125774.fb2 Poker um die Zukunft - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 7

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»Vielleicht bestehen die Wände aus einem Material, auf dem kein Schreibgerät eine Spur hinterläßt«, mutmaßte Mary. »Das wäre möglich.«

»Ich meine noch immer, wir sollten ihn uns aus der Nähe ansehen«, erklärte Jürgens. »Wenn wir dichter herangehen, finden wir eventuell eine Antwort auf einige unserer Fragen.« Mit diesen Worten betrat er die Sandfläche. Lansing stieß einen Warnruf aus, aber Jürgens schien ihn nicht zu hören. Da stürmte Lansing hinter dem Roboter her. Er hatte gespürt, daß von dem Sandkreis eine heimliche Bedrohung ausging. Etwas, das sie alle gespürt hatten. Alle, bis auf Jürgens, den Roboter. Dieser war nur ein paar Schritte vor ihm. Lansing hatte ihn fast eingeholt. Er streckte die Hand aus, um ihn an der Schulter festzuhalten. Doch im letzten Augenblick blieb sein Fuß an einem im Sand verborgenen Hindernis hängen. Lansing stürzte zu Boden. Er richtete sich auf Hände und Knie auf und schüttelte den Kopf, um den Sand abzustreifen, der in seinem Gesicht klebte. Erst jetzt hörte er, daß die anderen ihm etwas zuriefen. Die Stimme des Generals übertönte alle anderen: »Kommen Sie zurück. Unter dem Sand können Fallen versteckt sein!« Jürgens hatte die blaue Wand fast erreicht. Er stapfte ungerührt weiter. Der Tölpel wird doch nicht in vollem Tempo gegen den Würfel laufen wollen, dachte Lansing erschrocken. Im gleichen Augenblick, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoß, wurde der Roboter hoch in die Luft geschleudert. Er überschlug sich und stürzte rücklings in den Sand. Lansing wischte sich mit der Hand über die Augen, als wollte er sich einen klaren Blick verschaffen. Denn im gleichen Moment, als Jürgens hochgeworfen wurde, glaubte Lansing eine Bewegung im Sand wahrgenommen zu haben. Ein Ding (es hatte wie eine Schlange ausgesehen, konnte aber natürlich keine gewesen sein) war aus dem Sand herausgeschnellt, hatte zugestoßen und war wieder verschwunden. Zu schnell für ein menschliches Auge. Nicht mehr als ein Flimmern in der Luft.

Jürgens wälzte sich unbeholfen auf seine Vorderseite. Er schob sich mit den Händen und einem Bein voran. Das andere schleifte schlaff hinter ihm her.

Lansing sprang auf und rannte zu dem Roboter hinüber. Er packte ihn an der Hand und zerrte ihn durch den Sand vom Würfel fort.

»Warten Sie, ich fasse mit an«, sagte jemand. Lansing sah auf und erblickte den Pastor. Dieser faßte den Roboter um die Hüften und warf ihn sich wie einen Mehlsack über die Schultern. Mit schwankenden Schritten trug er ihn bis zum Weg und legte ihn ins Gras.

Lansing kniete sich neben den Roboter. »Wo sind Sie verletzt?« fragte er.

»Bei einem Roboter kann man nicht von Verletzungen sprechen«, erwiderte Jürgens.

»Ein Bein ist lahm«, rief Sandra. »Das rechte. Er kann es nicht benutzen.«

»Kommen Sie«, sagte der General, »ich helfe Ihnen auf die Füße. Dann werden wir sehen, ob Sie Ihr Bein belasten können.« Er zog den Roboter hoch und stützte ihn. Jürgens balancierte auf dem linken Bein und verlagerte versuchsweise sein Gewicht auf das andere. Das rechte Bein knickte ein. Der General half ihm, sich wieder ins Gras zu setzen.

Mary sagte: »Das ist ein mechanisches Problem. Wir müssen es uns einmal ansehen. Oder ist es etwa nicht nur mechanisch? Was meinen Sie dazu, Jürgens?« »Es ist in erster Linie mechanisch«, antwortete er, »obwohl auch biologische Komponenten eine Rolle spielen. Biologische Nervenbahnen. Ich weiß es nicht genau.« »Wenn wir nur Werkzeuge hätten«, seufzte Mary. »Verdammt, wir hätten an Werkzeuge denken müssen!« »Ich habe ein paar dabei«, sagte Jürgens. »Es ist nur ein kleiner Satz, aber vielleicht reichen sie aus.«

»Na, immerhin«, erwiderte Mary. »Das ist besser als gar nichts.« »Hat eigentlich jemand gesehen, was eben geschehen ist?« Sandra deutete mit dem Kopf auf den Würfel. Die anderen schwiegen. Auch Lansing sagte nichts. Er war sich nicht sicher, ob er tatsächlich etwas gesehen hatte. »Etwas hat mich getroffen«, erklärte Jürgens. »Aber Sie wissen nicht, was es war?« fragte Sandra. »Nein, ich habe nichts gesehen, nur einen Schlag gespürt.« »Müssen wir unbedingt alle hier auf dem Weg herumstehen?« knurrte der General. »Es wird eine Weile dauern, bis wir ihn repariert haben. Also sollten wir nach einem geeigneten Lagerplatz suchen. Es wird ohnehin bald dunkel.« Am Rand eines kleinen Wäldchens - etwa einen halben Kilometer vom Würfel entfernt - fanden sie eine passende Stelle. In der Nähe floß ein Bach vorüber, aus dem sie sich mit Wasser versorgen konnten. Ein paar abgestorbene Bäume lieferten das nötige Feuerholz. Auf Lansing gestützt humpelte Jürgens zum Lagerplatz hinüber. Dort setzte ihn der Professor so auf dem Boden ab, daß er sich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm lehnen konnte.

Der General übernahm das Kommando. Er wandte sich an Mary: »Wir anderen werden uns um das Feuer und die sonstigen Aufgaben kümmern, Kochen und so weiter. Wie wäre es, wenn Sie sich Jürgens vornähmen. Lansing kann Ihnen dabei helfen, wenn Sie möchten.«

Er entfernte sich ein paar Schritte und kehrte dann wieder um. Zu Lansing sagte er: »Ich habe mich mit dem Pfarrer ausgesprochen. Nicht gerade ein herzliches Gespräch, aber immerhin. Wir glauben, wir haben uns beide vorhin nicht ganz richtig verhalten. Das wollte ich Ihnen mitteilen.« »Dafür danke ich Ihnen«, entgegnete Lansing.

9

»Ach, verdammt!« schnaufte Mary. »Hier ist eine Sperre abgebrochen. Ich nehme jedenfalls an, daß es sich um eine Sperrvorrichtung handelt. Wenn wir ein Ersatzteil hätten, wäre Jürgens bald wieder so gut wie neu.«

»Leider muß ich Ihnen mitteilen«, erwiderte Jürgens, »daß ich kein solches Ersatzteil bei mir habe. Ich kann schließlich nicht alle Teile bei mir tragen, die möglicherweise ausfallen könnten. Ich danke Ihnen jedenfalls für die Mühe, die Sie sich mit mir gemacht haben. Allein hätte ich mir nicht so gut helfen können.« »Das Bein ist steif«, stellte Lansing fest. »Er kann das Knie nicht krümmen, und das Hüftgelenk arbeitet auch nicht mehr einwandfrei.«

»Ich kann mich zwar bewegen«, bestätigte Jürgens, »aber nur sehr unbeholfen. Ich werde die Gruppe am Vorankommen hindern, das steht fest.«

»Ich werde Ihnen eine Krücke zimmern«, versprach Lansing. »Sie werden erst einmal lernen müssen, wie man damit umgeht, doch wenn Sie sich daran gewöhnt haben, könnte sie eine Hilfe für Sie sein.«

»Ich möchte um jeden Preis mit Ihnen weiterziehen«, sagte Jürgens, »und wenn ich auf allen vieren kriechen müßte.« »Hier sind die Werkzeuge«, sagte Mary. »Ich lege sie in den Kasten zurück. Am besten schließen Sie sie wieder ein.«

»Vielen Dank«, erwiderte Jürgens. Er nahm ihr den kleinen Werkzeugkasten aus der Hand, öffnete eine Klappe in seinem Brustkasten, legte die Werkzeuge in ein Fach und verschloß die Öffnung wieder. Dann schlug er sich mit der flachen Hand vor die Brust, um sich zu vergewissern, daß die Tür auch wirklich dichthielt.

»Ich glaube, der Kaffee ist fertig«, bemerkte Mary. »Das Essen wahrscheinlich noch nicht, aber den Kaffee kann ich riechen. Ich hätte gern eine Tasse. Wie ist es mit Ihnen, Edward? Leisten Sie mir Gesellschaft?«

»Ich komme gleich nach«, sagte Lansing.

Er hockte sich neben Jürgens auf den Boden und schaute hinter Mary her.

»So gehen Sie doch Kaffee trinken«, forderte Jürgens ihn auf. »Es ist nicht nötig, daß Sie bei mir bleiben.«

»Der Kaffee kann noch warten«, erwiderte Lansing. »Sie haben eben etwas Merkwürdiges gesagt. Daß Sie auf allen vieren kriechen würden, um bei uns bleiben zu können. Was haben Sie damit gemeint, Jürgens? Wissen Sie vielleicht mehr als wir?« »Ich weiß überhaupt nichts. Ich will nur dabeibleiben.« »Aber warum? Wir sind doch nur eine Schar von Flüchtlingen. Wir sind aus unseren Heimatwelten herausgerissen worden und haben keine Ahnung, warum wir hier sind.« »Lansing, was wissen Sie über die Freiheit?« »Bitte? Hm, nicht viel, fürchte ich. Man denkt über die Freiheit nicht nach, solange man sie besitzt. Wo ich herkomme, leben die Menschen in Freiheit. Wir müssen nicht darum kämpfen. Wir kennen es nicht anders. Also zerbrechen wir uns nicht den Kopf darüber. Wollen Sie etwa andeuten, daß Sie.?« »Nein, nein!« wehrte Jürgens ab. »Auf keinen Fall werden wir Roboter in meiner Heimat unterdrückt. Man kann schon sagen, daß wir frei sind. Aber wir tragen eine schwere Last, eine Verantwortung. Ich will versuchen, es Ihnen zu beschreiben.«

»Ja, bitte tun Sie das«, antwortete Lansing. »In der Schenke haben Sie gesagt, Sie nähmen sich der Menschen an, eine seltsame Formulierung, wie ich finde. Sie erzählten, daß es nur noch wenige Menschen gebe und Sie sich um sie kümmerten.« »Ich möchte meinem Bericht etwas vorausschicken«, begann Jürgens. »Sie haben uns von Ihrem Freund erzählt. Er hätte etwas geplappert - so sagten Sie -, über alternative Welten, wenn ich nicht irre. Es gebe in der Erdentwicklung historische Krisenpunkte, in denen sich andere Welten von der ursprünglichen abspalteten, das sagten Sie doch, nicht wahr?« »Aber das ist dummes Zeug.«

»Jede dieser Welten würde nun ihrer eigenen Entwicklungslinie folgen. Sie würden gleichzeitig, oder sagen wir simultan, in Raum und Zeit existieren. Könnte das nicht bedeuten, daß wir -vorausgesetzt, wir stammen aus unterschiedlichen Welten - alle innerhalb des gleichen Zeitrahmens gelebt haben?« »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, entgegnete Lansing. »Und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Schließlich reden wir nur über Vermutungen. Aber wenn wir tatsächlich aus alternativen Welten stammen, muß das noch nicht bedeuten, daß wir im gleichen Zeitrahmen gelebt haben. Wer uns durch den Raum hierhergeschafft hat, der kann wahrscheinlich auch die Zeitgrenzen überwinden.« »Ich freue mich, daß Sie das so sehen, denn die andere Möglichkeit hat mir einiges Kopfzerbrechen bereitet. Ich bin sicher, daß ich aus einer späteren Zeit als Sie alle stamme. Ich komme aus einer Welt, die von den Menschen verlassen wurde.« »Verlassen?«

»Ja, alle sind sie zu fernen Welten und fernen Sonnen aufgebrochen. Die Erde, meine Erde, war erschöpft. Die Natur ausgebeutet und die Bodenschätze aufgebraucht. Was der Erde noch verblieben war, hat man verwendet, um die Schiffe zu bauen, die die Menschen in den Raum trugen. Als sie gingen, ließen sie eine verwüstete, ausgeplünderte Erde zurück.« »Aber es sind auch Menschen geblieben? Nur wenige, wie Sie sagten?«

»Die Schwachen wurden zurückgelassen, Idioten und Kriminelle oder armselige Tröpfe, denen im Leben alles schiefgegangen war. Solche, die den Platzauf dem Schiff nicht wert waren. Auch Roboter blieben zurück: hoffnungslos veraltete Modelle, die mit Mühe dem Schrottplatz entgangen waren. Auf der Erde gab es nur noch Unfähige, Menschen und Roboter. Alle anderen, die intelligenten, geschickten Menschen und die hochkomplizierten Roboter, waren hinausgezogen, um ein neues Leben zu beginnen. Wir, der Ausschuß einer tausendjährigen Entwicklung, wurden uns selbst überlassen, wir sollten uns allein durchschlagen. Wir Roboter haben uns jahrhundertelang um die auf der Erde zurückgelassenen Menschen gekümmert, so gut wir das eben konnten. Wir sind gescheitert; in all den Jahren haben wir keinen Erfolg gehabt. Die Nachkommen jener ausgestoßenen Menschen haben sich weder in geistiger noch in moralischer Hinsicht verbessert. Hin und wieder tauchte ein Hoffnungsschimmer auf, und es gab in einer Generation zwei oder drei Exemplare, die einen Neubeginn versprachen. Aber all diese Versprechen gingen im Morast des Gensumpfes wieder verloren. Irgendwann mußte ich mir eingestehen, daß sich die Menschen nicht höher, sondern zurück entwickelten. Es gab für sie keine Hoffnung. Jede Generation war grausamer, verkommener und wertloser als die vorangegangene.«

»Also saßen Sie gewissermaßen in der Falle«, erklärte Lansing, »gefangen in Ihrer Zuneigung zum Menschen.« »Das haben Sie gut gesagt«, erwiderte Jürgens. »Sie verstehen mich. Wir waren in der Tat Gefangene. Wir hatten immer das Gefühl, daß wir weitermachen müßten, denn wir schuldeten diesen degenerierten Kreaturen das Beste, was wir ihnen geben konnten, und das war nicht einmal genug.«

»Und jetzt, da Sie Ihren Lebensraum verlassen haben, fühlen Sie sich frei?«

»Ja, frei. Eine Freiheit, die ich niemals zuvor verspürt habe. Endlich bin ich mein eigener Herr, mein eigener Roboter, wenn Sie so wollen. Darf ich so nicht denken?«

»Gewiß dürfen Sie das. Sie sind endlich von einer schrecklichen Aufgabe befreit worden.«

»Wie Sie sagen, wissen wir nicht, wo wir sind oder was wir hier tun sollen«, erklärte Jürgens, »Aber es ist ein Bruch mit dem Alten, ein totaler Neubeginn.«

»Und hier sind Sie unter Menschen, die Sie mögen.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Der Herr Pfarrer verachtet mich.«

»Was kümmert uns der Pastor?« fragte Lansing. »Ich jedenfalls bin froh, daß wir Sie bei uns haben. Möglicherweise denkt der Pfarrer anders darüber, aber alle anderen freuen sich über Ihre Anwesenheit. Sie dürfen auch nicht vergessen, daß es der Pfarrer war, der Sie aus dem Gefahrenbereich schleppte. Im übrigen halte ich ihn für einen bigotten Menschen.« »Ich werde mich bewähren«, sagte Jürgens ernst. »Sogar der Pastor wird mich irgendwann akzeptieren.« »Sind Sie deswegen zur Würfelwand gelaufen? Weil Sie sich auszeichnen wollten?«

»Daran hatte ich in dem Augenblick nicht gedacht. Da war etwas, das getan werden mußte, und ich habe es versucht. Aber vielleicht wollte ich tatsächlich etwas beweisen.«

»Jürgens, das war eine törichte Unternehmung. Versprechen Sie mir, keine solchen Torheiten mehr zu begehen!«

»Ich will es versuchen. Sagen Sie es mir, wenn ich wieder etwas Närrisches tun will!«

»Beim nächsten Mal werde ich Ihnen rechtzeitig einen Tritt geben«, versprach Lansing.

»Kommen Sie her!« rief der General aus dem Lager herüber. »Das Essen ist fertig!«

Lansing erhob sich. »Warum kommen Sie nicht mit und gesellen sich zu den anderen? Sie können sich auf meine Schulter stützen.«

»Ach nein, vielen Dank«, wehrte Jürgens ab. »Ich muß ein wenig nachdenken. Dazu brauche ich Ruhe.«

1O

Lansing schnitzte an dem gegabelten Ast, den er abgeschnitten hatte. Er wollte eine Krücke für Jürgens herstellen.

Der Pfarrer erhob sich von seinem Platz, um ein wenig Holz aufs Feuer zu werfen.

»Wo ist der General?« fragte er.

»Er ist zu Jürgens hinübergegangen«, antwortete Mary. »Er will ihn herholen.«

»Wozu tut er das? Warum läßt er ihn nicht da, wo er ist?« »Weil es nicht richtig wäre«, erwiderte Mary. »Jürgens sollte hier bei uns sein.«

Der Pastor erwiderte nichts und setzte sich wieder hin. Sandra ging um das Feuer herum und blieb neben Mary stehen. »Irgend etwas schleicht da draußen umher«, sagte sie. »Ich habe es schnüffeln gehört.«

»Ein harmloses Tier«, erklärte Lansing. »Wenn man irgendwo ein Lagerfeuer entfacht, tauchen immer ein paar Tiere auf. Sie werden von ihrer Neugierde getrieben, wollen wissen, was da vor sich geht. Manche hoffen auch, daß für sie ein Happen abfällt.«