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»Auf diese Weise haben Sie auch Sandra beim singenden Turm eliminiert und Jürgens auf dem Abhang, der ins Chaos führte.« »Ich spüre Feindschaft«, sagte D.
»Sie liegen verdammt richtig mit Ihrem Gefühl«, sagte Lansing. »Sie haben vier von uns eliminiert!« »Dabei hatten Sie noch Glück«, sagte A. »Oft genug trifft es die ganze Gruppe. Aber nicht wir sind es, die sie aussortieren, die Fehler liegen in ihnen selbst.«
»Und die Leute im Lager? Das Flüchtlingslager in der Nähe des singenden Turms?«
»Das sind Gescheiterte. Sie haben aufgegeben. Haben aufgegeben und sich niedergelassen. Sie beide haben nicht aufgegeben, deshalb sind Sie jetzt hier.«
»Wir sind hier«, sagte Lansing, »weil Mary die ganze Zeit über geglaubt hat, die Antwort müsse im Würfel liegen.« »Und durch die Kraft ihres Glaubens haben Sie das Rätsel des Würfels gelöst«, ergänzte A.
»Das stimmt«, sagte Lansing. »Aber, ehrlich gesagt, warum bin ich denn hier? Weil ich die ganze Zeit über hinter Mary hergetrottet bin?«
»Sie sind hier, weil Sie auf Ihrer Wanderung die richtigen Entscheidungen getroffen haben.« »Beim Chaos habe ich mich falsch verhalten.« »Der Ansicht sind wir nicht«, widersprach C. »Das Überleben ist zwar wichtig, deckt sich aber nicht immer mit der richtigen Entscheidung. Es gibt Entscheidungen, die wertvoller sind.« Der Schnüffler war auf Marys Füßen fest eingeschlafen. »Sie fällen moralische Urteile«, sagte Lansing zornig. »Sie sind große Richter und überaus selbstsicher. Dann sagen Sie mir auch, wer, zum Teufel Sie sind. Sind Sie die letzten Überlebenden dieser Welt?«
»Nein, das sind wir nicht«, sagte A. »Die Bezeichnung >Men-schen< können wir für uns nicht in Anspruch nehmen. Unsere Heimat ist ein Planet am anderen Ende der Galaxis.« »Warum sind Sie dann hier?«
»Ich weiß nicht, ob Sie es verstehen werden, wenn wir es Ihnen erklären. In Ihrer Sprache gibt es keine adäquate Bezeichnung für das, was wir sind. Als Ersatz für einen angemessenen Terminus können Sie sich vielleicht mit dem Begriff Sozialarbeiter behelfen.«
»Sozialarbeiter!« rief Lansing. »O Jesus, so weit ist es mit uns gekommen! Die menschliche Rasse braucht Sozialarbeiter. Wir sind so tief ins galaktische Getto abgesunken, daß wir Sozialarbeiter brauchen!«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß der Begriff ungenau ist«, sagte A. »Halten Sie sich bitte folgendes vor Augen: Innerhalb der Galaxis gibt es nur sehr wenige intelligente Lebensformen, die ein solch großes geistiges Potential haben wie die Menschen. Dennoch steuert ihr auf den Untergang zu, wenn nichts dagegen unternommen wird. Selbst eine so hochentwickelte Zivilisation, wie sie einmal auf dieser Welt bestand, löste sich in Nichts auf. Die Narrheit brachte sie zum Erlöschen -wirtschaftliche Narrheit, politische Narrheit. Und Sie Lansing, wissen recht gut, daß Ihre Welt genauso untergehen wird, wenn irgend jemand auf den entsprechenden Knopf drückt. Ihre Welt Miss Owen, treibt ebenfalls auf die Katastrophe zu. In nicht allzu ferner Zukunft werden die Imperien zusammenbrechen, und es wird Jahrtausende dauern, bis sich eine neue Zivilisation aus den Trümmern erhebt, falls das überhaupt geschehen wird. Und wenn, dann wird diese Zivilisation schlechter sein als die, welche Ihnen vertraut ist. Auf allen alternativen Welten drohen Katastrophen der unterschiedlichsten Art. Die menschliche Rasse hat schlecht begonnen und sich im Laufe ihrer Entwicklung nicht verbessern können. Sie war von Anfang an dem Untergang geweiht. Als einzigen Ausweg sehen wir folgendes: Wir rekrutieren ausgewählte Menschen von allen Alternativwelten, und dieser Kader soll ein Neubeginn für die Menschheit sein, ihre zweite Chance.«
»Rekrutieren nennen Sie das?« sagte Lansing. »Ich würde es anders bezeichnen: fangen, pressen, entführen. Sie bringen uns auf diese Welt, ohne irgendeine Erklärung abzugeben, und dann überlassen Sie uns unserem Schicksal. Wir irren über diese alberne Teststrecke, die Sie hier eingerichtet haben, und Sie beobachten uns dabei, sehen zu, wie wir uns machen, und fällen dann Ihr Urteil über uns.«
»Wären Sie freiwillig gekommen, wenn wir Sie gefragt hätten? Hätten Sie sich anwerben lassen?«
»Nein«, sagte Lansing. »Und ich glaube, für Mary gilt das gleiche.«
»Auf allen Welten haben wir unsere Agenten und Werber«, erläuterte B. »Die Menschen, die wir hierherbringen, sind handverlesen. Es sind Menschen, von denen wir annehmen, daß sie eine Chance haben, den Test zu bestehen. Wir nehmen nicht die erstbesten. Wir sind sehr wählerisch. Im Laufe der Zeit haben einige tausend den Test bestanden. Es sind Menschen, die so beschaffen sind, daß sie eine Gesellschaft aufbauen können, die der menschlichen Rasse angemessen ist. Wir verrichten diese Arbeit, weil wir überzeugt sind, daß Menschen Ihrer Art der Galaxis nicht verlorengehen sollten. Später einmal, in Zusammenarbeit mit anderen Intelligenzen, werden Sie vielleicht dazu beitragen können, eine galaktische Gesellschaft aufzubauen - eine Gesellschaft, die alle gegenwärtigen Vorstellungen übersteigt. Wir denken, daß Intelligenz die Krone der Evolution sein könnte, daß es nichts Besseres gibt als Intelligenz. Aber wenn die Intelligenz sich selbst zerstört, wie es nicht nur in Ihrem Fall, sondern auch anderswo geschieht, dann wird die Evolution nach einem anderen Überlebensfaktor suchen, und das Konzept der Intelligenz wird für alle Zeiten verloren sein.« »Edward«, sagte Mary, »seine Worte klingen plausibel; vielleicht hat auch das, was sie getan haben, Gültigkeit.« »Vielleicht«, sagte Lansing, »aber mir gefällt die Art nicht, wie sie die Sache angehen.«
»Möglicherweise ist das der einzige Weg«, wandte Mary ein. »Keiner würde sich freiwillig melden. Und diejenigen, die es doch tun würden, wären vielleicht genau die Art von Menschen, für die sie keine Verwendung haben.«
»Ich freue mich«, sagte A, »daß Ihre Haltung nicht mehr ganz so ablehnend ist.«
»Welche Alternativen bleiben uns sonst noch?« fragte Lansing verbittert.
»Nicht viele«, erwiderte B. »Wenn Sie es wünschen, können Sie in die Welt zurückkehren, die Sie gerade verlassen haben.« »Das möchte ich nicht«, sagte Lansing, denn er dachte an das Lager der Gestrandeten in dem Tal am Fluß. »Wie steht es mit unseren eigenen.«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Wenn sie zu ihren eigenen Welten zurückkehrten, konnten Mary und er nicht zusammenbleiben. Er tastete nach ihrer Hand und drückte sie fest. »Sie wollten fragen, ob Sie auf Ihre Heimatwelten zurückkehren können«, sagte D. »Es tut mir leid, aber das ist unmöglich.« »Wohin wir gehen, ist gleichgültig«, sagte Mary, »wenn Edward und ich nur zusammenbleiben können.«
»Gut«, sagte A, »das wäre also geklärt. Wir sind froh, daß wir Sie haben. Wenn Sie bereit sind, können Sie durch die Tür links in der Ecke gehen. Sie führt nicht auf die Welt, die Sie gerade verlassen haben, sondern auf eine völlig neue Welt.« »Noch eine Alternativwelt?« fragte Mary. »Nein, es handelt sich um einen erdähnlichen Planeten, sehr weit fort von hier. Nachts werden Sie dort fremde Sternbilder am Himmel sehen. Eine zweite Chance, haben wir gesagt. Sie erhalten einen ganz neuen Planeten für diese zweite Chance. Es gibt dort nur eine Stadt -im Grunde eher einen großen Universitätskomplex. Sie werden dort die Dinge lehren, die Sie kennen, und an Seminaren teilnehmen, um die Dinge zu studieren, von denen Sie nichts wissen. Es handelt sich um Disziplinen, von denen Sie möglicherweise noch nie etwas gehört, an die Sie niemals gedacht haben. Lehren und Lernen wird Sie viele Jahre lang beschäftigen, vielleicht Ihr ganzes Leben. Es wird dort eine Gesellschaft von höchstem intellektuellem Niveau heranwachsen, die mit einem besseren geistigen Rüstzeug versehen sein wird, als es irgendeine irdische Kultur jemals besessen hat. Diese Gruppe wird irgendwann, in hundert oder mehr Jahren, ganz selbstverständlich damit beginnen, eine Weltgesellschaft aufzubauen. Jetzt ist es dafür noch zu früh. Zu viel muß erst noch gelernt werden. Kein wirtschaftlicher Druck wird Sie während Ihrer Ausbildungszeit belasten, obwohl die Gruppe nicht umhinkönnen wird, irgendwann ein ökonomisches System aufzubauen. Aber im Moment ist für alles gesorgt. Das einzige, was wir verlangen, ist, daß Sie lernen und sich die Zeit nehmen, vollwertige Menschen zu werden.« »Mit anderen Worten«, sagte Lansing, »Sie kümmern sich auch weiterhin um uns.« »Ärgert Sie das?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Mary. »Aber er wird darüber hinwegkommen.«
Lansing erhob sich, und Mary folgte seinem Beispiel.
»Welche Tür, haben Sie gesagt?« fragte sie.
»Diese dort«, sagte A und wies ihnen die Richtung.
»Eine Frage habe ich noch, bevor wir gehen«, sagte Lansing.
»Sagen Sie mir doch, wenn es Ihnen nichts ausmacht, was Chaos ist.«
»Auf Ihrer Welt«, begann D, »gibt es eine Chinesische Mauer.« »Ja, und ich nehme an, auf Marys ebenfalls.« »Chaos ist sozusagen eine chinesische Mauer der Superlative. Es war die letzte und größte Dummheit, die die früheren Bewohner dieses Planeten vollbracht haben. Sie beschleunigte ihren Untergang. Aber es würde zu weit führen, die ganze Geschichte zu erzählen.«
»Ich verstehe«, sagte Lansing und wandte sich zur Tür. »Würden Sie es uns übelnehmen«, fragte A, »wenn wir Ihnen sagten, daß Sie unseren Segen mit auf den Weg nehmen?« »Im Gegenteil«, sagte Mary. »Wir danken Ihnen für Ihre Freundlichkeit und für die zweite Chance.«
Sie gingen zur Tür, doch bevor sie sie öffneten, schauten sie sich noch einmal um. Die vier saßen reglos auf dem Sofa und sahen ihnen mit ihren weißen, blinden Totengesichtern nach. Lansing stieß die Tür auf, und die zwei überschritten die Schwelle.
Sie standen auf einer Wiese, und in der Ferne erblickten sie die Giebel und Türme der Universität. Die Abendglocken läuteten. Hand in Hand gingen sie auf die zweite Chance der Menschheit zu.