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Die außerordentliche Konferenz des Space Advisory Council verlief stürmisch und war sehr kurz. Selbst im zweiundzwanzigsten Jahrhundert hatte man bisher noch keinen Weg gefunden, zu verhindern, daß vergreiste konservative Wissenschaftler in den entscheidenden Verwaltungspositionen saßen. Und es stand effektiv zu bezweifeln, ob man das Problem jemals lösen würde.
Was die Sache noch schlimmer machte: Professor (Emeritus) Olaf Davidson, der renommierte Astrophysiker, hatte diesmal den Vorsitz des Beratergremiums der Raumfahrt SAC inne. Und Professor Davidson interessierte sich nicht sonderlich für Objekte im Raum, die kleiner waren als Galaxien. Außerdem gab er sich nie die geringste Mühe, seine Voreingenommenheit zu verbergen. Und wenn er auch eingestehen mußte, daß sein Wissensgebiet nunmehr zu neunzig Prozent auf den Beobachtungsergebnissen von Raumsonden beruhte, so war er doch keineswegs glücklich über diese Tatsache. In seiner an Auszeichnungen so reichen Laufbahn war es nicht weniger als dreimal passiert, daß Satelliten, die man einzig und allein ins All gefeuert hatte, um eine seiner Lieblingstheorien zu beweisen, haargenau das Gegenteil davon bewiesen hatten.
Die dem Gremium vorliegende Frage war eindeutig genug. Es bestand kein Zweifel daran, daß es sich bei Rama um ein ungewöhnliches Objekt handelte. Aber, war es auch ein wichtiges Objekt? In ein paar Monaten würde Rama für immer verschwunden sein. Es blieb also nur wenig Zeit zum Handeln. Gelegenheiten, die man jetzt verpaßte, würden nie wiederkehren.
Mit einem ziemlich gespenstischen Kostenaufwand würde man eine Raumsonde, die in Kürze vom Mars über den Neptun hinaus gestartet werden sollte, so weit umdirigieren können, daß sie auf eine hochbeschleunigte Flugbahn gebracht werden konnte, um die von Rama zu kreuzen. Aussicht auf ein Rendezvous bestand nicht: es würde sich um das bisher schnellste Flugbegegnungsmanöver der Geschichte handeln, denn die zwei Flugkörper würden mit einer Geschwindigkeit von zweihunderttausend Stundenkilometern aneinander vorbeirasen. Rama würde nur ein paar Minuten lang gründlich beobachtet werden können. Beim realen Close-up würde es weniger als eine Sekunde sein. Wenn man allerdings das richtige Instrumentarium einsetzte, könnte das zur Beantwortung vieler Fragen ausreichen.
Professor Davidson stand dem Projekt der Neptunsonde sehr mißgünstig gegenüber: trotzdem, es war bereits gebilligt worden, und er hatte keine Lust, in eine für ihn sowieso verlorene Sache zu investieren. Er ließ sich beredt über den Unsinn der Jagd nach Asteroiden aus und plädierte für ein dringlichst benötigtes Interferometer mit hoher Auflösungskraft auf dem Mond, damit die neuerdings wiederbelebte Theorie von der Schöpfung als einem großen Urknall ein für allemal bewiesen werden könne.
Dies sollte sich als gravierender taktischer Fehler erweisen. Denn drei der glühendsten Verfechter der Theorie von einem modifizierten Ausgewogenheitszustand des Universums waren ebenfalls Ratsmitglieder. Insgeheim pflichteten sie zwar Professor Davidson bei, daß die Asteroidenjagd reine Geldverschwendung sei, aber immerhin und alles in allem… Professor Davidson unterlag mit einer Stimme.
Drei Monate darauf wurde die auf den Namen Sita umgetaufte Raumsonde von Phobos, dem inneren Marsmond, aus gestartet. Die Flugzeit sollte sieben Wochen betragen, das Instrument erst fünf Minuten vor der Begegnung mit voller Kraft arbeiten. Gleichzeitig würden zahlreiche Kamerasonden abgeschossen, Rama umkreisen und ihn von allen Seiten fotografieren.
Die ersten Bilder aus zehntausend Kilometern Entfernung ließen die gesamte Menschheit aufmerksam werden. Auf einer Milliarde Fernsehschirmen erschien ein winziger Zylinder ohne bestimmte Merkmale, der rasch von Sekunde zu Sekunde wuchs. Als sich seine Größe verdoppelt hatte, konnte niemand mehr behaupten, daß Rama ein natürlicher Gegenstand sei.
Seine Form war ein geometrisch so perfekter Zylinder, als wäre er auf einer überdimensional großen Töpferscheibe gedreht worden. Die beiden Enden waren völlig flach, nur an einem Ende im Mittelpunkt zeichneten sich einige kleine Gebilde ab. Sie waren zwanzig Kilometer voneinander entfernt. In dieser Entfernung und ohne Vergleichsmaßstab für die Größe sah Rama beinahe so lächerlich wie ein ganz gewöhnlicher Wasserboiler aus.
Rama wuchs und füllte schließlich den ganzen Bildschirm aus. Seine Oberfläche hatte ein stumpfes Graubraun, war so wenig farbig wie der Mond und völlig ohne Konturen. Mit einer Ausnahme. In halber Höhe zeigte sich auf dem Zylinder ein kilometerlanger Fleck oder Kratzer, als wäre dort vor langer Zeit etwas aufgeprallt und zerplatzt.
Es gab kein Anzeichen dafür, daß der Aufprall die kreisenden Zylinderwände im geringsten beschädigt hatte; aber dieser Fleck hatte die leichte Helligkeitsschwankung hervorgerufen, die Stenton zu seiner Entdeckung führte.
Die Übertragungen der anderen Kameras lieferten keine neuen Erkenntnisse. Doch aus den Durchlaufbahnen in dem minimalen Gravitationsfeld Ramas ergab sich eine weitere wichtige Information: die über die Maße des Zylinders.
Er war viel zu leicht, als daß er ein fester Körper hätte sein können. Niemand war sehr überrascht, daß Rama sich eindeutig als hohl erwies.
Das lange erhoffte und lange befürchtete Rendezvous war schließlich doch eingetroffen.
Die Menschheit machte sich bereit, ihren ersten Besucher von den Sternen zu empfangen.