125774.fb2 Poker um die Zukunft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 12

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»Jemand anderer«, begann Mary wieder, »würde Ihnen sagen, daß es Götter waren. Sandra würde das bestimmt behaupten, und ein Primitiver würde Ihnen das gleiche erzählen. Der Pastor würde sagen, das waren Teufel, die sich seine Seele schnappen wollten. Ich will Ihnen eines sagen, sie hatten die Arroganz, die Selbstsicherheit und Gleichgültigkeit von Göttern, aber es waren keine Götter.«

»Wir Roboter haben einmal geglaubt, die Menschen wären Götter«, warf Jürgens ein. »In gewissem Sinne waren sie das auch. Schließlich haben sie uns erschaffen. Aber wir sind jetzt darüber hinaus. Irgendwann haben wir erkannt, daß sie nichts weiter sind, als eine andere Lebensform.«

»Sie brauchen mich nicht zu trösten«, sagte Mary. »Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, daß es keine Götter waren. Ich weiß das natürlich nicht mit Bestimmtheit, aber ich glaube, es waren keine.«

Mary und Lansing stiegen nicht wieder in ihre Schlafsäcke. Sie hätten jetzt sowieso nicht schlafen können, und die Morgendämmerung war nicht mehr fern. Sie saßen beim Feuer und plauderten jetzt entspannt und ruhig. Nach einer Weile schlug Jürgens vor, Frühstück zu machen. »Wie war's mit Speckpfannkuchen?« fragte er. »Das hört sich gut an«, sagte Lansing.

»Wir werden sehr zeitig frühstücken«, sagte der Roboter, »und können früh aufbrechen. Vielleicht werden wir heute die Stadt erreichen.«

Aber sie erreichten die Stadt an diesem Tag nicht mehr, sondern erst am Spätnachmittag des nächsten.

Sie erblickten sie, nachdem sie dem kurvenreichen Pfad auf den Gipfel eines großen Hügels gefolgt waren. Mary sog die Luft ein.

»Da ist sie. Aber wo sind denn die Menschen?«

»Vielleicht gibt es da überhaupt keine Menschen«, sagte Lansing. »Es ist eine Ruine, keine Stadt.«

Die Stadt erhob sich auf der Ebene unterhalb des Hügels - eine graubraune Ebene mit einer graubraunen Stadt. Sie bedeckte den größten Teil der Ebene, die von Hügeln umgeben war. Sie lag dort leblos und stumm, nichts rührte sich in ihr. »Ich habe noch nie im Leben einen dermaßen deprimierenden Ort gesehen«, sagte Mary. »Das ist also das Ziel, das der General um jeden Preis erreichen wollte. Er hat behauptet, Leute seien da.«

»Man könnte seinen Lebensunterhalt mit Wetten bestreiten, die man mit dem General abschließt«, warf Lansing ein. »Von den anderen ist nichts zu sehen«, bemerkte Mary. »Nicht das geringste Lebenszeichen. Ich hatte damit gerechnet, daß sie uns erwarten und bereits nach uns Ausschau halten.« »Vielleicht beobachten sie uns schon, vielleicht werden sie sich gleich zu erkennen geben.« »Wenn sie überhaupt noch hier sind.«

»Ich glaube schon, daß sie noch da sind«, sagte Lansing. »Wir wollen hier oben unser Lager aufschlagen. Das Feuer lassen wir die ganze Nacht über brennen. Hoffentlich werden sie es sehen.«

»Du meinst, wir sollten nicht sofort in die Stadt gehen?« »Nein, jetzt noch nicht. Es wird bald dunkel, und während der Nacht fühle ich mich hier oben sicherer als drunten in der Stadt.«

»Ich bin erleichtert«, sagte sie. »Vielleicht kann ich die Stadt bei Tageslicht ertragen, aber jetzt nicht.«

»Ungefähr einen Kilometer zurück war ein Fluß«, sagte Jürgens. »Ich werde Wasser holen.«

»Nein«, sagte Lansing. »Sie bleiben hier und sammeln Holz, so viel, wie Sie auftreiben können. Ich werde das Wasser holen.« »Ich bin froh, daß wir hier sind«, sagte Mary. »So sehr ich mich auch vor der Stadt da unten fürchte, bin ich doch froh, sie endlich erreicht zu haben.« »Mir geht es genauso«, stimmte Lansing zu. Nach dem Abendbrot setzten sie sich nebeneinander auf den Hügelkamm und beobachteten die Stadt. Keine Spur von Leben war zu entdecken, nicht der kleinste Lichtschimmer. Jeden Augenblick rechneten sie damit, daß die drei, die ihnen vorausgeeilt waren, aus der Stadt kommen und sie begrüßen würden. Aber nichts dergleichen geschah.

Schließlich, als es schon völlig finster war, sagte Mary: »Wir können uns genausogut hinlegen und zu schlafen versuchen.«

»Sie werden sicher gut schlafen«, meinte Jürgens. »Sie haben anstrengende Tage hinter sich.«

»Ich hoffe es«, erwiderte Mary.

Bei Tagesanbruch weckte Jürgens sie auf.

»Die anderen sind unten und erwarten uns«, sagte er. »Sie müssen unser Feuer gesehen haben.«

Lansing kletterte aus dem Schlafsack. Im fahlen Morgenlicht konnte er drei Gestalten ausmachen, die vor der geborstenen Stadtmauer standen. Eine, die kleinste der drei, war Sandra. Die beiden anderen konnte er nicht erkennen. Er hob die Arme und winkte. Alle drei winkten zurück.

14

Der General stapfte auf sie zu und begrüßte sie: »Die verirrten Schäflein«, sagte er. »Wir freuen uns, Sie zu sehen.« Sandra lief auf Mary zu und umarmte sie. »Wir haben schon nach Ihnen Ausschau gehalten. Gestern nacht haben wir dann Ihr Feuer gesehen. Ich glaubte jedenfalls, daß es Ihr Feuer war. Der Pastor zweifelte sogar daran.«

Der Pastor verzog den Mund. »In diesem barbarischen Land kann man bei gar nichts sicher sein. Es ist ein Ort voller Fallen.« »Die Stadt sieht verlassen aus«, sagte Lansing. »Wir wären schon gestern heruntergekommen, aber sie machte einen irgendwie bedrohlichen Eindruck. Da haben wir beschlossen, bis heute zu warten.«

»Sie ist nicht nur verlassen«, warf der Pfarrer ein, »sie ist tot. Sie muß vor langer Zeit gestorben sein. Die Häuser sind so alt, daß sie schon zerbröckeln.«

»Und doch haben wir einige interessante Dinge entdeckt«, sagte der General.

»In einem Haus, das ein ehemaliges Verwaltungsgebäude zu sein scheint, haben wir unser Hauptquartier bezogen, eine Operationsbasis sozusagen. Es steht an einem großen Platz. In diesem Gebäude haben wir etwas gefunden, das wir Bildgeber getauft haben. Er ist natürlich fast völlig zerstört, aber an einer Ecke.«

»In einem anderen Raum ist eine Gruppe von Standbildern«, unterbrach ihn Sandra. »Die einzigen Zeichen von Kunst, die wir bisher entdeckt haben. Aus makellos weißem Stein gehauen. Eine überragende Arbeit. Die Bilder wirken wie aus Seelen geformt.«

»Aber wir haben bisher nicht den kleinsten Hinweis gefunden, der den Grund unseres Hierseins erhellen könnte«, brummte der Pastor sie an.

»Sie waren doch sicher«, wandte er sich an den General, »daß wir die Antwort hier finden würden. Sie waren auch sicher, wir würden hier Leute antreffen.«

»Man muß alles so nehmen, wie es kommt.«, erwiderte der General. »Man sollte sich nicht die Haare raufen, weinen oder mit den Füßen stampfen, wenn einem etwas nicht paßt.« »Haben Sie schon gefrühstückt?« fragte Sandra. »Nein«, sagte Mary. »Als wir Sie gesehen haben, sind wir sofort heruntergekommen.«

»Wir haben auch noch nichts zu uns genommen«, sagte Sandra. »Wir sollten zum Hauptquartier gehen und zusammen essen.« Der General führte die Gruppe an, und Lansing gesellte sich zu ihm.

»Wir müssen etwas langsamer gehen«, sagte Mary, »damit Jürgens mitkommt.«

Der General drehte sich um. »Wie kommen Sie voran, Jürgens?« fragte er.

»Ein wenig langsam«, antwortete Jürgens. »Ansonsten geht es mir gut.«

Der General machte sich wieder auf den Weg, diesmal in einem etwas gesetzteren Tempo. »Irgend etwas hält einen immer auf«, sagte er.

»Sie scheinen hier der einzige zu sein, der es eilig hat«, erwiderte Lansing.

»Es fällt schwer, sich umzustellen«, sagte der General. »Ich bin mein Leben lang in Eile gewesen. Auf meiner Welt mußte man ständig auf Zack sein, sonst hätte sich einer angeschlichen und einen fertiggemacht.« »Und das hat Ihnen Spaß gemacht. Sie haben jede Minute ausgekostet.«

»Ich würde es so ausdrücken«, sagte der General. »Ich habe mehr fertiggemacht als mich fertiggemacht haben.« Er führte sie einen Weg hinab, der einmal eine Straße gewesen sein mochte, jetzt aber nicht viel mehr war als ein schmaler Pfad. Die meisten flachen Pflastersteine waren aus dem Boden gerissen. Riesige Steinblöcke, die sich aus den Gebäuden gelöst hatten, vervollständigten das Chaos. An den Stellen, wo sich das Pflaster gehoben hatte, wuchsen Sträucher und Ranken aus dem freigelegten Erdreich. Wo die Steine ihre ursprüngliche Position bewahrt hatten, waren die Fugen grün von Gras und Unkraut. Die Gebäude waren nicht hoch; in der Regel hatten sie nicht mehr als vier oder fünf Stockwerke. Wo einst Fenster und Türen gewesen waren, klafften nun unregelmäßige Löcher. Die Hausfassaden bestanden aus braunem oder rotem Gestein. »Oxidation«, kommentierte der General. »Sogar die Steine verrotten. Keine Anzeichen von Zerstörung - von gewaltsamer Zerstörung jedenfalls. Kein Hinweis auf Feuer oder andere bewußte Beschädigungen. Die Zerstörung, die Sie hier sehen, ist eine Folge von Klimaeinflüssen und Zeit. Obwohl die Stadt im Laufe der Zeit wohl auch ausgeplündert wurde. Es ist tatsächlich nichts mehr übriggeblieben. Früher müssen hier eine Menge Leute gelebt haben, aber jetzt ist kein einziger mehr da. Die ganze verdammte Stadt ist leer.«

»Sie haben doch gesagt, daß Sie etwas gefunden haben. Ich glaube, Sie bezeichneten es als Bildgeber. Was ist ein Bildgeber?«

»Ich weiß nicht, ob es einer ist oder nicht. Ich habe ihn einfach so genannt, aber ich kann mich auch irren. Auf meiner Welt hatten wir Bildgeber. Man füttert sie mit Problemen.« »Militärische Probleme?«

»Ja, meistens militärische Probleme. Es gehörte zu den Kriegsspielen. Man gibt die Probleme ein, und der Bildgeber zeigt, was passieren wird. Er stellt es bildlich dar. Auf diese Weise kann man alles besser verstehen. Das Ding, das wir gefunden haben, ist kaputt, die meisten Segmente sind tot. Nur ein kleines Segment an der Ecke arbeitet noch. Es kommt einem vor, als ob man durch ein Fenster in eine andere Welt blicken würde. Manchmal erscheinen fremde Wesen auf dem Bild.« »Vielleicht sind es Wesen, die hier einmal gelebt haben.« »Das glaube ich eigentlich nicht. Diese Stadt ist für Menschen gebaut oder zumindest für menschenähnliche Kreaturen. Die Türen und Fenster haben die richtige Höhe, und auch die Treppen sind so konstruiert, daß ein Mensch sie bequem benutzen kann.«

Die Stadt machte einen gespenstischen Eindruck. Es war nicht nur die Leere, die diesen Eindruck hervorrief, da war noch etwas, etwas Verborgenes, Lauerndes, das wartete und beobachtete. Lansing ertappte sich dabei, daß er jedes Gebäude, an dem sie vorbeikamen, wachsam und prüfend ansah, ständig auf der Hut vor diesem flüchtigen Etwas, das sie beobachtete, sich aber ihren Blicken entzog.

»Sie spüren es also auch«, sagte der General. »So tot dieser Ort auch wirken mag, es verbirgt sich etwas in ihm.« »Bei mir ist es einfach Vorsicht«, entgegnete Lansing. »Ich habe Angst vor Schatten.«

»Vielleicht tröstet es Sie, wenn ich Ihnen sage, daß es mir ganz genauso geht. Als alter Militär halte ich immer Ausschau nach dem verborgenen Feind. Ich gehe niemals blind drauflos. Allem Anschein nach ist diese Stadt verlassen, dennoch bin ich wachsam. Ich würde mich wohler fühlen, wenn wir Waffen hätten. Können Sie sich eine Expedition wie diese vorstellen, die keine Waffen mitführt? Ich bin fest davon überzeugt, dieser Schurke von Wirt hat gelogen, als er behauptete, keine Waffen zu haben.« »Vielleicht brauchen wir keine Waffen«, sagte Lansing. »Bisher hat sich auf unserer Reise noch keine Notwendigkeit dafür ergeben.«

»Das besagt gar nichts«, erwiderte der General. »Man schleppt eine Waffe hundert, vielleicht auch tausend Kilometer mit sich herum, nur für das eine Mal, wo man sie braucht.« Kurz darauf erreichten sie den Platz.

»In dem Gebäude dort drüben haben wir unser Lager aufgeschlagen«, sagte der General und wies mit der Hand über den Platz.

Es war das größte Haus am Platz und schien etwas besser erhalten als die anderen, obschon es in einem jämmerlichen Zustand war. Der Platz war groß, eine Anzahl Straßen führte zu ihm hin. Um ihn herum kauerten die braunroten Gebäude. Steine, die sich aus den Fassaden gelöst hatten, lagen auf dem Pflaster. Das Haus, auf das der General gedeutet hatte, war von einem Turm geschmückt; eine breite Steintreppe führte zum Eingang.

»Überall liegt Staub«, sagte der General. »Auf den Straßen, auf dem Platz, sogar in den Häusern. Überall, wohin Sie auch gehen. Es ist der Staub von mürbem Gestein, von sterbendem Gestein. In dem Gebäude, wo wir kampieren, haben wir an ein paar windgeschützten Stellen alte Spuren gefunden - Spuren von Leuten, die vor uns hier gewesen sind. Andere Besucher vermutlich, so wie wir es sind. Ich bin ziemlich sicher, daß eine solche Gruppe sich gar nicht weit von hier aufhält, denn einige Spuren waren ziemlich frisch. Und die Abdrücke halten sich hier nicht lange. Der kleinste Windstoß kann sie verwehen, wenn sie nicht schon vorher von dem rieselnden Staub zugedeckt werden.«

Lansing schaute sich um und stellte fest, daß der Rest der Gruppe dicht hinter ihnen war. Jürgens hielt sich wacker. Er legte jetzt ein besseres Tempo vor. Mary und Sandra gingen zu seinen Seiten, hinter ihnen der Pastor. Den Kopf gesenkt, so daß das Kinn fast die Brust berührte, ähnelte er einer stolzierenden Krähe.