125732.fb2
»Tut mir leid. Aber das weiß ich wirklich nicht. Wenn ich es erraten sollte - aber das ist wirklich nur eine ganz persönliche Meinung -, dann würde ich sagen, es ist etwas Religiöses. Aber da müssen Sie schon einen Lehrer fragen.«
»Vielen Dank. Und in welche Rangstufe würden Sie sich selbst einreihen?«
»Mittlere Mittelklasse. Daran besteht gar kein Zweifel.«
(Bürgerin Maryjane Morgan, Alter 51, Beruf: Lehrerin. Eine große, knochige Frau.)' »Ja, Sir. Ich. glaube, das ist so im großen und ganzen unser Lehrplan an der Little-Beige-Schule.«
»Außer den geheimen Klassen.«
»Wie bitte?«
»Die geheimen Klassen. Von denen haben Sie noch gar nichts erwähnt.« »Das kann ich leider auch nicht.«
»Und warum nicht, Bürgerin Morgan?«
»Ist das eine Fangfrage? Jeder weiß doch nur zu gut, daß an den geheimen Klassen keine Lehrer teilnehmen dürfen.«
»Wer darf dann an ihnen teilnehmen?«
»Die Kinder natürlich!«
»Aber wer unterrichtet sie?«
»Darüber führt die Regierung Aufsicht.«
»Natürlich. Aber wer unterrichtet denn in den geheimen Klassen?«
»Ich habe keine Ahnung. Und es geht mich auch nichts an. Die geheimen Klassen sind eine uralte und angesehene Institution.
Was in ihnen vorgeht, hat höchstwahrscheinlich religiösen Charakter. Aber das ist nur eine Annahme von mir. Was immer es auch sein mag, mich geht es nichts an. Und Sie auch nicht, junger Mann, ganz gleich, ob Sie Meinungsforscher sind oder nicht.«
»Vielen Dank, Bürgerin Morgan.«
(Bürger Edgar Niel, Alter 107, Beruf: Pensionierter Offizier. Ein großer, leicht gebückter Mann mit scharfen, eiskalten blauen Augen, die vom Alter noch nicht getrübt sind.) »Ein bißchen lauter, bitte. Wie war die Frage?«
»Über die militärischen Streitkräfte. Im besonderen fragte ich
-«
»Ich erinnere mich wieder. Ja, junger Mann, ich war Oberst im 21. nordamerikanischen Raumfahrt-Kommando. Das war eine reguläre Einheit der Verteidigungs-Corps der Erde.«
»Und haben Sie sich dann vom Dienst zurückgezogen?«
»Nein, der Dienst hat sich von mir zurückgezogen.«
»Wie bitte?« »Sie haben mich richtig verstanden, junger Mann. Das war vor dreiundsechzig Jahren. Die Streitkräfte der Erde wurden demobilisiert, ausgenommen die Polizei, die ich aber nicht mitrechnen kann. Aber alle regulären Truppen wurden aufgelöst.«
»Und warum hat man das getan, Sir?«
»Es gab niemanden, gegen den man hätte kämpfen können. Es gab noch nicht einmal jemand, vor dem man sich hätte hüten müssen, wie man mir sagte. Verdammte Narrheit, das ist meine Meinung. «
»Könnten die Streitkräfte denn nicht wieder gebildet werden?«
»Selbstverständlich. Aber die gegenwärtige Generation eignet sich nicht zum Dienst unter den Waffen. Es gibt keine Führerpersönlichkeiten mehr, vielleicht noch einige wenige nutzlose alte Knaben wie mich. Das würde Jahre dauern, bis sich wieder eine wirksame, gut geführte Streitkraft gebildet hätte.«
»Und bis dahin ist die Erde völlig schutzlos gegenüber einer eventuellen Invasion von außen her?«
»Ja, die gesamte Schutzpflicht obliegt den Polizeieinheiten.
Und deren Fähigkeit unter Feuerschuß bezweifle ich, offen gestanden.«
»Könnten Sie mir Näheres über die Polizei erzählen?«
»Ich weiß nichts darüber. Ich habe mich nie in meinem Leben um nichtmilitärische Angelegenheiten gekümmert.«
»Aber es wäre doch denkbar, daß die Polizei jetzt die Funktion einer Armee übernommen hat, nicht wahr?«
»Das ist schon möglich. Alles ist möglich.«
(Bürger Moertin Honners, Alter ) i, Beruf: Wortformer. Ein schlanker, schwächlicher Mann mit ernstem, jungenhaftem Gesicht und weichem strohgelbem Haar.) »Sie sind ein
Wortformer, Bürger Honners?«
»Ja, Sir. Allerdings trifft>Autor<wohl besser zu, wenn Sie nichts dagegen haben.« - »Aber selbstverständlich nicht. Bürger Honners, schreiben Sie zur Zeit für irgendeine der Zeitschriften, die in den Verkaufsständen ausliegen?«
»Aber nein! Die werden von diesen phantasielosen Schreiberlingen für die zweifelhaften Schriften verfaßt, wie sie die untere Mittelklasse bevorzugt. Die Stories, falls Sie das nicht wissen sollten, werden Zeile um Zeile aus den Werken der verschiedensten bekannten Schriftsteller des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts zusammengebastelt. Die Leute, die diese Arbeit verrichten, setzen lediglich Adjektive und Adverbien ein.
Gelegentlich soll sich ein mutiger Schreiberling sogar daran wagen, ein Verb oder ein Substantiv auszuwechseln, habe ich gehört.
Aber das kommt nicht oft vor.«
»Und Sie selbst beschäftigen sich nicht mit diesen Dingen?«
»Ganz und gar nicht! Meine Arbeit dient nicht kommerziellen Zwecken. Ich bin ein schöpferischer Conrad-Spezialist.«
»Können Sie mir bitte erklären, was das ist, Bürger Honners?«
»Gern. Meine besonderen Bemühungen befassen sich mit der Neuschöpfung der Arbeiten von Joseph Conrad, einem Autor, der in der voratomaren Zeit lebte.«
»Und wie gestalten Sie diese Neuschöpfung der Werke?«
»Nun, im Augenblick beschäftige ich mich mit der fünften Neufassung von Lord Jim. Um das zu tun, vertiefe ich mich so sorgfältig als möglich in die Originalarbeit. Dann mache ich mich daran, sie so umzudichten, wie Conrad es getan hätte, wenn er heute noch lebte. Es ist eine Beschäftigung, die viel Fleiß und ein höchstes Maß an künstlerischem
Einfühlungsvermögen verlangt. Ein einziger Fehler kann die ganze Neufassung verderben. Wie Sie sich vorstellen können, bedarf das einer meisterhaften Beherrschung von Conrads Vokabular, Themenstellung, Aufbau, Charakteren, Ausdruck und so weiter. All dies wird mit verarbeitet, und doch darf das Buch nicht einer sklavischen Wiederholung gleichen. Es muß etwas Neues aussagen, gerade so, wie Conrad es ausgesagt haben würde.«
»Und haben Sie damit Erfolg gehabt?«