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13.Die Feuerprobe

Welcher Lärm und welches Durcheinander draußen auch herrschen mag, im Union Club ist stets vornehme Ruhe. Verkehrsgeräusche, das Heulen von Sirenen, ja selbst das Grollen des Donners während eines Gewitters dringen nie durch die altehrwürdigen, schweren Portieren und Vorhänge im Clubinneren, dessen gedämpfte Atmosphäre jedem heilig sein muß.

Eine Ausnahme bildet allerdings Griswolds sanftes Schnarchen während seiner zahllosen Nickerchen im tiefen Ohrensessel.

Jennings musterte die schlafende Gestalt mit dem seltsam wachen Gesichtsausdruck und dem unvermeidlichen Glas Scotch Soda in der ruhigen Hand und sagte: »Ich möchte mal wissen, ob es einfach ist, so zu werden.«

»Wahrscheinlich ist ein Fehlschlag der Natur dafür verantwortlich«, bemerkte Baranov.

»Nein, ich meine, wie wird man >jemand< in seiner sogenannten Abteilung«, erklärte Jennings.

»Die exakte Bezeichnung dieser >Abteilung< hat er uns immer verschwiegen«, warf ich gereizt ein. »Deshalb frage ich mich natürlich, ob es sie überhaupt gibt.«

»Ich denke schon«, antwortete Jennings. »Aber wie ist er nur zu diesem Job gekommen? Wie hat er sich darum beworben? Ich meine, er kann ihnen wohl kaum einen Brief geschrieben und sich darin als >Rätselonkel< vom Dienst angeboten haben, oder?«

»Er hat doch mal behauptet, während des Zweiten Weltkriegs eine seltene Begabung bei der Enttarnung von Spionen entwickelt zu haben«, bemerkte ich. »Erinnert ihr euch nicht?«

»Das hat er behauptet«, entgegnete Jennings skeptisch. »Aber wenn wir ihn jetzt danach fragen würden, bekämen wir wieder eine ganz andere Geschichte zu hören. Ich wette, sobald wir ihn danach fragen .. .«

Die Federn des alten Sessels quietschten, und Griswold schlug eines seiner stahlblauen Augen auf. Wie üblich war er rätselhafterweise immer dann sofort wach, wenn auch nur andeutungsweise von ihm gesprochen wurde. »Auf eure entsprechende Frage lautet meine Antwort ganz einfach: Sie sind zu mir gekommen. Sie zu mir, versteht ihr? Die Herren hatten bereits während des Zweiten Weltkriegs eine Kostprobe meiner Genialität erhalten und wollten mehr davon. Trotzdem waren sie skeptisch. Sie mißtrauten einem genialen Mann wie mir.«

»Wieso das denn?« erkundigte ich mich feindselig.

»Weil ein genialer Geheimagent nur wenig zu tun hat. Die meiste Zeit über muß er eine stumpfsinnige Rolle spielen und dabei jederzeit darauf gefaßt sein, unterzutauchen. Der erfolgreichste Agent, den ich je kennengelernt habe, war ein Idiot. Und ausgerechnet er sollte den entscheidenden Test mit mir durchführen.«

Griswolds Stimme verhallte. »Ich darf wohl annehmen, daß du diesen Test mit Glanz und Gloria bestanden hast, was?« erkundigte ich mich.

Griswold fuhr ein wenig erschrocken zusammen und tauchte aus den Tiefen seines Sessels wieder auf. »Das darfst du, mein Lieber. Aber da das für euch ja kaum eine Überraschung sein kann, brauche ich die Story erst gar nicht zu erzählen.«

»Laß den Quatsch!« empörte sich Jennings. »Nichts auf der Welt könnte dich jetzt davon abhalten, uns auch diese Episode aus deinem Leben zu erzählen.« Er sah auf die Uhr. »Ich gebe dir genau fünfzehn Sekunden Zeit anzufangen.«

Griswold brauchte dann tatsächlich nur fünf Sekunden.

Wie ich euch ja schon früher einmal erzählt habe, und ich halte mich immer strikt an die Wahrheit, -begann Griswolds -, habe ich mir als blutjunger Mann während des Zweiten Weltkriegs etliche Lorbeeren verdient. Es gab daher Leute in Washington, die mich in einer Position sehen wollten, in der sie meine Talente für sich ausnutzen konnten.

Ich war auf diesen Job nicht sehr erpicht. Das Dasein eines Regierungsbeamten ist unbequem und langweilig. Ich kannte damals einige Beamte und wußte daher Bescheid. Trotzdem hatte auch ich gewisse patriotische Gefühle. Schon aus diesem Grund hatte ich nichts dagegen, eine beratende Tätigkeit innerhalb der Regierung anzunehmen, und ließ mich überreden, nach Washington zu fahren, wo ich genauer unter die Lupe genommen werden sollte.

Ich ahnte, daß mich Unangenehmes erwartete, und behielt recht. Der Kalte Krieg steckte in seinen Anfängen, und es herrschte innerhalb des Regierungsapparats ein ziemliches Durcheinander, weil jeder in jedem einen politisch »Unzuverlässigen« sah. Natürlich war jeder intelligente Mensch schon von sich aus verdächtig. Ein Agent durfte minimal und maximal einen IQ von 120 haben.

Selbstverständlich hatte ich Probleme mit den dienstälteren Beamten, die mich schon vom Aussehen her abzulehnen schienen. Es wird euch vielleicht überraschen, weil ihr mich nur als würdigen, reifen und sympathischen älteren Herrn kennt, aber in meiner Jugend war ich so etwas wie ein Rebell. Verständlicherweise sträubten sich bei den konventionellen Kollegen die Nackenhaare, wenn sie mich nur sahen.

Eines Tages bin ich in einem der Korridore der Abteilung einem mittelgroßen Mann mit rosigem, glatten Gesicht begegnet, der mit der phantasielosen Korrektheit eines Vertreters gekleidet war. Als er mich sah, deutete er mit dem Finger auf mich und sagte: »Sie!«

Meine Haltung war wohl eher lässig, aber ich machte mir nicht die Mühe, die Hände aus den Taschen zu nehmen und geradezustehen. Schließlich waren wir nicht beim Militär. »Genauso heiße ich«, erwiderte ich so freundlich wie möglich. »Und wer sind Sie?«

Er ignorierte meine Frage und erkundigte sich streng: »Weshalb tragen Sie nicht Jackett und Krawatte?«

»Weil ich heute morgen beim Aufwachen gemerkt habe, daß es, verdammt noch mal, Sommer ist«, erwiderte ich.

»Das Gebäude hier ist vollklimatisiert.«

»Das ist für mich uninteressant, weil ich nur vorübergehend hier bin.«

»So wirklich? Ich möchte Ihren Namen wissen, damit Ihr Aufenthalt hier wirklich nur >vorübergehend< bleibt.«

»Ihre knappe, aber treffende Anrede von vorhin genügt. Ich reagiere sogar darauf«, entgegnete ich und ging pfeifend davon.

Ich wußte zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht, wer der Mann war, sollte es jedoch noch herausfinden. Er war der Liebling der Abteilung, der erfolgreichste Agent der vierziger Jahre. Und er war der Idiot, den ich eingangs erwähnt habe. Er hatte während des Krieges in Deutschland und den angrenzenden europäischen Ländern gearbeitet und täglich mit dem Mut und der Intelligenz eines Löwen dem Tod in die Augen gesehen.

Sobald er einen Raum betrat, standen Senatoren ehrfürchtig auf - oder wären ehrfürchtig aufgestanden, wenn sie gewußt hätten, mit wem sie es zu tun hatten. Aber natürlich hatten sie keine Ahnung, denn das beste Kapital eines Agenten ist seine Anonymität.

Selbstverständlich hatte ich ebenso wie alle anderen von ihm gehört, war ihm jedoch weder irgendwann zuvor begegnet, noch hatte ich eine Fotografie von ihm gesehen. Aber auch das hätte nichts an meinem Verhalten bei unserer Begegnung im Korridor geändert.

Im übrigen hatte ich zu diesem Zeitpunkt andere Sorgen. Zusammen mit anderen machte ich gerade einen langen Intensivkurs. Wir hörten Vorlesungen über die verschiedenen Aspekte der Spionage und Spionageabwehr und über die Verschlüsselung von Nachrichten mit Hilfe des Morsealphabets oder Computern, denn die ersten elektronischen Computer waren bereits in Betrieb genommen worden.

Die Vorlesungen wurden durch kleine Einlagen unterbrochen, nach deren Ende wir unseren Lehrern Rede und Antwort stehen mußten, um unsere Belastbarkeit unter Streß zu beweisen. Zum Beispiel sprach ein Lehrer eine gute halbe Stunde mit uns und fragte uns dann plötzlich, wie oft er sich während des Gesprächs die Stirn gerieben und welche Hand er dazu benutzt hatte.

Natürlich war ich bei diesen Tests niemals unkonzentriert. Ich hätte vielleicht absichtlich Fehler machen können, um aus dem Kurs geworfen zu werden, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, vor den anderen den Trottel zu spielen.

Eines Tages erfuhren wir, daß unser Kriegsheld eine Vorlesung bei uns halten sollte, und herein kam mein Freund vom Korridor. Selbstverständlich erkannte er mich sofort wieder. Er stellte sich vor uns hin und musterte jeden einzelnen eingehend. Als sich seine Blicke auf mich richteten, schnarrte er im Kasernenhofton: »Griswold!«

>»Sie< genügt«, entgegnete ich gelassen. »Ich höre auf beides.«

Er starrte mich eine Weile schweigend an und sagte dann: »An mangelndem Selbstbewußtsein scheinen Sie ja nicht zu leiden.«

»Sicher nicht. Sonst wäre es mit meinem gesunden Menschenverstand auch nicht weit her«, konterte ich.

»Aha! Verstehen Sie sich auch so gut auf Geheimcodes?«

»Ich bin auf diesem Gebiet zwar kein Experte, aber so gut wie jeder andere Laie bin ich allemal«, erwiderte ich.

Der berühmte Agent wandte sich an die ganze Klasse: »In unserem Beruf gehören sämtliche Arten der geheimen Nachrichtenübermittlung zum täglichen Brot«, begann er. »Nehmen wir mal an, Sie müßten eine verschlüsselte wichtige Nachricht abschicken, ohne sich zuvor mit dem Empfänger über ein Codeverfahren geeinigt zu haben. Dabei sind zwei Dinge zu beachten: Erstens soll diese Meldung einem unerwünschtem Empfänger völlig unverständlich oder unwichtig erscheinen, zweitens muß der richtige Empfänger sie problemlos entschlüsseln können.

Das ist eine schwierige Aufgabe. Man muß dabei schlau vorgehen, allerdings nicht so schlau, daß der Code überhaupt nicht zu knacken ist. Der eigene Kontaktmann muß einfach eine größere Chance haben als der Feind. 1943 habe ich einen solchen Code benutzt. Zweimal mit Erfolg. In jedem Fall befand ich mich in einer absoluten Notlage und mußte alles riskieren. Als ich diesen Code jedoch auf mein Glück vertrauend auch ein drittes Mal eingesetzt habe, hat der Feind die Nachricht abgefangen und entschlüsselt. Die Folge war, daß Mussolini von Skorzeny aus der Gefangenschaft befreit wurde. Ich wäre damals beinahe im Gefängnis - oder noch schlimmer - vor einem Erschießungskommando gelandet.

Ich probiere diesen Code jetzt an Griswold aus.« Er grinste boshaft. »Ein brillanter Denker wie er hat sicher keine Probleme, ihn zu lösen. Er hat dazu bis zum Ende der Vorlesung Zeit. Allerdings sollte er mir trotzdem zuhören, weil ich ihm zum Schluß noch ein paar Fragen über unser heutiges Thema stellen möchte. Die Nachricht besteht aus neun Wörtern, Griswold. Ich werde sie gleich an die Tafel schreiben.« Das tat er auch, und ich las: Irisieren Pipin Immer Immigrieren Pinie Trieb Tizian Tatort Titan

»Diese Wörter ergeben eine Nachricht«, fuhr er fort. »Ich fordere übrigens auch alle anderen auf, die Meldung zu entschlüsseln. Die richtige Lösung läßt keinen Zweifel daran, daß Sie es geschafft haben. Ein Ergebnis erwarte ich allerdings nur von Griswold. Sicher ist Ihnen aufgefallen, daß die Wörter in keinem ersichtlichen Bezug zueinander stehen. Es handelt sich um sechs Hauptwörter, darunter um zwei Eigennamen, um zwei Verben und ein Adverb. Auch wenn sie die Anfangsbuchstaben fortlaufend lesen, ergibt das keinen Sinn. Trotzdem behaupte ich, daß eine ganz normale Mitteilung dahintersteckt.«

Der berühmte Agent machte eine Kunstpause. Meine Seminarkollegen bemühten sich sichtbar, nachdenkliche Mienen zu machen. Ich ließ mich dadurch nicht aus der Ruhe bringen, sondern lehnte mich nur gelangweilt auf meinem Stuhl zurück.

Unser berühmter Lehrmeister blieb vor mir stehen. »Meine Vorlesung dauert eine Dreiviertelstunde«, verkündete er. »So lange haben Sie Zeit, Griswold. Genügt das?«

Ich antwortete darauf laut und vernehmlich: »Zittert nicht.«

»Wie bitte?«

»Ich habe Ihren kleinen Geheimtext entschlüsselt und mir erlaubt, den Code auch für die Antwort auf Ihre Frage, ob mir die Zeit genügt, zu benutzen«, erwiderte ich. »ZITTERT NICHT.«

Der Agent wurde lila im Gesicht und rannte aus dem Raum. In der folgenden allgemeinen Aufregung erklärte ich dann den anderen, um welchen Code es sich gehandelt hatte. Natürlich hatte ich recht, aber die Sache ging trotzdem gut für mich aus, denn ich bekam den Job nie. Mein Freund, der Held, stufte mich als Sicherheitsrisiko und verkappten Kommunisten ein. Aus diesem Grund wurde ich gebeten, den Kurs schon am darauffolgenden Tag zu verlassen.

Ich blieb also ein freier Mitarbeiter und hatte damit viel Erfolg.

Griswold seufzte in angenehmer Erinnerung an seine Karriere und bereitete sich auf sein nächstes Nickerchen vor, als Baranov schließlich wütend fragte: »Sag uns gefälligst, wie die Nachricht gelautet hat, und nach welchem Code sie verschlüsselt worden war!«

Griswold richtete sich erstaunt in seinem Sessel auf. »Was? Das hast du nicht kapiert? Aber das liegt doch klar auf der Hand. Es ist auf den ersten Blick zu sehen, was das Auffällige an den neun Worten ist. Jedes hat mindestens ein >I< oder ein >T< oder sogar beides.

Und was haben >I< und >T< gemeinsam? Nun, wenn man mit der Hand schreibt, dann unterbrechen der I-Punkt und der Querstrich das >T< bei den Kleinbuchstaben den Schreibfluß. Das müßte doch selbst euch klar sein. Man stellt also I-Punkt undQuerstrich des >T< mit den Punkten und Strichen des Morsealphabets gleich und erhält • • • für irisieren, • f. • •• p.. • p.. • •• r». •

ür Pipin, • für immer, • • • für immigrieren, • ■ für Pinie, - • für Trieb, - • • für Tizian, - für Tatort und -• - für Titan.

Im Morsealphabet heißt •••,••,•,-•-,-•,-•,--•,-,-•-

>Sie sind ok<, was ein deutlicher Beweis dafür war, daß ich die richtige Lösung gefunden hatte. Als unser Freund, der Kriegsheld, mich daher gefragt hat, ob mir die Zeit zur Lösung genügte, habe ich mit >Zittert nicht< geantwortet. Im Morsealphabet würde das^---, •- oder ganz einfach >ja< heißen.«