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2. Kapitel

Das Cromsag-System war von dem Aufklärungsschiff des Monitorkorps Tenelphi während eines Vermessungseinsatzes im galaktischen Sektor neun erforscht worden, einer der peinlichen dreidimensionalen Lücken in den Karten der Föderation. Die Entdeckung eines Systems mit bewohnbaren Planeten stellte für die Besatzung stets eine willkommene Abwechslung dar, zumal sich der Alltag durch das Vermessen und Kartographieren unzähliger Sterne normalerweise äußerst eintönig gestaltete. Als man nun auf einen Planeten stieß, der alle Anzeichen für intelligentes einheimisches Leben aufwies, herrschte an Bord freudige Erwartung.

Jedoch währte die Freude nicht lange.

Da ein Aufklärungsschiff mit seiner nur vierköpfigen Besatzung nicht über die Möglichkeiten verfügte, mit der Situation eines Erstkontakts fertig zu werden, verbaten die Vorschriften eine Landung, so daß sich die Crew mit einer rein visuellen Untersuchung aus niedriger Umlaufbahn begnügen mußte, während sie sich gleichzeitig bemühte, den technologischen Stand der Bewohner durch eine Analyse der Kommunikationsfrequenzen und anderer elektromagnetischer Strahlung, die vom Planeten ausging, nachzuweisen. Aufgrund der Erkenntnisse blieb die Tenelphi in der Umlaufbahn und vergeudete ihre Energiereserven auf fast leichtsinnige Weise an den energiefressenden Subraumkommunikator, indem immer dringendere Bitten um Unterstützung an die Basisstation gesendet wurden.

Jedoch hatten die Spezialisten für fremde Spezies auf dem Kontakt- und Vermessungskreuzer des Monitorkorps Descartes, die normalerweise die erste Annäherung an eine neu entdeckte Zivilisation durchführten, bereits auf dem sogenannten Planeten der Blinden alle Hände voll zu tun, wo die Verständigung mittlerweile in eine Phase getreten war, die einen Abbruch nicht ratsam erscheinen ließ. Zudem war der von der Tenelphi entdeckte Planet im Cromsag-System sowieso kein Fall für den Erstkontakt; um überhaupt irgendeine Art Kontakt zu ermöglichen, mußte nämlich zunächst dafür gesorgt werden, daß die Bewohner überlebten.

Aus diesem Anlaß wurde das Schlachtschiff der Imperatorklasse Vespasian — das mehr als nur dazu in der Lage war, einen größeren Krieg zu führen, obwohl es in diesem Fall einen beenden sollte — eiligst für die Katastrophenhilfe umgerüstet und in die betreffende Region entsandt. Zwar stand es unter dem Kommando des Terrestriers Colonel Wiliamson, aber in allen Fragen, die Hilfseinsätze auf der Planetenoberfläche betrafen, hatte Oberstabsarzt Lioren die Befehlsgewalt und trug die alleinige Verantwortung.

Innerhalb einer Stunde nach der Angleichung der Umlaufbahnen der beiden Schiffe hatte die Tenelphi an die Vespasian angekoppelt, und der Captain des Aufklärungsschiffs, der Terrestrier Major Nelson, befand sich mit seinem medizinischen Offizier Stabsarzt Dracht-Yur, einem Nidianer, im Hauptquartier und gab den neuesten Situationsbericht ab.

„Wir haben einige Beispiele für die Funksprüche der Planetenbewohner aufgenommen“, berichtete Major Nelson in lebhaftem Ton, „auch wenn dort unten ungewöhnlich wenig Funkverkehr herrscht. Da unser Bordcomputer aber nur für die Vermessungsarbeit programmiert ist und gerade noch über genügend Kapazität verfügt, um die notwendigen Übersetzungen für die Besatzung zu bewältigen, können wir die Sprüche nicht verstehen. Wie die Dinge liegen, wissen wir nicht einmal, ob den Bewohnern überhaupt bekannt ist, daß wir hier sind.“

„Von jetzt an wird der taktische Computer der Vespasian den Funkverkehr auf der Planetenoberfläche übersetzen, und die Informationen wird man dann an Sie weiterreichen“, fiel ihm Colonel Wiliamson ungeduldig ins Wort. „Uns interessiert weniger, was Sie womöglich nicht gehört haben, sondern vielmehr das, was Sie wirklich gesehen haben. Also fahren Sie bitte fort, Major.“

Es war überflüssig, einen Umstand zu erwähnen, der allen Anwesenden bekannt war; denn während Wiliamsons gewaltiges Großkampfschiff über das größere Gehirn verfügte, besaß Nelsons winziges und hochspezialisiertes Vermessungsschiff Augen, die unübertroffen waren. Während Nelson auf die Tasten drückte, die das Bildmaterial auf dem riesigen taktischen Bildschirm erscheinen ließen, fuhr er fort: „Wie Sie sehen, haben wir den Planeten aus einer Entfernung vermessen, die das Fünffache seines Durchmessers beträgt, bevor wir näher herangeflogen sind, um diejenigen Gebiete kartographisch zu erfassen, die bewohnt ausgesehen haben. Dies ist der dritte Planet eines Sternsystems, das aus insgesamt acht Planeten besteht, und, soweit wir wissen, der einzige, auf dem es Leben gibt. Auf diesem Planeten ist der Tag etwas über neunzehn Stunden lang, die Schwerkraft beträgt auf der Oberfläche das Eineinviertelfache der Erdanziehungskraft, der atmosphärische Druck steht dazu im richtigen Verhältnis, und die Luftzusammensetzung würde der Mehrheit unserer warmblütigen Sauerstoffarmer keine ernsthaften Unannehmlichkeiten bereiten.

Die Landmasse auf dem Planeten ist in siebzehn große, nicht zusammenhängende Kontinente aufgeteilt. Bis auf die zwei Polarkontinente sind alle bewohnbar, doch momentan ist nur der größte Äquatorialkontinent besiedelt. Jedoch weisen auch die anderen Kontinente Anzeichen auf, daß sie in der Vergangenheit bevölkert waren und es dort eine ziemlich hochentwickelte Technologie gegeben hat, zu der unter anderem motorgetriebene Beförderungsmittel zu Land und in der Luft gehört haben, wobei die Strahlungsspuren darauf hindeuten, daß man Energie mit Hilfe von Kernspaltung erzeugt hat. Die Dörfer und Städte scheinen heute aufgegeben und verlassen zu sein. An den Gebäuden sind kaum Schäden festzustellen. Spuren von Industrie- oder Hausabfällen finden sich weder auf dem Boden noch in der Atmosphäre. Hinweise auf den Anbau von Nahrungsmitteln sind nicht zu entdecken, und die Straßenbeläge und das Mauerwerk von einigen der kleineren Gebäude sind durch ungehinderten Pflanzenwuchs aufgebrochen und beschädigt worden. Sogar in den bewohnten Gebieten auf dem Äquatorialkontinent gibt es Anzeichen für dieselbe Nachlässigkeit gegenüber Bauwerken und der Landwirtschaft mit den damit zusammenhängenden Symptomen von.“

„Offensichtlich handelt es sich um eine Seuche“, unterbrach ihn Lioren plötzlich, „um eine Epidemie, gegen die diese Wesen nur geringe natürliche Abwehrkräfte besitzen und durch die die Planetenbevölkerung so weit dezimiert wurde, daß man nicht mehr das reibungslose Funktionieren sämtlicher Städte in vollem Umfang leisten konnte, und die Überlebenden sind dann in die wärmeren Städte mit geringerem Energiebedarf am Äquator gezogen, um.“

„Einen blutigen Krieg zu führen!“ fiel ihm der Arzt des Aufklärungsschiffs, Dracht-Yur, ins Wort, wobei seine knurrende nidianische Sprache die emotionslose Übersetzung des Translators in ärgerlichem Ton untermalte. „Aber es handelt sich um eine eigenartige, altertümliche Form der Kriegsführung. Entweder lieben die Planetenbewohner den Krieg geradezu, oder sie hassen sich wie die Pest. Trotzdem scheinen sie eine ungeheure Achtung vor fremdem Eigentum zu haben. Massenvernichtungswaffen setzen sie jedenfalls nicht gegeneinander ein; für Bombardierungen aus der Luft oder Artilleriefeuer gibt es keinerlei Anzeichen, obwohl sie immer noch über sehr viele Bodenfahrzeuge und Flugzeuge verfügen. Aber die benutzen sie nur, um die Kriegsteilnehmer zum Schlachtfeld zu transportieren, wo sie Mann gegen Mann und anscheinend ohne Waffen Nahkämpfe austragen. Das ist grausam. Sehen Sie!“

Der taktische Bildschirm der Vespasian zeigte eine Reihe Luftaufnahmen von Lichtungen in Tropenwäldern und städtischen Straßen, die trotz starker Vergrößerung und der Tatsache, daß man sie aus einer Entfernung von achtzig Kilometern senkrecht von oben fotografiert hatte, gestochen scharf und kontrastreich waren. Normalerweise war es schwierig, aus dem Orbit verläßliche Informationen über Körpermasse und physiologische Einzelheiten einer einheimischen Lebensform zu erhalten — obwohl eine Untersuchung des Schattens, den ein Wesen warf, hilfreich sein konnte — , doch in diesem Fall waren, wie Lioren grimmig dazu einfiel, viel zu viele Planetenbewohner so zuvorkommend gewesen, sich tot auf den Boden zu legen.

Den Oberstabsarzt erschütterten die Bilder achtlos liegengelassener Toter zwar, aber sie widerten ihn nicht an, wie es bei Dracht-Yur der Fall war, da der nidianische Arzt zu einer dieser eigenartigen Zivilisationen gehörte, die die sterblichen Überreste ihrer Toten ehren. Dennoch stellte die Menge der vor kurzem und schon vor längerer Zeit Gefallenen, die auf den Straßen und Waldlichtungen herumlagen, auf jeden Fall ein Gesundheitsrisiko dar.

Lioren fragte sich unwillkürlich, ob die überlebenden Kämpfer die Gefallenen nicht begraben wollten oder einfach nicht begraben konnten. Eine weniger scharfe Filmaufnahme zeigte zwei der Planetenbewohner, die miteinander auf dem Boden kämpften, und die Schläge und Bisse, mit denen sie sich gegenseitig eindeckten, waren so sanft, daß der Kampf genausogut ein öffentlich vollzogener Geschlechtsakt hätte sein können.

Anscheinend konnte der Nidianer Liorens Gedanken lesen, denn er fuhr fort: „Die beiden sehen aus, als könnten sie sich gegenseitig gar nicht ernsthaft verletzen, und ganz zu Anfang hatte ich angenommen, dies sei eine Spezies, die über keine körperliche Ausdauer verfügt. Doch dann sind andere Planetenbewohner beobachtet worden, die mit aller Kraft und ohne Unterbrechung einen ganzen Tag lang gekämpft haben. Aber Sie werden auch bemerken, daß die Haut dieser beiden verfärbte Stellen aufweist, die sich schon weit ausgebreitet haben, während die Haut von einigen der anderen makellos ist. Zwischen dem Grad körperlicher Schwäche und der Größe des verfärbten Hautbereichs besteht ein eindeutiger Zusammenhang. Meiner Ansicht nach kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, daß diese beiden Kämpfer nicht müde, sondern schwer krank sind.

Aber das hält sie nicht von dem Versuch ab, sich gegenseitig umzubringen“, schloß Dracht-Yur mit einem verärgerten Knurren.

Die mittleren Finger zum tarlanischen Zeichen für Respekt und Zustimmung ausgestreckt, erhob Lioren eine Hand ein Stück über die Tischplatte. Doch bei den beiden Offizieren deutete nichts daraufhin, daß sie die Bedeutung dieser Geste verstanden hatten, und das bedeutete, die Komplimente mußten ihnen verbal gemacht werden.

„Major Nelson, Stabsarzt Dracht-Yur, Sie haben beide ausgezeichnete Arbeit geleistet“, sagte Lioren. „Aber es gibt für Sie noch mehr zu tun. Kann ich davon ausgehen, daß die übrigen Mitglieder Ihrer Besatzung ebenfalls die Möglichkeit gehabt haben, die Situation auf dem Planeten zu verfolgen, und sie untereinander erörtert haben?“

„Davon konnten wir sie gar nicht abhalten…“, begann Nelson.

„Ja“, bestätigte Dracht-Yur bellend.

„Sehr gut“, stellte Lioren zufrieden fest. „Die Tenelphi ist vom momentanen Vermessungsdienst freigestellt. Lassen Sie Ihre Offiziere auf die Vespasian kommen. Da diese Offiziere über die Lage vor Ort besser, womöglich auch nur ein bißchen besser, im Bilde sind als wir, werden sie sich den Besatzungen der ersten vier Erkundungsfahrzeuge, die wir nach unten auf den Planeten schicken, als Berater anschließen. Die Vespasian wird in der Umlaufbahn bleiben, bis die wirkungsvollste Stelle für den Rettungseinsatz ausgewählt worden ist.“

In Momenten wie diesem vergeudete Lioren nur ungern Zeit mit Höflichkeiten, aber er hatte gelernt, daß jetzt verloren geglaubte Zeit, insbesondere was ranghöhere terrestrische Offiziere anging, durchaus dazu beitragen konnte, die Sache später zu beschleunigen. Und schließlich war Colonel Wiliamson der Kommandant der Vespasian und nominell der vorgesetzte Offizier.

„Falls Sie bis hierher irgendwelche kritischen Anmerkungen oder Einwände haben, Sir, würde ich mich freuen, sie zu hören“, schlug Lioren deshalb vor.

Colonel Wiliamson warf Nelson und Dracht-Yur einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder Lioren zuwandte. Die Zähne der Offiziere vom Aufklärungsschiff waren entblößt, und auch beim Colonel waren einige sichtbar, als er sagte: „Die Tenelphi wird die Vermessung erst dann wiederaufnehmen können, wenn wir ihre Vorräte aufgestockt haben, und es würde mich überraschen, wenn die Offiziere des Aufklärungsschiffs etwas gegen irgendeine Unterbrechung dieser todlangweiligen Routinearbeit einzuwenden hätten. Damit machen Sie sich nur Freunde, Lioren. Fahren Sie bitte fort.“

„Absolut vorrangig ist es, die Kämpfe zu beenden“, sagte der Oberstabsarzt. „Nur dann wird es möglich sein, die Kranken und Verwundeten zu behandeln. Die Aufgabe, die Einstellung aller Feindseligkeiten zu erzwingen, muß bewältigt werden, ohne weitere Opfer zu verursachen oder die Bevölkerung in allzu große psychische Bedrängnis zu bringen. Für eine Zivilisation, deren Technologie sich noch auf dem Stand vor dem Raumflug befindet, wäre das plötzliche Auftauchen eines Raumschiffs von der Größe und Stärke der Vespasian und der furchterregend aussehenden Insassen nicht gerade beruhigend.

Die erste Annäherung muß in einem kleinen Schiff von Besatzungsmitgliedern durchgeführt werden, die aus psychologischen Gründen über die gleiche oder eine geringere Körpermasse verfügen als die Planetenbewohner. Außerdem hat das Ganze unauffällig vor sich zu gehen, in einer abgeschiedenen Gegend, wo sich nur wenige Einheimische oder, im Idealfall, sogar nur ein einzelner Planetenbewohner aufhält, dessen vorübergehendes Verschwinden aus dem Kreis seiner Freunde nur minimale Besorgnis hervorruft.“

Bei dem schließlich für diesen Einsatz ausgewählten Fahrzeug handelte es sich um die Kurzstrecken-Transportfähre der Vespasian, die sowohl im Raum fliegen als auch ausgedehnte Flugmanöver in der Atmosphäre durchführen konnte. Zwar war sie nach Liorens Auffassung relativ klein, aber dafür ausgesprochen komfortabel ausgestattet — wenn man zufällig Terrestrier war; im Moment war sie allerdings völlig überladen und überfüllt.

Mit abgeschalteten Triebwerken und reduzierter Geschwindigkeit glitten sie gerade aus dem orangefarbenen Licht des Sonnenaufgangs steil in eine dunkle, noch nicht in der Dämmerung liegende Wolkendecke hinab, damit sie den Planetenbewohnern nicht durch einen Überschallknall unnötige Sorgen bereiteten, und bis auf die Strahlen aus den Infrarotsensoren, die die Einheimischen vielleicht sehen konnten, vielleicht aber auch nicht, war die Fähre völlig verdunkelt.

Lioren starrte auf das vergrößerte Bild von der Waldlichtung, in der sich ein einzelnes Haus mit einem Flachdach und den Nebengebäuden befand, die nun auf die Fähre zuzustürzen schienen. Ohne Antrieb erfolgte der Anflug der Fähre offenbar zu steil und viel zu schnell und allem Anschein nach mit der Flugcharakteristik eines Körpers, der aerodynamisch gesehen voll und ganz einem Felsbrocken entsprach. Dann wurden auf einmal an drei Stellen die Pflanzen, die auf dem Boden der Lichtung wuchsen, nach unten gebogen und in flache Krater von geringem Durchmesser hineingedrückt, als die Pressorstrahlen zu Boden schossen, um die Fähre auf immateriellen Stelzen zu tragen, die zugleich als Stoßdämpfer dienten. Die Landung ging zwar urplötzlich vonstatten, aber dennoch geräuschlos und sehr sanft.

Mißbilligend wandte Lioren ein Auge dem Piloten zu und fragte sich nicht zum erstenmal, warum es einige Fachleute offenbar für nötig hielten, ihr fachliches Können auf so dramatische Weise unter Beweis stellen zu müssen; bevor ihm jedoch dazu eine Äußerung einfiel, die sowohl schmeichelhaft als auch kritisch gewesen wäre, glitt schon die Bordrampe zu Boden.

Die Besatzung trug schwere Raumanzüge, von denen man die Luftbehälter und die Helmvisiere entfernt hatte, weil man der Überzeugung war, daß dieser behelfsmäßige Körperpanzer genügend Schutz vor jedem mit bloßen Händen unternommenen Angriff einer intelligenten Lebensform bieten müßte, die sich nur natürlicher Waffen bediente. Die fünf Terrestrier und drei Orligianer in der Gruppe liefen gleich los, um die Nebengebäude zu durchsuchen, während sich Dracht-Yur und Lioren eiligst zum Haus begaben, in dem trotz der frühen Stunde bereits das Licht brannte. Indem sie sich geduckt an den geschlossenen Fenstern vorbeischlichen, hinter denen sich keine Vorhänge befanden, umkreisten sie einmal das Haus und blieben schließlich vor dem einzigen Eingang stehen.

Dracht-Yur stellte seinen Scanner auf den Türmechanismus und den Biosensor auf die Räume dahinter ein; dann bediente er sich des Anzugfunks, um leise zu sagen: „Hinter der Tür befindet sich ein großer Raum, in dem sich zur Zeit niemand aufhält. Der Raum ist mit drei kleineren Kammern verbunden. In der ersten Kammer ist kein Lebenszeichen festzustellen, aber in der zweiten entdecke ich Spuren von Lebewesen, die sich nicht bewegen und so nah beieinander sind, daß ich mir nicht sicher bin, ob die leisen, unübersetzbaren Laute, die typisch für Schlafende sind, von zwei oder drei Wesen stammen. Vielleicht sind sie krank oder verletzt. In der dritten Kammer befindet sich ein Lebewesen, dessen Bewegungen langsam und bedächtig erscheinen, und die Geräusche aus dieser Kammer sind gedämpft, aber ausgeprägt und klingen wie das periodisch auftretende Aneinanderschlagen von Kochgeräten. Insgesamt deutet alles darauf hin, daß sich die Hausbewohner unserer Anwesenheit nicht bewußt sind.

Der Türmechanismus ist ganz schlicht, und der große Metallriegel auf der Innenseite ist nicht vorgelegt“, beendete der nidianische Arzt seine Ausführungen. „Sie können einfach den Schnappriegel anheben und hineingehen, Sir.“

Lioren war erleichtert. Die Tür aufzubrechen hätte ihm die Aufgabe, die Hausbewohner von seinen guten Absichten zu überzeugen, sehr viel schwerer gemacht. Aber bei bis zu vier Einheimischen im Haus und mit nur einem einzigen übereifrigen und winzigen Nidianer an seiner Seite wollte sich Lioren vorerst lieber nicht hineintrauen. Er verhielt sich still, bis die anderen eintrafen, um zu berichten, daß sich in den Nebengebäuden lediglich landwirtschaftliche Geräte und einige nicht vernunftbegabte Nutztiere befänden.

Lioren beschrieb ihnen rasch die Anlage des Hauses und fuhr dann fort: „Die größte Gefahr droht uns von der Gruppe aus zwei oder drei Lebewesen, die sich in dem Raum direkt gegenüber dieser Eingangstür aufhalten und ihn auf keinen Fall verlassen dürfen, bevor wir diesen Aliens nicht die Situation erklärt haben. Vier von Ihnen bewachen die Innentür und noch mal vier das Fenster, falls diese Wesen versuchen sollten, auf diesem Weg zu entkommen. Dracht-Yur und ich werden uns mit dem anderen Hausbewohner unterhalten. Und vergessen Sie nicht, seien Sie die ganze Zeit über leise, vorsichtig und keinesfalls aggressiv. Beschädigen Sie keine Möbel oder Gebrauchsgegenstände, und fügen Sie vor allem den Aliens selbst keinen Schaden zu, und tun Sie nichts, was die Bewohner auf die Idee bringen könnte, daß wir keine Freunde sind.“

Mit äußerster Vorsicht hob er leise den Schnappriegel an, öffnete die Tür und ging ins Haus voran.

In der Mitte des Raums hing eine brennende Öllampe von der Decke und beleuchtete die Wände, die mit bildhaften Reliefs und Gebinden geschmückt waren, die offenbar aus getrockneten, duftenden Pflanzen bestanden, obwohl das Aroma, das sie verbreiteten, für Liorens tarlanischen Geruchssinn alles andere als angenehm war. Vor der gegenüberliegenden Wand stand ein langer Eßtisch, unter den vier Stühle mit hohen Rückenlehnen geschoben waren. Zudem waren noch an den anderen Wänden einige kleinere Tische und größere Stühle mit dickerem Sitzpolster zu sehen sowie ein gewaltiger Bücherschrank und andere Gegenstände, die Lioren nicht auf Anhieb erkennen konnte. Der Großteil der Möbel bestand aus Holz und war zwar recht solide, aber nicht sonderlich fachmännisch gebaut, und einige der Gegenstände wiesen Anzeichen von Massenfertigung auf. Ganz offensichtlich handelte es sich bei ihnen um das uralte, zerkratzte und verbeulte Vermächtnis besserer Zeiten. In der Mitte des Raums lag lediglich ein dicker Teppich aus irgendeinem Gewebe oder pflanzlichen Stoff auf dem Boden und dämpfte die Schritte der Eindringlinge, als sie über ihn gingen.

Die drei Innentüren waren nur angelehnt, und die leisen Geräusche von gegen Geschirr stoßenden Kochutensilien, die aus dem Raum drangen, in dem sich der einzelne Einheimische aufhielt, wurden von einem gedämpften, klagenden Laut begleitet, der unübersetzbar war. Lioren fragte sich, ob das Wesen aufgrund von Krankheit oder Verletzungen Schmerzen hatte oder vielleicht nur auf seine Art sang. Er wollte gerade in den Raum gehen, um dem Einheimischen gegenüberzutreten, als Dracht-Yur eine von Liorens mittleren Händen ergriff und auf die Tür der anderen Kammer deutete, in der sich die übrigen Bewohner befanden.

Einer der Terrestrier hatte den Griff fest gepackt, um zu verhindern, daß die Tür von innen geöffnet wurde. Jetzt streckte er die freie Hand mit drei abgespreizten Fingern in Höhe der Taille aus, dann senkte er sie mit nach unten gekehrter Fläche auf Hüfthöhe, streckte nur noch zwei Finger aus und führte sie schließlich fast bis zum Kniegelenk hinab, bevor er nur noch einen Finger sehen ließ. Schließlich ließ er kurz den Türgriff los, drückte beide Handteller zusammen, legte die Hände in dieser Haltung an eine Seite des Gesichts, neigte dann den Kopf und schloß für einen Sekundenbruchteil die Augen.

Einen Augenblick lang war Lioren über diese Gesten vollkommen verblüfft, bis ihm einfiel, daß die Terrestrier der Klassifikation DBDG und noch ziemlich viele andere Lebensformen diese seltsame Stellung beim Schlafen einnahmen. Die übrigen Handzeichen konnten nur bedeuten, daß sich in der Kammer drei Kinder befanden, von denen eins kaum älter als ein Säugling war, und alle drei schliefen.

Darüber erleichtert, daß die Kinder ohne Schwierigkeiten in ihrer Kammer zurückgehalten werden konnten und somit keine Möglichkeit bestand, daß uninformierte und zu Tode erschrockene Ausreißer in der Gegend Panik verbreiten konnten, senkte Lioren nach terrestrischer Manier anerkennend den Kopf. Zufrieden und zuversichtlicher geworden schritt er voran, um die Verständigung mit dem Wesen aufzunehmen, das, nach den Geräuschen zu urteilen, die aus dem Raum drangen, in dem die Mahlzeiten zubereitet wurden, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der einzige Erwachsene im Haus war.

Der Hausbewohner hatte der Tür den Rücken zugekehrt und zeigte Lioren den Kopf im Dreiviertelproffl von hinten, während er sich mit etwas beschäftigte, das von seinem Oberkörper verdeckt wurde. Da auf seinem Schädel keine unabhängig voneinander beweglichen Augen an Stielen saßen und er somit auch nicht über einen Rundumblick verfügte, war es Lioren möglich, ihn einen Moment lang zu beobachten, ohne selbst von ihm gesehen werden zu können.

Bezüglich des Körperbaus wies der Bewohner mehr Ähnlichkeit mit Lioren als mit den Terrestriern, Nidianern und Orligianern auf, die den Oberstabsarzt begleiteten, wodurch der visuelle Schock des Erstkontakts wesentlich geringer ausfallen dürfte. Bis auf den Unterschied, daß der Hausbewohner drei Gliederpaare besaß — zwei zur Fortbewegung, zwei starke Greiforgane in der Mitte des Körpers und zwei weitere in Höhe des Halses, die zum Essen und zur Verrichtung feiner Arbeiten dienten — sowie einen Schädel, den ein dichtes blaues Fell bedeckte, das sich in einem schmalen Streifen an der Wirbelsäule entlang bis zum rudimentären Schwanz fortsetzte, waren die allgemeinen körperlichen Merkmale auffallend ähnlich. Seine Haut wies die blaßgelb verfärbten Stellen auf, die für die Seuche symptomatisch waren, die, begünstigt durch den grausamen und barbarischen Krieg, alles intelligente Leben vom Planeten zu vertilgen drohte. Die physiologische Klassifikation des Wesens lautete DCSL, und zumindest die Heilung seines Leidens dürfte sich relativ einfach gestalten, sobald sich Lioren erst einmal seiner Mitarbeit versichert hatte.

Zuerst ganz sacht, aber dann mit wachsender Entschlossenheit klatschte Lioren mit zweien seiner in Handschuhen steckenden mittleren Hände, um die Aufmerksamkeit des DCSL zu erregen, und als dieser schließlich herumfuhr, um ihn anzusehen, sagte der Oberstabsarzt: „Wir sind Freunde. Wir sind gekommen, um Sie.“

Zwischen dem Bauch und einer der mittleren Hände hatte der DCSL eine große Schale eingeklemmt gehabt, die zum Teil mit einer blaßgrauen, zähflüssigen Substanz gefüllt gewesen war, während er mit der zweiten mittleren Hand eine kleinere Schale getragen und ihren Inhalt in die erste gegossen hatte. Lioren war noch Zeit geblieben zu bemerken, daß beide Gefäße dickwandig und aus einer harten, aber offensichtlich äußerst zerbrechlichen Keramik gefertigt waren, was durch die Art bewiesen wurde, in der sie zersprangen, als sie zu Boden fielen. Das Klirren war laut genug, um die drei Kinder im anderen Zimmer aus dem Schlaf zu reißen, und eins von ihnen, höchstwahrscheinlich der Säugling, fing an, laute Angstschreie von sich zu geben, die der Translator nicht übersetzte.

„Wir werden Ihnen nichts tun“, begann Lioren aufs neue. „Wir sind gekommen, um Sie von der furchtbaren Krankheit zu heilen, die.“

Der DCSL stieß eine Folge schriller Kollerlaute aus, die vom Translator als „Die Kinder! Was haben Sie mit meinen Kindern gemacht?“ übersetzt wurde, und stürzte sich auf Lioren und Dracht-Yur.

Es handelte sich nicht um einen Angriff mit bloßen Händen.

Aus der Reihe von Küchengeräten, die auf dem in der Nähe stehenden Tisch lagen, hatte sich der DCSL ein Messer geschnappt, mit dem er gegen Liorens Brust ausholte. Die Klinge war lang und spitz, an der einen Seite gezackt und immerhin so scharf, daß sie im Gewebe von Liorens schwerem Raumanzug einen tiefen Riß hinterließ. Doch der DCSL lernte schnell, denn die zweite Attacke bestand aus einem mit gestrecktem Arm geführten Stoß, durch den das Messer in den Anzug eingedrungen wäre, wenn Lioren nicht aufgepaßt hätte. Mit zwei mittleren Händen packte er das Handgelenk des DCSL und zog ihm die Waffe mit der dritten aus den Fingern, wobei er sich an einem der eigenen Finger eine leichte Schnittwunde zuzog, und gleichzeitig hielt er die beiden oberen Hände des DCSL von sich fern, die ihm offenbar ganze Stücke aus dem Gesicht reißen wollten.

Durch die Heftigkeit des Angriffs taumelte Lioren mitsamt dem DCSL rückwärts in den großen Vorraum und erhaschte einen flüchtigen Blick auf den winzigen Dracht-Yur, der sich an die Beine des DCSL warf und seine kurzen, stark behaarten Arme fest um sie schlang. Der DCSL verlor das Gleichgewicht, und alle drei stürzten krachend zu Boden.

„Worauf warten Sie denn noch? Stellen Sie ihn endlich ruhig!“ befahl Lioren den anderen in scharfem Ton. Dann sagte er aus plötzlicher Besorgnis um den DCSL heraus: „Bis jetzt bin ich mit Ihrer inneren Physiologie zwar nicht vertraut, aber ich hoffe, mein Körpergewicht, das auf Ihren unteren Brustkorb drückt, verletzt keine darunter befindlichen Organe.“

Die Reaktion des DCSL bestand in noch heftigerem Widerstand gegen die terrestrischen, orligianischen und tarlanischen Hände, von denen er am Boden gehalten wurde, und nur wenige der Laute, die er ausstieß, waren übersetzbar. Während der Oberstabsarzt das offensichtlich völlig verwirrte und verängstigte Wesen anblickte, machte er sich im stillen und in höchst kritischen Worten ernste Vorhaltungen. Diese Aktion, seinen ersten Kontakt mit einem Mitglied einer neu entdeckten intelligenten Spezies, hatte er alles andere als zufriedenstellend durchgeführt.

„Wir werden Ihnen nichts tun“, redete Lioren auf den Alien ein, wobei er sich bemühte, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben, obwohl er lauter schreien mußte als der DCSL und die drei Kinder im Nebenraum, die inzwischen allesamt wach waren und nun ebenfalls ihre unübersetzbaren Laute zu dem allgemeinen Lärm beisteuerten. „Auch Ihren Kindern werden wir nichts tun. Bitte beruhigen Sie sich. Wir wollen Ihnen und allen anderen doch nur helfen, bis an Ihr Ende ohne Krieg und ohne die Krankheit zu leben, von der Sie befallen.“

Der DCSL mußte die Übersetzung von Liorens Beteuerungen verstanden haben, denn er hatte währenddessen aufgehört zu schreien, auch wenn er die Anstrengungen, sich zu befreien, unvermindert fortsetzte.

„Aber wenn wir für dieses unglückselige Leiden ein Heilverfahren finden sollen, müssen wir den Erreger, der die Krankheit verursacht, in Ihrem Körper isolieren und identifizieren“, fuhr Lioren mit leiserer Stimme fort, „und um das zu tun, brauchen wir Blutproben und Proben anderer Körperflüssigkeiten von Ihnen.“

Wenn sowohl der Krieg als auch die Krankheit mit minimaler Verzögerung und geringstmöglichem Verlust von Leben gestoppt werden sollten, benötigte man diese Proben auch, um große Mengen sicherer Betäubungsmittel, gasförmiger Beruhigungsmittel und synthetischer Nahrungsmittel herzustellen, die sich für den Metabolismus der Spezies eigneten. Aber jetzt schien nicht der richtige Moment zu sein, um dem DCSL die ganze Wahrheit zu sagen, denn er hatte seine Bemühungen, sich zu befreien, verstärkt.

Lioren blickte Dracht-Yur an und deutete auf einen der mittleren Arme des DCSL, wo durch die Anspannung der Muskulatur und den erhöhten Blutdruck eine der Adern angeschwollen war, die somit eine ideale Stelle bot, um Blutproben zu entnehmen.

„Wir werden Ihnen nichts tun“, wiederholte Lioren. „Haben Sie keine Angst. Und hören Sie bitte auf, Ihren Arm zu bewegen.“ Doch das große, glitzernde Instrument mit mehreren Kolben, das der nidianische Arzt gerade hervorgeholt hatte, war, auch wenn es bei Gebrauch keinerlei Schmerz verursachte, nicht gerade ein Gegenstand, der Vertrauen einflößte. Wie Lioren nur zu gut wußte, hätte er von dem, was er gerade gesagt hatte, auch kein einziges Wort geglaubt, wenn die Rollen von ihm und dem DCSL vertauscht gewesen wären.