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Der Korridor schien sich mit einem grauen Nebel zu füllen
Dann hellte er sich wieder auf. Barrent stellte fest, daß er die Augen nicht mehr auf einen Punkt zu konzentrieren vermochte. Er zog sich noch weiter hoch und zerrte am Türgriff. Langsam öffnete sich die Tür. Er umklammerte seine Waffe noch fester und versuchte sich auf eine Handlung vorzubereiten
Aber sobald er die Tür geöffnet hatte, hüllte ihn eine undurchdringliche Schwärze ein. Er glaubte erschrockene Gesichter zu sehen, das Rufen von Stimmen zu hören: »Vorsicht! Er ist bewaffnet!« Und dann stürzte er kopfüber in die Schwärze und fiel endlos lange, immer tiefer und tiefer.
Barrents Rückkehr ins Bewußtsein ging ganz plötzlich vor sich.
Er setzte sich auf und stellte fest, daß er in den Kontrollraum gestürzt war. Die Metalltür hatte sich wieder hinter ihm geschlossen. Er atmete ohne Schwierigkeiten. Von den Mannschaften war nichts zu sehen. Sie mußten gegangen sein, um die Wachen zu holen, in der Annahme, daß er noch länger bewußtlos bleiben würde.
Er stand auf, instinktiv nahm er seine Waffe vom Boden. Er untersuchte sie genau, runzelte die Stirn und steckte sie wieder ein. Warum, so fragte er sich, sollte die Besatzung ihn allein in der Steuerzentrale zurücklassen, dem wichtigsten Teil des Schiffes? Warum hatten sie ihm seine Waffe gelassen?
Er versuchte sich an die Gesichter zu erinnern, die er gesehen hatte, kurz bevor er ohnmächtig geworden war. Es waren ungenaue Vorstellungen, vage und verschwommene Gestalten mit hohlen, traumhaften Stimmen. Waren wirklich Menschen hier gewesen?
Je mehr er darüber nachdachte, um so mehr wurde es ihm zur Gewißheit, daß diese Leute nur Sinnestäuschungen seines schwindenden Bewußtseins gewesen waren. Niemand war hier gewesen. Er befand sich ganz allein im Nervenzentrum des Schiffes. Noch immer mißtrauisch, näherte er sich der Hauptkontrolltafel. Sie war in zehn Sektoren aufgeteilt. Jeder Sektor hatte eine eigene Reihe von Schaltern und Knöpfen, unter denen kurze Bezeichnungen vermerkt waren.
Langsam musterte Barrent die verschiedenen Abschnitte des Schaltpults und beobachtete das Lichtmuster, das über die unzähligen Lämpchen huschte. Der letzte Abschnitt schien einer übergeordneten Kontrolle zu dienen. Auf einer kleinen Sichtscheibe stand: KOORDINATION,
HANDBEDIENUNG/AUTOMATIK. Der Teil für AUTOMATIK war beleuchtet. Es gab noch ähnliche Schalteinheiten - für Navigation, für die Sicherung vor Zusammenstößen, für den Übergang in den Hyperraum, für den Eintritt in die Atmosphäre und für die Landung. Alle waren auf automatische Schaltung gestellt. Weiter hinten fand er die Programmierungstafel, die vorgesehenen Daten waren aus der Schalterstellung ersichtlich. Der Zeitabstand bis zum Kontrollpunkt betrug jetzt 29 Stunden, 4 Minuten, 51 Sekunden. Die vorgesehene Aufenthaltszeit drei Stunden. Die Zeit vom Kontrollpunkt bis zur Erde: 480 Stunden
Die Steueranlage flackerte und summte ruhig und selbstsicher.
Barrent konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß die Anwesenheit eines Menschen in dieser Maschinerie einer Tempelschändung gleichkam. Er überprüfte die Luftklappen.
Sie waren auf automatische Speisung eingestellt und gaben gerade genug Sauerstoff ab, um für die Anwesenheit eines menschlichen Wesens in der Zentrale zu genügen
Aber wo war die Besatzung? Barrent verstand die Notwendigkeit, ein Raumschiff im großen und ganzen mit automatischer Schaltung funktionieren zu lassen. Ein System, das so groß und kompliziert war wie dieses, mußte sich selbst steuern können
Aber der Mensch hatte es gebaut, und der Mensch hatte es auch programmiert. Warum also waren keine Menschen zugegen, um die Schalttafeln zu überwachen, das Programm zu verändern, falls sich dies als notwendig erwies? Angenommen, die Wachen wären länger auf Omega aufgehalten worden? Angenommen, es würde sich als notwendig erweisen, am Kontrollpunkt vorbeizufahren und die Erde direkt anzusteuern? Angenommen, es ergab sich eine Zwangslage, aus der heraus der gesamte Bestimmungsort geändert werden mußte? Wer stellte die neue Programmierung ein, wer gab dem Schiff Befehle, wer besaß die leitende Intelligenz, die die gesamte Operation zu führen vermochte?
Barrent blickte sich im Kontrollraum um. Er fand einige Notausrüstungen mit Sauerstoffbehältern und Masken. Eine davon legte er an und ging hinaus in den Korridor.
Nach geraumer Zeit erreichte er eine Tür mit der Aufschrift BESATZUNGSUNTERKÜNFTE. Er ging hinein. Alles war ordentlich und sauber, aber leer. Die Betten standen gerade ausgerichtet nebeneinander, ohne Decken und Laken. In den Schränken hingen keine Kleidungsstücke, lagen keine persönlichen Habseligkeiten irgendwelcher Art. Barrent ging in die Offizierskajüten und in die Kabine des Kapitäns. Er fand kein Zeichen dafür, daß sie noch kürzlich bewohnt worden waren.
Er ging zum Kontrollraum zurück. Es war ganz offensichtlich, daß das Schiff keine Besatzung besaß. Vielleicht waren die Autoritäten auf der Erde so überzeugt von der Unfehlbarkeit ihrer Pläne und der Verläßlichkeit ihrer Schiffe, daß sie eine Besatzung für überflüssig hielten. Vielleicht...
Aber eine derartige Einstellung erschien Barrent äußerst leichtsinnig. Es war höchst seltsam, daß die Erde ihre Raumschiffe ohne menschliche Oberaufsicht operieren ließ!
Er entschloß sich, nicht weiter zu überlegen, bevor er mehr Tatsachen gesammelt hatte. Im Augenblick mußte er sich seinem eigenen Problem widmen: zu überleben. In seinen Taschen befand sich eine genügende Menge konzentrierter Nahrung, aber Wasser hatte er nicht mit sich führen können. Ob das besatzungslose Schiff Wasservorräte besaß? Er mußte an die Wachtruppe unten im Aufenthaltsraum denken. Und er überlegte auf Grund seiner neuen Informationen, was im Kontrollpunkt geschehen würde und wie er sich zu verhalten hätte.
Barrent stellte fest, daß er nicht auf seinen eigenen Nahrungsvorrat angewiesen war. In der Offiziersmesse spuckten diverse Maschinen auf einen Knopfdruck hin Essen und Getränke aus. Er konnte nicht unterscheiden, ob es natürliche oder chemisch aufgebaute Nahrung war. Sie schmeckte gut und schien ihn zu ernähren - daher kümmerte er sich nicht weiter um diese Frage.
Er erforschte die oberen Teile des Schiffes. Aber nachdem er sich mehrmals verlaufen hatte, entschloß er sich, keine weiteren unnötigen Risiken einzugehen. Das Lebenszentrum des Schiffes war sein Kontrollraum, und Barrent verbrachte die meiste Zeit darin. Er bemerkte eine Aussichtsluke. Durch Drehen des Schalters, der die Gitter öffnete, konnte er hinaus in die Weiten des Raumes blicken, mit den glühenden Sternen in der undurchdringlichen Dunkelheit. Ein Meer von Sternen erstreckte sich über den ganzen Horizont - prächtiger, als seine Phantasie es je ausgemalt hatte. Beim Anblick dieses Wunders durchdrang ihn ein bisher nie gefühlter Stolz. Hierher gehörte er, und jene unbekannten Sterne waren sein Erbe.
Die Zeit bis zum Erreichen des Kontrollpunkts schrumpfte auf sechs Stunden zusammen. Barrent sah neue Teile des Schaltpults zum Leben erwachen; sie prüften und änderten die Kräfte, die das Schiff beherrschten, bereiteten auf die Landung vor. Er wunderte sich, wie schnell er sich in diesen technischen Dingen zurechtfand - wahrscheinlich halfen ihm unbewußte Erinnerungen. Drei und eine halbe Stunde vor der Landung machte Barrent eine interessante Feststellung. Er entdeckte das zentrale Kommunikationssystem für das gesamte Schiff. Als er den Empfänger einschaltete, konnte er die Unterhaltung im Aufenthaltsraum der Wachen abhören.
Er erfuhr nicht viel, was für ihn von Nutzen gewesen wäre.
Entweder aus Vorsicht oder aus Mangel an Interesse sprachen die Männer nicht über Politik. Sie lebten in der Kontrollstation gelegentlich machten sie Fahrten mit dem Gefangenenschiff.
Manche der Dinge, die sie diskutierten, waren für Barrent unverständlich. Aber er lauschte doch weiter, interessiert an allem, was diese Menschen von der Erde zu sagen hatten.
»Baden in Florida - das ist das Schönste, was ich mir vorstellen kann.«
»Ich habe Salzwasser nie gemocht.«
»Im Jahr, bevor ich zu den Wachen abkommandiert wurde, gewann ich den dritten Preis beim Orchideenfest in Dayton..«:
»Nach meiner Pensionierung kaufe ich mir eine Villa in Antarktika.«
»Wieviel Dienstjahre hast du noch vor dir?«
»Achtzehn Jahre.«
»Gerade uns haben sie eingezogen!«
»Jemand muß es ja tun.«
»Aber warum gerade ich? Und warum kriegen wir keine Ferien auf der Erde?«
»Du hast doch die Unterrichtsfilme gesehen und weißt genau, warum. Verbrechen ist eine Krankheit. Es ist ansteckend.«
»Na und?«
»Wenn du mit Verbrechern zu tun hast, läufst du Gefahr, selbst angesteckt zu werden. Du könntest jemanden auf der Erde vergiften.«
»Es ist nicht gerecht.«
»Das läßt sich nicht ändern. Die Wissenschaftler wissen schon, wovon sie reden. Außerdem ist es auf dem Kontrollpunkt auch nicht so schlecht.«
»Wenn du künstliche Dinge magst. Luft, Blumen, Nahrung...«
»Du kannst nicht alles haben. Ist deine Familie dort?«
»Meine Frau will zurück zur Erde.«
»Nach fünf Jahren Leben im Kontrollpunkt hältst du es auf der Erde nicht mehr aus, habe ich gehört. Die Schwerkraft packt dich zu stark.«
»Ich halte die Schwerkraft schon aus. Immer...«
Aus diesen Unterhaltungen ersah Barrent, daß die grimmig aussehenden Wachen menschliche Wesen waren, genauso wie die Gefangenen auf Omega. Die meisten der Posten schienen die Arbeit, die sie verrichten mußten, nicht zu mögen. Wie die Leute von Omega sehnten auch sie sich zurück zur Erde.
Die Zeit verging. Das Schiff befand sich schon in unmittelbarer Nähe des Kontrollpunkts, die gigantischen Schalttafeln flammten auf und surrten heftig; sie trafen die letzten Anordnungen für die schwierige Landung.
Schließlich war das Manöver durchgeführt, die Maschinen setzten aus. Durch die Höranlage erfuhr Barrent, daß die Wachen den Aufenthaltsraum verließen. Er folgte ihnen den Gang entlang bis zur Landungsrampe. Er hörte den letzten, der das Schiff verließ, sagen: »Da ist ja auch schon der Suchtrupp.
Na, was sagt ihr, Jungs?«