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15.Dollars und Cents

»Meiner Meinung nach könnte man den Terrorismus am besten dadurch bekämpfen, daß man ihn einfach totschweigt«, begann Jennings in unserer ziemlich düster gestimmten Runde in der Bibliothek des Union Club.

»Du findest also, man sollte im Fall eines Attentats einfach verschweigen, daß der Präsident erschossen worden ist?« erkundigte ich mich sarkastisch.

»Nein«, widersprach Jennings. »So war das nicht gemeint. Ich bin lediglich dafür, daß in einem solchen Fall keine Einzelheiten über die Person des Attentäters und seine Motive an die Öffentlichkeit dringen. Damit würde er wie alle terroristischen Attentäter praktisch zur Unperson. Das Wichtigste ist, daß für diese Leute nicht auch noch Publicity im Fernsehen gemacht wird. Eine knappe Nachricht darüber, daß ein Anschlag stattgefunden hat, genügt vollkommen.«

»Du glaubst also, daß die Terroristen mit ihren Aktionen nur auf der Jagd nach Publicity sind, und daß man ihnen mit der Publicity auch die Motivation nimmt?« erkundigte sich Baranov.

»Bis zu einem gewissen Grad, ja«, stimmte Jennings ihm zu. »Nehmen wir mal an, es gäbe eine Bewegung für die Unabhängigkeit von Fairfield in Connecticut, und fünf Schwachsinnige gründen das Fairfield-Befreiungskomitee. Sie nennen sich FBK und fangen an, in Hartfort Autoreifen aufzuschlitzen und in Briefen an die Zeitungen die Verantwortung dafür zu übernehmen. Während ihre Aktionen weitergehen und die Medien detailliert darüber berichten, müssen sich die fünf Irren doch sehr mächtig vorkommen. Aber das ist noch nicht alles. Die Publicity hat zur Folge, daß eine Menge Komplex-Heinis auf die Idee kommen, sich mit dem Kampf um die Unabhängigkeit von Fairfield ebenfalls Ruhm und Ansehen zu verschaffen. Wenn die Polizei allerdings ihre Ermittlungen gegen die Täter unter strikter Geheimhaltung durchführen könnte ... «

»Das ist einfach nicht möglich«, unterbrach ich ihn. »Und zwar aus zwei Gründen. Erstens kann man den Betroffenen, deren Autoreifen zerstört worden sind, nicht den Mund verbieten. Auf diese Weise entstehen Gerüchte, die noch schlimmere Folgen haben können als die Wahrheit. Zweitens besteht die Gefahr, daß die Möglichkeit, eine totale Nachrichtensperre zu verhängen, für Dinge mißbraucht wird, die die Öffentlichkeit unbedingt erfahren sollte. Und so was passiert hoffentlich in den USA nie. Da nehme ich schon lieber ab und zu terroristische Aktionen in Kauf.«

»Außerdem ist eine Nachrichtensperre meistens gar nicht aufrechtzuerhalten«, mischte sich plötzlich Griswold mit sonorer Stimme ein. »Wie will man zum Beispiel die Evakuierung eines Hotels während des abendlichen Stoßverkehrs und unter großem Feuerwehreinsatz geheimhalten?«

Seine blauen Augen blitzten uns hellwach an. So hatte ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.

»Könnte es sein, daß du so was schon mal erlebt hast, Griswold?« erkundigte ich mich.

Alles fing damit an - begann Griswold -, daß ein Reporter von einer New Yorker Zeitung mit der Post eine mit Schreibmaschine geschriebene anonyme Nachricht bekam, die besagte, daß in einem bestimmten Zimmer - die Nummer wurde angegeben - eines bestimmten Hotels eine Bombe liege.

Der Reporter hielt den Brief zuerst für einen üblen Scherz, kam jedoch nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß, daß das Risiko, die Meldung zu ignorieren, zu groß war, und ging damit zur Polizei.

Die Polizei war nicht gerade begeistert, glaubte ebenfalls an einen üblen Scherz, war jedoch verpflichtet, der Sache nachzugehen. Man schickte einen Sprengstoffexperten in das betreffende Hotel, wo dieser unter den mißbilligenden Blicken eines Hotelangestellten verlegen begann, das genannte Zimmer zu durchsuchen, dessen Bewohner zum Glück abwesend war. Es dauerte jedoch nicht lange, bis er in einem Schrankfach, in dem Ersatzdecken aufbewahrt wurden, eine schwarze Pappschachtel entdeckte. Auf dem Deckel stand in zittrigen Großbuchstaben das Wort BOMBE. Die Schachtel enthielt nur Holzwolle.

Das Beweisstück wurde erfolglos auf Fingerabdrücke überprüft. Auf dem anonymen Brief fand man lediglich die des Reporters. Die Polizei glaubte zwar noch immer an einen Scherz, mußte die Angelegenheit jedoch ernster nehmen als zuvor. Sie instruierte daher den Reporter, jeden weiteren Brief sofort aufs Revier zu bringen und möglichst keine Spuren daran zu hinterlassen. Von da an öffnete er seine Post nur noch mit Handschuhen.

Letzteres war, wie sich zeigte, eine sinnvolle Vorsichtsmaßnahme, denn drei Tage später erhielt der Reporter den zweiten Brief. Wieder war ein Hotel und die Nummer eines der Zimmer erwähnt. Der Reporter brachte die Nachricht sofort zur Polizei, und ein Sprengstoffexperte wurde zu der neuen Adresse geschickt. Diesmal fand er eine mit Pappestücken gefüllte Schachtel hinter der Toilettenschüssel im Badezimmer. Sie trug erneut die Aufschrift BOMBE. Wiederum ließen sich keine Fingerabdrücke feststellen.

Die Polizei hatte inzwischen sämtliche Tageszeitungen der Stadt informiert und gebeten, auf jede Publicity zu verzichten, um keine Panik auszulösen; alle Reporter wurden aufgefordert, etwaige anonyme Briefe sofort zu melden.

Auch das entpuppte sich als weise Vorsichtsmaßnahme, denn den dritten Brief erhielt ein anderer Reporter und auf anderem Papier. Dem üblichen Text war ein Absatz hinzugefügt worden, der folgendermaßen lautete: »Ich gehe davon aus, daß Sie wissen, daß das nur Probeläufe sind. Eines Tages wird es ernst, und dann nenne ich keine Zimmernummer mehr.«

Zu diesem Zeitpunkt schaltete die Polizei mich ein und zeigte mir die Briefe.

»Was konnte das Labor feststellen?« war meine erste Frage.

Mein Freund, Lieutenant Cassidy von der städtischen Polizei, antwortete: »Sämtliche Briefe wurden auf einer elektrischen Schreibmaschine von IBM getippt, und unser potentieller Attentäter kann offenbar perfekt damit umgehen. Wir haben weder Fingerabdrücke noch irgendwelche besonderen Merkmale an Papier, Kuverts oder den Bombenattrappen feststellen können. Jeder Brief wurde auf einem anderen Postamt, jedoch alle in Manhattan aufgegeben.«

»Das klingt ja nicht sehr vielversprechend«, seufzte ich.

Cassidy spitzte die Lippen. »Kann man wohl sagen. Wissen Sie, wie viele IBMSchreibmaschinen es in Manhattan gibt? Und wie viele, einigermaßen gebildete Leute, die gut darauf schreiben können? Wenn unser Freund allerdings noch mehr Briefe verschickt, sind wir vielleicht in der Lage, mehr Informationen zu sammeln.«

Diesmal war auch ich ratlos. Ich mag zwar eine ungewöhnliche Begabung besitzen, Kleinigkeiten zu entdecken und zu deuten, die andere einfach übersehen, aber Wunder kann ich entgegen der landläufigen allgemeinen Auffassung nicht vollbringen. Das habe ich auch nie behauptet. Trotzdem blieb ich wegen dieses Falls in enger Verbindung mit Cassidy.

Die Presse erhielt tatsächlich weitere Briefe, die besonders in bezug auf das Motiv des Absenders einige Aufschlüsse gaben. Offenbar hatte er der materialistischen Lebenseinstellung unserer Zeit abgeschworen und wollte zu einer einfacheren, ursprünglicheren Lebensform zurücckehren. Inwiefern das durch seinen Tick mit der Bombe zu erreichen war, blieb unklar.

»Er kommt offenbar problemlos in Hotelzimmer«, sagte ich zu Cassidy. »Aber schwierig ist das sowieso nicht.«

»Sie denken wohl an Dietriche, oder?«

»Nein, an eine viel einfachere Methode«, entgegnete ich. »Hotelzimmer werden täglich saubergemacht, und ich habe es oft genug selbst erlebt, daß die Reinmachefrauen schnell mal wieder hinausgehen, um etwas zu holen, und hinter sich die Tür offen lassen. Und in Hotelkorridoren herumzuspazieren ist schließlich nicht verboten. Unser Freund mit der Bombe braucht also nur eine offene Tür zu finden.«

Daraufhin gab die Polizei sämtlichen Hoteldirektionen der Stadt den Rat, die Reinmachefrauen anzuweisen, unbedingt die Zimmertüren abzuschließen und außerdem auf eine kleine, schwarze Schachtel oder andere verdächtige Gegenstände zu achten.

Auf diese Weise landete eine Schachtel bei der Polizei, bevor ein entsprechender anonymer Brief eintraf. Wie später herauskam, war der Brief von der Post verspätet zugestellt worden.

»Ich kann nur inständig hoffen, daß unser Freund seine Aktion im Ernstfall nicht per Post ankündigt«, sagte Cassidy niedergeschlagen. »Auf diese Weise kriegen wir die Warnung nie rechtzeitig.«

Die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen in den Hotels erschwerten dem Bombenbastler seine Arbeit. Es kamen zwar weniger Briefe, aber ganz riß die Serie nicht ab. Und die wachsenden Schwierigkeiten schienen ihn noch wütender zu machen. Er beschimpfte die Banken und sämtliche Finanzinstitute. Die Polizeipsychologen versuchten aus den Briefen ein Psychogramm des Täters zu erstellen, bei sämtlichen Banken erkundigten sich Beamten nach Kunden, denen ein Kredit verweigert worden war und die daraufhin bitter und aggressiv reagiert hatten. Und ein Vergleich der Poststempel auf den anonymen Briefen machte es möglich, das Wohngebiet des Täters wenigstens grob einzugrenzen.

»Wenn er noch lange genug weitermacht, kriegen wir ihn«, behauptete Cassidy.

»Bevor wir ihn aus den mehreren Millionen Bewohnern von Manhattan rausgepickt haben, macht er bestimmt ernst, und dann ist es zu spät«, gab ich zu bedenken.

»Trotzdem kann das noch länger so weitergehen«, entgegnete Cassidy. »Mit jeder fingierten Bombendrohung läßt er Dampf ab, und wenn er sich auf diese Weise abreagiert hat, hört er ganz auf.«

»Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein«, seufzte ich.

Am darauffolgenden Tag kam die Hiobsbotschaft. Ein Polizeibeamter meldete Cassidy aufgeregt, daß ein Mann angerufen und behauptet habe, der anonyme Briefschreiber zu sein.

Cassidy sprang sofort von seinem Stuhl auf, doch der Beamte schüttelte nur den Kopf. »Er hat schon wieder aufgelegt. Wir konnten ihn nicht länger hinhalten. Er will angeblich wieder anrufen. Diesmal sei's ernst, hat er behauptet.«

Es folgten ein halbes Dutzend Anrufe aus verschiedenen öffentlichen Telefonzellen. Der anonyme Bombenbastler behauptete, die Bombe sei gelegt und die Zündung auf fünf Uhr nachmittags, dem Höhepunkt des abendlichen Berufsverkehrs, eingestellt. Als Adresse nannte er das modernste Hotel Manhattans.

»Sie haben genügend Zeit, das Hotel zu evakuieren«, erklärte der Mann mit heiserer Stimme. »Ich möchte nicht, daß irgend jemand zu Schaden kommt. Meine Bombe richtet sich nur gegen Sachwerte, um denjenigen eine Lektion zu erteilen, die Eigentum vor Menschlichkeit stellen.«

Es war kurz nach zwei Uhr nachmittags, als er uns das Ziel des Attentats nannte. Wir hatten zwar noch Zeit, alle Bewohner des Hotels in Sicherheit zu bringen, aber da auch sämtliehe Straßen im Umkreis des Hotelgebäudes für die Einsatzwagen der Feuerwehr freigehalten werden mußten, war damit zu rechnen, daß der Verkehr in Manhattan völlig zum Erliegen kommen würde.

Cassidy, der diesmal am Telefon war, tat sein Bestes. »Hören Sie«, sagte er in jovialem, freundlichem Ton. »Sie sind Idealist. Ein Ehrenmann. Sie wollen vermeiden, daß Menschen zu Schaden kommen. Nehmen Sie mal an, es gelingt uns nicht, rechtzeitig alle zu evakuieren. Wollen Sie das auf Ihr Gewissen laden? Sie brauchen uns nur die Zimmernummer zu sagen, um das zu verhindern. Wenn Sie das tun, dann verspreche ich, daß Ihre Kritik offene Ohren finden wird.«

Der anonyme Anrufer ließ sich nicht einwickeln. »Ich rufe zurück«, lautete seine lakonische Antwort.

Fünfzehn endlose Minuten später kam der Anruf. Das Einsatzkommando der Polizei und mehrere Sprengstoffexperten waren bereits auf dem Weg zu dem betroffenen Hotel.

»Also gut«, ertönte die heisere Stimme am anderen Ende. »Dollars und Cents. Mehr haben die Menschen heutzutage sowieso nicht im Kopf. Dollars und Cents. Wenn Sie den Hinweis nicht verstehen, bin ich für alles weitere nicht mehr verantwortlich. Dann sind Sie dran.« Damit legte er auf.

Cassidy starrte auf den Hörer. »Was zum Teufel hat er damit gemeint?«

Ich hatte das Gespräch über eine Konferenzschaltung mitgehört und sagte knapp: »Unterbrechen Sie die Evakuierung für ein paar Minuten. Die Sprengstoffexperten müßten jetzt am vermeintlichen Tatort sein. Nehmen Sie sofort Verbindung mit ihnen auf. Ich glaube, ich kenne die Zimmernummer. Vielleicht können Ihre Leute die Bombe gleich vor Ort entschärfen.«

Und ich hatte recht. Die Bombe, eine einfache, aber durchaus wirksame Konstruktion, die auch funktioniert hätte, konnte entschärft werden, ohne daß auch nur ein Gast das Hotel verlassen mußte. Den Attentäter haben wir nie gefaßt, aber er hat sich auch nie wieder gemeldet. Offenbar hatte er genug, und da niemand verletzt worden war ...

Griswolds Stimme wurde immer leiser und ging schließlich in sanftes Schnarchen über. »Verdammt, schlaf jetzt bloß nicht ein!« herrschte Jennings ihn aufgebracht an. »Woher hast du die Zimmernummer gewußt? Wie bist du darauf gekommen?«

Ich hielt mich an die bewährte Methode und trat Griswold unsanft auf den Fuß. Diesmal war er jedoch vorbereitet und stieß energisch gegen mein Schienbein.

»Das habe ich euch doch schon gesagt!« antwortete er brummig. »Der anonyme Anrufer hat von >Dollars und Cents< geredet und behauptet, wenn wir das nicht verstünden, seien wir für alles weitere verantwortlich.«

»Das soll der entscheidende Tip gewesen sein?« fragte Baranov ungläubig. »Das war nichts anderes als sein ständiges Gejammere über unsere geldgierige Gesellschaft.«

»Das war vielleicht ein Grund. Trotzdem hatte ich das Gefühl, daß es auch ein Hinweis sein mußte. Der Mann konnte, wie gesagt, offenbar ausgezeichnet Schreibmaschine schreiben, und Leuten, die viel damit zu tun haben, geht die Anordnung der Tastatur in Fleisch und Blut über.«

»Ich kann auch sehr gut tippen«, erklärte ich. »Aber der Hinweis sagt mir gar nichts.«

»Das überrascht mich nicht«, entgegnete Griswold beinahe gehässig. »Aber wenn du unter Zeitdruck stehst und Dollar und Cent tippen sollst, dann benutzt du doch sicher auch die Kürzel S&C, oder?« Er schrieb die Zeichen mit dem Finger in die Luft.

»Auf der Tastatur von IBM-Maschinen findet man die Kürzel durch Umschaltung von drei Zahlentasten. In richtiger Reihenfolge ergeben sie die Zahl 476. Du kannst es jederzeit ausprobieren. Es funktioniert. Aus diesem Grund kam ich auf die Idee, die Sprengstoffexperten in das Zimmer 476 zu schicken. Und dort lag die Bombe.«