124676.fb2
David Starr arbeitete so schnell, wie er es wagen konnte. Die Nacht war fast vorüber. Ein Teil der Spannung und Aufregung begann abzuflauen, und die vollständige Müdigkeit, von der Notiz zu nehmen er sich seit Stunden geweigert hatte, machte sich bemerkbar.
Seine kleine Bleistifttaschenlampe warf ihren flimmernden Schein hierhin und dorthin. Er hoffte ernsthaft, daß das, wonach er suchte, sich nicht hinter noch mehr verschlossenen Türen verbarg. Falls doch, würde er Gewalt anwenden müssen, und gerade jetzt kam es ihm nicht gelegen, Aufsehen zu erregen. Er konnte keinen Safe entdecken oder etwas, das wie ein Safe aussah. Das war gut und schlecht zugleich. Wonach er suchte, würde also greifbar sein, andererseits bestand die Möglichkeit, daß es sich überhaupt nicht im Raum befand.
Nach dem sorgfältig geplanten Manöver, in dessen Verlauf er den Schlüssel zu dem Raum erobert hatte, wäre das schade. Hennes würde sich nicht so schnell von den Nachwirkungen erholen.
David lächelte. Ganz am Anfang war er selbst beinahe so überrascht wie Hennes gewesen. Seine Worte »Ich bin der Space Ranger«, waren die ersten gewesen, die er seit seinem Auftauchen aus den Marshöhlen durch das Kraftschild gesprochen hatte. Wie seine Stimme dort geklungen hatte, daran konnte er sich nicht erinnern. Unter dem Einfluß der Marsbewohner hatte er vielleicht einfach nur seine eigenen Gedanken wie die ihren gespürt.
Aber hier an der Oberfläche hatte ihn seine eigene Stimme wie ein Blitz getroffen. Ihre Hohlheit und dröhnende Tiefe war völlig überraschend gewesen. Natürlich erholte er sich davon und verstand beinahe augenblicklich. Obwohl der Schild Luftmoleküle durchließ, verlangsamte er sie wahrscheinlich. Eine solche Beeinträchtigung hatte natürlich Einfluß auf die Schallwellen.
David war darüber nicht gerade traurig. Die Stimme, so wie sie war, würde hilfreich sein.
Der Schild hatte gut gegen den Blasterbeschuß gewirkt. Der Blitz war nicht völlig gestoppt worden, aber die Wirkung war nichts im Vergleich mit der auf Hennes gewesen.
Während sein müder Verstand diese Dinge durchging, durchsuchte er methodisch den Inhalt der Regale und Schränke.
Der Lichtkegel stand einen Augenblick lang still. David langte an anderen Gegenständen vorbei, um ein kleines Metallobjekt greifen zu können. Wieder und wieder drehte er es unter dem Lichtstrahl hin und her. Er schraubte an einem kleinen Kopf, der in verschiedenen Stellungen einrastete und beobachtete, was anschließend geschah.
Sein Herz klopfte laut.
Das war der endgültige Beweis. Der Beweis für alle seine Spekulationen - die Spekulationen, die so vernünftig und lückenlos gewesen waren und dennoch auf nichts anderem als reiner Logik basierten. Jetzt war die Logik durch etwas aus Molekülen Bestehendem, durch etwas, das man berühren und fühlen konnte, bestätigt worden.
Er steckte es in die Tasche seiner Hüftstiefel zu der Maske und den Schlüsseln, die er früh am Abend aus Hennes' Stiefeln genommen hatte.
Er sperrte die Tür hinter sich ab und trat ins Freie. Die Kuppel über ihm wurde sichtbar grauer. Bald würden sich die Hauptleuchten einschalten, der Tag offiziell beginnen. Der letzte Tag, entweder für die Giftmischer oder für die Zivilisation auf der Erde, wie sie jetzt bestand.
In der Zwischenzeit würde es Gelegenheit zum Schlafen geben.
*
Die Makiankuppel lag in frostiger Stille. Wenige der Farmboys konnten überhaupt erraten, was vorging. Daß es sich um etwas Ernstes handelte, stand natürlich eindeutig fest, aber es war unmöglich, mehr zu erkennen. Einige flüsterten hinter vorgehaltener Hand, daß Makian bei umfangreichen finanziellen Unregelmäßigkeiten erwischt worden sei, aber das wollte niemand so recht glauben. Das war noch nicht einmal logisch, denn warum hätte man deswegen eine ganze Armee herbeordert?
Fest stand, daß Uniformierte mit grimmigen Gesichtern das Hauptgebäude umkreisten und dabei Repetierblaster in der Armbeuge trugen. Auf dem Gebäudedach waren zwei Artilleriegeschütze in Stellung gebracht worden. Die nähere Umgebung war menschenleer. Sämtliche Farmboys, mit Ausnahme derer, die zur Wartung der lebensnotwendigen Einrichtungen benötigt wurden, waren in die Unterkünfte geschickt worden. Den wenigen davon Ausgenommenen war befohlen worden, sich streng auf ihren Arbeitsplatz zu beschränken.
Genau um 12.15 Uhr gingen die beiden Männer, die den Hinterausgang bewachten, auseinander, zogen sich zurück und ließen so die Gegend unbewacht. Um 12.30 Uhr kehrten sie zurück und nahmen ihre Runde wieder auf. Später gab einer der Artilleristen auf dem Dach zu Protokoll, daß er in der Zwischenzeit jemanden das Gebäude betreten sah. Er hatte nur einen kurzen, flüchtigen Blick erhaschen können, und seine Beschreibung ergab nicht viel Sinn, da er sagte, es habe sich anscheinend um einen brennenden Mann gehandelt.
Zu diesem Zeitpunkt gab es niemanden, der ihm Glauben schenkte.
*
Dr. Silvers war sich seiner Sache keineswegs sicher. Er wußte kaum, wie er die Konferenz eröffnen sollte. Er sah den vier Anwesenden, die um den Tisch herum saßen, in die Gesichter.
Makian. Der sah aus, als habe er seit einer Woche kein Auge mehr zugemacht. Hatte er wahrscheinlich auch nicht. Bisher hatte er noch kein einziges Wort von sich gegeben. Silvers fragte sich, ob der Mann sich seiner Umgebung überhaupt vollständig bewußt war.
Hennes. Der trug eine dunkel getönte Brille. Einmal nahm er sie kurz ab, und seine Augen waren blutunterlaufen und verrieten Zorn. Jetzt saß er da und murmelte vor sich hin.
Benson. Still und unglücklich. Dr. Silvers hatte am Abend vorher mehrere Stunden mit ihm verbracht, und er hatte überhaupt keine Zweifel daran, daß der Fehlschlag seiner Untersuchungen den Mann peinlich berührte und ihm schwer auf der Seele lag. Er hatte über Marsbewohner, echte Marsbewohner, geredet. Sie seien die Ursache für die Giftanschläge, aber Silvers wußte es besser und schenkte den Ausführungen keinerlei Beachtung.
Bigman. Der einzige Fröhliche in der Runde. Natürlich begriff er das Ausmaß der Krise nur zu einem Bruchteil. Offenkundig erfreut darüber, mit wichtigen Leuten am selben Tisch zu sitzen, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und kostete seine Rolle voll aus.
Und da war noch der zusätzliche Stuhl, den Silvers an den Tisch gerückt hatte. Leer und wartend stand er da. Niemand machte eine Bemerkung darüber.
Irgendwie hielt Dr. Silvers die Unterhaltung in Gang. Er machte allgemeine Bemerkungen, und versuchte, seine eigene Ungewißheit zu verbergen. Genau wie der leere Stuhl, wartete auch er.
Um 12.16 Uhr schaute er hoch und stand langsam auf. Niemand machte den Mund auf. Bigman stieß seinen Stuhl zurück und dieser fiel krachend um. Hennes' Kopf fuhr ruckartig herum, seine Hände umklammerten die Tischplatte, und seine Finger wurden vor Anstrengung weiß. Benson sah umher und begann zu wimmern. Nur Makian machte einen unbeteiligten Eindruck. Seine Augen hoben sich und registrierten anscheinend den Anblick wie ein weiteres unverständliches Vorkommnis in einer Welt, die zu groß und fremd für ihn geworden war.
Die Gestalt im Türrahmen sagte: »Ich bin der Space Ranger!«
Unter der hellen Raumbeleuchtung war der Lichtschein um seinen Kopf herum etwas gemildert, und der Rauch, der seinen Körper einhüllte, wirkte etwas ausgeprägter, als Hennes ihn am Vorabend erlebt hatte.
Der Space Ranger trat ein. Fast automatisch rückten die Sitzenden mit ihren Stühlen ab, wodurch rund um den Tisch ein freier Raum entstand, so daß der leere Stuhl einsam für sich allein stand.
Der Space Ranger setzte sich, sein Gesicht hinter dem Lichtschein unsichtbar, die rauchenden Arme vor sich auf der Tischplatte aufliegend und doch wieder nicht aufliegend. Zwischen Tisch und Armen war ein Zentimeter Abstand.
»Ich bin gekommen, um mit Verbrechern zu sprechen«, sagte der Space Ranger.
Hennes war es, der die bleierne Stille, die folgte, unterbrach. In einem Ton, der vor Galle nur so troff, sagte er: »Redest du von Einbrechern?«
Für einen kurzen Augenblick griff er nach seiner dunklen Brille, nahm sie aber nicht ab. Seine Finger zitterten für jedermann sichtbar.
Der Space Ranger sprach mit monotoner, leiser und hohler Stimme. »Ich bin ein Einbrecher, das ist wahr. Hier sind die Schlüssel, die ich aus deinen Stiefeln genommen habe. Ich brauche sie nicht mehr.«
Metall blitzte über den Tisch auf Hennes zu.
Der Space Ranger fuhr fort, »Der Einbruch fand statt, um ein schwereres Verbrechen zu verhindern. Da ist zum Beispiel das Verbrechen des Vormannes, dem man vertraut, der von Zeit zu Zeit auf Einzelfahndung nach Wingard City geht, um nach Giftmischern zu suchen.«
Bigmans kleines Gesicht strahlte vor Schadenfreude. »He Hennes«, rief er dem Vormann zu, »sieht ganz so aus, als wären sie dir auf die Schliche gekommen.«
Aber Hennes hatte nur Augen und Ohren für die Erscheinung auf der anderen Seite des Tisches. »Was ist daran verbrecherisch?«
»Das Verbrechen«, antwortete der Space Ranger, »besteht in einem schnellen Trip in Richtung der Asteroiden.«
»Warum? Aus welchem Grund?«
»Kommt das Ultimatum der Giftmischer nicht von den Asteroiden?«
»Beschuldigst du mich hinter den Anschlägen zu stecken? Ich bestreite das. Ich will Beweise sehen. Das heißt, falls du glaubst, überhaupt Beweise zu brauchen. Vielleicht denkst du aber, daß deine Maskerade mich dazu zwingen könnte, etwas Falsches zuzugeben.«
»Wo bist du in den letzten zwei Nächten vor Eintreffen des Ultimatums gewesen?«
»Ich werde darauf nicht antworten. Ich spreche dir das Recht ab, Fragen zu stellen.«
»Dann werde ich die Frage für dich beantworten. Dort, wo sich die Reste der ehemaligen Piratenbanden im Asteroidengürtel aufhalten, befindet sich die Zentrale der riesigen Giftmischerorganisation. Das Gehirn der Organisation ist hier auf der Makianfarm.«
An dieser Stelle stand Makian unsicher auf, sein Mund zuckte.
Der Space Ranger bedeutete ihm mit einer herrischen Bewegung seines rauchigen Arms, sich wieder zu setzen und fuhr fort: »Du, Hennes, bist der Mittelsmann.«
Jetzt nahm Hennes die Brille ab. Sein aufgeschwemmtes, glatthäutiges Gesicht, sah durch seine blutunterlaufenen Augen etwas mitgenommen aus und nahm einen harten Ausdruck an.
Er sagte: »Space Ranger oder wie du dich nennst, du langweilst mich. Wenn ich es recht verstanden habe, sollte diese Konferenz dazu dienen, Mittel und Wege zur Bekämpfung der Giftanschläge zu erörtern. Sie ist zu einem Forum für die dummdreisten Anschuldigungen eines Schauspielers geworden, ich gehe.«
Dr. Silvers langte über Bigman hinweg, um Hennes' Handgelenk festzuhalten. »Bitte bleiben Sie, Hennes, ich will mehr über die Sache erfahren. Niemand wird Sie ohne ausreichende Beweise verurteilen.«
Hennes stieß Silvers Hand beiseite und stand von seinem Stuhl auf.
»Ich sähe es zu gerne, wenn du abgeknallt würdest, Hennes, und genau das wird geschehen, wenn du durch die Tür da gehst«, sagte Bigman ruhig.
»Bigman hat recht«, bemerkte Silvers. »Da draußen stehen bewaffnete Männer mit der Anweisung, niemanden ohne meinen Befehl passieren zu lassen.«
Hennes' Fäuste schlossen und öffneten sich. »Ich werde kein weiteres Wort zu diesen ungesetzlichen Vorgängen mehr beisteuern. Sie alle sind Zeugen dafür, daß ich mit Gewalt am Gehen gehindert werde.« Er setzte sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust.
Der Space Ranger sprach wieder: »Und doch ist Hennes nur der Mittelsmann. Er ist ein zu großer Bösewicht, um der wirkliche Bösewicht zu sein.«
»Sie reden in Widersprüchen«, sagte Benson kaum hörbar.
»Das scheint nur so. Stellen Sie sich das Verbrechen vor. Man kann eine Menge über einen Verbrecher von der Art des Verbrechens, das er begeht, lernen. Erstens ist da die Tatsache, daß bislang nur verhältnismäßig wenig Leute gestorben sind. Wahrscheinlich hätten die Verbrecher das, was sie wollten, viel schneller mit großangelegten Giftanschlägen erreichen können, statt sechs Monate lang zu drohen und dabei zu riskieren, erwischt zu werden und mit leeren Händen dazustehen. Was bedeutet das? Es hat den Anschein, als ob der Anführer irgendwie gezögert hat, zu töten. Das paßt sicher nicht zu Hennes. Die meisten meiner Informationen habe ich von Williams erhalten, der jetzt nicht unter uns weilt. Von ihm weiß ich, daß Hennes seit seiner Ankunft auf der Farm mehrmals versucht hat, seinen Tod herbeizuführen.«
Hennes wurde seinem Vorsatz untreu: »Das ist gelogen!« schrie er.
Ohne sich darum zu kümmern, fuhr der Space Ranger fort: »Also Hennes hätte keine Skrupel zu töten. Wir müssen uns nach jemandem umschauen, der aus weniger hartem Holz geschnitzt ist. Aber was würde eine im Grunde weiche Person dazu bringen, Menschen zu töten, die er nie zu Gesicht bekommen hat und die ihm nie ein Leid zugefügt haben? Obwohl nur ein unbedeutender Prozentsatz der Erdbevölkerung vergiftet worden ist, gehen die Zahlen in die Hunderte. In fünfzig Fällen handelt es sich dabei um Kinder. Wahrscheinlich existiert ein starkes Verlangen nach Reichtum und Macht, das seinen Sanftmut überlagert. Was steckt hinter diesem Drang? Vielleicht ein frustriertes Leben, das ihn zu einem morbiden Haß gegen die Menschheit im allgemeinen getrieben, hat, ein Verlangen, denjenigen, die ihn verachten, zu zeigen, welch großer Mann er in Wirklichkeit ist. Wir halten also nach einem Mann mit einem fortgeschrittenen Minderwertigkeitskomplex Ausschau. Wo stoßen wir auf solch einen Mann?«
Alle Anwesenden starrten den Space Ranger jetzt intensiv an. Selbst Makian schien jetzt wieder aufmerksamer. Benson runzelte gedankenverloren die Stirn, und Bigman hatte sein Grinsen vergessen.
Der Space Ranger sprach weiter: »Was nach Williams' Eintreffen auf der Farm passierte, ist als Hinweis von größter Wichtigkeit. Er wurde sofort als Spion verdächtigt. Seine Geschichte vom Vergiftungstod seiner Schwester wurde problemlos als Lüge entlarvt. Wie ich schon sagte, Hennes war für glatten Mord.
Der Anführer mit seinem empfindsameren Gemüt, bevorzugte eine andere Methode. Er versuchte, den gefährlichen Williams zu neutralisieren, indem er sich mit ihm anfreundete und vorgab, Hennes feindlich gesonnen zu sein.«
»Wir wollen zusammenfassen. Was wissen wir über den Anführer der Giftmischer? Er ist ein Mann mit Skrupeln, der Williams freundlich und Hennes feindlich gesinnt schien. Ein
Mann mit einem Minderwertigkeitskomplex, der von einem enttäuschten Leben herrührt, weil er sich von anderen unterschied, weniger männlich, kleiner.«
Da war eine schnelle Bewegung. Ein Stuhl wurde vom Tisch weggestoßen, und eine Gestalt wich hurtig zurück, den Blaster im Anschlag.
Benson stand auf und rief: »Allmächtiges All! Bigman!«
Dr. Silvers brüllte konsterniert: »Aber. aber ich sollte ihn doch als Leibwache mitbringen. Er ist bewaffnet.«
Einen Augenblick lang stand Bigman mit schußbereitem Blaster da und belauerte sie mit seinen kleinen scharfen Augen.