zaps. Sorgfältig verarztete ich seine Wunden. Dann lud ich den Medizinmann und seine beiden Begleiter in meine Hütte ein, um mich seiner Freundschaft zu versichern. Ich schenkte ihnen Zigaretten und ein paar wertlose Gegenstände, die sie entzückt in Empfang nahmen. Ich erlaubte ihnen auch, durch das Mikroskop zu blicken, das auf dem Tisch stand – ein Ding, das schon immer ihre Neugier erregt hatte.

Kodagi beugte sich minutenlang über das Instrument, dann trat er zurück, um seinen Gefährten Platz zu machen. Dankbar grinste er mich an. Ich versuchte ihm das Geheimnis eines Mikroskops zu erklären. »Durch diese Linse betrachtet, wirkt alles größer, als es in Wirklichkeit ist, und…«

Ich brach ab, als die Tür hinter mir aufflog, und wirbelte herum. Betts stand schwankend vor mir.

Er war betrunkener als je zuvor. Mit ausgestreckten Händen stürzte er sich auf mich.

»Hier sind Sie also -hier… Sie…« Er verfluchte und beschimpfte mich mit den schlimmsten Ausdrücken, die ich je gehört hatte.

»Was wollen Sie?« fragte ich kurzangebunden. Kodagi und seine beiden Begleiter waren vom Tisch zurückgetreten und beobachteten mich gespannt.

»Das wissen Sie verdammt gut!« brüllte er. »Meine Frau kommt zu Ihnen, wenn ich im Dschungel bin, nicht wahr? Lucilia und Sie…«

Nur eine einzige Antwort war möglich. Ich packte ihn und schleuderte ihn zur Tür. »Sie sind betrunken. Wenn Sie noch ein Wort sagen – bei Gott, Betts, Sie sind ja gar nicht in der Lage, mit einer Frau zusammenzuleben. Wenn Sie nicht aufhören, zu trinken und die Eingeborenen zu verprügeln, werde ich Sie zur Küste zurückschicken, Sie – Sie Bastard!«

Er war quer durch den Raum getaumelt wie ein fieberkranker Ochse. Sekundenlang starrte er mich an, und auch Kodagi und die beiden Zapo Zaps mußten den Haß gesehen haben, der in seinen Augen glühte. Und dann umklammerte er mit einem wilden Fluch den Griff des Revolvers, der in seinem Gürtel steckte.

Er war betrunken genug, um einen Mord zu begehen. Glücklicherweise zitterten seine schweißnassen Finger. Bevor es ihm gelungen war, die Waffe hochzureißen, hatte ich mich auf ihn gestürzt. Meine Fäuste trafen sein Kinn, er stolperte nach hinten, griff haltesuchend um sich, dann brach er bewußtlos zusammen.

Kodagi und die beiden Zapo Zaps gingen lautlos durch die offene Tür hinaus. Sie sagten nichts, sie verschwanden wie Geister. Ich war allein mit der reglosen Gestalt, die verkrümmt auf dem Boden lag.

Minutenlang stand ich neben dem Tisch und wußte nicht, ob ich ihn einfach liegenlassen oder ob ich versuchen sollte, ihn ins Bewußtsein zurückzurufen. Doch dann sagte ich mir, daß er betrunken war, daß er nicht gewußt hatte, was er tat. Ich kniete neben ihm nieder und wischte ihm das Blut vom Kinn.

In diesem Augenblick hörte ich, wie sich die Verandatür öffnete und schloß, hörte zögernde Schritte. Ich wandte mich um und sah Lucilia auf der Schwelle stehen. »Haben Sie ihn getötet?« flüsterte sie.

»Nein. Aber er hätte mich beinahe umgebracht.«

Sie stieß einen erstickten Schrei aus, starrte in Betts’ Gesicht, und im gleichen Moment schlug er die Augen auf.

Wir schwiegen, alle drei. Es war ein Schweigen, das eine Ewigkeit zu dauern schien. Schließlich rappelte sich Betts auf, stand schwankend vor uns und grinste höhnisch. »Du freust dich wohl«, sagte er zu seiner Frau. »Es macht dir Spaß, daß Varicks mich zusammengeschlagen hat, was?«

»Ja«, erwiderte sie schlicht.

»Ja? Das wirst du noch bereuen.«

Er wandte sich ab, taumelte davon. Die Verandatür fiel hinter ihm ins Schloß. Ich war allein mit Lucilia.

»Warum sind Sie zu mir gekommen?« fragte ich. »Sie wissen doch, daß Sie ihn damit nur noch wütender machen.«

»Ich mußte kommen, Lyle. Er war völlig von Sinnen, als er aus unserer Hütte rannte. Ich hatte Angst, er könnte Sie töten.« Sie umklammerte meinen Arm, ihr Gesicht war leichenblaß. »Ich habe Angst, Lyle. Er ist zum Tier geworden. Beim leisesten Geräusch fährt er herum und starrt hinter sich. Er geht auf Zehenspitzen, unterhält sich nur noch im Flüsterton mit mir, auch wenn wir allein sind. Manchmal murmelt er unverständliche Worte vor sich hin und greift in die Luft, als wollte er Fledermäuse abwehren.«

»Vampire«, sagte ich unwillkürlich.

»Was?«

»Ach, nichts. Sie sollten jetzt zurückgehen. Sie dürfen ihn nicht noch mehr reizen. Wenn etwas passiert, kommen Sie sofort zu mir.«

»Oh, ich wünschte, ich könnte hier bei Ihnen bleiben.«

»Das wünsche ich mir auch. Aber es ist unmöglich.« Mit schleppenden Schritten ging sie hinaus. Ich sah ihre gebeugten Schultern, den gesenkten Kopf, spürte ihre Angst. Aber ich konnte nichts tun – noch nicht. Ich konnte ihr nur nachstarren, mußte sie gehen lassen.

Als ich allein in meiner Hütte war, versuchte ich, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Eine Stunde lang beschäftigte ich mich mit meinen Insekten, spießte sie auf Nadeln und versah sie mit Schildchen. Aber meine Gedanken waren nicht bei der Sache, wanderten immer wieder zu Betts, dessen seltsames Benehmen mir Lucilia so anschaulich geschildert hatte.

Ich hatte ein paar Semester Medizin studiert, und ich wußte, daß es eine simple, keineswegs geheimnisvolle Erklärung für Betts’ Zustand gab. Der Mann hatte Delirium tremens. Der Rum der Eingeborenen hatte ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht. Und doch, wenn ich mich erinnere, wie blitzschnell Kodagi an jenem Abend verschwunden war, wenn ich an den Turm der Astarte denke und an den schrecklichen Kult der Bakanzenzi… Ich wußte, daß die medizinische Erklärung nicht ausreichte. Es gab andere Dinge, unbekannte, namenlose Dinge im Dunkel des Dschungels. Es gab geheimnisvolle Mächte, die Betts in ihre Gewalt gebracht hatten.

Eine Stunde schleppte sich dahin. Es war schon fast Mitternacht, als die Tür aufflog, Ich sprang auf, wirbelte herum, hob beide Arme, um mich vor einem plötzlichen Angriff zu schützen, und dann ließ ich sie sinken, als Lucilia hereintaumelte.

»Er ist verschwunden!«

»Verschwunden?« wiederholte ich.

»Er war in der Hütte, als ich zurückkam. Ich hörte ihn in seinem Zimmer auf und ab gehen. Ich saß auf der Veranda und wartete. Ich dachte, er würde jeden Augenblick herauskommen und mich schlagen. Irgendwann muß ich eingeschlafen sein – vor Erschöpfung. Als ich aufwachte, war er nicht mehr da. Er ist wieder in den Dschungel gegangen, Lyle.«

Ich sagte nichts, wußte nicht, was ich tun sollte. Sie kam zu mir, blieb ganz nah vor mir stehen und sah verzweifelt zu mir auf. »Lyle«, flüsterte sie, »er hat seine Kleider auf dem Bett liegengelassen. Er – er muß nackt sein.«

»Im Dschungel? Nackt? Großer Gott – nein!«

»Es ist wahr, Lyle. Er ist ein Tier. Er…«

Ich schob sie zur Seite. Diese schreckliche Geschichte hatte ihren Höhepunkt erreicht, und ich war entschlossen, die Initiative zu ergreifen. »Bleib hier. Ich muß ihn finden.«

Sie sank in einen Sessel, und ich legte ihr meine Jacke um die Schultern. Dann lief ich auf die Veranda, wo Njo in einer Ecke lag und schlief. Ich rüttelte ihn wach und schrie ihn wütend an, weil er wie ein Affe auf seinem Lager hockte und mich verwirrt anblinzelte. Endlich schien er zu begreifen und folgte mir, als ich in die Nacht hinausging.

Dichtes Dunkel erfüllte die Lichtung. Der Regen hatte aufgehört, dampfende Nebelschleier lagen über dem Dschungel. Der Himmel war grauschwarz und sternenlos. Aber der Mond hing in der Mitte des finsteren Gewölbes, blutrot, wie eine verschwommene Laterne.

Wir gingen geradewegs zu Betts’ Hütte. Mit Hilfe meiner Taschenlampe fanden wir die Spur des Mannes, an der Hintertür – die Abdrücke nackter Füße. Es war nicht schwierig, der seltsamen Spur bis in den Dschungel zu folgen.

Zwanzig Minuten lang gingen wir durch den dunklen Wald, auf einem ausgetretenen Pfad. Dann hatten wir die Lichtung erreicht, auf der sich der schimmernde Turm der Astarte erhob. Wie ein weißer Zahn ragte er aus schwarzem Gestrüpp auf.

Auch am Fuß des Turms fanden wir Abdrücke von Betts’ nackten Füßen. Die Spur wand sich um das Bauwerk herum, dann war sie plötzlich zu Ende.

Verwirrt, von Zweifeln an meinem eigenen Verstand erfüllt, kehrte ich zu meiner Hütte zurück Ich erzählte Lucilia, was ich gesehen hatte, und dann überwand sie mühsam ihre Angst und ging nach Hause. Ich saß noch lange auf meiner Veranda, wartete und rauchte und stellte mir Fragen, auf die ich keine Antwort fand. Es war die Nacht vor dem Vollmond.

Am nächsten Morgen kam Betts fluchend zu mir. Er erwähnte nicht, was am vergangenen Abend geschehen war. Er war blind vor Wut, weil ein Teil der Wolfsmilchgewächse, die er aus Madagaskar mitgebracht und auf der Lichtung eingepflanzt hatte, herausgerissen worden war. Nun verlangte er von mir, daß ich den Schuldigen fand. Ich konnte nichts unternehmen, und das sagte ich ihm auch. Immer noch fluchend verschwand er wieder im Dschungel.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit geschah nichts mehr. Ich hörte auch nichts von Lucilia, die aus Angst vor Betts darauf verzichtete, mich zu besuchen. Doch als der Mond am Nachthimmel aufstieg, erschien der Häuptling des Dorfes auf meiner Veranda.

»Ich bin gekommen, Bwana«, sagte er voller Bitterkeit, »um dein gerechtes Urteil zu erbitten. Der weiße Mann mit den roten Augen ist ein Mörder. Er hat zwei Männer getötet.«

Ich hielt mich nicht damit auf, sinnlose Fragen zu stellen. Ich wußte, was ich meiner Position in diesem Dorf schuldig war, und so steckte ich mir den Revolver in die Halfter und ging zu Betts’ Hütte.

Seine Frau öffnete mir die Tür und starrte mich erschrocken an. Sie mußte den Zorn in meinen Augen gelesen haben, denn ich bemühte mich auch gar nicht, ihn zu verbergen. Betts saß zusammengesunken auf einem Stuhl neben dem Tisch.

Ich beschuldigte ihn ohne Umschweife des Mordes an zwei Eingeborenen. Er stand auf und ballte die Hände.

»Und warum hätte ich sie nicht umbringen sollen?« stieß er hervor. »Sie haben meine Gummipflanzen herausgerissen. Ich habe sie dabei erwischt. Bei Gott, ich werde diesen ganzen verdammten Stamm ausrotten, ich werde sie alle töten, wenn sie es noch einmal wagen sollten, sich an meinen Pflanzen zu vergreifen.«

»Sie sind verhaftet«, sagte ich. »Dieses Dorf steht unter meinem Schutz. Ich werde nicht zulassen, daß…«

Er bewegte sich so überraschend schnell, daß er mich überrumpelte. Seine Faust landete auf meiner Nase, warf mich gegen die Wand. Ich hörte Lucilias Aufschrei, als ich zu Boden sank, und dann sah ich verschwommen, wie Betts aus der Hütte stürmte und in Richtung Dschungel davonlief. Ich rappelte mich auf, wischte mir das Blut aus dem Gesicht und folgte ihm in das Dunkel des Waldes.

Diesmal hatte ich keine Taschenlampe bei mir – nichts, um den Pfad zu beleuchten, der sich vor mir durch das Gestrüpp wand. Über den Bäumen strahlte ein heller Vollmond, aber sein Licht konnte die dichten Zweige und Schlingpflanzen nicht durchdringen. Ich stolperte durch den Dschungel, warf mich in undurchsichtiges Dickicht, mußte immer wieder die Lianen abstreifen, die sich um meine Arme und Beine wanden. Eine halbe Stunde lang kämpfte ich mich durch die Finsternis, hielt immer wieder inne, um auf die Schritte des Flüchtlings zu lauschen.

Einmal hörte ich einen Schrei – den Schrei einer Frau. In diesem Augenblick erkannte ich die gräßliche Bedeutung des Schreis noch nicht, und so setzte ich meinen Weg unbeirrt fort.

Und dann kam er. Ich konnte mich nicht verteidigen, da er mich von hinten angriff. Plötzlich knackten die Zweige hinter mir, ich hörte ein schreckliches Keuchen, wirbelte herum, doch es war zu spät. Ein Wesen stürzte auf mich, das ich nicht als menschlich bezeichnen konnte. Es war ungeheuer kräftig, splitternackt und stank nach Alkohol. Ich fiel auf den feuchten Dschungelboden, ein weißer Arm preßte sich auf meinen Hals, dann wurde ich hochgehoben, auf eine schweißnasse Schulter geworfen. Mit furchterregender Geschwindigkeit wurde ich durch den dunklen Wald getragen. Herabhängende Schlingpflanzen peitschten mein Gesicht, zerkratzten mir die Haut. Blut verschleierte mir den Blick. Ich glaube, daß ich irgendwann das Bewußtsein verloren hatte.

Was dann geschah, nahm ich nur undeutlich wahr, denn der Schmerz umnebelte meine Sinne. Ich spürte, wie heftige Atemzüge den nackten Körper unter mir hoben und senkten, als er durch die stockdunkle Nacht raste. Plötzlich öffnete sich der Dschungel, und das grelle weiße Licht des Mondes blendete mich. Ich wurde noch hundert Schritte weit getragen und dann auf den Boden geworfen. Mit weit aufgerissenen Augen sah ich mich um, starrte durch Blutschleier. Ich war an Händen und Füßen mit Schlingpflanzen gefesselt, lag verkrümmt zu Füßen des geheimnisvollen Turms, in der Mitte der Lichtung, auf der sich die Bakanzenzi zu versammeln pflegten.

Irgend etwas bewegte sich neben mir. Ängstlich zuckte ich zusammen und glaubte, meine letzte Stunde hätte geschlagen. Dann sah ich, was sich an meiner Seite bewegt hatte, und mein Atem stockte vor Entsetzen. Da lag Lucilia, brutal gegen den harten Stein geschleudert, keine zwei Schritte von mir entfernt. Sie stöhnte vor Schmerzen, denn die Fesseln aus Schlingpflanzen schnitten ihr tief ins Fleisch. Todesangst lag in ihren Augen.

Ich konnte nichts sagen. Mein Mund war voller Blut, meine Lippen waren geschwollen. Benommen starrte ich auf die Lichtung. Der Mond stand tief über den Oki-Bäumen und Fächerpalmen. Er war noch nicht hoch genug gestiegen, um den Turm zu beleuchten. Tiefe Schatten lagen über der Mitte der Lichtung.

Wir waren nicht allein. Halb verborgen im Dunkel sah ich eine weiße Gestalt um den Turm kreisen. Sie gab seltsame Laute von sich, mit kehliger Stimme, die sich immer wieder zu einem kreischenden Gesang erhob. Und als die Gestalt immer schneller an mir vorbeiglitt, sah ich noch etwas – pechschwarze Flügel, die ihren Kopf umflatterten, wirbelnde Leuchtkäfer.

Noch nie hatte ich solche Ängste ausgestanden. Ich rückte näher zu Lucilia heran, starrte mit heftig klopfendem Herzen auf das weiße Ding, das immer wieder an uns vorbeiraste. Es war Betts. Ich wußte, daß er es war. Doch diese Erkenntnis beruhigte mich nicht, denn diese Kreatur war ein splitternackter Wahnsinniger, in den Klauen einer übernatürlichen Macht, die ich nicht begriff.

Ich starrte in Lucilias Augen. »Wieso – sind Sie hier?« würgte ich hervor. »Hat er…«

»Er kam zurück, als Sie die Hütte verlassen hatten, Lyle. Er war nackt – und völlig von Sinnen. Er packte mich, schleppte mich hierher…«

Der Klang ihrer Stimme gab mir neue Kraft. Ich wußte, daß sie mich brauchte. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um an Liebe zu denken, und doch hatte ich

in diesem Augenblick erkannt, daß ich sie liebte, daß sie meine Liebe erwiderte. Das Leid hatte uns verbunden, hatte uns gezeigt, wie es in unseren Herzen aussah.

Ich hob den Kopf und schrie das schreckliche Ding an, das an uns vorbeirannte. »Betts! Besinnen Sie sich doch! Sie sind verrückt!«

Der nackte Mann blieb stehen und stieß ein häßliches Gelächter aus. Er zeigte auf den aufsteigenden Mond. Hinter Betts, am Waldrand, sah ich das Unterholz schwanken. Es raschelte, als hätte sich dort eine Horde lauernder Gestalten verborgen. Mit einem ohrenbetäubenden Heulen nahm der Wahnsinnige seine Rundwanderung wieder auf.

Erneut erfaßte mich kalte Angst. Ich starrte auf die rasende weiße Gestalt und fragte mich, wie mein Ende aussehen würde. Ich spürte, daß Betts nicht allein war. Die Bakanzenzi, die Angehörigen der grauenvollen Sekte, die ihre Kultfeiern auf dieser Lichtung abhielten, im Schein des Vollmonds, waren ganz in der Nähe – irgendwo im Dschungel, warteten nur darauf, daß das silberweiße Licht den heiligen Turm erreichte.

Und dann berührte ein Mondstrahl den Fuß der Säule. Die große weiße Gestalt blieb stehen, starrte sekundenlang reglos zum Himmel auf, dann trat sie in das volle Licht des Mondes. Nun konnte ich Betts zum erstenmal klar und deutlich sehen – den grausigen nackten Körper, übersät mit Wunden, die er sich selbst zugefügt hatte.

Er kam auf uns zu, mit ruckartigen Schritten und ausgebreiteten Armen. »Betts!« schrie ich. »Um Gottes willen…« Er ignorierte mich. Mit schriller, kreischender Stimme begann er zu reden, wandte den blutüberströmten Kopf in alle Richtungen, als spräche er zu einer un sichtbaren Versammlung. Eine schreckliche Halluzination hatte ihn in der Gewalt. Er sah Dinge, die nicht existierten – oder vielleicht existierten sie und gingen über mein menschliches Fassungsvermögen.

»Die Zeit ist gekommen«, sagte er. »Der Mond ist aufgegangen über dem heiligen Turm. Die Ungläubigen müssen sterben, wie es die Göttin des Turms befohlen hat. Die Zeit ist – jetzt!«

Er sprang auf uns zu, hob einen Arm, und im bleichen Mondlicht sah ich ein langes Messer in seiner Faust blitzen. Schaudernd schloß ich die Augen, Lucilia drückte sich an mich, stöhnte und versuchte meine Hand zu ergreifen.

Aber Betts warf sich nicht auf uns. Ein wilder Lärm ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren. Von allen Seiten der Lichtung drangen donnernde Trommelschläge zu uns, kamen aus der Tiefe des Dschungels. Es klang, als würde ein heftiger Regenguß auf ein Zeltdach prasseln. Immer lauter schwollen die Trommelschläge an, zu einem ohrenbetäubenden Krach. Und dann schlang sich ein behaarter weißer Arm von hinten um meine Taille und hob mich hoch. Ein tierischer Gestank stieg mir in die Nase, so stark, daß mir übel wurde. Ich spürte, wie ich davongetragen wurde, mit seltsamen, schaukelnden Bewegungen, auf den Waldrand zu. Und dort, im schützenden Schatten der Fächerpalmen, wurde ich zu Boden geworfen. Lucilia Betts fiel neben mir herab. Als ich wieder soweit zu mir gekommen war, um mich umzublicken, war das behaarte Wesen verschwunden. So wie Kodagi verschwunden war, nachdem er noch einen Augenblick zuvor im Schlamm vor meiner Veranda gelegen hatte.

Und dann brach der Lärm erst richtig los. Ein wildes Trommeln klang auf, ohne Rhythmus, ein Tosen und Dröhnen, das aus dem Nichts zu kommen schien. Betts’

kreischender Gesang mischte sich in die Höllenmusik. Er hatte sein Messer fallen lassen und umkreiste nun wieder den weißen Turm, im schwankenden Gang eines Riesengorillas. Rings um ihn sah ich die Leiber der Eingeborenen, glänzend schwarz im Mondlicht. Geduckt saßen sie im Gras, die Gesichter hinter dreieckigen Masken aus geschnitztem schwarzem Holz verborgen. Die Masken der Bakanzenzi…

Atemlos schienen sie Betts zu beobachten, als ob sie auf irgend etwas warteten. Er sah sie, und sein schaukelnder Gang steigerte sich zu einem seltsamen, wilden Hüpfen.

Es kann kein größeres Entsetzen geben, dachte ich. Das einzige, was mich vor dem Wahnsinn bewahrte, war die Berührung von Lucilias Fingern, die ich auf meinen gefesselten Handgelenken spürte. Dann hörte ich ihren entsetzten Schrei.

»Der Turm! Sieh doch!«

Sie drückte sich zitternd an mich, und ich starrte in fasziniertem Grauen auf die Turmspitze. Dort schwebte ein Gesicht, das in wilder Lust auf Betts herabblickte - ein häßliches, weißes behaartes Gesicht, mit triefenden Fängen, die im Mondlicht glitzerten. Das Gesicht eines Affen – eines weißen Affen, eines riesenhaften Monsters, größer als die Gorillas.

Er sprang hinter Betts herab, trottete ihm nach, machte aber keine Anstalten, ihn einzuholen. Wieder schrie Lucilia auf, und ich sah, wie ein zweiter weißer Affe auf der Turmspitze auftauchte, herabsprang und sich seinen beiden Vorgängern anschloß. Einer nach dem anderen kam herab, reihte sich ein in die Prozession der Ungeheuer, die von Betts angeführt wurde. Als ich endlich die Augen schloß, überwältigt von dem grausigen Anblick, umkreisten mehr als zwanzig Affen den Turm.

Ich schlug die Augen erst wieder auf, als ein seltsam vibrierender Gesang ertönte, und sah, daß das Mondlicht die Turmspitze erreicht hatte. Der Gesang schwoll auf und ab, wie Meereswogen. Flammen schössen rings um die Lichtung empor, flackerten und knisterten, warfen Funken in das Dunkel. Die Bakanzenzi begannen zu tanzen und zu kreischen und schlugen dazu auf ihre infernalischen Trommeln.

Und plötzlich waren die Eingeborenen verschwunden. Die Bewohner des Dschungels hatten ihren Platz eingenommen. Ich sah Leoparden durch das Unterholz springen, große Pythonschlangen wiegten sich im Feuerschein, ihre Stimmen vereinten sich zu zischenden Gesängen. Krokodile rasten über die Lichtung, mit weit geöffneten Rachen. Und der Trommelwirbel schwoll immer lauter an.

Lucilia war in Ohnmacht gefallen. Ich preßte sie an mich, starrte auf die grausige Szene, gebannt vor Entsetzen. Die großen Affen schlugen sich auf die Brust, während sie unablässig den Turm umkreisten, mit weit aufgerissenen Mäulern. Speichel tropfte von den Fängen. Betts führte die Prozession nicht mehr an. Er hüpfte nicht mehr um den Turm herum. Er rannte davon, so schnell ihn seine schwitzenden Beine trugen, schreiend, von Todesangst gejagt, die Arme hilfeflehend zum Mond erhoben.

Ich konnte die Augen nicht schließen. Jede Einzelheit der schrecklichen Szene brannte sich tief in mein Gedächtnis ein: Die Flammen, die auf ihre kannibalistischen Opfer warteten, die Dschungeltiere, die auf der Lichtung umhersprangen, die großen Affen, die ihre Beute gnadenlos einkreisten.

Und dann hatten sie ihn gefangen. Ich hörte einen herzzerreißenden Schrei, der immer schriller wurde, bis er, auf seinem Höhepunkt angelangt, abrupt abriß. Dann klang ein Triumphgeheul auf, und die riesigen Mafui-Affen stürzten sich auf ihr Opfer.

Als ich die Augen wieder öffnete, blickte ich in das ängstliche Gesicht meines Hausdieners Njo. Ich lag auf meiner Veranda, im Dorf Kodais, und Lucilia Betts lag neben mir auf der Türschwelle. Njo bemühte sich gerade, ein paar Tropfen Brandy zwischen meine zusammengebissenen Zähne zu pressen. Ich umklammerte seinen Arm. »Wer – wer hat mich hergebracht?«

Der Jopalou erschauerte. »Du warst hier, Bwana«, flüsterte er. »Ich habe euch beide gefunden, als der Tag anbrach – als mich die Schreie der Leoparden und die Trommelschläge weckten.«

Mehr konnte ich nicht aus ihm herausbringen, so sehr ich ihn auch mit Fragen bestürmte. Er blieb dabei, daß er uns bei Tagesanbruch gefunden hatte. Mehr wollte er nicht dazu sagen.

Als ich wieder einigermaßen bei Kräften war, ließ ich Lucilia in seiner Obhut und ging auf unsicheren Beinen durch den Dschungel, zur Lichtung der Bakanzenzi. Ich war entschlossen, die Wahrheit herauszufinden.

Die Lichtung lag leer und verlassen vor mir. Am Fuß des Turms fand ich Blutflecken und viele Fußspuren – menschliche Spuren. Und auf dem feuchten Boden entdeckte ich noch etwas anderes: zwei geheimnisvolle Gegenstände, eine sichelförmige Scheibe aus Perlmutt, das Symbol der Astarte, und einen goldenen Siegelring, halb im Schlamm vergraben, der die Initialen Matthew Betts’ trug. Und darin lag eine winzige, zusammengerollte grüne Schlange und starrte mich mit bösen, trüben goldenen Augen an – das Symbol der Bakanzenzi. Auf dem Rückweg ging ich an Kodagis Hütte vorbei. Ich wollte ihm nur eine einzige, aber sehr wichtige Frage stellen. Ich schob die Schilfmatte beiseite, die vor seiner Tür hing. Er saß auf dem Boden und blinzelte mich an.

Ich setzte mich zu ihm. »Weißt du, wo Betts ist?«

Er starrte mich an, und in diesem Augenblick lag ein so unheimliches Wissen in seinen dunklen Augen, daß ich unwillkürlich zurückwich. »Gestern nacht hörte ich die Schreie der Leoparden, Bwana«, sagte er und zuckte mit den Schultern, »und das Triumphgeheul der großen Affen. Vielleicht wurde Betts von Wildkatzen zerrissen oder von einem Gorillastamm getötet, der aus dem Kivu-Land zu uns gekommen ist.«

»Affen…«, flüsterte ich. »Es war ein Affe, der Lucilia und mich in Sicherheit gebracht hat. Er hat uns unter die Fächerpalmen gelegt. Ein Affe…«

»Vielleicht ist der Affe dein Freund, Bwana«, sagte Kodagi sanft. »Vielleicht hat er dich gerettet, weil du gut zu ihm warst, seine Wunden geheilt hast – weil du ihm erlaubt hast, durch dein Zauberinstrument zu blicken und…«

Ich zuckte zusammen. »Was?«

»Nichts, Bwana. Ich habe nur mit mir selbst geredet. Ich rede immer mit mir selbst, wenn es regnet, Bwana. Siehst du? Es hat schon wieder zu regnen begonnen.«

Ich verließ seine Hütte.

Und heute abend – nun, wo alles vorbei ist, kann ich nicht schlafen. Ich sitze in meiner Hütte, im flackernden Lampenschein, Bleistift und Papier liegen vor mir auf dem Tisch. Lucilia ist in ihre Hütte gegangen. Njo soll bis morgen früh bei ihr Wache halten. Dann werden wir gemeinsam dieses seltsame Dorf verlassen, Lucilia und ich, für immer. Wir werden der Dämonen der Bakanzenzi und ihrer gräßlichen Religion den Rücken

kehren. Im Missionsdorf Bugani, zwanzig Meilen weiter unten am Fluß, wollen wir uns von einem weißen Priester trauen lassen, und dann werden wir zur Küste Weiterreisen.

Ich werde der Regierung Bericht erstatten und behaupten, daß Betts von Leoparden zerrissen worden sei. Aber Lucilia und ich und der alte Kodagi, der auf dem Boden seiner Hütte kauert und weiser ist als wir alle – wir drei wissen es besser.

DR. HUDSONS GEHEIMNISVOLLER GORILLAvon Howard Waldrop

Ich erinnere mich nicht, was nach dem Unfall geschah - bis zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Finger ans Ohr legte.

Als ich spürte, wie ein Fell über meinen behaarten Nacken strich.

Das Fell, das auf meinem Handrücken wuchs.

Später, nachdem ich versucht hatte, mir die Bandagen vom Kopf zu reißen, kam von irgendwoher eine Nadel und stach mich. Ich verlor das Bewußtsein. Und dann wachte ich wieder auf.

Ich lag ganz still. Ich lag auf dem Rücken und beobachtete, wie sich meine Brust hob und senkte. Mein Kopf dröhnte – von der Droge, die man mir gegeben hatte. Kleine blaue Kreise wirbelten vor meinen Augen, wie ein Mückenschwarm. Langsam hob ich die Hand, bis ich den Handrücken sah. Er war behaart. Wie ein Pelzhandschuh… Ich strich über meinen Kopf, fand den Rand der Bandagen über der Stirn. Meine Stirn war so breit wie die Lenkstange eines Fahrrads.

Ich wandte den Kopf zur Seite. Sogar diese winzige Bewegung verursachte mir solche Schmerzen, daß ich aufschrie und erneut in tiefe Bewußtlosigkeit versank.

Ich würde zu spät kommen. Der Film mußte gleich anfangen. Neonreklame, grelle Buchstaben… Eine feuchte Nacht, rutschige Straßen… Hinunter die Canyon-Straße, um die Kurve, etwas taucht im Licht der Scheinwerfer auf, ein Hund oder eine Katze oder ein Kind. Ein Tritt auf die Bremse, die Michelin-Reifen greifen in den Asphalt, der Triumph sagt Lebewohl zur Straße. Segelnde Lichter – sieht hübsch aus vor dem schwarzen Hintergrund der Nacht…

Und sie kommen so rasch näher, daß ich keine Zeit zum Schreien habe…

Ich steige empor aus der Tiefe der Erinnerung und zittere. Ich erwache und merke, daß ich stöhne. Das Stöhnen ist wie ein Orkan in einem Echoraum. Langgezogen, von Schmerz erfüllt.

Der Kopfschmerz ist verschwunden. Wieder blicke ich auf meinen Körper hinab, auf diese fremde, behaarte Größe. Mein Körper…

Ich muß mal. Aber ich kann mich nicht bewegen, kann nicht aufstehen, nicht gehen – wohin? Zur Ecke des Käfigs? Denn ich bin eingesperrt. Der Käfig ist zehn Körperlängen lang und fünf breit. In einer Ecke steht ein Trog mit einem Wasserhahn und einem Fußhebel aus Stahl. Vor dem Käfig ist es dunkel. Es ist Nacht – die Lichter sind ausgeschaltet.

Ich bin verletzt. Ich begreife nicht, was geschehen ist. Ich glaube nicht, daß ich noch träume. So ist es also, wenn man beginnt, den Verstand zu verlieren. Ich habe Angst, und ich versuche zu weinen.

Er starrt mich an, als ich die Augen öffne. Jetzt ist es wieder hell, und das Licht tut mir in den Augen weh.

Er sieht aus wie Albert Einstein. Er hat eine große Nase, einen zerzausten weißen Schnurrbart, einen dünnen Haarkranz, der von einer Schläfe zur anderen reicht, um den Hinterkopf herum. Die Augen sind grau und glanzlos. Solche Grabsteinaugen habe ich bei Bettlern gesehen – und in der Army, in Vietnam, bei einem Burschen, der als einziger einen feindlichen Angriff überlebt hat. Er ist übergeschnappt. Auch auf Fotos habe ich solche Augen gesehen – Augen von Fabrikarbeitern aus dem Jahre 1890 – kleine, trübe Stahlkugeln.

Doch jetzt flackert ein Licht in diesen grauen Augen auf.

»Tuleg! Tuleg! Er ist wach!«

Die Stimme dröhnt so laut, daß ich zusammenzucke. Die blauen Mücken verschleiern mir wieder den Blick, dann verschwinden sie.

Ich versuche mich zu bewegen.

Er beobachtet mich. Er sagt nichts, tut nichts. Er sieht aufmerksam zu, wie ich versuche, meine Finger zu bewegen. Ich kann sie nicht flach aufstützen, um mich aufzurichten, und ich merke, daß ich sie wie meine normalen Hände zu gebrauchen versuche. Aber das klappt nicht. Denn die Hände, die ich jetzt habe, sind zweimal so groß.

Irgendwo öffnet sich eine Tür. Mein Blickfeld ist immer noch begrenzt – verschwommen. Hinter den Gitterstäben des Käfigs liegt ein Nebel. Licht kommt von irgendwoher, erlischt wieder.

Und dann steht der Assistent vor mir.

Er ist groß. Ja, er muß sehr groß sein. Er sieht aus wie ein Eichenstamm. Er ist muskulös, hat eine Glatze und bewegt sich wie ein Akrobat. Er trägt eine Khakihose. Ich kann nur den Hosenbund sehen. Der Käfig ist erhöht, steht etwa einen Meter über dem Boden des Raumes. Außer der Hose hat der Mann ein Unterhemd an, ärmellos, mit dünnen Trägern. Er wischt sich Pizzasoße vom Mund, als er hereinkommt. Er sieht mich an, dann kratzt er sich mit der rechten Hand auf der Brust.

»So?« sagte er zu dem verrückten Wissenschaftler.

»Allerdings! Wie Sie sehen, ist die Operation erfolgreich verlaufen, und Sie haben mir dabei geholfen. Ein menschliches Gehirn im Kopf eines Gorillas. Er lebt. Und er wird weiterleben, da bin ich ganz sicher.«

»Mm«, grunzt der Mann und wendet sich ab. »Rufen Sie mich, wenn Sie mich wirklich brauchen.«

Ich höre sie reden. Ich kann es nicht glauben. Was soll ich von diesem Dialog halten? Schlafe ich immer noch?

Ich sehe den wahnsinnigen Wissenschaftler an. Er starrt zurück, als wäre ich aus Gold oder aus Silber, eine Fliegende Untertasse oder das Ungeheuer von Loch Ness.

Der Assistent geht zur Tür hinaus. Er gefällt mir nicht. Und er kommt mir bekannt vor.

Rondo Hatton. Er erinnert mich an Rondo Hatton, den Kriecher. Er braucht nicht erst Akromegalie zu bekommen. Er ist auch so schon häßlich genug.

Der verrückte Wissenschaftler beugt sich zum Käfig vor und starrt mich an.

Einige Zeit ist verstrichen, der Wissenschaftler ist verschwunden. Es gelingt mir endlich, mich aufzurichten, zum Trog zu humpeln. Ich verrichte meine Notdurft. Die Exkremente eines Gorillas sind staubtrocken, ohne

eine Spur von Flüssigkeit. Ich weiß nicht, was ich gegessen habe – oder besser gesagt, was der ehemalige Besitzer dieses Körpers zu sich genommen hat.

Als ich fertig bin, lege ich mich wieder hin. Mein Kopf tut weh, mein Körper auch. Ich schlafe ein.

Irgendwann spüre ich wieder eine Nadel, die meine Haut durchsticht. Ich bin zu schwach, um mich zu wehren. Mein Schlaf ist voller verschwommener Alpträume.

Ich erwachte, als das Licht des Morgens durch meine Lider drang. Ich streckte mich. Mein linker Arm schmerzte, war rings um den Einstich der Injektionsnadel angeschwollen. Hinter den Gitterstäben des Käfigs sah ich einen Medizinschrank mit leeren Flaschen. Intravenöse Ernährung erspart Zeit und Mühe.

Ich stand auf, ging zur Latrine, trat auf den Hebel, und Wasser kam aus dem Hahn. Ich wusch mir das Gesicht. Das kalte Wasser fühlte sich nicht so an wie früher, wenn ich mich gewaschen hatte. Wie früher, als ich noch ein Mensch gewesen war… Es fühlte sich an, als wäre noch eine zweite Haut auf meine normale Gesichtshaut geklebt – eine Lederhaut. Ich zerrte mit ungeschickten Fingern an meinen Wangen, ballte die Hände, versuchte die Zehen zu bewegen.

Wieder trat ich auf das Pedal, hielt meine behaarte Hand, die so groß wie ein Notizblock war, unter den Wasserstrahl. Der Raum war hell, von einer unsichtbaren Lichtquelle erleuchtet.

Ich beobachtete, wie sich der Trog füllte, wie das Wasser über meine Hand lief. Es war, als würden Bäche durch einen Miniaturwald fließen. Dann nahm ich den Fuß vom Pedal, starrte in den Wasserspiegel.

Gorillaaugen. Winzig. Eine niedere, zurückweichende Stirn. Ein Kopf wie ein Pflasterstein. Dick. Häßlich. Ich setzte mich auf den Boden und bog die Zehen nach innen. Ich konnte es nicht glauben. Ich blieb sitzen, bis mir bewußt wurde, wie ich in dieser Stellung aussehen mußte. Wie ein Gorilla. Ein Gorilla, der versucht, die Rätsel des Universums zu lösen. Ich stand auf und begann langsam in meinem Käfig auf und ab zu gehen. Dann stellte ich mich vor die Gitterstäbe, streckte beide Hände hindurch. Das tun keine Gorillas. Das tun nur Menschen.

Gorilla, Gorilla…

Der menschlichste, der fürchterlichste Affe. Niemand glaubte die Geschichten, die die Eingeborenen erzählten. Die alten Männer aus den Wäldern. Sie leben dort, sie schlagen sich auf die Brust, sie jagen einen davon, sie töten. Sie haben Zähne, so groß wie Messer. Punkts hat über sie geschrieben. Die Römer haben sie gekannt, später die Spanier und die Portugiesen. Und auch sie haben es nicht geglaubt.

Zwei Gorillas… Der eine lebte in der Ebene, im Regenwald, der andere auf den Bergen. Doch sie starben, als ihnen die Menschen das Land wegnahmen.

Der Gorilla ist groß. Er sieht wild aus. Bestialisch – vielleicht, weil er dem Menschen so ähnlich ist und doch so weit von ihm entfernt. So stark, so schwer. Ein Mensch, grotesk verformt, wie in einem Alptraum.

Der Gorilla will kämpfen, und doch ist er scheu. Er schlägt sich auf die Brust, weil er nichts Besseres zu tun weiß. Die ausgewachsenen Männchen beschützen die Weibchen und die Jungen. Normalerweise laufen sie davon und greifen nicht an.

Seht euch den Gorilla an, den Schrecken des Dschungels, den Killer aus dem Kongo, den König der Affen. Gorilla, Gorilla…

Der verrückte Wissenschaftler hieß Hudson.

So nannte ihn der unsympathische Assistent am nächsten Tag.

Ich beobachtete die beiden, als sie in den Raum kamen und sich miteinander unterhielten.

Dann stand ich auf.

»Sehen Sie?« rief Hudson. »Er steht auf zwei Beinen.«

Ich ging zu den Gitterstäben, gestikulierte mit beiden Händen. Ich wollte wissen, warum.

Hudson beobachtete mich aufmerksam.

»Sehen Sie?« sagte er zu Tuleg. »Er versteht uns. Er ist immer noch ein Mensch.«

Ich fühlte mich unsicher. Ich konnte nicht gut auf zwei Beinen gehen. Aber ich wußte auch nicht, wie man auf allen vieren geht. Jedenfalls nicht auf die Art, wie man es als Mensch tun würde. Da ich nicht wußte, was ich tun sollte, setzte ich mich einfach auf den Boden.

»Er ist etwas durcheinander«, meinte Hudson. »Aber er wird noch viel lernen.«

»Und wer wird ihm was beibringen?« fragte Tuleg.

»Wir«, sagte Hudson.

Zum erstenmal lag Autorität in seiner Stimme.

Die Tage verstrichen. Sie ernährten mich immer noch intravenös und machten mich mit Drogen fertig.

Und dann begann Hudson mit mir zu sprechen, wie mit einem Kind.

Ich versuchte zu reden. Was dabei herauskam, klang wie nnnngnnnnnnnnnnng.

Ich wollte schreiben. Ich bewegte die Hände, als ob ich schreiben würde.

Hudson brachte mir Bleistift und Papier und lächelte glücklich.

Meine Finger waren wie Holzklötze. Mein Daumen war wie ein Schmiedehammer. Zu einem Buchstaben brauchte ich eine ganze Seite. Ich versuchte es immer wieder.

»Du wirst es schon noch lernen«, sagte der verrückte Wissenschaftler. »Mach dir keine Sorgen.«

Ich warf den Bleistift auf den Boden und zerriß das Papier mit ungeschickten Fingern. Nicht einmal das konnte ich richtig, und so blieb mein Wutausbruch wirkungslos.

»Nicke, wenn du mich verstehst«, sagte er.

Ich nickte.

Hudson lachte und klatschte in die Hände. »Du verstehst mich!« rief er und begann zu hüpfen. »Du verstehst mich!«

Ich nickte weiter, und nun freute ich mich auch.

»Warte, das muß ich Tuleg erzählen«, sagte er und rannte aus dem Zimmer. Ich stand enttäuscht vor den Gitterstäben. Wir hatten Kontakt miteinander aufgenommen, wenn auch auf primitive Art. Und nun war er davongelaufen – einfach davongelaufen.

Ich wollte nicht allein sein. Ich schrie. Ich brüllte. Ich rüttelte an den Stäben, bis sich alles in meinem Kopf drehte. Ich mußte mich setzen. Zitternd sank ich auf den Boden.

Ich entdeckte, daß Gorillas weinen können.

Ich hielt den Bleistift in der Hand und wiegte mich in den Schlaf.

Am nächsten Morgen fand ich heraus, was hier nicht stimmte. Dr. Hudson war wahnsinnig – wirklich wahnsinnig. Ich hatte mir nie zuvor über die sogenannten verrückten Wissenschaftler Gedanken gemacht. Nun war ich dazu gezwungen. Er mußte den Verstand verloren haben, sonst hätte er nicht so ein Experiment gemacht. Aber das war nicht der einzige Ausdruck seines Wahnsinns. Nein. Er war völlig verrückt. Er war davongelaufen, als wir einen Weg gefunden hatten, uns zu verständigen. Er hatte sich bemüht, einen Gorilla aus mir zu machen, und dann hatte er versucht, wieder den Menschen in mir an die Oberfläche zu holen. Und in dem Augenblick, als ihm das gelungen war, hatte er mich vergessen. Er war verrückt.

Tuleg kam herein und schloß die Tür.

Ich saß da, mit dem Bleistift in der Hand, die Zehen nach innen gebogen, die Beine flach auf dem Boden. Ich starrte ihn an.

Er stand mit verschränkten Armen vor mir. Mit seinem Glatzkopf erinnerte er mich an Boris Karloff, der den Scharfrichter im »Tower von London« gespielt hat.

Er sagte nichts. Dann ging er zum Schrank in der Ecke und nahm einen langen dünnen Stock heraus.

Ich sprang auf. So etwas hatte ich schon einmal gesehen.

»Ha, ha, ha!« rief er. »Du weißt also, was ein Stachelstock ist.«

Er kam auf mich zu, bewegte den Kopf so, daß er immer Blickkontakt mit mir hatte, zwischen den Gitterstäben hindurch. Er schob den Stock in den Käfig. Die Spitze versprühte einen grellen Funken. Mir war, als sei ich zugleich gestochen und geschlagen worden. Ich brüllte und sprang zurück.

Doch er war schneller als ich, und der Stock berührte mich immer wieder…

Ich schrieb mit dem Bleistift, obwohl er mir immer wieder elektrische Schläge versetzte und dabei lachte. Ich zitterte am ganzen Körper.

NEIN schrieb ich, und er sah es, schlug mir den Bleistift aus der Hand. Ich griff danach, und er hieb auf

mich ein. Der elektrische Funke betäubte meine Hand. Ich sah, wie die Haare brannten. Und dann sah ich in seine Augen.

»Kämpfe doch!« sagte er. »Warum kämpfst du nicht gegen mich?« Er schlug mir den Stock ins Gesicht, ich versuchte ihn wegzuschieben.

Die Berührung durchzuckte mich von den Ellbogen bis zu den Zähnen. Ich weinte und winselte. Ich legte mich auf den Boden, rollte mich zusammen, so gut ich konnte. Immer wieder schlug er auf mich ein, jagte Schmerzwellen durch meinen Körper. Ich biß mir die Zunge blutig, das Blut quoll zwischen meinen Zähnen hervor.

Dann hörte der Schmerz auf.

»Verdammt!« rief er und warf den Stock auf ein Regal. »Warum kämpfst du nicht?«

Er ging hinaus. Seine Worte dröhnten noch immer in meinem Kopf. »Warum kämpfst du nicht?«

Weil ich ein Mensch bin. Weil – weil – weil…

Der Assistent war böse. Abgrundtief böse. Das Böse verfolgt immer bestimmte Zwecke. Das Böse schlägt zu ohne Vorwarnung. Der Sadismus ist eine Abart des Bösen, die keine Motivation braucht. Einem anderen Wesen Schmerzen zuzufügen ist ein menschliches Bedürfnis. Vielleicht verschaffte es Tuleg sexuelle Befriedigung, mir weh zu tun? Ich wußte es nicht. Ich wollte ihm nicht geben, was er brauchte. Niemals.

Ich hatte die Bedeutung des Wortes »böse« kennengelernt. Eine Bedeutung, die mir nicht gefiel.

Ich spürte Hände auf mir.

Winzige Hände.

Ich öffnete die Augen und stöhnte, als die Hände über eine Wunde auf meiner Stirn strichen, über eine Wunde, die Tuleg mir mit seinem Stachelstock zugefügt hatte. Ich stöhnte und wälzte mich auf die Seite.

»Du armes Ding«, sagte sie. »Du armes, verängstigtes Ding.«

Warum, warum, warum gab es einen Gorilla und einen verrückten Wissenschaftler und einen bösen Assistenten, warum? Und warum gab es auch noch eine schöne Frau?

Ich habe das alles schon einmal erlebt, sagte ich mir, als der Doktor und die schöne Frau meine Wunden mit Salbe bestrichen. Ich hatte solche Schmerzen, und ich war wie betäubt, so daß ich nichts anderes tun konnte, als zitternd auf dem Boden zu liegen. Ich hatte Fieber. Meine Augen schienen aus Sand und Kies zu bestehen. Mein ganzer Körper schüttelte sich. Ich weinte. Sie breiteten eine Decke über mich. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, und dann schien mein ganzes Inneres zu brennen – stundenlang. Ich verlor das Bewußtsein, versank in Fieberträume, sah einen Dschungel vor mir.

Es war viel später, und ich hörte, wie der verrückte Doktor mit der schönen Frau sprach.

»Ich hätte dich nicht hergebracht, wenn ich nicht wollte, daß du es siehst«, sagte er. »Ich hätte es nicht getan, wenn ich gewußt hätte, was Tuleg tun würde. Dieser brutale Kerl! Ich hoffe, daß er in der Hölle schmoren wird. Ich werde ihn wegschicken – gleich, wenn er zurückkommt.«

»Ich habe dir gesagt, daß er schrecklich ist«, entgegnete sie mit sanfter Stimme. »Ich habe es schon gewußt, als du ihn eingestellt hast.«

»Nun, er war mir eine große Hilfe.«

»Natürlich.« Jetzt klang ihre Stimme so, als hätte sie ihm den Rücken zugewandt. »Er hat dir geholfen. O Vater!« Die Stimme zitterte nur, zögernd fuhr sie fort. »Warum?« fragte sie. »Warum hast du etwas so Dummes, Sinnloses getan? Wozu? Was willst du damit beweisen? Was?«

»Aber Blanche! Wenn du die Seelenqualen erlebt hättest, die Mühen, die vielen Stunden…«

Sie drehte sich wieder zu ihm um und stieß mit schriller Stimme hervor: »Kannst du dir vorstellen, was dieser arme Mann durchmacht? Kannst du das?«

»Er wird mich unsterblich machen, Blanche.«

»O Vater, Vater!« sagte sie. Ich hörte ihre Schritte. Die Tür öffnete sich und fiel hart ins Schloß.

»Sie versteht es nicht, sie versteht es einfach nicht«, sagte der alte Mann und schob irgendeinen Apparat auf der Werkbank hin und her. Ich hörte das Klirren von Glas und Metall.

Dann schlief ich wieder ein.

Irgendwann während der Nacht mußte Tuleg zurückgekommen sein. Ich öffnete die Augen, und da sah ich ihn im Raum umhergehen. Er bereitete ein Essen vor, kostete es, als er es in eine Schüssel gab.

Er brachte die Schüssel zu meinem Käfig.

»Hier«, sagte er und schob sie zwischen den Gitterstäben hindurch. »Friß!«

Er ging zur Werkbank, setzte sich und begann eine Thompson-Maschinenpistole zu reinigen. Während er arbeitete, hob er von Zeit zu Zeit den Kopf und sah zu mir herüber.

»Friß«, sagte er.

Ich ging zu der Schüssel. Sie war mit Haferbrei, Rosinen, Sellerie-, Apfel- und Zuckerstückchen gefüllt. Ich steckte mir einen Bissen in den Mund. Es schmeckte gut. Ich hatte nicht viel Appetit, weil ich immer noch fieberte, aber ich aß.

Meine Finger strichen über meine Schneidezähne, als ich mir das Essen in den Mund schob. Ich befühlte sie alle beide. Sie waren lang und gebogen. Sie könnten ein Stück Fleisch zerteilen wie ein Tranchiermesser. Sie könnten Konservendosen öffnen. Sie könnten töten. Ich schüttelte den Kopf.

Dann aß ich die Schüssel leer.

Dr. Hudson kam herein. Er mußte schon zuvor mit Tuleg gesprochen haben. Denn er war nicht überrascht, ihn hier zu sehen.

»Heute beginnen wir mit dem Unterricht«, sagte er zu mir.

»Du hast früher Roger Ildell geheißen«, sagte Dr. Hudson.

Ich nickte.

»Du hast einen tödlichen Unfall erlitten, direkt vor meinem Haus«, fuhr er fort. »Aber nur dein Körper ist gestorben. Ich habe dein Gehirn herausoperiert, bevor der Verfall einsetzen konnte. Ich habe dein Gehirn gerettet – und dein Bewußtsein.«

Ich nickte wieder.

»Ich habe deine Essays gelesen«, berichtete Blanche, die neben ihrem Vater saß. »Die Polizei sucht immer noch nach deiner Leiche. Mein Vater und Tuleg haben alle Spuren beseitigt. Sie sind sehr gründlich und methodisch vorgegangen.«

»Wir müssen ganz von vorn beginnen«, erklärte Hudson. »Blanche meint, daß du ein intelligenter Mann warst. Eigentlich dürfte es keine Probleme geben. Du wirst wieder schreiben lernen. Allerdings wirst du nie mehr sprechen können. Das bedaure ich – sogar sehr.«

Ich streckte dem Wissenschaftler und seiner Tochter beide Arme entgegen. Warum? Warum?

Hudson war verwirrt.

Tuleg schnaufte verächtlich und verließ den Raum. Er trug noch immer das fleckige Unterhemd, in dem ich ihn zum erstenmal gesehen hatte.

Ich machte die Bewegung des Schreibens. Der Gorilla-Körper, den man mir aufgezwungen hatte, kämpfte mit sich selbst. Ich wollte mit ihnen reden, wollte ihnen Fragen stellen. Was stimmte nicht mit mir? War mein Verstand beeinträchtigt worden? Warum konnte ich nicht sprechen? Warum konnte ich nicht schreiben?

Blanche gab mir einen größeren Bleistift und ein Blatt Papier, so groß wie eine Tischplatte. Ich schrieb, so gut ich konnte, verbrauchte den Großteil des Papiers, strengte mich gewaltig an, um mich verständlich zu machen.

Warum ich? Warum habt ihr mir das angetan?

Blanche las die wenigen Worte und sah dann tief in meine anthropoiden Schweinsaugen.

»O Vater!« rief sie und drehte sich zu dem verrückten Wissenschaftler um.

Er starrte mich an mit seinem Einstein-Blick.

»Ich habe es getan, um dein Leben zu retten. Verstehst du das nicht? Sonst wärst du da draußen gestorben.« Er begann zu schreien. Speichelbläschen entstanden in seinen Mundwinkeln, als er die Lippen auf- und zuklappte. »Ich werde dich unterrichten. Ich muß es tun. Du hast überlebt, also kann ich meine Forschungsarbeit fortsetzen. Oh…« Er gab einen erstickten Laut von sich, brach zusammen, sein Körper begann krampfhaft zu zucken.

Ich beobachtete ihn interessiert. Blanche rief nach Tuleg. Mit vereinten Kräften hoben sie den Verrückten auf und trugen ihn aus dem Labor. Nach einer Weile kam Blanche zurück.

»Du armer Mann«, sagte sie, trat vor die Gitterstäbe, streckte ihre Hand hindurch und berührte meine behaarten Finger.

Ich fuhr zusammen, als hätte ich wieder einen elektrischen Schlag bekommen.

»Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte sie. »Ich will dir helfen, so gut ich kann.«

Sie beugte sich zu mir, hielt meine Hand fest.

»Meinem Vater geht es nicht gut«, erklärte sie und sah mir in die Augen. »Er ist krank – in mancher Beziehung.«

Sie küßte meine Finger, direkt über den Nägeln, küßte die Haare zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger.

Verrückt… Sie ist auch verrückt…

Ich sitze in der Ecke meines Käfigs, den Rücken an die Stäbe gelehnt, die Beine vor mir ausgestreckt. Ich blicke auf meine behaarten Knie.

Ich denke nach.

Zuerst hat man diese Filme gedreht. Ich habe sie alle gesehen, in jenem anderen Leben. Der Gorilla ist das personifizierte Grauen, der anthropoide Killer, der Männer und Kinder ermordet und Frauen vergewaltigt.

Der Penis eines ausgewachsenen Gorilla ist nur zwei Zoll lang. Fragen Sie mich. Ich muß es ja wissen.

»Der Riesengorilla« – »Der weiße Pongo« – »Nabongo« – »Killer Gorilla«.

In Edgar Allan Poes »Mord in der Rue Morgue« war ich Old Man Pong, der Orang-Utan. Im Film war ich der Gorilla. Bela Lugosi. Armer, alter Bela Lugosi, der eine Rolle nach der anderen übernahm, lauter Rollen, in denen er nichts weiter zu tun hatte, als drohend zu

lachen. »Der Affe« – »Die Rückkehr des Affenmenschen« – »Das Affenmädchen« – »Gefangene wilde Frau«…

In »Slash Gordon« trug ich ein Horn am Kopf. Und dann »Konga«, »Unbekannte Insel«, »Der mächtige Joe Young«…

»King Kong«…

Ich dachte an Blanche, und ich träumte von Fay Wray. Auch wenn Blanche ihr gar nicht ähnlich sieht. Ich sehe Skull Island vor mir. Für sie kämpfe ich mit dem Tyrannosaurier. Ich reiße einem Flugsaurier die großen Schwingen aus. Ich stehe auf dem Empire State Building, brülle wütend die Menschen an, die da unten stehen.

Und dann stürze ich auf die Straße hinab.

Warum sind die Gorillas immer hinter schönen Mädchen her?

Warum? Warum?

Tuleg hatte mir wieder weh getan.

Ich zitterte und bebte, als Blanche nach mir sah.

Sie nahm einen Schlüssel von der Werkbank, öffnete meinen Käfig, kam zu mir herein. Stöhnend lag ich auf dem Boden.

»O Roger, Roger!« sagte sie und bettete meinen Kopf in ihren Schoß. »Ich töte ihn. Ja, ich werde ihn töten, wenn er dir noch einmal weh tut. Mein Vater muß ihn wegschicken.«

Sie wusch meine Wunden, strich Salbe darauf, streichelte mich.

Ich habe nicht gekämpft, schrieb ich auf ein Blatt Papier.

»Ich weiß«, sagte sie und wiegte mich sanft in ihren Armen, »ich weiß. Es ist ja alles wieder gut.«

Aber da irrte sie sich. Tuleg kam herein. Er blieb abrupt stehen, als er sie in meinem Käfig sah.

»Kommen Sie heraus!« schrie er dann und stürzte in den Käfig. Er zog sie von mir weg, zerrte sie hinaus, schlug die Tür des Käfigs hinter sich zu. Der Schlüssel fiel zu Boden, er schob ihn mit der Fußspitze beiseite. Ich versuchte aufzustehen. Aber ich hatte solche Schmerzen.

Endlich gelang es mir, mich aufzurappeln.

»Ihr Vater ist tot«, sagte Tuleg. »Er wurde völlig verrückt, tobte wie ein Wilder, und dann starb er.«

»O nein!« rief sie und rannte aus dem Labor.

Tuleg folgte ihr.

Wenige Minuten später höre ich einen Schrei. Den Schrei einer Frau, und dann noch einen – und noch einen.

»Nein, nein!« schreit Blanche, als sie zur Tür hereinstürzt. Die Kleider hängen ihr in Fetzen vom Leib. Draußen klingt Tulegs Gelächter auf. Dann kommt auch er herein. In einer Hand hält er einen Stoffstreifen. Einen Streifen ihres Kleides.

Ich werfe mich brüllend gegen die Gitterstäbe. Tuleg lacht, er packt Blanche und schleift sie hinter die Werkbank.

Ich schmettere meine Fäuste gegen die Tür des Käfigs, schiebe meine Schulter zwischen die Gitterstäbe. Ich stemme mich dagegen.

Immer wieder…

Immer wieder…

Ich muß den Mord mit ansehen. Und dann die Vergewaltigung.

Erst dann sehe ich den Schlüssel. Ich kann ihn nicht erreichen. Ich versuche es. Blanche spürt nichts mehr. Tuleg stöhnt.

Der Bleistift… Ich packe ihn, schiebe ihn zwischen zwei Stäbe hindurch. Tuleg hört das Klirren, als ich den Bleistift durch den Schlüsselring aus Messing stecke. Aber er ist zu beschäftigt, um darauf zu achten.

Jetzt habe ich den Schlüssel, und ich stecke ihn ins Schlüsselloch.

Ich drehe den Schlüssel herum. Das Schloß knirscht.

»Nein«, sagt Tuleg und richtet sich hinter der Werkbank auf. Seine Züge, die zuvor grotesk verzerrt waren, sind jetzt entspannt. Er reißt sich von der Leiche los.

Er geht zu seiner Maschinenpistole.

Doch ich bin schneller, schneide ihm den Weg ab. Er ist halbnackt. Er stürzt zur Tür hinaus, wirft sie hinter sich zu. Ich höre, wie er die Treppe hinaufläuft.

Die Tür teilt sich vor mir wie ein Vorhang, Splitter fliegen nach allen Seiten.

Es ist ein schönes Haus. Tuleg hat das Telefon erreicht, schreit eine Adresse in die Sprechmuschel. Er wirbelt herum, seine Augen verengen sich, als er versucht, mit einem Messer nach mir zu stechen.

Ich spüre nichts. Ich packe ihn und werfe ihn zu Boden. Ich bin vierhundert Pfund schwer und bestehe fast nur aus Muskeln und Sehnen, und er ist ein Papierpüppchen. Das Telefon prallt gegen das Treppengeländer. Tuleg versucht zu schreien.

Ich stehe auf seinem Kopf, auf seinem Nacken. Als er nach mir treten will, halte ich mit beiden Händen seine Beine fest. Ein Sprung – noch einer. Dann ist er tot.

Ich trage Blanche Hudsons Leiche auf den Armen, und die Luft ist erfüllt vom Klang der Sirenen, die auf mich zukommen.

Ich trage sie in den Garten, in dem ein Aussichtsturm steht. Von da oben kann man sicher den ganzen Canyon überblicken. Wahrscheinlich kann man auch die Stelle sehen, wo sich mein Auto überschlagen hat.

Ich habe auch die Thompson-Maschinenpistole mitgenommen.

Ich lege Blanches Leiche in einen Laubengang, bedecke ihren nackten Körper mit den Fetzen ihres Kleides, so gut es geht. Sie ist schön im Tod – wenn man von den Blutflecken absieht.

Das Haus beginnt zu brennen. Tuleg wird in der Hölle schmoren, wie der Doktor es ihm gewünscht hat.

Fünf Lastwagen, Polizeiautos, Zuschauermengen…

Ah…

Zwei Polizisten laufen schreiend auf mich zu… Der eine biegt um die Ecke des Garagenhäuschens, sieht die Leiche und bleibt stehen. Seine Augen weiten sich, als ich ihm die Kehle durchbeiße.

Eine Banane, zwei Bananen, drei Bananen, vier…

Der zweite Polizist entdeckt mich und zieht seine Pistole. Ich breche ihm den Arm, schlage ihm mit dem Griff der Maschinenpistole den Schädel ein. Ein brennender Schmerz in meiner Wange, eine Biene scheint vorbeizufliegen. Kugeln – so viele Kugeln. Pop pop pop pop…

Sie sind hinter mir her. Ich werde es ihnen zeigen. Sie fürchten sich vor der Gestalt, in der mein Geist wohnt. Ich werde ihnen zeigen, wie ähnlich sie mir sind. Ich werde ihnen meine Zähne zeigen.

Ich habe die Maschinenpistole. Lebend werden sie mich nicht kriegen. Ihr habt mich hinter den »Three Stooges« hergejagt. Ihr habt meine Alptraumgestalt in so vielen Filmen gesehen. Und ihr habt mich auf eine Brücke geschickt, wo ich Laurel und Hardy anknurren mußte.

Ich bin komisch. Gorillas sind ja so komisch.

Ich werde euch zeigen, wie komisch ich bin.

Dieser Affe kann denken. Er kann Schlösser aufbrechen und eine M-16 benutzen. Los, Kong, beeil dich, sonst schnappen sie dich.

Vorsichtig! Ich laufe fast geduckt. Das darf ich nicht.

Nicht auf allen vieren. Das ist gegen das Gesetz.