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22.Drei Pokale

An jenem Abend war es im Union Club besonders gemütlich. Draußen peitschte der Wind den Regen gegen die altmodischen, hohen Fensterscheiben, während es drinnen angenehm warm war. Griswolds leises, rhythmisches Schnarchen war zeitweise das einzige Geräusch.

Ich versuchte nicht an meinen nassen Regenmantel in der Garderobe und den Heimweg zu denken, für den ich ein Taxi finden mußte.

Schließlich streckte ich faul die Beine von mir und sagte: »Ist euch schon mal aufgefallen, wie verdammt schlecht die Polizei in der Presse immer wegkommt?«

»Bulle, Polizistensau, Polyp«, warf Baranov prompt ein.

»Nein, nein«, entgegnete ich ärgerlich. »Das sind Schimpfworte, die wir alle benutzen, wenn wir wütend sind. Ich meine vorsätzlich, mit kalter Berechnung. Viele Kriminalschriftsteller lassen sämtliche Fälle von besonders scharfsinnigen Privatpersonen lösen. Denkt nur an Figuren wie Sherlock Holmes, Hercule Poirot, Peter Wimsey und so weiter. Die Polizisten sind immer nur Stümper von Scotland Yard.«

Jennings schüttelte den Kopf. »Du bist nicht sehr gut informiert, mein Lieber. Das ist längst überholt. Heutzutage sind wieder tüchtige und intelligente Polizisten >in<. Von Kojac bis Colombo sind es meistens die Polizeibeamten, die die kompliziertesten Verbrechen aufklären. Mittlerweile haben sie eine wesentlich größere Popularität als die Privatdetektive von einst.«

Und damit hatte ich die Bande genau dort, wo ich sie haben wollte. Mit einem Seitenblick auf Griswold, der aufrecht und gerade, das Whiskyglas in der Hand, in seinem Sessel schlief, fuhr ich fort: »Aber nehmen wir Griswold. Er klärt zum Beispiel ständig Fälle auf, die die Polizei angeblich nicht lösen kann. Der alte Gauner meint wohl, wir glauben an das Märchen vom berühmten Griswold, der der Polizei ständig die Arbeit abnimmt.«

Griswold schlug die Augen auf. »Der alte Gauner hält jeden für dämlich, der das glaubt, mein Lieber. Die Polizei tut immer ihre Pflicht. Allerdings besteht Polizeiarbeit zu neunundneunzig Prozent aus mühsamer, tödlich langweiliger Routine. Nur gelegentlich gibt's mal einen Fall, der sich mit brillanter Kombinationsgabe von einem begabten Privatmann lösen läßt. Zum Beispiel...«

Er verstummte und trank einen Schluck Whisky.

»Zum Beispiel...«, wiederholte ich beharrlich.

Die Polizei kann den täglichen Kampf gegen das Verbrechen nicht mit scharfsinnigen Theorien und brillanten Einfällen sozusagen vom Lehnstuhl aus führen - sagte Griswold.

Damit überzeugt man nämlich kein Gericht der Welt. So etwas funktioniert eben nur in Büchern, in denen der Tatverdächtige sofort geständig ist oder sich umbringt, sobald unser Meisterdetektiv ihn mit seiner Theorie konfrontiert. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Da leugnet der Angeklagte beharrlich, und sein Anwalt arbeitet mit allen erdenklichen Tricks. Hat man Richter und Geschworenen in einem solchen Fall nichts als blendende Theorien anzubieten, wird der Angeklagte sicher freigesprochen.

Aus diesen Gründen ist die Polizei gezwungen, in mühsamer Kleinarbeit Beweismittel zusammenzutragen, die vor Gericht bestehen können. Die Beamten vernehmen Zeugen, gehen der Herkunft von Waffen und Dokumenten nach, identifizieren Leichen und versuchen dem Täter auf jede erdenkliche Weise, manchmal sogar mit Hilfe eines Pfandscheins, auf die Spur zu kommen.

Sorgfältige Ermittlungen dauern oft Wochen und Monate und beschäftigen Dutzende von Beamten.

Aber laßt euch eines gesagt sein, das wichtigste Instrument der Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen sind Spitzel und Informanten.

Selbst unserer Regierung gelingt es trotz aller Anstrengungen nie, undichte Stellen im Regierungsapparat zu schließen. Es gibt offenbar immer jemanden, der den Mund nicht halten kann.

Die Motive der sogenannten Informanten sind recht unterschiedlicher Art. Manche fühlen sich benachteiligt und tun es aus Rache, andere brauchen einen Nebenverdienst und verkaufen ihre Informationen so teuer wie möglich, und wieder andere spekulieren darauf, daß die Polizei sich für ihre Spitzeldienste dadurch erkenntlich zeigt, daß sie bei kleineren Gaunereien wie Taschendiebstählen, Mundraub und so weiter, ein Auge zudrückt -vorausgesetzt natürlich, die Informationen sind brauchbar und nützlich.

Die Rolle des strahlenden Helden spielt der Spitzel jedoch nie. Spitzel kommen vor allem in Kriminalgeschichten vor, in welchen scharfsinnige Theorien meistens durch Gewalt ersetzt werden. Sie finden häufig schon in den ersten Kapiteln ein unrühmliches Ende, können jedoch kurz vor ihrem Ableben gerade noch so viel sagen, daß der Inspektor völlig verwirrt ist.

Selbstverständlich passierte es gelegentlich, aber sehr selten, daß die Polizei trotz immensen Arbeitsaufwands auf keinen grünen Zweig kommt, und dann wendet sie sich meistens an mich. Manchmal kann ich sogar helfen, indem ich jene Stecknadel im Heuhaufen finde, die die Polizei aufgrund ihrer Arbeitsüberlastung übersehen hat.

So geschah es auch vor einigen Jahren in der Diamantenschmuggel-Affäre, von der ihr damals sicher in der Zeitung gelesen habt. Wenn nicht, ist das nicht wichtig, denn meine Rolle dabei wurde nie erwähnt.

Der Polizei gelang es einfach nicht, hinter die Transportmethoden der Bande zu kommen. Die Beamten überprüften monatelang sämtliche verdächtige Sendungen aus dem Ausland, ohne auch nur einen einzigen Diamanten zu finden.

Es handelte sich dabei zwar nur um mittelgroße Steine, die jedoch in solchen Mengen ins Land geschleust wurden, daß ihr Gesamtwert inzwischen mehrere Millionen Dollar betrug. Und das Schlimmste war, daß sich der Nachschub einfach nicht unterbinden ließ.

Schließlich suchte mich ein Ermittlungsbeamter des Finanzministeriums auf. Der Mann war sichtlich nervös, denn zu diesem Zeitpunkt war ich wegen einer abfälligen Äußerung über einen hohen Beamten bei der Regierung in Ungnade gefallen.

Da der Beamte dafür natürlich nichts konnte, war ich durchaus bereit, mir seine Geschichte anzuhören und wenn möglich zu helfen. Wie er berichtete, waren die Ermittlungsbehörden durch einen Informanten zum ersten Mal auf eine wirklich interessante Spur gestoßen.

Aus dieser Quelle wußte das Finanzministerium, daß ein Paket aus dem Ausland den Zoll passieren würde, das entweder die Diamanten oder aber Informationen darüber enthalten sollte, wann und wo die Ware eintreffen würde. Mehr wußte der Informant zwar auch nicht, doch auf Grund einiger Fakten war er sicher, daß es sich um eine besonders umfangreiche Sendung handeln mußte.

Das Paket traf tatsächlich zum vermuteten Zeitpunkt beim genannten Zollamt ein, wurde sofort von der Polizei beschlagnahmt und im Polizeipräsidium unter Berücksichtigung sämtlicher Vorsichtsmaßnahmen - man befürchtete nämlich, daß Paket könne eine Bombe enthalten - geöffnet.

Im Paket lagen drei herrliche Pokale aus wertvollem, geätztem Glas. Der Wert der zerbrechlichen Stücke war im vollen Umfang deklariert und der Zoll im voraus vom völlig unverdächtigen Absender bezahlt worden.

»Und sonst war nichts im Paket?« fragte ich. »Nur die Pokale?«

»Nur die Gläser.«

»Keine Diamanten?«

»Kein einziger.«

»Was haben Sie daraufhin gemacht?«

»Natürlich haben wir als erstes die Gläser gründlich untersucht.«

»Dachten Sie, die Diamanten könnten dem Glas im flüssigen Zustand beigemengt worden sein?«

»Nein, natürlich nicht«, wehrte der Beamte kühl ab. »Diamanten sind aus Karbon und oxydieren daher bei hohen Temperaturen. Flüssiges, heißes Glas hätte sie beschädigt. Trotzdem haben wir den Brechungsindex geprüft, um ganz sicherzugehen.«

»War das alles?«

»Nein. Das Glas war geätzt. Deshalb kamen wir auf die Idee, die abstrakten Figuren auf der Glasoberfläche könnten vielleicht eine verschlüsselte Nachricht sein. Aber auch damit hatten wir kein Glück. Die Untersuchung unter dem Lupen-Mikroskop ergab keinerlei Unregelmäßigkeiten in der Symmetrie der Formen, und vollkommene Symmetrie enthält keine Informationen.«

»Die Pokale müssen doch irgendwie eingewickelt gewesen sein«, überlegte ich.

»Ja, selbstverständlich. Sie waren von mehreren Lagen Seidenpapier umgeben, das wir ebenfalls Blatt für Blatt untersucht haben. Wir haben das Papier der Wärme ausgesetzt, es mit dem Vergrößerungsglas überprüft und es im Ultraviolettlicht betrachtet. Fehlanzeige! Selbst unsere Spezialisten für unsichtbare Tinten konnten nichts Ungewöhnliches entdecken.«

»Und die Schachtel?«

»Keine Angst, die ist ebenso sorgfältig überprüft worden wie das Seidenpapier. Wir haben sogar die

Klebestreifen, mit denen das Paket verschlossen war, und sämtliche Aufkleber und Briefmarken sorgfältig vom Karton abgelöst, um festzustellen, ob sich darunter irgendwelche Informationen befanden.«

»Und sie haben natürlich nichts gefunden?« 

»Uberhaupt nichts.«

Ich dachte eine Weile nach und sagte schließlich: »Könnte es nicht sein, daß sich Ihr Informant geirrt oder sogar gelogen hat?«

Der Beamte zog eine Grimasse. »Wir haben ihn natürlich sofort festgenommen und verhört. Er hat beim Grab seiner Mutter geschworen, die Wahrheit gesagt zu haben. Es klang glaubhaft.«

»Vielleicht haben Sie das falsche Paket erwischt?«

»Jede einzelne Angabe des Informanten trifft auf dieses Paket zu. Eine Verwechslung ist ausgeschlossen.«

»Wie groß ist das Paket gewesen?« wollte ich wissen.

»Er war ungefähr vierundzwanzig Zentimeter lang, achtzehn Zentimeter breit und zwölf Zentimeter hoch.«

»Und die Pokale?«

»Sie sind zirka zwölf Zentimeter hoch. Der Kelchdurchmesser beträgt sechs Zentimeter.«

»Ist eines der Gläser angeknackst, zerbrochen oder sonst irgendwie beschädigt gewesen?«

»Nein. Sie sind in tadellosem Zustand«, erwiderte der Beamte vom Finanzministerium.

»Haben Sie das Paket noch in dem Zustand, in dem Sie es erhalten haben?«

»Selbstverständlich«, antwortete der Beamte mit düsterer Miene. »Schließlich müssen wir es jetzt mit irgendeiner Ausrede an den rechtmäßigen Adressaten weiterleiten. Eigentlich hatten wir gar nicht das Recht, es zu öffnen.«

»Sie hatten keinen Durchsuchungsbefehl?«

»Nein.«

»Tja, machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Es ist immerhin möglich, daß ich Ihre Diamanten finde.«

Und so geschah es. Sicher habt ihr längst erraten, wo ich sie entdeckt habe. Es war eben einer jener seltenen Fälle, in denen ein brillanter Augenblickseinfall die mühselige Kleinarbeit der Polizei in den Schatten stellt.

Griswold trank einen Schluck aus seinem Glas und lehnte sich entspannt im Sessel zurück.

»Wo waren die Diamanten, Griswold!« riefen wir wie aus einem Mund.

Griswold sah uns überrascht an. »Kaum zu glauben«, murmelte er. »Habt ihr nun mitgekriegt, daß ich den Ermittlungsbeamten nach den Maßen des Pakets und seines Inhalts gefragt habe oder nicht? Hätte man Pokale dieser Größe ohne Füllmaterial in ein Paket mit den besagten Maßen gesteckt, wären sie ganz schön durchgeschüttelt worden und sicher zerbrochen. Das Seidenpapier allein hätte das zerbrechliche Glas wohl kaum geschützt.

Da die Pokale jedoch bei Ankunft des Pakets völlig intakt gewesen waren, konnte das nur bedeuten, daß eine aufwendige Verpackung benutzt worden war. Wie ihr vermutlich wißt, wird heutzutage Füllmaterial aus Plastik oder Schaumstoff verwendet. Ich mag zum Beispiel am liebsten die kleinen Plastikdinger, die wie Erdnüsse aussehen.

Allerdings neigt man dazu, das Verpackungsmaterial völlig zu übersehen. Die meisten kippen es einfach weg. Ich allerdings habe es mir in diesem Fall ganz genau angesehen, jedes Plastikteilchen überprüft und festgestellt, daß die meisten aufgeschnitten und wieder zugeschweißt worden waren. Als wir ein Plastikstück geöffnet haben, kam darin ein Diamant zum Vorschein.

Und wir haben mit diesem Paket reiche Beute gemacht, glaubt mir.«