124676.fb2
David wartete ab. Die leere Luft anzureden hatte keinen Sinn. Wesen, die imstande waren, solche Höhlen zu bauen, und denen es möglich war, ihn auf so immaterielle Weise bewegungsunfähig zu machen, waren sehr wohl in der Lage, ihre Karten voll auszureizen. Er fühlte, wie er abhob und langsam nach hinten kippte, bis sich sein Körper parallel zum Boden befand. Er versuchte, den Kopf zur Seite zu drehen, stellte aber fest, daß er fast nicht zu bewegen war. Die Fesseln waren allerdings nicht so straff wie jene, die um seine Glieder gespannt waren. Es fühlte sich mehr wie ein Korsett aus samtähnlichem Gummi an, das etwas nachgab, aber nicht viel.
Gleitend bewegte er sich ins Innere. Es war so, als ob er in warme köstliche Luft eintauchte. Als sein Kopf die Schleuse verließ, der letzte Teil seines Körpers, mit dem das geschah, senkte sich traumloser Schlaf auf ihn herab.
David Starr öffnete die Augen, ohne das Gefühl zu haben, daß die Zeit weiterlief, statt dessen spürte er Leben in seiner Nähe. Woher dieser Eindruck stammte, konnte er nicht sagen. Die Wärme wurde ihm als erstes bewußt. Sie glich der eines heißen Sommertages auf der Erde. Dann umgab ihn da noch ein schwacher rötlicher Lichtschimmer, der zum Sehen kaum ausreichte. Als er den Kopf drehte, konnte er die Wände eines kleinen Raumes erkennen. Nirgends eine Bewegung, nirgends Leben.
Und doch, irgendwo hier in der Nähe mußte eine kraftvolle Intelligenz am Werke sein. David fühlte es, ohne zu einer Erklärung fähig zu sein.
Vorsichtig versuchte er eine Hand zu bewegen, und es gelang ohne weiteres. Verwundert richtete er sich auf und fand, daß er auf einer Oberfläche saß, die nachgab, deren Beschaffenheit er aber auf Grund der Dunkelheit nicht feststellen konnte.
Die Stimme kam plötzlich. »Das Geschöpf ist sich seiner Umgebung bewußt.« Der letzte Teil der Aussage war ein unzusammenhängendes Gemisch unverständlicher Geräusche. Es war David nicht möglich, den Standort der Stimme zu bestimmen. Sie kam von überall und nirgends.
Eine zweite Stimme erklang. Sie hörte sich anders an, obwohl der Unterschied nur ein feiner war. Es klang sanfter, weicher, irgendwie weiblicher. »Bist du gesund. Geschöpf?«
»Ich kann euch nicht sehen«, sagte David.
Die erste Stimme (David assoziierte sie mit der eines Mannes), meldete sich wieder. »Es ist, wie ich es gesagt habe.« Wieder dieser Mischmasch. »Er ist nicht fähig, Geist zu sehen.«
Der letzte Satz kam verschwommen an, aber für Davids Ohr klang es wie »Geist zu sehen«.
»Ich kann Materie sehen«, sagte er, »aber hier ist kaum ausreichend Licht, um etwas erkennen zu können.«
Es herrschte Stille, ganz so, als ob sich die beiden im Hintergrund besprächen, dann wurde ein Gegenstand sanft in Davids Hand geschoben. Es handelte sich um seine Taschenlampe.
»Ist dies«, sagte die männliche Stimme, »im Hinblick auf Licht für dich von Bedeutung?«
»Ja, gewiß. Seht ihr nicht?« Er knipste sie an und ließ den Lichtkegel geschwind um sich tanzen. Im Raum waren keine Lebewesen zu sehen, außerdem war er ziemlich kahl. Der Gegenstand, auf dem er ruhte, war durchsichtig und ragte einen Meter zwanzig über dem Boden auf.
»Es ist, wie ich gesagt habe«, ließ sich die weibliche Stimme aufgeregt vernehmen. »Der Gesichtssinn des Geschöpfes wird durch Kurzwellenstrahlung aktiviert.«
»Aber der Hauptteil der Strahlung des Instruments liegt im Infrarotbereich. Danach habe ich mich gerichtet«, protestierte die andere Stimme. Die Beleuchtung wurde heller, und während die Stimme sprach, durchlief es erst orange, dann gelb, und schließlich weiß.
»Könnt ihr auch die Temperatur senken?« wollte David wissen.
»Aber sie ist sorgfältig deiner Körpertemperatur angepaßt.«
»Trotzdem, ich hätte es gerne etwas kühler.«
Zumindest waren sie kooperativ. Ein hochwillkommener kalter Windhauch strich erfrischend über David hinweg.
Er ließ die Temperatur auf ca. 22 Grad fallen, bis er ihnen bedeutete aufzuhören.
David sagte: »Ich glaube, Ihr unterhaltet euch direkt mit meinem Verstand. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich euch Weltenglisch sprechen höre.«
Die männliche Stimme sagte: »Der letzte Satz war unverständlich. Aber ganz gewiß kommunizieren wir. Wie sollte man das sonst anstellen.«
David nickte vor sich hin. Das erklärte die gelegentliche laute Störung. Wenn ein Eigenname gebraucht wurde, für den es keine entsprechende begleitende Vorstellung gab, die sein Verstand interpretieren konnte, wurde das nur als Störung empfunden. Geistiges Knistern oder Rauschen.
Die weibliche Stimme sagte: »Es gibt aus der Frühgeschichte unserer Rasse Legenden, demzufolge unsere Geister voreinander verschlossen waren und wir uns mit Hilfe von Symbolen verständigt haben. Aus deiner Frage kann ich keinen anderen Schluß ziehen, als daß es sich bei deinem Volk so verhält, Geschöpf.«
»So ist es«, bestätigte David. »Wie lange ist es her, seit ich in die Höhle gebracht worden bin?«
Die männliche Stimme schaltete sich ein: »Keine ganze Planetenumdrehung. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die wir dir bereitet haben, aber dies war die erste Gelegenheit für uns, eines der Geschöpfe lebend zu untersuchen. Wir haben vorher schon einige geborgen, vor kurzem erst wieder eins, aber keines funktionierte, und die Informationsmenge, die man von ihnen erhalten konnte, war notwendigerweise begrenzt.«
David fragte sich, ob Griswold die kürzlich geborgene Leiche gewesen war. Vorsichtig fragte er: »Habt ihr eure Untersuchung an mir beendet?«
Die weibliche Stimme erwiderte rasch: »Du befürchtest, Schaden zu nehmen. In deinem Geist existiert die ausgeprägte Vorstellung, wir könnten so barbarisch sein, in deine Lebensfunktion einzugreifen, um an Wissen zu gelangen. Wie furchtbar!«
»Es tut mir leid, wenn ich euch beleidigt habe. Es ist nur, daß ich mit eurer Methode nicht vertraut bin.«
Die männliche Stimme sagte: »Wir wissen alles, was wir brauchen. Wir sind durchaus in der Lage, eine molekulare Feinuntersuchung deines Körpers vorzunehmen, ohne daß wir dich berühren müßten. Die Ergebnisse unserer Psychomechanismen sind sicher ausreichend.«
»Was sind diese Psychomechanismen, von denen Sie sprechen?«
»Du bist mit Geist - Materialumwandlung vertraut?«
»Ich fürchte nein.«
Es trat eine Pause ein. Dann sagte die männliche Stimme kurz angebunden: »Ich habe soeben dein Gehirn durchforscht. Nach seiner Beschaffenheit zu urteilen, fürchte ich, daß dein Verständnis für wissenschaftliche Prinzipien nicht ausreicht, um meine Erklärung zu verstehen.«
David fühlte sich zurechtgestutzt. »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er.
Die männliche Stimme fuhr fort: »Ich möchte dir einige Fragen stellen.«
»Fangen Sie an, Sir.«
»Wie war der letzte Teil deiner Aussage?«
»Es handelt sich dabei nur um eine respektvolle Anrede.«
Pause.
»O ja, ich verstehe. Entsprechend der Person, die du anredest, komplizierst du deine Verständigungssymbole. Ein seltsamer Brauch. Aber ich halte mich auf. Sag mir, Geschöpf, du strömst eine gewaltige Hitze aus. Bist du krank, oder kann das normal sein?«
»Es ist normal. Die toten Körper, die Sie untersucht haben, hatten zweifellos die Temperatur ihrer Umgebung. Aber solange unsere Körper funktionieren, halten sie eine konstante Temperatur, wie sie für uns am besten ist.«
»Dann stammen die nicht von diesem Planeten?«
David sagte: »Bevor ich diese Frage beantworte, darf ich fragen, wie Ihre Einstellung Geschöpfen wie mir gegenüber sein würde, falls wir von einem anderen Planeten stammten?«
»Ich kann dir versichern, daß du und Geschöpfe deiner Art für uns ohne Interesse sind, außer insoweit ihr unsere Neugier weckt. Aus deinem Verstand entnehme ich, daß du unsere Feindschaft fürchtest. Lasse solche Gedanken fallen.«
»Können Sie denn die Antwort auf Ihre Frage nicht in meinem Geist lesen? Weswegen befragen Sie mich noch speziell?«
»In Abwesenheit von präziser Verständigung kann ich nur Gefühlsregungen und allgemeine Einstellungen erkennen. Aber du bist ja ein Geschöpf und würdest das nicht verstehen. Zur präzisen Kommunikation muß die Verständigung eine Willensanstrengung beinhalten. Falls es deinen Geist beruhigt, kann ich dir sagen, wir haben allen Grund zu der Annahme, daß du zu einer Rasse gehörst, die nicht von diesem Planeten stammt. Zum einen ist die Zusammensetzung deines Körpergewebes völlig anders als die aller Lebewesen, von denen man weiß, daß sie auf der Oberfläche der Welt gelebt haben. Zum anderen legt deine Körperhitze den Schluß nahe, daß du von einer anderen Welt kommst, einer wärmeren Welt.«
»Sie haben recht. Wir kommen von der Erde.«
»Das letzte Wort verstehe ich nicht.«
»Vom Planeten eins näher an der Sonne als dieser.«
»So! Das ist hochinteressant. Zu der Zeit, als unsere Rasse sich von zu einer halben Million Umläufe in die Höhlen zurückzog, wußten wir, daß auf deinem Planet Leben vorhanden war, allerdings wahrscheinlich keine intelligenten Formen. War deine Rasse damals schon intelligent?«
»Kaum«, erwiderte David. Eine Million Erdjahre waren vergangen, seit die Marsbewohner die Oberfläche ihres Planeten verlassen hatten.
»Das ist in der Tat interessant. Ich muß diesen Bericht sofort zum Hauptgeist tragen. Kommt.«
»Laßt mich hier.«
»Ich würde gerne weiter mit diesem Geschöpf kommunizieren.«
»Wie du wünschst.«
*
»Erzähle mir von deiner Welt«, sagte die weibliche Stimme.
David redete frei von der Leber weg. Ihn überkam eine angenehme, beinahe wohlige Mattigkeit. Jedes Mißtrauen verflog, und es gab keinen Grund, warum er nicht wahrheitsgemäß umfassend antworten sollte. Diese Wesen waren freundlich und gut zu ihm. Die Informationen sprudelten nur so heraus.
Dann ließ sie seinen Verstand aus ihrem Griff und er hielt schlagartig inne. Wütend sagte er: »Was habe ich erzählt?«
»Nichts, das Schaden anrichten könnte«, versicherte ihm die weibliche Stimme. »Ich habe bloß die Hemmungen deines Verstandes unterdrückt. Das zu tun ist ungesetzlich, und ich hätte es nicht gewagt, wäre. hier. Aber du bist nur ein Geschöpf, und ich bin so neugierig. Ich wußte, dein Mißtrauen war zu tief verwurzelt, als daß du ohne meine Nachhilfe geredet hättest. Dabei ist dein Mißtrauen so fehl am Platz. Solange ihr nicht bei uns eindringt, würden wir euch Geschöpfen nie schaden.«
»Das haben wir doch bereits getan oder etwa nicht?« fragte David. »Wir haben euren Planeten ringsum besetzt.«
»Du testest mich immer noch. Du mißtraust mir. Die Oberfläche des Planeten ist für uns ohne Belang. Dies ist unsere Heimat und dennoch«, die weibliche Stimme schien beinahe wehmütig, »von Welt zu Welt zu reisen muß etwas Erregendes haben. Uns ist sehr wohl bekannt, daß es viele Planeten und Sonnen im All gibt. Wenn man sich vorstellt, daß Geschöpfe wie du das alles erleben. Es ist alles so interessant, daß ich immer und immer wieder dankbar dafür bin, daß wir deinen unbeholfenen Abstieg, um uns zu treffen, rechtzeitig bemerkt haben, damit wir eine Öffnung für dich machen konnten.«
»Was!« David konnte nicht anders, er mußte laut schreien, obwohl ihm klar war, daß die Schallwellen, die seine Stimmbänder produzierten, ungehört blieben, und nur in Gedanken in seinem Kopf ertastet wurden.
»Sie haben die Öffnung gemacht?«
»Ich nicht allein. hat dabei geholfen. Das war der Grund, weswegen uns die Möglichkeit gegeben wurde, dich zu untersuchen.«
»Aber wie haben Sie das bewerkstelligt?«
»Nun, indem wir es gewollt haben.«
»Ich verstehe nicht.«
»Das ist ganz einfach. Kannst du es nicht in meinem Geist sehen? Aber ich vergaß, du bist ein Geschöpf. Sieh mal, als wir uns in die Höhlen zurückzogen, waren wir gezwungen, viele Kubikmeilen zu vernichten, um unter der Oberfläche Platz für uns zu schaffen. Wir konnten die Materie nirgends aufbewahren, deshalb haben wir sie in Energie. umgewandelt.«
»Halt, halt, ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Du verstehst das nicht? In dem Fall kann ich dazu nur sagen, daß die Energie so verwahrt ist, daß man sie mit einer geistigen Anstrengung abrufen kann.«
»Aber wenn die gesamte Materie, die einmal in diesen riesigen Höhlen gewesen ist, in Energie umgewandelt wurde.«
»Das würde eine große Menge Energie ergeben, sicher. Wir leben seit einer halben Million Umläufe davon, und die Berechnungen gehen dahin, daß wir genug für weitere zwanzig Millionen Umläufe haben. Noch bevor wir in die Höhlen gegangen sind, haben wir unser Wissen dermaßen perfektioniert, daß wir Materie, soweit sie unseren persönlichen Gebrauch betrifft, aufgegeben haben. Wir sind rein geistige und energetische Wesen, wir sterben nie und werden nicht mehr geboren. Ich bin hier mit dir zusammen, aber da du Geist nicht mit den Sinnen wahrnehmen kannst, bist du dir meiner nicht bewußt, außer in deinem Verstand.«
»Aber bestimmt können sich Leute wie ihr das ganze Universum Untertan machen.«
»Fürchtest du, daß wir mit armseligen Materiegeschöpfen, wie du eines bist, um das Universum wetteifern werden? Daß wir um einen Platz unter den Sternen kämpfen werden? Das ist dumm. Das gesamte Universum ist hier bei uns. Wir sind uns selbst genug.«
David schwieg. Dann faßte er mit einer langsamen Bewegung nach seinem Kopf, denn er hatte das Gefühl, wie feine, sehr feine Tastfühler seinen Geist sanft berührten. Es war das erste Mal, daß sich dieses Gefühl einstellte, und er wich vor so viel Intimität zurück.
Sie sagte: »Ich möchte mich wieder entschuldigen, aber du bist ein so interessantes Geschöpf. Dein Verstand sagt mir, die Geschöpfe deiner Art befinden sich in großer Gefahr, und du hast den Verdacht, daß wir vielleicht der Grund dafür sind. Ich kann dir versichern, Geschöpf, dem ist nicht so.«
Ihre Gedanken klangen ganz einfach. David hatte keine andere Möglichkeit, als ihnen zu glauben.
Er sagte: »Ihr Begleiter sagt, mein Gewebe sei chemisch völlig anders als das jeder Lebensform auf dem Mars. Darf ich fragen, inwiefern es sich unterscheidet?«
»Es ist aus einem stickstoffhaltigen Material zusammengesetzt.«
»Protein«, erläuterte David.
»Das Wort verstehe ich nicht.«
»Aus was besteht das marsianische Gewebe?«
»Aus. Es ist völlig anders. Es befindet sich praktisch gar kein Stickstoff darin.«
»Sie können mir also keine Nahrung anbieten?«
»Ich fürchte nein. Jede organische Substanz unseres Planeten wäre giftig für dich. Wir könnten einfache, deiner Zusammensetzung entsprechende Verbindungen herstellen, von denen du vielleicht essen könntest, die komplexen stickstoffhaltigen Bausteine, aus denen die Masse deines Gewebes besteht, überschreitet aber ohne eingehende Forschungen unsere Möglichkeiten. Bist du hungrig, Geschöpf?«
Das Mitleid und die Anteilnahme in ihren Gedanken waren unverkennbar.
(David blieb hartnäckig dabei, sie als Stimme zu betrachten.)
»Im Augenblick habe ich meine eigene Nahrung«, sagte er.
»Es ist mir unangenehm, von dir einfach als Geschöpf zu denken. Wie heißt du?« Dann als Nachsatz sozusagen, als hätte sie Angst, vielleicht nicht verstanden worden zu sein: »Wie identifizieren dich deine Mitgeschöpfe?«
»Ich werde David Starr genannt.«
»Das verstehe ich nicht, außer, daß darin eine Anspielung auf die Sonnen im Universum enthalten zu sein scheint. Nennt man dich so, weil du durch das All reist?«
»Nein. Viele meiner Leute reisen durchs All. »Starr« hat gegenwärtig keine bestimmte Bedeutung. Es handelt sich einfach um einen Klang, um mich zu identifizieren, genau wie eure Namen einfach Klänge sind. Wenigstens erzeugen sie keine Bilder, ich kann sie nicht verstehen.«
»Schade. Du solltest einen Namen tragen, der deine Reise durch das All bezeichnet, wie du von einem Ende des Universums zum anderen ziehst. Wenn ich ein Geschöpf wäre, wie du es bist, erschiene es mir angemessen, »Space Ranger« genannt zu werden.«
Und so geschah es, daß David Starr von den Lippen eines lebenden Wesens, das er nicht sehen konnte und in seiner wahren Gestalt nie würde sehen können, den Namen hörte, unter dem er eines Tages im gesamten Milchstraßensystem bekannt sein würde.