125774.fb2 Poker um die Zukunft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 27

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Ein paar Schritte vor den Neuankömmlingen hielten die drei an. Der blonde Jüngling sprach sie in einer fremden Sprache an. »Kauderwelsch«, sagte Jorgenson. »Warum spricht er nicht Englisch?«

»Ausländisch, kein Kauderwelsch«, sagte Lansing. »Vermutlich Deutsch. Spricht einer von Ihnen Englisch?« »Ja, ich spreche Englisch«, antwortete der alte Mann. »Außer mir noch ein paar andere im Lager. Ihre Vermutung war richtig, mein junger Freund hier ist Deutscher. Und Pierre ist Franzose. Ich kann beide recht gut verstehen. Mein Name ist Allen Correy. Ich nehme an, daß Sie vom Turm kommen. Sie müssen sich verirrt haben.«

»Um ehrlich zu sein, wir sind auf dem Weg zur Stadt«, sagte Lansing.

»Aus welchem Grund?« fragte Correy. »In der Stadt ist nichts los, das kann Ihnen jeder hier bestätigen.«

»Er sucht seine Freundin«, sagte Jorgenson. »Er glaubt, sie könnte in der Stadt sein.«

»Wenn das so ist«, sagte Correy, »hoffe ich aufrichtig, daß Sie sie finden. Sie wissen, wie Sie zur Stadt kommen?« »Nach Südosten«, sagte Lansing. »Das müßte der richtige Weg sein.«

»Ja, das denke ich auch«, stimmte Correy zu. »Wissen Sie etwas über das Land hier?«

»Ich kenne nur ein paar Kilometer im Umkreis. Wir entfernen uns normalerweise nicht sehr weit vom Lager.« »Ich nehme an, auch Sie sind Leute wie wir. Ich weiß nicht, als was man uns bezeichnen kann, darüber habe ich noch nie nachgedacht. Jedenfalls Menschen, die hierher gebracht worden sind.«

»Ja, solche sind wir«, sagte Correy. »Möglicherweise gibt es noch andere Gruppen wie die unsere, aber wir kennen sie nicht. Sie wissen ja, daß es immer nur wenige Überlebende gibt. Wir sind eine Gruppe von Überlebenden. Unser Lager besteht aus zweiunddreißig Personen, zwölf Männer und zwanzig Frauen. Ein paar von uns sind schon seit Jahren hier.« Der Franzose sagte etwas zu Correy, und dieser wandte sich an Lansing: »Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen. Ich habe meine Kinderstube vergessen. Wollen Sie nicht ins Lager kommen und sich uns anschließen? Es wird bald dunkel, und das Abendessen ist schon in Vorbereitung. Es gibt Kaninchenragout, einen riesigen Topf voll, außerdem haben wir jede Menge Fische zum Braten. Und es würde mich nicht wundern, wenn es auch Salat gibt. Auf Soße müssen wir allerdings schon lange verzichten, statt dessen nehmen wir heißes Fett. Ich muß Sie auch darauf hinweisen, daß wir kaum Salz haben. Wir haben uns schon seit langem an diesen Mangel gewöhnt, und es macht uns nichts mehr aus.« »Uns wird es auch nichts ausmachen«, sagte Melissa. »Wir nehmen Ihre Einladung mit Freuden an.«

Sie gingen ein Stück ins Tal hinein, machten einen Bogen um ein kleines Wäldchen und erblickten ein Kornfeld, auf dem noch einige Garben standen. Jenseits des Feldes standen in einer geschützten Bucht, die durch eine scharfe Biegung des Flußlaufes gebildet wurde, ein paar erbärmliche Hütten und verwitterte Zelte. Einige Lagerfeuer brannten, und kleine Gruppen von Menschen standen abwartend herum. Correy deutete auf das Kornfeld. »Ein armseliger Acker«, sagte er. »Aber wir pflegen ihn gut und ernten jedes Jahr genug, um über den Winter zu kommen. Außerdem haben wir noch einen ziemlich großen Garten. Mrs. Mason hat uns das Saatgut für das Getreidefeld besorgt und auch alles, was wir benötigten, um einen Gemüsegarten anzulegen.« »Mrs. Mason?« fragte Melissa.

»Das ist die Wirtin des Gasthauses«, sagte Correy. »Eine habgierige Person, aber sie arbeitet mit uns zusammen. Manchmal schickt sie uns Rekruten, Leute wie wir, die nicht wissen, wohin sie gehen sollen, und im Gasthaus stranden. Aber Mrs. Mason wünscht keine Gäste ohne Geld. Nur die wenigsten haben welches, also entledigt sie sich ihrer, indem sie sie zu uns schickt. Die Stärke unserer Gruppe nimmt dadurch jedoch nicht wesentlich zu. Es gibt auch Todesfälle, besonders in den strengen Wintermonaten. Wir haben hier, unter anderem, auch einen ständig größer werdenden Friedhof.«

»Gibt es keinen Weg zurück?« fragte Jorgenson. »Zurück zu den Welten, aus denen wir gekommen sind?«

»Wir haben keinen entdeckt«, antwortete Correy. »Wir haben es auch aufgegeben, danach zu suchen. Einige natürlich nicht, aber die meisten haben sich hier häuslich niedergelassen.« Als sie das Lager erreichten, war das Abendessen fertig. Die drei Neuankömmlinge setzten sich zusammen mit allen anderen in einem großen Kreis um das Hauptlagerfeuer. Man reichte ihnen Schüsseln mit Kaninchenstücken und andere mit gekochtem Mischgemüse, dazu gab es knusprig gebratenen Fisch. Tee oder Kaffee wurde ihnen nicht angeboten, das einzige Getränk war Wasser. Es gab auch keinen Salat, wie Correy vermutet hatte. Viele Leute im Lager, vielleicht sogar alle (Lansing versuchte, sie zu zählen, aber es gelang ihm nicht), kamen zu ihnen herüber, um ihnen die Hand zu schütteln und sie willkommen zu heißen. Die meisten redeten in fremden Sprachen, ein paar sprachen gebrochen Englisch. Außer Correy gab es noch zwei Personen, deren Muttersprache Englisch war. Bei beiden handelte es sich um Frauen, die sich sofort zu Melissa setzten. Dann begannen die drei in atemberaubendem Tempo draufloszuschwatzen.

Das Essen war gut, wenn man von dem fehlenden Salz absah. »Sie erwähnten, daß Ihnen Salz fehlt«, wandte sich Lansing an Correy. »Und wahrscheinlich außer Salz noch eine Menge anderer Dinge. Wenn Mrs. Mason Ihnen das Saatgut besorgt hat, warum beliefert sie Sie nicht auch mit Salz und den anderen Sachen, die Sie brauchen?«

»Das würde sie mit dem größten Vergnügen tun«, erwiderte Correy. »Aber wir haben kein Geld. Der Schatz ist aufgebraucht. Vielleicht haben wir das Geld am Anfang zu großzügig ausgegeben.«

»Ich habe noch welches übrig«, sagte Lansing. »Wären Sie mit einer kleinen Spende einverstanden?«

»Ich möchte nicht um Geld bitten«, erwiderte Correy, »aber wenn es Ihre eigene freie Entscheidung ist.« »Ich werde Ihnen eine kleine Summe dalassen.« »Wollen Sie denn nicht bei uns bleiben? Sie sind hier willkommen, das wissen Sie ja.«

»Ich muß zur Stadt, das habe ich Ihnen doch schon gesagt.« »Ja, ich entsinne mich.«

»Aber ich würde mich freuen, wenn ich heute hier übernachten könnte«, sagte Lansing. »Morgen früh reise ich dann weiter.« »Vielleicht kommen Sie ja wieder zurück.« »Falls ich Mary nicht finde, meinen Sie?«

»Auch wenn Sie sie finden. Sie und Mary sind hier jederzeit willkommen.«

Lansing ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Das war kein Ort, an dem er sich gerne niederlassen würde. Das Leben hier würde hart sein. Ununterbrochene Arbeit - Bäume fällen und Holz hacken, Arbeit im Garten und auf dem Feld, die niemals endende Nahrungssuche. Es würde häßliche kleine Rivalitäten geben, unaufhörliche Reibereien und Auseinandersetzungen.

»Wir haben uns auf eine primitive Lebensweise eingestellt und fahren ganz gut damit«, sagte Correy. »Im Fluß gibt es genug Fische und in den Tälern und Hügeln Wild. Einige von uns haben sich zu Experten im Fallenstellen entwickelt - hier gibt es jede Menge Kaninchen. In manchen Jahren mehr als in anderen. Vor ein paar Jahren hatten wir eine Dürreperiode, alle haben schwer gearbeitet, haben Wasser vom Fluß heraufgeschleppt, um den Garten und das Feld zu bewässern. Aber wir konnten die Ernte retten, wir hatten sogar eine ausgezeichnete Ernte.« »Es ist schon erstaunlich«, sagte Lansing, »bei einer so bunt zusammengewürfelten Gruppe Menschen. Ich nehme zumindest an, daß sie es ist.«

»O ja«, sagte Correy. »Ich, zum Beispiel, war in meinem früheren Leben Mitglied des diplomatischen Korps. Wir haben hier, unter anderem, einen Geologen, einen Großbauern, der früher Tausende Hektar Land bestellt hat, einen Wirtschaftsprüfer, eine ehemals berühmte und verwöhnte Schauspielerin, eine bedeutende Historikerin, einen Sozialarbeiter, einen Bankier und so weiter.«

»Sind Sie und die anderen in der langen Zeit, die Sie zum Nachdenken hatten, zu irgendeinem Schluß gekommen, warum wir hierhergebracht worden sind?«

»Nein, eine bündige Antwort haben wir nicht. Es gibt viele Spekulationen, wie Sie sich denken können, aber nichts Schlüssiges. Natürlich gibt es auch hier, wie überall, Leute die überzeugt sind, die Antwort gefunden zu haben. Das sind Menschen, denen es eine gewisse seelische Stabilität verschafft, wenn sie an irgend etwas glauben können, und sei es auch noch so phantastisch. Es stärkt ihr Selbstbewußtsein, wenn sie sich einreden können, im Besitz der Wahrheit zu sein, während alle anderen im dunkeln tappen.« »Und Sie? Wie steht es mit Ihnen?«

»Ich gehöre zu den Leuten, die dazu verdammt sind, immer alle Aspekte einer Frage zu sehen. Als Diplomat gehörte das ja auch zu meinem Aufgabenbereich. Ich halte es für notwendig, ehrlich gegen sich selbst zu sein. Ich will mir nichts vormachen.« »Sie haben demnach keine feste Überzeugung?« »Absolut keine. Für mich ist alles genauso rätselhaft wie am ersten Tag.«

»Was wissen Sie über das Land, das zwischen dem Lager und der Stadt liegt? Was wissen Sie über die Badlands?« »Das Land zwischen hier und der Stadt ist rauh und hügelig«, antwortete Correy. »So weit wir es durchforscht haben jedenfalls.

Meistens dicht bewaldet, aber das Wandern ist nicht mühselig. Über die Badlands weiß ich nichts; wir sind nicht dort gewesen. Sie müssen östlich von hier liegen.«

»Sind Sie denn zufrieden damit, immer hierbleiben zu müssen? Wollen Sie nicht wissen, was außerhalb des Tales liegt?« »Zufrieden bin ich nicht«, erwiderte Correy. »Aber mir bleibt nichts anderes übrig. Ein paar von uns sind nach Norden gezogen, zum Chaos. Sind Sie auch so weit gekommen?« »Ja, ich habe dort einen guten Freund verloren.« »Der Norden ist von Chaos abgeriegelt«, sagte Correy. »Es gibt keine Möglichkeit, es zu überwinden. Ich weiß nicht, was Chaos ist, aber es blockiert den Weg. Jenseits des Turmes erstreckt sich die Wüste über Hunderte von Kilometern. Der Süden ist auch nicht sehr vielversprechend, habe ich mir sagen lassen. Und Sie wollen also zur Stadt zurück, weil Sie hoffen, dort etwas zu finden, das Sie beim erstenmal übersehen haben?« »Ich will nicht irgend etwas finden«, erwiderte Lansing, »ich will Mary finden. Ich muß sie finden. Wir beide sind die einzigen, die von unserer Gruppe übriggeblieben sind. Die anderen vier haben wir verloren.« »Und Ihre beiden Begleiter?«

»Sie waren nicht von Anfang an dabei. Sie gehören zu einer anderen Gruppe. Wir haben sie im Gasthaus angetroffen.«

»Es scheinen nette Leute zu sein«, sagte Correy. »Da kommen sie ja.«

Lansing blickte auf und sah, daß Jorgenson und Melissa um den Kreis herum auf ihn zu kamen. Jorgenson hockte sich vor ihm auf den Boden, Melissa blieb stehen. »Melissa und ich möchten Ihnen etwas mitteilen«, begann Jorgenson. »Es tut uns leid, aber wir werden Sie nicht weiter begleiten. Wir haben uns zum Hierbleiben entschlossen.«

29

Daß Jorgenson und Melissa nicht mehr bei ihm waren, machte Lansing nichts aus. Jetzt kam er leichter und schneller voran. Seit seinem Aufbruch hatte er schon ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht, mehr jedenfalls, als er mit den beiden im Schlepptau geschafft hätte. Überdies fand er alle beide nicht sonderlich sympathisch. Melissa war eine dumme Gans, Jorgenson auch nicht gerade ein liebenswürdiger Zeitgenosse. Wenn er den Abschied bedauert hatte, dann wegen Correy. Obwohl er nur ein paar Stunden mit ihm verbracht hatte, mochte er den Mann. Lansing hatte ihm etwas mehr als die Hälfte des ihm verbliebenen Geldes gegeben. Correy hatte die Spende dankbar angenommen und ihm nicht nur persönlich, sondern im Namen der ganzen Lagergemeinschaft gedankt. »Ich werde diesen unverhofften Reichtum gut verwalten und nur für gemeinschaftliche Interessen verwenden«, hatte er gesagt. »Ich weiß, daß alle hier Ihnen danken würden, wenn sie von der großzügigen Gabe wüßten.«

»Keine Ursache«, hatte Lansing erwidert. »Außerdem kommen Mary und ich ja vielleicht zurück.« »Ich werde Ihnen einen Platz am Feuer freihalten«, hatte Correy ihm versichert. »Aber ich hoffe aufrichtig, daß Sie nicht zurückkommen müssen. Das Leben hier ist nicht sehr verlockend. Vielleicht finden Sie ja einen Weg nach draußen. Einigen muß das doch gelingen. Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß Sie es schaffen.«

Lansing hatte die Hoffnung, einen Weg aus seiner jetzigen Situation zu finden, schon vor langer Zeit aufgegeben, und wenn Correy nicht davon gesprochen hätte, daß noch Hoffnung bestehe, würde er wohl nicht mehr an ein Verlassen dieser Welt gedacht haben. Er mußte Mary finden, denn nur gemeinsam mit ihr konnte er dem entgegentreten, was das Schicksal für ihn bereithielt.

Nun mußte er wieder an diese vage Möglichkeit denken, während er durch den Wald stapfte. Correy, das wußte er, hatte sich optimistischer geäußert, als es seiner Überzeugung entsprach. Aber die Frage blieb bestehen - gab es doch noch eine Hoffnung? Der Verstand sagte ihm, daß sie gering war, und er schalt sich, überhaupt einen Gedanken an sie zu verschwenden. Aber während er wanderte, stellte er fest, daß sich tief in seinem Innersten ein schwacher Hoffnungsschimmer zu regen begann.

Die Reise war verhältnismäßig einfach. Die Berge waren zwar steil, dafür die Wälder licht. Probleme mit dem Trinkwasser gab es nicht, denn Lansing traf immer wieder auf kleine Bäche und Rinnsale, die sich die Hügel hinabschlängelten. Als die Nacht hereinbrach, stieß er auf einen Ausläufer der Badlands. Aber das war nicht die farbenprächtige Alptraumlandschaft, die die Reisegesellschaft auf dem Hinweg durchquert hatte. Es waren kleine Badlands, unvollendete Badlands. Hier hatten die urzeitlichen Wassermassen ihre Arbeit nicht zu Ende geführt. Der Regen hatte aufgehört, die Erosion war aufgehalten worden, bevor sich richtige Badlands entwickeln konnten. Es gab ein paar tiefe Schluchten, ein paar phantastische Felsformationen, aber sie waren unvollständig. Sie wirkten so, als habe ein Bildhauer Hammer und Meißel frustriert oder angewidert fortgeworfen, bevor er seine Arbeit vollendet hatte. »Morgen«, sagte Lansing laut, »werde ich es bis zur Stadt schaffen.«

Er erreichte sie am nächsten Tag, kurz nachdem die Sonne den höchsten Punkt überschritten hatte. Er stand auf einem der Berge, die die Stadt umgaben, und sah sie unter sich liegen. Dort unten, dachte er, mochte Mary auf ihn warten. Und als er es dachte, merkte er, wie er zitterte.

Er eilte den Berg hinab und fand eine Straße, die ins Zentrum führte. Der Anblick der Stadt war ihm vertraut - die roten, verwitterten Fassaden, die Steinbrocken, die die Straßen blockierten, die Staubschicht, die über allem lag. Auf dem Platz hielt er an und blickte nach allen Seiten, um sich zu orientieren. Als er sich über die Himmelsrichtung klar war, wußte er auch, wo er sich befand. Ihm gegenüber erhob sich die beschädigte Fassade des sogenannten Verwaltungsgebäudes, dessen einer Turm unverändert in die Höhe ragte, und die Straße hinab, im Winkel, würde er den Eingang zu der Maschine finden.

Er rief nach Mary, erhielt aber keine Antwort. Er rief noch ein paarmal, aber dann begann das Echo seiner Stimme ihm Grauen einzuflößen, und er verstummte.

Er ging über den Platz zum Verwaltungsgebäude und stieg die breite Treppe zur Eingangshalle hinauf, in der sie einst kampiert hatten. Seine Schritte erzeugten dröhnende Echos, die ihn ein wenig an Stimmen erinnerten, die mürrisch nach ihm riefen. Er schlich durch die Halle und traf überall auf Spuren ihres ersten Aufenthalts: auf eine oder zwei leere Konservendosen, eine leere Keksschachtel und einen Krug, den einer von ihnen vergessen hatte. Er wollte in den Keller gehen, um nach den Türen zu sehen, aber er fürchtete sich davor. Er versuchte es einigemal, konnte sich aber nicht überwinden. Wovor hatte er Angst, fragte er sich - war es die Angst, daß er eine Tür, vielleicht die der Apfelblütenwelt, geöffnet antreffen würde? Nein, dachte er, das würde Mary nicht tun. Jetzt jedenfalls noch nicht. Vielleicht später, wenn sie alle Hoffnung verloren hatte, ihn jemals wiederzufinden, wenn sie diese Hoffnung verloren hatte und alle anderen auch. Nein, jetzt noch nicht! Es war auch gut möglich, daß überhaupt keiner mehr diese Tür öffnen konnte. Der General hatte den Schraubenschlüssel an sich genommen und vermutlich irgendwo versteckt. Keine der Türen sollte je wieder geöffnet werden, hatte er gesagt. Während Lansing still und reglos in der Eingangshalle stand, schien es ihm, als höre er das damalige Gespräch noch einmal. Er vernahm deutlich die Stimmen der anderen, versuchte, seine Ohren dagegen zu verschließen, aber gegen die Stimmen in seinem Kopf konnte er nichts ausrichten.

Eigentlich hatte er vorgehabt, sein Lager an der alten Stelle aufzuschlagen, aber er brachte es nicht fertig. Die Stimmen quälten ihn, die Erinnerungen waren zu gegenwärtig. Also beschloß er, auf dem Platz zu übernachten. Er schleppte Holz herbei und arbeitete den ganzen Nachmittag daran, einen großen Holzstoß aufzuschichten. Als die Nacht hereinbrach, machte er Feuer und legte immer wieder Scheite nach, damit es schön groß und hell würde. Falls Mary in der Stadt war oder sich in der Nähe aufhielt, würde sie das Feuer sehen und wissen, daß sich jemand hier befand.

Lansing entfachte noch ein zweites, kleineres Feuer, auf dem er sich Kaffee und Abendbrot kochte. Während er aß, versuchte er einen Plan über sein weiteres Vorgehen auszuarbeiten. Aber das einzige, was ihm einfiel, war, die Stadt abzusuchen, wenn nötig jede Straße; obwohl sein Verstand ihm sagte, daß dies ein sinnloses Unterfangen war, bei dem er nur Kraft und Zeit vergeudete. Falls Mary in der Stadt war oder auf dem Weg zur Stadt, würde sie geradewegs auf den Platz zueilen und sich nicht in einem Winkel verkriechen.

Bei Mondaufgang stieg der Heuler auf seinen Hügel und sang sein einsames Klagelied. Lansing lauschte ihm eine Weile, dann stimmte er in die Klage ein.

»Komm runter und setz dich zu mir ans Feuer«, rief er dem Heuler zu, »dann können wir zusammen weinen.« Bis zu diesem Augenblick war Lansing der festen Überzeugung gewesen Mary eines Tages wiederzufinden. Nun traf ihn die Vorstellung einer immerwährenden Einsamkeit so unvermittelt wie ein Schlag. Er versuchte, sich ein Leben ohne sie vorzustellen, doch bei dem Gedanken griff eine kalte Hand nach seinem Herzen. Er rückte dichter ans Feuer, aber die Flammen konnten die innere Kälte nicht vertreiben.

Er versuchte zu schlafen, es gelang mehr schlecht als recht. Am Morgen begann er mit der Suche. Er biß die Zähne zusammen und ging zu den Türen. Keine war geöffnet worden. Danach suchte er die Maschine auf. Er stieg die Treppe hinab und lauschte lange Zeit dem Singsang der Apparatur, dann verließ er die Höhle wieder. Später begann er, die Straßen abzusuchen, zufällig und planlos und in dem Bewußtsein, nur Zeit damit zu vergeuden. Aber er suchte weiter, weil diese Beschäftigung ihn irgendwie von seinen verzweifelten Gedanken ablenkte. Er suchte vier Tage lang und fand nichts. Da schrieb er Mary eine Nachricht und legte sie neben das alte Lagerfeuer im Verwaltungsgebäude. Er beschwerte den Zettel mit dem vergessenen Krug und machte sich auf den Weg zurück zum Würfel und zum ersten Gasthaus.

Wie lang mochte es her sein, seit er zum erstenmal einen Fuß in diese Welt gesetzt hatte. Er versuchte die Tage zu zählen, aber Nebelschleier lagen über seiner Erinnerung, und er brachte alles durcheinander. Ein Monat, dachte er. War es möglich, daß er sich noch nicht länger als einen Monat auf dieser Welt aufhielt? Er wußte es nicht; die Zeit hier erschien ihm so lang wie sein halbes Leben.

Lansing suchte nach markanten Punkten auf dem Pfad. Er versuchte, die alten Lagerplätze wiederzufinden, die Stelle, wo Mary die Gesichter gesehen hatte, wo Jürgens die Quelle entdeckt und er selbst Holz gehackt hatte. Aber er war sich niemals sicher, ob es die richtige Stelle war. Es war schon zu lange her - einen Monat schon.

Schließlich erreichte er einen Hügel, von dessen Gipfel aus er den Würfel erblickte. Das Gebilde war immer noch genauso hell und schön, wie Lansing es in Erinnerung hatte. Einen Moment lang war er erstaunt, den Würfel zu sehen. Er hatte zwar erwartet, ihn zu finden, aber es hätte ihn auch nicht sonderlich überrascht, wenn er verschwunden gewesen wäre. Die Welt hatte für Lansing in den letzten Tagen einen Phantomcharakter angenommen, und manchmal glaubte er, durch ein Vakuum zu schreiten.

Lansing wanderte die Serpentine hinab, bis er den Talkessel erreichte, in dessen Mitte der Würfel aufragte. Er folgte gerade der letzten Biegung des Pfades, da entdeckte er auf der Talsohle einige Gestalten. Er hatte sie vorher nicht bemerkt, doch nun sah er sie deutlich vor sich. Sie saßen mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Stein, den Mary und er freigelegt hatten, und waren in ihr niemals endendes Spiel vertieft. Die vier schienen Lansing nicht zu bemerken, als er den Weg entlang auf sie zu kam, sich neben sie stellte und ihnen beim Spiel zusah.