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Schon vor langer Zeit war Commander Norton zu der Überzeugung gelangt, daß bestimmte Frauen nicht an Bord eines Raumschiffs geduldet werden dürften: die Schwerelosigkeit stellte mit ihren Brüsten Sachen an, die eine zu verteufelt starke Ablenkung bedeuteten. Es war schon schlimm genug, wenn sie sich nicht bewegten, aber wenn sie sich bewegten und die sympathischen Vibrationen begannen, dann war das mehr, als einem warmblütigen männlichen Wesen zuzumuten war. Für Norton stand außer Frage, daß zumindest ein schwerer Unfall im Raum durch akute Ablenkung der Besatzung verursacht worden war, nachdem ein wohlgepolsterter weiblicher Offizier durch die Kontrollkanzel gegangen war.
Er hatte diese These einmal gegenüber der Stabsärztin-Commander Laura Ernst vertreten, ohne hinzuzufügen, wer ihn zu diesen besonderen Gedankengängen angeregt hatte. Das erübrigte sich auch: sie kannten einander viel zu gut. Vor Jahren hatten sie einmal in einem Moment beiderseitiger Einsamkeit und Depression miteinander geschlafen. Wahrscheinlich würden sie diese Erfahrung nie wiederholen (doch konnte man in diesem Punkt je völlig sicher sein?), da sich für beide inzwischen sehr viel verändert hatte. Doch wann immer die wohlgeformte Doktorin sich in die Kabine des Commanders schlängelte, verspürte er einen flüchtigen Nachhall vergangener Leidenschaft, und da sie das ganz genau wußte, war jedermann zufrieden.
„Bill“, begann sie, „ich habe unsere Kletterer untersucht. Hier ist meine Beurteilung. Karl und John sind in guter Verfassung — alle Reaktionen normal, angesichts der Leistung, die sie hinter sich haben. Aber Will weist Anzeichen von Erschöpfung und Gewichtsstörung auf — ich gehe nicht ins Detail. Ich glaube, er hat nicht ausreichend trainiert, und er ist nicht der einzige, bei dem ich das vermute. In der Zentrifuge hat es Drückeberger gegeben; und wenn das so weitergeht, dann werden bald ein paar Köpfe rollen. Bitte veranlassen Sie das Nötige.“
„Jawohl, M’am. Aber es gibt eine Entschuldigung.
Die Männer haben äußerst hart gearbeitet.“
„Sicher, mit dem Gehirn und den Fingern.
Aber nicht mit dem Körper — sie haben keine echte Arbeitsleistung in Kilopond erbracht.
Und damit werden wir es zu tun bekommen, wenn wir Rama erforschen.“
„Gut, können wir das?“
„Ja, wenn wir behutsam vorgehen. Karl und ich haben zusammen eine sehr vorsichtige Prognose erarbeitet — die auf der Annahme basiert, daß wir unterhalb von Absatz Zwei keine Atemgeräte mehr benötigen werden. Das ist natürlich ein unglaublicher Glücksfall und verändert das ganze logistische Bild. Ich kann mich noch immer nicht ganz an die Vorstellung gewöhnen, daß wir es hier mit einer Welt mit Sauerstoff zu tun haben… Also brauchen wir bei der Versorgung nur an Nahrung, Wasser und Thermoanzüge zu denken und können losziehen. Der Abstieg wird einfach sein; es sieht so aus, als könnten wir auf diesem sehr praktischen Geländer fast bis ganz hinunter schlittern.“
„Ich habe Chips beauftragt, einen Schlitten mit Fallschirmbremsung zu konstruieren. Selbst wenn wir ihn nicht mit der Mannschaft riskieren können, läßt er sich doch für Vorräte und Ausrüstung einsetzen.“
„Prima; damit müßten wir den Trip in zehn Minuten schaffen, während es sonst etwa eine Stunde dauern würde.
Die Aufstiegszeit ist schwieriger abzuschätzen: ich würde gern sechs Stunden dafür ansetzen, einschließlich zwei Rastpausen von je einer Stunde. Später, wenn wir mehr Erfahrung haben — und ein paar Muskeln entwickelt haben —, können wir die Zeit möglicherweise beträchtlich verkürzen.“
„Wie steht’s mit den psychologischen Faktoren?“
„Schwer zu bestimmen bei einer so völlig neuen Umgebung. Die Dunkelheit ist vielleicht das größte Problem.“
„Ich werde auf der Nabe Suchscheinwerfer anbringen lassen. Dann hat jeder Trupp dort unten neben den eigenen Lampen auch beständig einen Strahl auf sich gerichtet.“
„Gut. Das dürfte eine große Hilfe sein.“
„Noch etwas: Sollten wir auf Nummer Sicher gehen und einen Trupp nur die Hälfte der Treppe hinunterschicken und dann zurückkehren lassen — oder sollten wir gleich beim ersten Versuch ganz runtergehen?“
„Wenn wir massig Zeit hätten, würde ich zur Vorsicht raten. Aber wir sind knapp mit Zeit, und ich kann eigentlich nichts Gefährliches darin sehen, daß wir ganz runtergehen — und uns umsehen, wenn wir dort sind.“
„Danke, Laura. Mehr brauche ich nicht zu wissen. Ich werde den Leitenden Offizier bitten, die Details auszuarbeiten. Und ich werde anordnen, daß alle Mann in die Zentrifuge trainieren gehen: täglich zwanzig Minuten bei einem halben G. Sind Sie damit zufrieden?“
„Nein. Unten in Rama herrschen 0,6 G, und ich möchte einen Sicherheitsspielraum haben.
Setzen Sie dreiviertel an…“
„Aua!“
„… zehn Minuten lang…“
„Einverstanden…“
„… zweimal täglich.“
„Laura, Sie sind eine hartherzige, grausame Person. Aber in Ordnung. Ich werde die Neuigkeit direkt vor dem Abendessen verkünden.
Das dürfte einigen den Appetit verderben.“
Es war das erstemal, daß Commander Norton bei Karl Mercer eine leichte Verlegenheit erlebte.
Er hatte eine Viertelstunde in seiner gewohnten kompetenten Art die Versorgungsprobleme diskutiert. Irgend etwas schien ihn offensichtlich zu beunruhigen. Sein Kapitän hatte eine nicht unbegründete Vermutung, was dies sein könne, und wartete geduldig, bis Mercer mit der Sprache herausrückte.
„Skipper“, begann Karl schließlich, „sind Sie sicher, daß es richtig ist, wenn Sie diesen Trupp anführen? Wenn irgendwas schiefgeht, dann bin ich doch bei weitem weniger wichtig.
Und ich bin weiter nach Rama vorgedrungen als sonstwer — wenn’s auch nur fünfzig Meter waren.“
„Richtig. Aber es ist an der Zeit, daß der Kommandant seine Truppen anführt, und wir haben die Überzeugung gewonnen, daß das Risiko bei diesem Trip nicht größer sein wird als beim ersten. Beim ersten Anzeichen von Problemen werde ich die Treppen so schnell wieder oben sein, daß ich mich für die Mondolympiade qualifizieren könnte.“
Norton wartete auf weitere Einwände, doch es kamen keine, obwohl Karl noch immer unglücklich dreinschaute. Also erbarmte er sich und fügte freundlich hinzu: „Und ich wette, daß Joe mich bis oben abgehängt haben wird.“
Der schwere Mann entspannte sich, ein leichtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Trotzdem, Bill, ich wünschte, Sie hätten sich jemand anderen ausgesucht.“
„Ich brauchte einen Mann, der schon mal unten war, und wir zwei können nicht beide gehen. Und was den Herrn Professor Doktor Sergeant Myron angeht, so sagt Laura, daß er noch immer zwei Kilo Übergewicht hat. Es hat nicht einmal was genützt, daß er sich seinen Schnurrbart abrasiert hat.“
„Wer ist Nummer drei?“
„Darüber habe ich noch nicht entschieden.
Es hängt ganz von Laura ab.“
„Sie will selbst mitkommen.“
„Wer will das nicht? Aber wenn ihr Name auf ihrer Fitneßliste an erster Stelle stehen sollte, werde ich sehr argwöhnisch werden.“
Als Kapitänleutnant Mercer seine Papiere zusammenraffte und sich aus der Kabine katapultierte, verspürte Norton einen kurzen neidvollen Stich. Beinahe seine ganze Besatzung — ungefähr fünfundachtzig Prozent, nach seiner niedrigsten Schätzung — hatte sich emotional irgendwie arrangiert. Er kannte Raumschiffe, auf denen der Kapitän das gleiche getan hatte, aber bei ihm war das anders. Obgleich die Disziplin an Bord der Endeavour weitgehend von gegenseitigem Respekt hochqualifizierter und intelligenter Männer und Frauen getragen wurde, brauchte der Kommandeur doch ein bißchen mehr, um seine Position zu unterstreichen.
Er trug eine einzigartige Verantwortung, die eine gewisse Distanz, selbst von seinen engsten Freunden, erforderte. Jede Liaison konnte schädlich für die Moral an Bord sein, denn es war nahezu unmöglich, den Verdacht der Begünstigung zu vermeiden. Aus diesem Grund auch waren Affären zwischen Raumfahrern mit mehr als zwei Rangstufen Unterschied äußerst unerwünscht; aber abgesehen davon galt als einzige Regel über das Sexualverhalten an Bord: „Solange sie es nicht in den Korridoren treiben und die ›Simps‹ erschrecken…“
An Bord der Endeavour befanden sich vier Superchimps, obgleich, wenn man es genau nahm, die Bezeichnung nicht ganz korrekt war, denn die nichtmenschliche Mannschaft des Schiffes entstammte nicht der Spezies der Schimpansen. Bei völliger Schwerelosigkeit hatte ein Greifschwanz enorme Vorteile, und alle genetischen Versuche, Menschen mit einem solchen zu versehen, hatten sich als peinliche Reinfälle erwiesen. Und nach gleichermaßen unbefriedigenden Ergebnissen bei den großen Menschenaffen hatte sich die Superchimpanzee Corporation dem Reich der geschwänzten Affen zugewendet.
Blackie, Blondie, Goldie und Brownie verfügten über einen Stammbaum, dessen verschiedene Zweige die intelligentesten Affenspezies der Alten und der Neuen Welt umfaßten, nebst diversen synthetischen Genen, die in der Natur niemals aufgetreten waren. Ihre Aufzucht und Erziehung hatte wahrscheinlich ebensoviel gekostet wie die eines normalen Raumfahrers, aber sie waren es wert. Sie wogen alle nur dreißig Kilo, verbrauchten nur halb soviel Nahrung und Sauerstoff wie ein Mensch, aber jeder von ihnen konnte 2,75 Menschen ersetzen, wenn es um Hausarbeiten, simple Kochkünste, Werkzeugbeförderung und Dutzende anderer Routineaufgaben ging.
Diese Angabe von 2,75 war eine Behauptung der Firma und stützte sich auf zahllose Zeit-Bewegung-Tests. Die Ziffer, wenn sie auch merkwürdig klang und häufig bestritten wurde, schien exakt zu sein, denn die Simps arbeiteten sehr bereitwillig täglich ihre fünfzehn Stunden und langweilten sich nicht einmal bei den niedrigsten und monotonsten Aufgaben.
Also schafften sie den Menschen Freiraum für Arbeiten, die nur Menschen ausführen konnten; und in einem Raumschiff war dies für das Überleben von fundamentaler Wichtigkeit.
Im Gegensatz zu den geschwänzten Affen, ihren nächsten Verwandten, waren die Simps auf der Endeavour gelehrig, gehorsam, anspruchslos und erfreulich wenig neugierig. Da sie aus einem Klon gezüchtet waren, waren sie auch geschlechtslos, wodurch peinliche Verhaltensprobleme vermieden wurden. Sie waren mit Sorgfalt zur Stubenreinheit erzogen worden, waren Vegetarier, äußerst sauber und ohne Körpergeruch: die vollkommenen Haustiere, falls sie erschwinglich gewesen wären.
Trotz dieser Vorteile ergaben sich gewisse Probleme, wenn man Simps an Bord hatte. Sie benötigten ihr eigenes Quartier, das — unvermeidlich — ›der Affenstall‹ genannt wurde. Ihre kleine Messe war stets peinlich sauber; es gab dort einen guten Fernsehapparat, Spielgeräte und programmierte Lernmaschinen. Um Unfällen vorzubeugen, war es ihnen strikt verboten, die technischen Bereiche des Schiffs zu betreten; zu diesen Teilen des Schiffs waren alle Zugänge mit roten Farbkodes gekennzeichnet, und die Simps waren so konditioniert worden, daß es ihnen psychologisch unmöglich war, diese Sichtsperren zu überschreiten.
Es gab außerdem ein Kommunikationsproblem.
Obwohl die Simps in etwa einen Intelligenzquotienten von 60 besaßen und ein paar hundert englische Wörter verstehen konnten, waren sie sprechunfähig. Es hatte sich als unmöglich erwiesen, den anthropoiden wie den geschwänzten Affen funktionstüchtige Stimmbänder zu geben, weshalb sich die Simps durch eine Zeichensprache verständlich machen mußten.
Die wichtigsten Zeichen waren offensichtlich und konnten leicht gelernt werden, so daß jedermann an Bord Routinenachrichten verstehen konnte. Doch der einzige Mensch, der geläufig Simpisch sprach, war ihr Pfleger, Chefsteward McAndrews.
Es war ein alter Kalauer, daß Sergeant Ravi McAndrews auch so ziemlich wie ein Simp aussah — und das war kaum eine Beleidigung, denn mit ihrem kurzen farbigen Pelz und ihren graziösen Bewegungen waren die Simps wirklich sehr hübsche Tiere. Außerdem waren sie auch sehr zärtlichkeitsbedürftig, an Bord hatten alle ihren Liebling. Der von Commander Norton war der mit Recht ›Goldie‹ genannte Simp.
Aber die freundschaftlich-warmen Beziehungen zu den Simps, die sich so leicht ergaben, schufen ein weiteres Problem, und dieses wurde häufig als Argument mit Nachdruck gegen ihren Einsatz im Weltraum verwendet. Da die Simps nur für Routineaufgaben trainiert werden konnten, waren sie im Notfall weniger als nutzlos; dann stellten sie sogar eine mögliche Gefahrenquelle für sich selbst und für ihre menschlichen Gefährten dar. Insbesondere hatte es sich als unmöglich herausgestellt, sie an Raumanzüge zu gewöhnen, die dabei mitspielenden Konzeptionen überstiegen bei weitem ihr Begriffsvermögen.
Keiner redete gern darüber, aber alle wußten, was getan werden mußte, wenn die Bordwand ein Leck bekommen sollte oder wenn die Evakuierung des Schiffes angeordnet würde. Bisher war das nur einmal vorgekommen: damals hatte der Pfleger der Simps seine Order mehr als korrekt ausgeführt. Man fand ihn bei seinen Schützlingen, er hatte sich und sie mit dem gleichen Gift getötet. Daraufhin übertrug man dem Stabsarzt die Pflicht, die Euthanasie durchzuführen — der — wie man überzeugt war — weniger Gefühlsbindungen haben dürfte.
Norton war wirklich dankbar, daß wenigstens diese Verantwortung nicht auf den Schultern des Kapitäns lastete. Er hatte in seinem Leben Menschen kennenlernen müssen, die zu töten ihm weit weniger Gewissensbisse bereitet hätte, als Goldie umbringen zu lassen.