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»Es ist schwierig, aus der Bewegung heraus genau zu treffen.«
Barrent erhob sich zitternd. Er hielt noch immer die Waffe des Mädchens in der Hand, um bei der ersten verdächtigen Bewegung schießen zu können. Aber die Hadjis gaben sich unbefangen. Sie schienen den Vorfall als abgeschlossen zu betrachten.
»Und was nun?« fragte Barrent.
»Nichts«, antwortete der eine Hadji. »Am Landungstag darf jeder Mann oder jede Jagdgesellschaft nur ein einziges Opfer stellen.
Danach scheidet man aus.«
»Es ist wirklich kein sehr wichtiger Feiertag«, sagte der andere.
»Nicht wie die Spiele oder die Lotterie.«
»Alles, was Sie jetzt noch tun können, ist, zum Registrierbüro zu gehen und Ihre Erbschaft anzutreten.«
»Meine was?«
»Ihre Erbschaft«, erklärte der Hadji geduldig.
»Sie haben Anspruch auf das gesamte Vermögen Ihres
Opfers. In Drakens Fall allerdings fürchte ich, ist das nicht allzu viel.«
»Er ist nie ein guter Geschäftsmann gewesen«, bemerkte der andere mitleidig.
»Trotzdem - Sie werden etwas erhalten, das Ihnen den Start erleichtert. Und da Sie einen autorisierten Mord verübt haben obgleich einen ziemlich ungewöhnlichen -, steigen Sie im Rang auf. Sie werden ein freier Bürger.«
Die Straße hatte sich inzwischen wieder belebt. Menschen eilten hin und her, und die Ladenbesitzer zogen die Gitter und Türen auf.
Ein Lastwagen mit der Aufschrift, »Leichenabfuhr«, EINHEIT 5« kam angefahren, und vier uniformierte Männer luden Drakens Körper auf.
Das normale Leben ging weiter. Diese Tatsache bestätigte Barrent mehr als die Versicherung der Hadjis, daß die augenblickliche Gefahr vorbei war. Er steckte die Waffe des Mädchens in die Tasche.
»Das Registrierbüro liegt in dieser Richtung«, sagte einer der Hadjis. »Wir werden als ihre Zeugen auftreten.«
Barrent verstand die Situation noch immer nicht völlig, aber da sich die Dinge zu seinen Gunsten zu entwickeln schienen, entschied er, alles ohne weitere Fragen zu akzeptieren. Später würde er genügend Zeit haben herauszufinden, was sich eigentlich abspielte.
In Begleitung der beiden Hadjis ging er zum Registrierbüro am Gunpoint Square. Dort hörte sich ein gelangweilter Angestellter die ganze Geschichte an, überreichte ihm Drakens Geschäftspapiere und schrieb Barrents Namen über den von Draken. Barrent stellte fest, daß schon mehrere andere Namen darunter gestanden hatten. In Tetrahyde schienen die Geschäfte recht schnell von einer Hand in die andere überzugehen.
Er stellte fest, daß er jetzt der Besitzer eines Antidotenladens am Blaser Boulevard 3 war.
Die Geschäftspapiere erkannten Barrent offiziell als freien Bürger an. Der Beamte überreichte ihm einen Standesring, der aus Kugelblei gefertigt war, und riet ihm, sich so bald als möglich Zivilkleidung anzuziehen, um unangenehme Zwischenfälle zu vermeiden.
Wieder draußen, wünschten ihm die Hadjis viel Glück. Barrent entschloß sich, erst einmal sein neues Geschäft anzusehen.
Blaser Boulevard war eine kurze Gasse, die zwei Hauptstraßen einander verband. Fast genau in der Mitte befand sich ein Geschäft mit der Aufschrift: ANTIDOTENLADEN. Und darunter stand: ALLE ARTEN VON GEGENGIFT -TIERISCHE, PFLANZLICHE ODER MINERALISCHE.
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DREIUNDZWANZIG ANTIDOTE IN EINEM HANDLICHEN TASCHENBEHÄLTER!
Barrent schloß die Tür auf und trat ein. Hinter einem niedrigen Ladentisch sah er deckenhohe Regale mit beschrifteten Flaschen darauf; Kannen und Kartons und viereckige Glasschalen mit seltsam geformten Blättern, Zweigen und Pilzen. Hinter dem Tisch waren auf einem Brett einige Bücher aufgereiht, mit Titeln wie :
Schnelle Diagnosen bei akuten Vergiftungen: Die ArsenFamilie oder Die Abkömmlinge von Henbane.
Es war offensichtlich, daß Vergiftungen im täglichen Leben von Omega eine große Rolle spielten. Dies war ein Laden - und folglich gab es auch noch andere -, der sich einzig und allein damit beschäftigte, Antidote zu verkaufen. Barrent dachte darüber nach und stellte fest, daß er zwar ein seltsames, aber ehrliches Geschäft geerbt hatte. Er würde die Bücher studieren und herauszufinden versuchen, wie solch ein Antidotenladen geführt wurde.
Der Laden hatte einen hinteren Teil mit einem Wohnraum, einem Schlafzimmer und einer Küche. In einem der Schränke fand Barrent einen schlechtsitzenden Anzug eines freien Bürgers in Schwarz, den er überzog. Er zog die Waffe des Mädchens aus der Gefängniskleidung, wog sie in der Handfläche und steckte sie dann in die Tasche seines neuen Anzugs. Er verließ den Laden und machte sich auf den Weg zurück zur Schutzgilde der Opfer.
Die Tür war noch immer offen, und auch die drei zerlumpten Gestalten hockten noch immer auf der Bank. Jetzt lachten sie nicht mehr. Das lange Warten schien sie ermüdet zu haben. Am anderen Ende des Raumes saß Mr. Frendlyer hinter seinem Schreibtisch und las in einem dicken Stoß Papiere. Von dem Mädchen war nichts zu sehen
Barrent ging auf den Tisch zu, und Frendlyer erhob sich, um ihn zu begrüßen.
»Meinen Glückwunsch!« sagte er. »Mein lieber Freund, meinen herzlichsten Glückwunsch! Das war wirklich ein ausgezeichneter Schuß. Und noch dazu in Bewegung!«
»Danke«, antwortete Barrent. »Der Grund, weswegen ich hierher zurückkam -«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Frendlyer. »Sie möchten in Ihren Rechten und Pflichten als freier Bürger unterrichtet werden. Das ist doch ganz natürlich. Wenn Sie auf der Bank da drüben Platz nehmen wollen, werde ich -«
»Das ist eigentlich nicht der Grund meines Kommens«, erklärte Barrent. »Natürlich möchte ich mich auch über meine Rechte und Pflichten informieren. Aber im Moment möchte ich das Mädchen finden.«
»Ein Mädchen?«
»Sie saß hier auf der Bank, als ich vorhin hier hereinkam. Sie hat mir die Pistole gegeben.«
Mr. Frendlyer sah ihn erstaunt an. »Bürger, Sie müssen unter einer Täuschung leiden. In diesem Büro ist den ganzen Tag noch kein Mädchen gewesen.«
»Sie hat auf jener Bank dicht bei den drei Männern gesessen.
Ein sehr hübsches dunkelhaariges Mädchen. Sie müssen sie gesehen haben.«
»Natürlich hätte ich sie bemerkt, wenn sie hiergewesen wäre«, antwortete Frendlyer, mit den Augen zwinkernd. »Aber, wie ich schon vorhin betonte, hat heute noch keine Frau mein Büro betreten. «
Barrent starrte ihn an und zog die Pistole aus der Tasche. »Woher habe ich das hier denn sonst?«
»Ich habe sie Ihnen geliehen«, antwortete Frendlyer. »Ich bin froh, daß Sie sie erfolgreich gebrauchen konnten, aber jetzt hätte ich sie wirklich gern wieder zurück.«
»Sie lügen«, sagte Barrent und umklammerte die Pistole fest.
»Fragen wir doch die Männer da.«
Er ging zu der Bank, Frendlyer folgte ihm. Er sprach den Mann an, der am dichtesten neben dem Mädchen gesessen hatte. »Wohin ist das Mädchen gegangen?«
Der Mann hob das ausdruckslose, unrasierte Gesicht und fragte: »Über welches Mädchen sprechen Sie, Bürger?«
»Über das, das hier direkt neben Ihnen gesessen ist.«