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Und dann lag das Dünenfeld vor ihm. Wie ein Berserker kämpfte sich Lansing durch den Sand. Nur noch ein paar Stunden, sagte er sich. Noch vor Sonnenuntergang würde er den Turm erreicht haben und Mary in die Arme schließen. Nach einer Stunde sah er zum erstenmal den Turm vom Gipfel einer Düne. Der Anblick spornte ihn zu noch größerer Eile an. Während der ganzen quälenden Wanderung durch die Wüste hatte Lansing eine etwas nebelhafte Vision in seinem Geiste genährt: Mary, wie sie mit ausgestreckten Armen und fröhlich rufend auf ihn zulief, während er den letzten Hügel zum Lager hinabstieg. Aber das geschah nicht. Mary kam ihm nicht entgegengerannt. Nichts deutete auf ihre Anwesenheit hin. Kein Rauch kräuselte sich vom Lagerfeuer empor. Es war niemand dort, auch Sandra nicht.
Aber dann, als Lansing zum Lager rannte, erblickte er Sandra. Sie kauerte beim Turm, hatte sich dicht an seine Basis geschmiegt. Sie rührte sich nicht. Der Wind spielte mit ihrem Schal, das war die einzige Bewegung.
Benommen hielt Lansing an. Eine kalte Hand griff nach seinem Herzen, Panik stieg in ihm auf.
»Mary!« rief er. »Ich bin wieder da! Mary, wo bist du?« Aber Mary antwortete nicht. Niemand antwortete. Sandra mußte wissen, wo sie war. Offensichtlich schlief sie. Aber er würde sie wachrütteln. Sie würde es ihm sagen.
Er kniete sich neben sie und schüttelte sie sanft. Etwas war falsch an ihr, schrecklich falsch - sie hatte kein Gewicht. Er schüttelte sie noch einmal, etwas heftiger diesmal. Da sank sie zur Seite, und er sah ihr Gesicht: Es war das eingetrocknete Gesicht einer Mumie.
Erschreckt ließ Lansing Sandras Schulter los. Ihr Kopf fiel zurück, das Gesicht sah ihn nicht mehr an. Tot, dachte er - als ob sie schon tausend Jahre tot sei! Ausgedörrt unter ihren Kleidern, die jetzt im Winde flatterten! Verwelkt und vertrocknet wie eine Hülse, der alle Substanz entzogen war!
Er stand auf und wandte sich ab. Schwankend ging er zum Lagerfeuer und hielt die Hände über die Asche. Er fühlte keine Wärme. Er stocherte in der Asche, aber das Feuer war tot, keine Glut verbarg sich unter der grauen Schicht. Ein Rucksack lag neben der Feuerstelle, ein Rucksack nur. Sandras vermutlich. Marys Rucksack war fort.
Er ließ sich wie betäubt an der Feuerstelle nieder. Er fühlte weder Schrecken noch Kummer - nur Leere. Sandra tot, Mary fort und das Feuer. Es mußte Stunden gedauert haben, bis das Feuer völlig niedergebrannt war. Mary war schon seit Stunden fort.
Die Taubheit in seinem Gehirn ließ etwas nach, Panik begann sich einzuschleichen. Aber er kämpfte sie nieder. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, sich Angst und Panik zu überlassen! Wichtig war im Moment, daß er alles genau durchdachte, alle Teile zusammenfügte und herausbekam, was geschehen sein mochte.
Das Lager war verlassen. Jorgenson und Melissa waren nicht da, aber das hatte nichts zu bedeuten. Sie konnten aufgehalten worden sein. Alle hatten sich darauf geeinigt, daß die beiden Gruppen innerhalb von vier Tagen zum Lager zurückkehren wollten, aber der vierte Tag war noch nicht zu Ende. Sandra war tot, und es hatte den Anschein, als sei sie schon sehr lange tot. Aber das war unmöglich. Vor vier Tagen hatte sie noch gelebt, vor weniger als vier Tagen. Der Turm, dachte Lansing bitter. Der singende Turm hatte sie leer gesaugt, ausgetrocknet, bis nichts mehr von ihr übrig war. Vielleicht hatte sie gewußt, was er mit ihr tat, und es zugelassen. Vielleicht hatte sie ihm ihre Lebenssubstanz gerne gegeben, als Weihgabe für die Schönheit, die er ihr schenkte. Mary war fort, aber sie war nicht geflohen. Sie war nicht schreiend in die Wildnis gerannt. Ihr Rucksack war nicht mehr da. Sie hatte ihn genommen und war gegangen. Aber warum hatte sie ihm keine Nachricht hinterlassen, wohin sie gegangen war? Vielleicht lag irgendwo ein Zettel, von einem Stein beschwert.
Lansing erhob sich und suchte die Umgebung ab. Er fand nichts. Um sicherzugehen, suchte er ein zweitesmal, fand aber auch diesmal nichts.
Vielleicht war sie nach Norden aufgebrochen, in der Hoffnung ihm und Jürgens zu begegnen. Oder sie hatte sich nach Westen gewandt, um Jorgenson und Melissa zu treffen. Diese Möglichkeit hielt Lansing allerdings für recht unwahrscheinlich, denn Mary hatte die beiden nicht sonderlich gern gemocht. Vielleicht war sie auch zum zweiten Gasthaus zurückgekehrt und wartete dort auf ihn.
Alles der Reihe nach, sagte er sich, erstaunt über seine Gelassenheit. Er würde also zunächst zu den Dünen zurückgehen und von dort aus in weitem Bogen das Gelände nach ihren Spuren absuchen. Dann fiel Lansing ein, daß Mary, falls sie nach Norden gegangen war, die Spur hätte finden müssen, die er und Jürgens hinterlassen hatten. Sie wäre dieser Spur bestimmt gefolgt, er hätte ihr also auf dem Rückweg begegnen müssen. Trotzdem machte Lansing sich auf den Weg, entdeckte aber keine Spuren außer seinen eigenen und denen von Jürgens. Er untersuchte sie sehr sorgfältig nach Hinweisen auf eine dritte Person, aber er fand nur die Fußabdrücke von Jürgens, die nach Norden führten und seine eigenen vom Hin- und Rückweg. Eine dritte Person war diesen Weg nicht gegangen. Es dunkelte bereits, als er endlich zum Lager zurückkehrte. Eine Zeitlang stand er nachdenklich da, unfähig, eine Entscheidung zu treffen. Schließlich entschied er sich für das einzig Richtige, das er in seiner Situation tun konnte. Aber die Entscheidung fiel ihm äußerst schwer, und es kostete ihn Mühe, seine Schuldgefühle niederzukämpfen.
Er war völlig erschöpft. Er war vier volle Tage unterwegs gewesen, hatte kaum geschlafen und nicht gerastet. Er brauchte etwas Erholung, um wieder ein normaler Mensch zu werden. Es würde weder Mary noch ihm helfen, wenn er sich total übermüdet weiter fortschleppte, unfähig zur Wahrnehmung und unfähig zu denken. Vielleicht würden bis zum Morgen auch Jorgenson und Melissa eintreffen. Sie konnten ihm dann wenigstens bei der Suche helfen. Aber auf die beiden setzte er im Grunde wenig Hoffnung. Er hielt von ihnen nicht mehr als Mary. Bestenfalls waren sie zwei arme Teufel. Er fand Holz, entfachte ein Lagerfeuer, kochte Kaffee, briet Schinken und ein paar Pfannkuchen und öffnete eine Dose Apfelmus - es war seine erste richtige Mahlzeit seit vier Tagen. Der Gedanke an Mary verließ ihn keinen Augenblick, aber er sagte sich immer wieder, daß es ihr gutgehe und sie in Sicherheit sei, wo immer sie sich auch aufhalten mochte. Er versuchte, Angst und Sorgen aus seinem Gehirn zu verdrängen, doch das wollte ihm nicht ganz gelingen.
Lansing dachte lange darüber nach, was Mary wohl veranlaßt haben mochte, das Lager zu verlassen. Welchen Grund sie auch gehabt hatte, er mußte zwingend gewesen sein. Anderenfalls hätte sie seine Rückehr abgewartet. Lansing machte sich daran, eine Liste von möglichen Gründen aufzustellen, aber das war ein fruchtloses Unterfangen. Langsam bekam er Angst. Nur mit Mühe gelang es ihm, seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben.
Er dachte an Sandra. Sollte er sie beerdigen? Sollte er ein Loch ausheben, sie hineinlegen, mit Erde bedecken und, wenn all dies vollbracht war, ein paar gräßliche und nutzlose Worte sprechen? Aus irgendeinem Grund - er hätte selbst nicht genau sagen können, warum - schien ihm das nicht angemessen zu sein. Je länger er darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß es einem Sakrileg gleichkäme, wenn er Sandra störte. Wahrscheinlich war es das beste, sie so zu lassen, wie sie war, ein verdorrtes (und heiliges?) Opfer am Fuß des singenden Turmes. Der Gedanke schien keinen Sinn zu ergeben, aber auf eine verrückte Weise doch wiederum etwas Logik zu enthalten. Wie würde Sandra es sich gewünscht haben, fragte er sich. Er konnte diese Frage nicht beantworten, dazu hatte er Sandra nicht gut genug kennengelernt, was er jetzt bedauerte. Vielleicht hatte er keinen der Gruppe so gut gekannt, wie es richtig gewesen wäre. Trotz der vielen Tage, die sie zusammen verbracht hatten, waren ihm die anderen mehr oder weniger fremd geblieben. Brauchte es ein Lebensalter, um einen Menschen wirklich kennenzulernen, fragte er sich. Von den ursprünglich sechs Mitgliedern waren nur noch er und Mary übriggeblieben. Und nun war auch Mary fort. Aber er würde sie finden, sagte er sich, er würde sie finden. Nachdem er gegessen hatte, kroch er in den Schlafsack. Er war schon fast eingeschlafen, als ihn ein Geräusch hochriß: das Schluchzen des Heulers. Es erklang nicht aus der Nähe, aber in der Stille der Nacht war die Klage dennoch laut. Er saß und lauschte, und ihm fiel die erste Nacht auf der Wanderung nach Norden ein. Damals hatte er geglaubt, ein fernes Heulen zu vernehmen, aber Jürgens, den er danach gefragt hatte, wollte nichts gehört haben.
Irgendwann hörte das Heulen auf, und Lansing legte sich wieder hin. Er verkroch sich rief in seinen Schlafsack. Bevor er einschlief, kam der Schnüffler und suchte das Lager ab. Lansing sprach leise mit ihm, aber der Schnüffler gab keine Antwort.
Darüber schlief Lansing ein.
27
Am Morgen des zweiten Tages, nachdem Lansing zum Gasthaus aufgebrochen war, erschien der Heuler. Er tauchte auf einer Hügelkette auf, die parallel zu dem Pfad verlief, dem Lansing folgte. Er hielt sich auf gleicher Höhe wie der Mensch. Manchmal, wenn Lansing zurückfiel, ließ sich der Heuler schwerfällig nieder und wartete auf ihn. Und wenn Lansing einen Vorsprung gewann, verfiel der Heuler in einen leichten Trab, um aufzuholen.
Das Verhalten des Tieres verwirrte Lansing, aber er tat sein möglichstes, es sich nicht anmerken zu lassen. Hin und wieder warf er einen kurzen Seitenblick auf den Heuler, ansonsten gab er vor, ihn zu ignorieren. Nach einer Weile wird er das Spielchen schon drangeben, dachte er. Aber der Heuler schien diese Ansicht nicht zu teilen.
Das massige Tier kam Lansing jetzt noch wolfsartiger vor als in der Nacht in den Badlands. Es war in einem bejammernswerten Zustand. Ein streunender Vagabund, dachte Lansing. Bisher hatte es keine feindselige Haltung gezeigt, aber das konnte sich jederzeit ändern. Es konnte sich in jedem Augenblick in eine reißende Bestie verwandeln. Wenn das geschehen sollte, gab es wenig Hoffnung, mit heiler Haut davonzukommen. Lansing löste die Schlaufe seines Campingmessers, um es im Notfall schnell zur Hand zu haben, aber ihm war klar, daß er bei einem Angriff des Tieres mit dem Messer nicht viel ausrichten würde. Mary, dachte er. Hatte sie wegen des Heulers das Lager verlassen? Hatte er sie davongejagt? Wohin war sie geflohen? Oder war sie nirgendwohin geflohen, hatte das Tier, nachdem es sein dummes Spielchen mit ihr getrieben hatte, sie schließlich angegriffen? Bei dieser Vorstellung schnürte sich ihm die Kehle zu. Wenn Mary vor dem Tier fliehen mußte, war sie zweifellos zum Gasthaus geeilt, denn das war der einzige Ort, der ihr Schutz bieten würde. O Gott, dachte Lansing, hoffentlich hat sie es erreicht.
Auf dem Landstreifen zwischen den beiden Flußläufen stand das Gasthaus. Er durfte nicht zulassen, daß das Tier ihn am Fluß entlangtrieb, dann würde er das Gasthaus niemals erreichen, und der Heuler konnte ihn so lange jagen, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach.
Der Heuler kam nun näher. Er trottete den Hügel hinab auf Lansing zu und wedelte mit dem Schwanz (Wölfe wedeln nicht mit dem Schwanz, fiel ihm ein). Er lachte Lansing an und entblößte dabei zwei Reihen scharfer Zähne. Lansing wollte ihn nicht zu nahe kommen lassen, deshalb verließ er den Pfad und wandte sich nach Südwesten. Der Heuler überquerte den Pfad und folgte ihm, er blieb auch weiterhin parallel zu der Spur des Menschen, kam nicht direkt auf diesen zu, verringerte aber ständig die Distanz. Er trieb Lansing nach Südwesten. Das Spiel zog sich über Stunden hin. Es wurde Mittag, und die Sonne begann sich dem westlichen Horizont entgegenzuneigen. Lansing wußte, irgendwo vor ihm mußte der Fluß sein, der sich, von Westen kommend, mit dem Badlands-Fluß vereinigte. Und Am Nachmittag erreichte Lansing einen niedrigen Hügelkamm, und von dort sah er den Fluß. Langsam stieg er den Hang hinab, der Heuler folgte ihm. Als der Mann den Fluß erreicht hatte, hielt er an und sah sich um. Der Heuler war bis auf zwanzig Meter herangekommen. Lansing löste das Messer aus dem Gürtel und wartete ab.
»Also gut«, wandte er sich an den Heuler, »worauf willst du eigentlich hinaus?«
Der Heuler war ein riesiges Tier. Er hatte eine Schulterhöhe von drei Metern. Jetzt senkte er den Kopf, streckte die Schnauze vor und kam mit zögernden Schritten auf Lansing zu, erst die eine Pfote und dann, langsam, die zweite. Er war räudig, völlig heruntergekommen. Er sah aus wie ein ungemachtes Bett. Und er war groß - o Gott, war er groß! Ein Zuschnappen, und es wäre um Lansing geschehen gewesen.
Lansing hielt das Messer fest umklammert, aber er hob es nicht. Er bewegte keinen Muskel. Starr, wie festgewachsen, beobachtete er, wie das Tier langsam näher kam. Schritt für Schritt schob es sich dichter an Lansing heran. Es streckte die Schnauze vor, so daß es ihn fast berührte, dann knurrte es leise. Mit einiger Anstrengung gelang es Lansing, sich nicht zu rühren. Ganz vage und beiläufig tauchte in seinem Gehirn die Frage auf, was wohl geschehen wäre, wenn er sich bewegt hätte, und er war erstaunt, daß er es nicht getan hatte. Das Tier machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, jetzt war seine Schnauze nur noch ein paar Zentimeter von Lansings Brust entfernt. Aber diesmal knurrte es nicht. Das Messer fest umklammernd, hob Lansing die freie Hand und legte sie dem Tier auf die Schnauze. Das räudige Untier grunzte vor Vergnügen. Es drängte sich noch dichter an Lansing heran, so daß es seine Schnauze an Lansings Bauch reiben konnte, und zwang ihn dadurch, einen Schritt zurückzutreten. Er streichelte die Schnauze, dann streckte er den Arm aus und kratzte das Tier am Ohr. Da legte es den Kopf zur Seite, damit Lansing das Ohr besser erreichen konnte.
Lansing kratzte das Ohr, und der Heuler drehte den Kopf vor Wohlbehagen hin und her. Das Tier gab leise Laute von sich. Es stieß den Mann liebevoll an, und dieser stolperte noch einen Schritt zurück.
»So, jetzt ist es genug«, sagte Lansing. »Ich kann dich nicht den ganzen Tag kraulen. Ich muß weiter.«
Als hätte es ihn verstanden, grummelte das riesige Tier unwillig. Lansing ging einen weiteren Schritt rückwärts und erreichte den Fluß. Vorsichtig nahm er die Hand von dem mächtigen Kopf des Heulers, wandte sich um und begann den Fluß zu durchwaten.
Er watete durch das eiskalte Wasser und sah sich nicht um, ehe er die Mitte des Flusses erreicht hatte. Das Wasser reichte ihm hier bis zu den Knien. Als er sich umblickte, sah er den Heuler verloren am Ufer stehen und ihm nachschauen. Das Tier setzte behutsam eine Pfote ins Wasser, zog sie dann aber rasch zurück und schüttelte sie.
Lansing lachte und watete weiter. Als er das andere Ufer erreicht hatte, blickte er sich noch einmal um. Das Tier war immer noch auf der anderen Seite. Als es bemerkte, daß Lansing anhielt und sich nach ihm umsah, machte es zwei Schritte ins Wasser hinein, sprang aber gleich wieder ans Ufer zurück und schüttelte sich.
»Bis dann, Freund«, sagte Lansing. Munter machte er sich auf den Weg. Nach ein paar hundert Metern sah er sich noch einmal um. Der Heuler hatte den Fluß immer noch nicht überquert. Offensichtlich mochte er kein kaltes Wasser. Lansing beeilte sich. Er hielt es für das beste, eine möglichst große Distanz zwischen sich und den Heuler zu legen, auch wenn dieser sich ihm gegenüber freundschaftlich verhalten hatte. Er gehörte zu einer Art von Tieren, in die man kein allzu großes Vertrauen setzen sollte.
Die Sonne ging unter, aber Lansing legte keine Rast ein. Er marschierte weiter, manchmal verfiel er in einen leichten Trab, von Zeit zu Zeit rannte er sogar ein Stück, denn er wollte eine so große Strecke zurücklegen, wie seine Kräfte ihm erlaubten. Der Mond, inzwischen leicht abnehmend, übergoß die Wildnis mit einem kalten, weißen Licht. Im Osten plätscherte der Fluß. Bei Tagesanbruch hielt Lansing an und machte Feuer. Er kochte Kaffee und bereitete sich etwas zu essen. Es gab kein Anzeichen dafür, daß der Heuler sich irgendwo in der Nähe aufhielt. Lansing war erschöpft und hatte ein dringendes Bedürfnis nach Schlaf. Aber nach einer kurzen Pause machte er sich wieder auf den Weg. Die Sonne neigte sich nach Westen, als er das Gasthaus erreichte.
Der Schankraum war leer, dunkel und kalt. Im Kamin brannte kein Feuer. Die Kartenspieler saßen nicht an ihrem Tisch. Lansing rief, aber niemand antwortete ihm. Da durchquerte er den Raum und ließ sich in einen Sessel vor dem erloschenen Kaminfeuer fallen. Von Erschöpfung übermannt kuschelte er sich tief in den Sessel hinein.
Nach einer Weile trat die Frau mit dem Mondgesicht und der karierten Schürze aus der Küche. »Oh«, sagte sie. »Sie sind also wieder zurück.«
Mit heiserer Stimme fragte Lansing: »War eine junge Frau hier? Gestern oder vorgestern?« »O ja, sie war da.« »Und wo ist sie jetzt?«
»Sie hat das Gasthaus heute morgen schon sehr zeitig verlassen.«
»Haben Sie bemerkt, wohin sie gegangen ist? Welche Richtung sie eingeschlagen hat?«
»Nein, mein Herr, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich war anderweitig beschäftigt, als sie ging.«
»Hat sie Ihnen nichts hinterlassen? Keine Nachricht, keinen Brief?«
»Ich glaube schon, mein Herr«, antwortete die Frau. »Ich habe den Zettel weggelegt, ich gehe sofort und hole ihn.« Geschäftig eilte sie davon, Lansing wartete. Nach einer Weile kam sie zurück. Sie hatte eine Flasche und einen Krug dabei, die sie vor Lansing auf den Tisch stellte.
»Ich weiß nicht, was passiert ist«, sagte sie, »aber ich kann den Zettel nicht finden. Ich muß ihn verlegt haben.«
Mit einem Satz war Lansing aufgesprungen und brüllte sie an:
»Wie können Sie einen Brief verlegen? Einen Brief, der Ihnen erst heute morgen ausgehändigt worden ist?«
»Ich weiß selbst nicht, wie es geschehen konnte, mein Herr.
Aber offensichtlich habe ich es getan.«
»Dann sehen Sie noch einmal nach.«
»Ich habe schon überall gesucht«, sagte sie. »Er ist nicht dort, wo ich dachte. Und anderswo ist er auch nicht.«
Lansing ließ sich in den Sessel fallen. Die Wirtin schenkte von dem Getränk ein und reichte ihm den Krug. »Ich werde Feuer machen, damit Sie sich ein wenig aufwärmen können«, sagte sie. »Dann koche ich Ihnen etwas zu essen. Sie sind sicher hungrig.«