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Und dann erspähte er in der Richtung, aus der seine Verfolger kamen, ein paar Häuserblocks weiter einen offenen Hauseingang. Er war direkt daran vorbeigelaufen. Ein Schild über der Tür verkündete: SCHUTZGESELLSCHAFT FÜR
OPFER. Genau das Richtige für mich, dachte Barrent.
Er rannte darauf zu, fast bis zu den erstaunt dreinblickenden Hadjis. Ein einzelner Schuß zischte knapp vor seinem Füßen vorbei; dann hatte er den Eingang erreicht und stürzte hindurch
Er raffte sich wieder auf. Seine Verfolger waren draußen zurückgeblieben; er konnte ihre Stimmen auf der Straße hören. Leidenschaftlich diskutierten sie weitere Möglichkeiten, ihn zu fangen.
Barrent vergegenwärtigte sich, daß er eine Art Zufluchtsstätte betreten hatte.
Er befand sich in einem großen, hell erleuchteten Raum. Auf einer Bank dicht neben der Tür saßen mehrere zerlumpte Gestalten.
Sie lachten über irgend etwas. In einiger Entfernung von ihnen hockte ein dunkelhaariges Mädchen und beobachtete ihn mit großen ruhigen Blicken. Am anderen Ende des Raums stand ein Tisch, hinter dem ein Mann saß. Er winkte Barrent.
Barrent schritt auf den Tisch zu. Der Mann dahinter war klein und trug eine Brille. Er lächelte ermutigend und wartete darauf, daß Barrent etwas sagte.
»Ist dies hier die Schutzgesellschaft für Opfer?« fragte Barrent.
»Ganz recht, mein Herr«, antwortete der Mann. »Ich bin Rondolp Frendlyer, der Präsident dieser uneigennützigen Organisation.
Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Darum möchte ich Sie bitten«, stimmte Barrent zu. »Genaugenommen bin ich ein Opfer.«
»Das stellte ich gleich auf den ersten Blick fest«, sagte Frendlyer und lächelte ihm freundlich zu. »Sie haben so was im Blick, eine Mischung von Furcht, Ungewißheit und Wut. Das ist unübersehbar.«
»Sehr interessant«, antwortete Barrent mit einem kurzen Seitenblick zur Tür. Er fragte sich, wie lange man draußen diese Zufluchtsstätte respektieren würde. »Mister Frendlyer, leider bin ich kein Mitglied Ihrer Organisation -«
»Das spielt keine Rolle«, beruhigte ihn Frendlyer. »Ein Beitritt in unsere Organisation erfolgt notwendigerweise immer spontan.
Man tritt bei, wenn sich gerade die Gelegenheit ergibt. Unsere Absicht ist es, die äußerlichen Rechte aller Opfer zu schützen.«
»Jawohl. Also - draußen sind drei Männer, die mich zu töten versuchen.«
»Ich verstehe«, sagte Frendlyer. Er öffnete die Schublade des Tischs und holte ein dickes Buch hervor. Er blätterte es flink durch, bis er gefunden hatte, was er suchte. »Sagen Sie, haben Sie den Status dieser drei Männer festgestellt?«
»Ich glaube, es waren Hadjis«, antwortete Barrent. »Jeder trug einen goldenen Ohrring im linken Ohr.«
»Ganz recht. Und heute ist Landungstag. Sie kamen von dem Schiff, das heute gelandet ist, und wurden als Peon klassifiziert.
Habe ich recht?«
»Ja.«
»Dann freue ich mich, Ihnen mitteilen zu können, daß alles in bester Ordnung ist. Die Jagdzeit des Landungstages endet bei Sonnenuntergang. Sie können von hier mit der festen Versicherung weggehen, daß alles in Ordnung ist und Ihre Rechte in keiner Weise verletzt worden sind.«
»Hier weggehen? Nach Sonnenuntergang, wollten Sie sagen!«
Mr. Frendlyer schüttelte den Kopf und lächelte bedauernd.
»Leider nicht. Gemäß den Gesetzen müssen Sie uns sofort verlassen.«
»Aber die draußen werden mich umbringen!«
»Das ist allerdings wahr«, antwortete Frendlyer. »Unglücklicherweise läßt sich daran nichts ändern. Ein Opfer ist seiner Definition nach jemand, der getötet werden soll.«
»Ich dachte, dies wäre eine Organisation zu seinem Schutz.«
»Das ist sie auch. Aber wir schützen Rechte, nicht Opfer. Ihre Rechte sind nicht verletzt worden. Die Hadjis haben das Recht, Sie am Landungstag zu töten - und zwar jederzeit vor Sonnenuntergang, wenn Sie sich nicht in den Baracken befinden. Sie dagegen, das könnte ich vielleicht noch hinzufügen, haben das Recht, jeden zu töten, der versucht, Sie umzubringen.«
»Aber ich besitze keine Waffe«, wandte Barrent ein.
»Opfer haben nie eine Waffe«, erklärte Frendlyer. »Das macht doch den ganzen Unterschied aus, finden Sie nicht? Aber ob Waffe oder nicht, jetzt müssen Sie leider wieder gehen.« Barrent konnte noch immer die trägen Stimmen der Hadjis vor der Tür in der Gasse hören. »Haben Sie hier eine Hintertür?« fragte er. »Tut mir leid.«
»Dann werde ich einfach hierbleiben.«
Noch immer lächelnd, öffnete Frendlyer eine andere Schublade und holte eine Pistole hervor. Er zielte auf Barrent und sagte: »Sie müssen jetzt wirklich gehen. Sie können Ihr Glück bei den Hadjis versuchen oder aber hier sterben - ohne jede Chance.«
»Leihen Sie mir Ihre Waffe«, bat Barrent.
»Das ist verboten«, entgegnete Frendlyer. »Man kann schließlich kein Opfer mit einer Waffe frei herumlaufen lassen, verstehen Sie das nicht? Da käme ja alles durcheinander.« Er entsicherte die Waffe. »Wollen Sie jetzt gehen oder nicht?«
Barrent rechnete sich seine Chance aus, wenn er auf den Tisch zustürzte, um dem anderen die Pistole zu entreißen, und mußte sich eingestehen, daß ihm das nicht gelingen wirde. Er drehte sich um und ging langsam auf die Tür zu. Die zerlumpten Männer lachten noch immer über irgendeinen Witz. Das dunkelhaarige Mädchen hatte sich von der Bank erhoben und stellte sich dicht neben die Tür. Als er sich ihr näherte, sah Barrent, daß sie sehr hübsch war. Verwundert fragte sich Barrent, welches Verbrechen sie begangen haben mochte, um von der Erde deportiert zu werden.
Als er an ihr vorbeiging, fühlte er plötzlich etwas Hartes an der Seite. Er griff danach und hielt eine kleine, aber sehr leistungsfähig aussehende Pistole in der Hand.
»Viel Glück«, sagte das Mädchen. »Ich hoffe, Sie wissen, wie man sie handhabt.«
Barrent nickte ihr dankbar zu. Er war sich dessen nicht ganz sicher, aber er wollte es gern herausfinden.
Außer den drei Hadjis befand sich niemand in der Gasse. Sie standen etwa fünfzehn Meter entfernt und unterhielten sich ruhig. Als Barrent heraustrat, gingen zwei von ihnen ein paar Schritte zurück; der dritte fixierte ihn scharf, die Waffe lässig in der Hand haltend. Als er bemerkte, daß Barrent bewaffnet war, legte er schnell an
Barrent warf sich zu Boden und zog den Abzug der ungewohnten Waffe. Er fühlte, wie sie in seiner Hand erzitterte, und sah, wie der Kopf und die Schultern des Hadjis schwankten und zu zerfallen begannen. Bevor er auf die anderen beiden anlegte, wurde die Waffe mit einem heftigen Ruck seiner Hand entrissen.
Der Schuß des sterbenden Hadjis hatte den Lauf gestreift.
Verzweifelt stürzte Barrent auf die Pistole zu, er wußte, daß er sie kaum rechtzeitig erreichen würde. Seine Haut juckte in Erwartung des tötenden Schusses. Er rollte auf die Pistole zu, noch immer erstaunlich lebendig, und legte auf den zweiten Hadji an
Gerade noch rechtzeitig konnte er den Schuß zurückhalten
Die Hadjis hatten ihre Pistolen wieder eingesteckt. Einer von ihnen sagte: »Armer alter Draken. Er lernte es einfach nicht, schnell abzufeuern.«
»Mangel an Praxis«, antwortete der andere. »Draken hat nie viel Zeit auf dem Übungsstand verbracht.«
»Wenn du mich fragst, so war das eine gute Lehre. Man darf nie aus der Übung kommen.«
»Und«, fügte der erste hinzu, »man darf selbst einen Peon nicht unterschätzen.« Er blickte Barrent an. »Feiner Schuß, mein Lieber.«