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»Nicht nach Ihrem Typ, Will. Tut mir leid.«
»Und warum nicht?«
»Zuerst habe ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, Sie anzuwerben«, sagte Moera. »Sie schienen mir genau die Art von Mensch zu sein, die wir benötigen. Dann aber habe ich Ihre Vergangenheit überprüft.«
»Und?«
»Wir nehmen keine Mörder. Manchmal engagieren wir sie für spezielle Aufgaben, aber wir nehmen sie nicht in unsere Organisation auf. Höchstens akzeptieren wir gelegentlich
mildernde Umstände. Aber davon abgesehen haben wir das Gefühl, daß jemand, der auf der Erde einen vorsätzlichen Mord verübt hat, nicht der richtige Mann für uns ist.«
»Ich verstehe«, brummte Barrent. »Würde es etwas nützen, wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht die Einstellung zum Morden habe, wie sie auf Omega üblich ist?«
»Das weiß ich«, antwortete Moera. »Wenn es nach mir ginge, würde ich Sie auch aufnehmen. Aber darüber habe ich nicht zu bestimmen.. Will, sind Sie sicher, daß Sie einen Mord begangen haben?«
»Ich glaube, ja«, sagte Barrent. »Wahrscheinlich ist es so.«
»Schade. Trotzdem - die Organisation benötigt Leute, die eine hohe Überlebensfähigkeit besitzen, ganz gleich, was sie auf der Erde begangen haben. Ich will sehen, was ich tun kann. Aber es würde viel helfen, wenn Sie herausfinden könnten, warum Sie einen Mord begangen haben. Vielleicht gibt es doch mildernde Umstände.«
»Vielleicht«, stimmte Barrent zu, ohne seine Zweifel zu unterdrücken. »Ich will mich bemühen, es herauszufinden.«
Kurz bevor er an diesem Abend einschlief, öffnete Moera die Verbindungstür und trat in sein Zimmer. Schlank und warm schlüpfte sie zu ihm unter die Decke. Als er etwas sagen wollte, legte sie ihm eine Hand auf den Mund. Und Barrent hatte gelernt, Pech und Glück ohne Fragen hinzunehmen
Die Ferien vergingen viel zu schnell. Das Thema Organisation wurde nicht mehr berührt, aber dafür blieb, vielleicht als Ausgleich, die Verbindungstür stets offen. Spätabends am siebenten Tag kehrten Barrent und Moera nach Tetrahyde zurück.
»Wann werde ich dich wiedersehen?« fragte Barrent.
»Ich werde von mir hören lassen. «
»Das ist keine sehr befriedigende Vereinbarung.«
»Mehr kann ich nicht versprechen«, antwortete Moera. »Es tut mir leid, Will. Ich will sehen, was sich wegen der Organisation machen läßt.«
Barrent mußte sich damit zufriedengeben. Als ihn das Fahrzeug vor seinem Laden ab setzte, wußte er immer noch nicht, wo sie wohnte oder welcher Art von Organisation sie angehörte. In seiner Wohnung dachte er noch einmal eingehend über die Einzelheiten seines Traums nach. Es war alles da: seine Wut auf Therkaler, die unerlaubte Waffe, die Begegnung, die Leiche und danach der Spitzel und der Richter. Nur ein Stück fehlte. Er konnte sich nicht an den Augenblick des eigentlichen Mordes entsinnen, und auch nicht an das Anlegen der Waffe und an den Schuß. Der Traum brach in dem Moment ab, in dem er Therkaler gegenüberstand, und setzte erst nach dessen Tod wieder ein.
Vielleicht hatte er diesen Moment des Mordens aus seinem Gedächtnis verbannt. So konnte er noch hoffen, daß es irgendeinen verständlichen Grund für seine Tat gegeben hatte -vielleicht war er angegriffen worden. Er mußte es herausfinden.
Es bestanden nur zwei Möglichkeiten, Informationen über die Erde zu erlangen. Die eine lag in den schreckerfüllten Visionen des Traumladens, und er war entschlossen, diesen nie wieder aufzusuchen. Die andere Möglichkeit lag im Besuch eines wahrsagenden Mutanten.
Barrent hegte die allgemeine Abneigung gegen Mutanten. Sie waren eine völlig andere Rasse, und ihr Status der Unantastbarkeit war kein einfaches Vorurteil. Es war wohlbekannt, daß Mutanten häufig fremdartige und unheilbare Krankheiten hatten. Sie wurden gemieden und hatten sich auch selbst nach außen abgekapselt. Sie lebten in dem Mutantenviertel, das eine eigene Welt innerhalb von Tetrahyde bildete. Vernünftige Bürger blieben diesem Viertel fern, vor allem des Nachts; jedermann wußte, daß Mutanten rachsüchtig sein konnten - manchmal an der ganzen Menschheit.
Aber nur Mutanten besaßen die Fähigkeit, die Vergangenheit zu erforschen. Ihre verunstalteten Körper bargen ungewöhnliche Kräfte und Talente, seltsame und abnorme Fähigkeiten, die der normale Mensch verabscheute, manchmal aber doch ganz gut gebrauchen konnte. Man sagte den Mutanten nach, daß sie bei dem Schwarzen in besonderer Gunst standen. Manche Leute glaubten, daß die große Kunst der Schwarzen Magie, mit der die Priester prahlten, nur von einem Mutanten ausgeübt werden konnte; aber das erwähnte man natürlich nie in Gegenwart eines Priesters.
Die Mutanten standen wegen ihrer seltenen Talente in dem Ruf, mehr über die Erde zu wissen als jeder normale Mensch. Sie konnten sich nicht nur an die Erde im allgemeinen erinnern, sondern sie waren auch fähig, das Leben eines einzelnen durch Raum und Zeit zurückzuverfolgen, die Mauer des Vergessens zu durchbrechen und ihm zu sagen, was wirklich mit ihm geschehen war.
Andere wieder waren der Meinung, daß Mutanten überhaupt keine besonderen Fähigkeiten besaßen. Sie betrachteten sie als schlaue Betrüger, die von der Leichtgläubigkeit der anderen lebten.
Barrent entschloß sich, das selbst herauszufinden. Eines Abends machte er sich, eingehüllt in einen weiten Umhang und gut bewaffnet, auf den Weg zum Mutantenviertel.
Die eine Hand stets an der Waffe, schritt Barrent durch die schmalen, gewundenen Gassen des Viertels. Er kam an Lahmen und Blinden vorbei, an Idioten, die brüllend, mit Schaum vor dem Mund, durch die Straßen liefen oder auch an den Ecken kauerten und vor sich hinwimmerten. Er traf einen Jongleur, der mit einer dritten Hand, die aus seiner Brust wuchs, zwölf brennende Fackeln hochwarf und wieder auffing. Da waren Händler, die Kleider, Tand und billigen Schmuck anboten, Karren mit unsauber aussehenden Lebensmitteln: Er geriet in die Bordellgasse mit ihren buntbemalten Fassaden. In den Fenstern drängten sich Mädchen und kreischten hinter ihm her; ein Mann mit vier Armen und sechs Beinen erklärte ihm, er käme gerade zu den Delphin-Riten zurecht.
Barrent wandte sich von ihm ab und wäre fast an eine unheimlich fette Frau gerannt, die ihre Bluse aufriß und acht schlaffe Brüste zum Vorschein brachte. Er machte einen Bogen um sie und eilte an einem siamesischen Vierling vorbei, der ihn mit sehr vielen großen, traurigen Augen anstarrte. Barrent bog um eine Ecke und blieb stehen. Ein hochgewachsener, zerlumpter alter Mann mit einem weißen Stock blockierte den Weg. Er war fast blind; über der Stelle, an der einmal sein linkes Auge gesessen hatte, wuchs weiche, haarlose Haut. Sein rechtes Auge jedoch blickte starr und böse. »Wünschen Sie die Dienste eines ehrlichen Wahrsagers?« fragte der Alte.
Barrent nickte.
»Folgen Sie mir!« forderte ihn der Einäugige auf. Er bog in eine schmale Gasse ein. Barrent folgte ihm und umklammerte fest den Lauf seiner Nadelstrahlpistole. Mutanten durften dem Gesetz nach keine Waffen tragen; aber dieser hatte, wie viele von ihnen, einen Stock mit einer Eisenspitze. In engen Gassen konnte dies eine sehr gefährliche Waffe abgeben
Der Alte öffnete eine Tür und winkte Barrent herein. Barrent zögerte und dachte an die Geschichten von leichtgläubigen Bürgern, die in die Hände der Mutanten gefallen waren. Dann zog er die Waffe hervor und folgte dem Alten ins Innere.
Am Ende eines langen Ganges öffnete dieser eine weitere Tür und ließ Barrent in einen kleinen, schwach erleuchteten Raum treten. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte Barrent die Umrisse von zwei Frauen erkennen, die vor einem einfachen Holztisch saßen. Auf dem Tisch stand ein Topf mit Wasser, und darin befand sich ein faustgroßes Stück Glas, in das viele Facetten geschnitten waren.
Eine der Frauen war sehr alt und hatte kein einziges Haar auf dem Kopf. Die andere war jung und erstaunlich hübsch. Als Barrent näher an den Tisch trat, stellte er entsetzt fest, daß ihre Beine von den Knien an zusammengewachsen waren, eine schuppige Haut umgab sie, nach unten zu liefen sie in eine Art Fischschwanz aus.
»Was wünschen Sie zu erfahren, Bürger Barrent?« fragte die junge Mutantin.
»Woher wissen Sie meinen Namen?« fragte Barrent. Als er keine Antwort erhielt, sagte er: »Schön. Ich möchte Genaues über einen Mord wissen, den ich auf der Erde verübt habe.«
»Warum möchten Sie das?« fragte die junge Frau. »Wollen die Behörden Ihnen den Mord nicht zugestehen?«
»O doch, sie erkennen ihn an. Aber ich möchte gern wissen, warum ich ihn verübt habe. Es könnte ja sein, daß mildernde Umstände eine Rolle spielten. Vielleicht habe ich es nur zur Selbstverteidigung getan.«
»Ist das wirklich so wichtig?« fragte die junge Frau
»Ja!« antwortete Barrent mit Nachdruck. Er zögerte einen Moment und wagte dann den Sprung: »Tatsache ist, daß ich ein neurotisches Vorurteil gegen das Morden hege. Mir wäre es lieber, nicht töten zu müssen. Deshalb möchte ich gern wissen, warum ich auf der Erde einen Mord verübt habe.«
Die Mutanten blickten einander an. Dann grinste der alte Mann und sagte: »Bürger, wir werden Ihnen nach besten Kräften helfen
Auch wir Mutanten sind gegen den Mord, wohl deshalb, weil meistens wir es sind, die getötet werden. Wir mögen Bürger, die gleich uns fühlen.«
»Dann werden Sie also meine Vergangenheit erforschen?«
»So leicht ist das nicht«, erklärte die junge Frau. »Diese Fähigkeit gehört zu den Psi-Talenten und ist äußerst schwierig. Nicht immer gelingt es. Und manchmal deckt es auch Dinge auf,
die gar nicht aufgedeckt werden sollten.«
»Ich dachte, alle Mutanten könnten die Vergangenheit lesen, wann es ihnen beliebt«, sagte Barrent.
»Nein«, widersprach der alte Mann. »Das stimmt nicht. Erstens einmal sind nicht alle, die als Mutanten klassifiziert sind, echte Mutanten. Fast jede Deformierung oder Abnormität wird heutzutage Mutantismus genannt. Das ist eine bequeme Bezeichnung für alle, die den terrestrischen Vorstellungen der äußeren Erscheinung nicht entsprechen.«
»Aber es gibt doch echte Mutanten?«
»Gewiß. Aber selbst da gibt es Unterschiede. Manche weisen nur Verunstaltungen durch Strahleneinwirkung auf -Gigantismus, Mikrocephalie und dergleichen. Nur ganz wenige besitzen geringe Spuren von Psi-Talenten - obgleich alle Mutanten Anspruch darauf erheben.«
»Und Sie - können Sie es?« fragte Barrent.
»Nein. Aber Myla«, antwortete er und deutete auf die junge Frau. »Manchmal ist sie dazu fähig.«