126107.fb2 Rendezvous mit Rama - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 13

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12. KAPITELDIE TREPPE DER GÖTTER

In der klaren kalten Atmosphäre Ramas war der Strahl des Suchscheinwerfers vollkommen unsichtbar. Drei Kilometer unterhalb der Mittelnabe legte sich ein hundert Meter weites Lichtoval über einen Teil des kolossalen Treppenbaus. Eine leuchtende Oase in der Finsternis ringsum, glitt der Lichtschein langsam auf die gekrümmte Ebene fünf Kilometer tiefer hinab: in seinem Mittelpunkt krabbelten drei ameisenähnliche Wesen, die lange Schatten vor sich her warfen.

Es war, genau wie sie gehofft und erwartet hatten, ein vollkommen ereignisloser Abstieg gewesen. Sie hatten kurz an der ersten Plattform haltgemacht, und Norton war den schmalen gekrümmten Sims ein paar hundert Meter weit entlanggegangen, ehe sie mit der Rutschpartie zur zweiten Plattform begannen. Hier hatten sie ihre Atemgeräte abgelegt und sich dem ungewohnten Luxus hingegeben, ohne mechanisches Hilfsgerät zu atmen. Jetzt konnten sie ganz bequem ihre Erkundungen vornehmen, da sie nicht länger der größten Gefahr ausgesetzt waren, der ein Mensch im Weltraum sich gegenübersehen konnte. Unbekümmert und ohne Sorge um die Unversehrtheit ihrer Raumanzüge und die Sauerstoffreserven konnten sie vorgehen.

Als sie die fünfte Plattform erreicht hatten und nur noch ein Treppenabschnitt vor ihnen lag, hatte die Schwerkraft fast die Hälfte der Erdschwerkraft erreicht. Endlich übte die Rotation Ramas ihre wirkliche Kraft aus. Nun waren sie preisgegeben den unerbittlichen Kräften, die alle Planeten beherrschen und die für das kleinste Mißgeschick einen erbarmungslosen Tribut fordern können. Noch immer war es sehr leicht abzusteigen, aber die erschreckende Vorstellung der Rückkehr über diese Tausende von Stufen hinauf begann allmählich in den Köpfen der drei Männer zu lauern.

Die Treppenkonstruktion war schon lange nicht mehr steil und abschüssig, sondern wurde immer flacher und verlief jetzt beinahe horizontal.

Das Gefälle betrug nun nur noch etwa eins zu fünf, während es anfangs fünf zu eins betragen hatte. Eine normale Gangart war jetzt sowohl physisch als auch psychisch vertretbar, und nur die geringere Schwerkraft erinnerte die Männer daran, daß sie nicht irgendeine Riesentreppe auf der Erde hinabstiegen.

Norton hatte einst die Ruinen eines Aztekentempels besucht, und die Eindrücke, die er damals gewonnen hatte, kehrten nun in seine Erinnerung zurück — nur waren die Dimensionen ins Riesenhafte vergrößert. Er hatte das gleiche ehrfürchtige Gefühl, vor einem Geheimnis zu stehen, vermischt mit der Trauer über eine unwiderruflich entschwundene Vergangenheit.

Doch hier waren die Maßstäbe so viel größer, im Zeitlichen wie im Räumlichen, daß das Gehirn ihnen nicht gerecht werden konnte; nach einer Weile hörte es auf zu reagieren. Norton fragte sich, ob er irgendwann selbst Rama für selbstverständlich halten würde.

In einem Punkt allerdings stimmte die Parallele zu den irdischen Ruinen überhaupt nicht.

Rama war hundertmal älter als irgendein Bauwerk, das auf der Erde erhalten geblieben war — älter selbst als die Große Pyramide. Aber hier wirkte alles vollkommen neu; nichts deutete auf Abnutzung und Verfall hin.

Norton hatte an dieser Tatsache ziemlich lange herumgerätselt und war schließlich auf eine halbwegs plausible Erklärung gestoßen.

Alles, was sie bisher untersucht hatten, war Teil eines Katastrophen-Hilfssystems gewesen, und derartige Systeme werden nur sehr selten wirklich eingesetzt. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Ramaner — es sei denn, sie wären fanatische Verfechter der Körperertüchtigung gewesen, wie man sie auch auf der Erde nicht selten antraf — jemals diese unglaubliche Treppe oder die beiden anderen identischen hinauf- und hinabgestiegen waren, die das unsichtbare Y über ihm bildeten. Vielleicht wurden die Treppen nur während der Konstruktion Ramas benötigt und hatten seit jenem fernen Tag keinen Zweck mehr erfüllt. Diese Theorie mußte für den Augenblick genügen.

Dennoch schien sie Norton irgendwie nicht richtig zu sein. Irgend etwas stimmte da offensichtlich nicht… Die letzten tausend Meter rutschten sie nicht mehr auf dem Geländer, sondern nahmen je zwei Stufen in langen gleitenden Sätzen; auf diese Weise wurden ihre Muskeln besser durchgearbeitet, so hatte Norton entschieden, und die Muskeln würden sie bald brauchen.

Sie kamen fast überraschend am Ende der Treppe an; plötzlich waren da keine Stufen mehr — nur noch eine flache Ebene, die im jetzt schwächeren Licht des Suchscheinwerfers von der Nabe trübgrau wirkte, einem Licht, das ein paar hundert Meter vor ihnen von der Finsternis verschluckt wurde.

Norton blickte den Lichtstrahl entlang zu seinem Ausgangspunkt an der Achse oben. Über acht Kilometer weit weg war das. Er wußte, daß Mercer sie durch ein Teleskop beobachtete, darum winkte er ihm freundlich zu.

„Hier der Käptn“, meldete er sich über Funk.

„Fühlen uns alle prima — keine Probleme. Gehen vor wie geplant.“

„Okay“, antwortete Mercer. „Wir werden euch zuschauen.“

Es folgte ein kurzes Schweigen, dann meldete sich eine Stimme: „Hier der Diensthabende an Bord. Also wirklich, Skipper, das langt nicht. Sie wissen doch, wie uns die Nachrichtendienste die ganze vergangene Woche belagert haben. Ich erwarte ja keine unsterbliche Prosa, aber können Sie nicht ein bißchen was Besseres liefern?“

„Ich will’s versuchen“, sagte Norton kichernd.

„Aber vergeßt nicht, es gibt einfach noch nichts zu sehen. Es ist — also, wie wenn man auf einer riesigen dunklen Bühne mit nur einem Scheinwerfer steht. Die ersten paar hundert Stufen steigen aus dem Licht auf, bis sie oben im Dunkeln verschwinden. Was wir von der Ebene sehen können, wirkt vollkommen flach — die Krümmung ist zu gering, als daß man sie in diesem begrenzten Bereich erkennen könnte. Und das ist auch schon alles.“

„Könnten Sie uns ein paar Eindrücke geben?“

„Also, es ist immer noch ziemlich kalt — unter Null —, und wir sind dankbar für unsere Thermoanzüge. Und still ist es, natürlich. Stiller als alles, was mir jemals auf der Erde oder im Raum vorgekommen ist, denn da gibt es ja immer irgendwelche Hintergrundgeräusche.

Hier wird jedes Geräusch aufgesogen, und der Raum um uns ist so riesig, daß es kein Echo gibt.

Es ist unheimlich, aber ich hoffe, wir werden uns daran gewöhnen.“

„Danke, Skipper. Möchte sonst wer was sagen — Joe, Boris?“

Leutnant Joe Calvert war nie um Worte verlegen, und er war glücklich, sich nützlich zu machen.

„Ich muß immer daran denken, daß dies das erstemal überhaupt ist, daß wir auf einer anderen Welt herumwandern und ihre natürliche Atmosphäre atmen können — allerdings glaube ich, daß ›natürlich‹ kaum der richtige Ausdruck für diesen Ort hier ist. Aber Rama muß der Welt seiner Konstrukteure ähnlich sein, das ist sicher; alle unsere Raumschiffe sind ja auch Erden en miniature. Zwei Beispiele sind statistisch zwar äußerst armselig, aber läßt dies unter Umständen darauf schließen, daß alle intelligenten Lebensformen Sauerstoffarmer sind?

Was wir bisher von der Arbeit der Ramaner gesehen haben, weist darauf hin, daß sie humanoid waren, wenn auch möglicherweise um die Hälfte größer als wir. Wie ist’s, Boris, einverstanden?“

Nimmt Joe Boris auf den Arm? fragte Norton sich. Ich bin neugierig, wie der darauf reagiert… Boris Rodrigo war für alle seine Kameraden im Schiff ein kleines Rätsel. Der ruhige, würdevolle Kommunikationsoffizier war zwar bei der übrigen Besatzung beliebt, doch beteiligte er sich nie voll an ihrem Tun und wirkte immer ein wenig abgesondert — als folgte er seinem eigenen, andersartigen Rhythmus.

Was er auch wirklich tat, da er ein gläubiges Mitglied der Fünften Kirche Christi Des Kosmonauten war. Norton hatte nie herausgefunden, was mit den früheren Vier Kirchen passiert war, und er tappte gleichfalls im dunkeln, was das Ritual und die Zeremonien dieser Kirche anging. Der fundamentale Lehrsatz ihres Glaubens allerdings war wohlbekannt: danach war Jesus Christus ein Besucher aus dem Weltraum, und auf dieser Annahme hatte man eine ganze Theologie aufgebaut.

Es war deshalb auch kaum verwunderlich, daß ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz der Anhänger dieser Denomination Funktionen in der Raumfahrt erfüllt. Die Gläubigen waren ausnahmslos kompetent, gewissenhaft und absolut zuverlässig. Sie genossen allgemein großen Respekt und waren sogar beliebt, besonders da sie nicht versuchten, andere zu bekehren.

Aber sie hatten auch irgendwas leicht Gespenstisches an sich: Norton hatte nie verstanden, wie Menschen mit einer fortschrittlichen wissenschaftlichen und technischen Ausbildung tatsächlich an verschiedene der Dogmen glauben konnten, die die Fünften Christen als unumstößliche Tatsachen in seiner Gegenwart behauptet hatten.

Während Norton auf die Antwort Leutnant Rodrigos auf die möglicherweise konfliktgeladene Frage Joes wartete, wurden ihm plötzlich seine eigenen verborgenen Motivationen klar. Er hatte Boris ausgewählt, weil er körperlich fit war, technisch qualifiziert und vollkommen zuverlässig. Gleichzeitig aber fragte er sich, ob nicht irgendein Bereich in seinem Verstand den Leutnant aufgrund einer bösartigen Neugierde für diesen Job ausgewählt haben könnte. Wie würde ein Mann mit derartigen religiösen Überzeugungen auf die furchtbare Wirklichkeit Ramas reagieren? Angenommen, er stieß auf etwas, das sein theologisches Gebäude über den Haufen warf… oder, natürlich auch, es untermauerte?

Doch Boris Rodrigo wahrte seine übliche Zurückhaltung und ließ sich nicht provozieren.

„Sie waren zweifellos Sauerstoffatmer, und sie sind möglicherweise humanoid gewesen.

Aber warten wir doch ab und sehen wir’s uns an. Wenn wir ein bißchen Glück haben, müßten wir eigentlich rausfinden, wie sie waren.

Vielleicht gibt es Bilder, Statuen — vielleicht sogar Körper in diesen Städten da drüben. Wenn es Städte sind.“

„Und die nächste ist bloß acht Kilometer weit weg“, sagte Joe Calvert hoffnungsvoll.

Ja, dachte Norton, aber es sind auch acht Kilometer zurück — und dann kommt diese elende Treppe, die wir wieder hinaufklettern müssen.

Können wir dieses Risiko eingehen?

Ein kurzer Ausfall zu jener ›Stadt‹, die sie Paris getauft hatten, gehörte zu seinen ersten Berührungsplänen, und nun mußte er die Entscheidung treffen. Sie hatten überreichlich Nahrung und Wasser für einen vierundzwanzigstündigen Aufenthalt; sie würden außerdem von dem Rettungstrupp an der Nabe ständig überwacht werden, und auf dieser glatten, leicht gekrümmten Metallfläche schien jede Art von Unfall praktisch ausgeschlossen. Die einzige zu erwartende Gefahr war Erschöpfung; wenn sie in Paris angelangt waren, und das schien ja keine Schwierigkeit, würden sie dann mehr unternehmen können, als nur ein paar Fotos zu schießen und ein paar kleine Artefakte zu sammeln, bevor sie zurückkehren mußten?

Doch selbst ein solch kurzer Beutezug würde sich lohnen. Die Zeit war so knapp, und Rama stürzte sonnenwärts auf ein Perihelion zu, das für die Endeavour viel zu gefährlich war.

Wie auch immer, teilweise lag die Entscheidung gar nicht bei ihm allein. Droben im Schiff würde Dr. Ernst die Aufzeichnungen der biotelemetrischen Sensoren beobachten, die an seinem Körper angebracht waren. Und wenn sie negativ entschied, dann war die Sache eben gestorben.

„Laura, was halten Sie davon?“

„Machen Sie dreißig Minuten Pause, und jeder nimmt eine Fünfhundert-Kalorien-Energiekapsel.

Dann können Sie losgehen.“

„Danke, Frau Doktor“, warf Joe Calvert ein.

„Jetzt kann ich befriedigt sterben. Ich habe schon immer mal Paris sehen wollen. Achtung, Montmartre, wir kommen!“