126391.fb2 Seite 13 und andere Geschichten aus dem Union Club. - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 27

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25. Die Lady aus Dallas

Das Rascheln von Jennings Zeitung klang in der vornehmen Atmosphäre des Union Club beinahe anstößig, doch Jennings mußte damit offenbar seinem Arger Luft machen.

»Beim jüngsten Bombenanschlag der IRA sind fünf Pferde getötet worden«, verkündete er gereizt. »Den Attentätern muß von Anfang an klar gewesen sein, daß die Tiere daran glauben müssen. Weshalb sollen Pferde für den unsinnigen Fanatismus der Menschen büßen?«

»Das war doch schon seit den Anfängen der Kavallerie so«, entgegnete Baranov gelangweilt.

»Solange die Menschheit glaubt, es sei lohnend, sich wegen lächerlicher kultureller Unterschiede umzubringen ...«, begann ich.

»Es passiert doch seit fünftausend Jahren, also seit Beginn der Geschichte der Menschheit«, unterbrach Baranov mich. Das tat er gern in dem Augenblick, da ich einige Perspektiven zurechtzurücken versuchte. »Und daran ist auch in Zukunft nichts zu ändern.«

Jennings raschelte erneut mit seiner Zeitung. »Israel im Libanon, der Iran im Irak, Bürgerkrieg in Honduras und El Salvador, die Welt ist voller Terroristen ... «

»Ein einheitliches Konzept gegen Unwissenheit und Elend, und die wahren Feinde ...«, versuchte ich es wieder.

»Aber was können wir mittlerweile dagegen tun?« fiel Baranov mir erneut ins Wort.

Griswold, der mühsam in seinem berühmten Halbschlaf versucht hatte, ein Bein über das andere zu schlagen, brummte ärgerlich und sagte: »Mittlerweile sollte jeder einzelne das tun, was er tun kann, wenn sich eine Gelegenheit bietet.«

»So wie du, natürlich«, bemerkte ich mit beißendem Sarkasmus.

»Ja, gelegentlich ist mir das mit meinen bescheidenen Mitteln gelungen«, erwiderte er, schlug die Augen auf und starrte mich an.

Besonders peinlich und belastend ist der Unruheherd Nordirland für Amerika - begann Griswold. Einerseits ist Großbritannien unser engster Verbündeter, andererseits lebt in unserem Land eine große Zahl politisch aktiver und mächtiger Amerikaner irischer Abstammung. Aus diesem Grund kann die amerikanische Regierung praktisch nichts für die eine Seite tun, ohne damit die andere zu brüskieren. Selbst fromme Wünsche können in diesem Zusammenhang mißverstanden werden.

Obwohl jeder weiß, daß die Irisch-republikanische Armee zum großen Teil Geld und Waffen aus den Vereinigten Staaten erhält, muß unsere Regierung alles tun, um wenigstens nach außen hin den Schein zu wahren. Großbritannien hat das natürlich längst durchschaut und ist, inoffiziell versteht sich, verbittert, was die amerikanische Regierung wiederum veranlaßt, die Hilfe für Nordirland aus unserem Land möglichst einzuschränken.

Der Chef der Abteilung mußte mir das alles nicht erst erklären, als er eines Abends nach dem Essen zu mir ins Büro kam. Ich kannte den Sachverhalt.

»Von Amerika aus werden Waffen über neue Kanäle nach Irland geschleust«, sagte er. »Das müssen wir unbedingt unterbinden. Wir können terroristische Aktionen, aus welchen Gründen auch immer, nicht dulden.«

»Kommt denn von der irischen Regierung Unterstützung?«

»Offiziell natürlich nicht«, antwortete er.

Ich nickte. Auch die Haltung der Republik Irland war durchaus verständlich. Die dortige Regierung wollte unbedingt vermeiden, daß der Terror auch auf ihr Staatsgebiet übergriff. Sie mußte daher versuchen, die Hitzköpfe der IRA in Zaum zu halten, ohne nach außen hin den Eindruck zu er-wecken, mit den britischen Unterdrückern von einst gemeinsame Sache zu machen.

»Ich nehme an, daß Sie noch nicht feststellen konnten, auf welchem Weg die Waffen nach Irland gebracht werden, und sind deshalb zu mir gekommen«, sagte ich zum Chef.

»Ich bin hier, um ihnen das hier zu zeigen«, entgegnete er steif und faltete ein Blatt Papier auseinander. Es war die Kopie eines Zettels, und darauf standen in Druckbuchstaben die folgenden fünf Zeilen:

»Es war mal 'ne Lady mit Namen Alice, die trank gern und häufig ein Helles. Dann nannte sie Affen und dumme Großstadtlaffen, die Leute aus Houston und Dallas.«

Einige Buchstaben waren mit Schnörkeln verziert, und am Blattrand waren einige Kritzeleien zu sehen.

»Der Autor stammt vermutlich aus dem Nordosten oder dem Mittelwesten, was?« murmelte ich.

»Aus Boston.«

»Und mit diesen Zeilen wollte er seiner Verachtung für die Großstädte in Texas Ausdruck verleihen.«

Der Chef der Abteilung machte eine abwehrende Handbewegung. »Das spielt keine Rolle, Griswold.

Wichtig ist nur, daß die Zeilen von einem unserer Agenten stammen, dem es gelungen war, bis in den engen Kreis derer vorzudringen, die den Nachschub für die IRA organisieren. Wir haben Grund zu der Annahme, daß er herausgefunden hatte, auf welchem Weg die Lieferungen nach Irland gelangen.«

»Aber offenbar können Sie ihn danach nicht mehr fragen, was?«

»Richtig. Er ist tot.«

»Hm«, murmelte ich. »Wo haben Sie das Blatt Papier gefunden?«

»In seinem Hotelzimmer. Er muß es am Abend vor seinem Tod geschrieben haben und zwar während einer Besprechung mit den Mittelsmännern, die den Waffenschmuggel organisieren. Wir haben eindeutige Hinweise, die in diese Richtung weisen. Drei Stunden später oder so war unser Mann tot.«

»In seinem Hotelzimmer?« Als mein Chef nickte, fuhr ich fort: »Könnte der Täter vielleicht ein Einbrecher gewesen sein, der mit der Sache gar nichts zu tun hatte?«

»Unwahrscheinlich. Wir glauben nicht an Zufälle. Das Zimmer ist durchsucht worden, und offenbar hat der Mörder auch gefunden, was er haben wollte. Jedenfalls konnten wir nichts entdecken, das uns geholfen hätte - bis auf das Blatt Papier mit den Versen. Es lag zusammengefaltet unter einem Fuß der altmodischen Badewanne. Unser Mann könnte es dort versteckt haben, als er merkte, daß seine Freunde ihn entlarvt hatten und hinter ihm her waren.«

»Ja, glaubte er denn, die fünf Zeilen könnten Ihnen weiterhelfen? Inwiefern?«

»Wir wissen, daß er sich ständig durch irgendwelche äußeren Anregungen zu Kritzeleien verleiten ließ. Das war eine Macke bei ihm. Wir vermuten daher, daß während der Besprechung mit den Waffenschmugglern eine Bemerkung wie zum Beispiel >Alice aus Dallas< gefallen ist, und ihn veranlaßt hat, das seltsame Gedicht zu schreiben.«

Ich dachte eine Weile nach. »Alice aus Dallas? Was sollte das aussagen? Wie es in dem Gedicht heißt, ist Dallas eine Großstadt, und es muß dort mehrere tausend Frauen mit dem Namen Alice geben. Alice ist kein seltener Name.«

»Sie haben vollkommen recht«, stimmte der Chef zu. »Aber wir tappen offen gestanden nicht ganz im dunkeln. Aufgrund unserer Informationen konnten wir die Möglichkeit einigermaßen eingrenzen. Trotzdem hat uns die Spur >Alice aus Dallas< nichts gebracht.«

»Aber es war schließlich nicht der einzige Hinweis.«

»Nein. Unser Agent erwähnte zwei Städte. Wir mußten also auch die andere in unsere Suche miteinbeziehen.«

»Houston? Das ist noch größer als Dallas. Falls diese Stadt gemeint war, was ist dann aus der >Alice aus Dallas< geworden, die den Autor zu seinem Vers inspiriert hat?«

»Es ist nicht gesagt, daß eine >Alice aus Dallas< der Anlaß zu diesem Gedicht war. Im Lauf des Gesprächs könnte ebensogut eine >Alice aus Houston< erwähnt worden sein, und unser Mann dachte automatisch, daß sich Alice im Englischen besser auf Dallas reimen würde.«

»Dann nehme ich an, daß sie Houston gründlich unter die Lupe genommen haben.«

»Selbstverständlich. Zufällig sind diese zwei Städte kaum Hochburgen der IRA-Sympathisanten, was uns die Aufgabe erleichtert hat. In New York oder Boston hätten wir uns schwerer getan.«

»Und haben Sie in Houston etwas entdeckt?«

»Nein, nichts.«

»Dann ist der Vers vermutlich bedeutungslos«, erklärte ich.

»Das wollen wir einfach nicht glauben«, beharrte der Chef. »Unser Agent hatte den Zettel unter die Badewanne geschoben. Das kann doch nur bedeuten, daß dies eine Information für uns sein sollte. Nur welche?«

»War die Rückseite des Zettels ebenfalls beschriftet?« wollte ich wissen.

»Nein.«

»Gab es Anzeichen für...«

»Es wurde auch keine unsichtbare Tinte verwendet«, schnitt der Chef der Abteilung mir das Wort ab. »Unser Mann hätte doch unmöglich während einer wichtigen Besprechung mit unsichtbarer Tinte eine Nachricht schreiben können. Vermutlich hat ihm schon das bedeutungslose Gekritzel auf dem Zettel hier den Kopf gekostet.«

»Was ist mit den Schnörkeln und den Kritzeleien? Könnten sie eine Bedeutung haben?«

»Wir konnten jedenfalls darin keine erkennen. Sie vielleicht?« Er hielt mir das Blatt Papier unter die Nase.

»Nein«, mußte ich zugeben. »Sie wissen so gut wie ich, daß der Zettel möglicherweise völlig unwichtig ist«, fuhr ich fort. »Vielleicht hat er den Vers zum harmlosen Zeitvertreib geschrieben, ihn anschließend in den Papierkorb geworfen, den Papierkorb aber verfehlt, so daß der Zettel unter der Badewanne gelandet ist.«

Mein Besucher musterte mich ärgerlich. »Selbstverständlich besteht diese Möglichkeit. Aber wir können es dabei einfach nicht bewenden lassen. Wenn die IRA eine neue Waffenlieferung aus Amerika erhält, dann setzen die Briten die Regierung ... und die Regierung setzt uns unter Druck. Ich will verhindern, daß unsere Abteilung einen Rüffel bekommt. Außerdem hänge ich an meinem Job.«

»Was haben Sie also vor?«

»Im Augenblick bleibt mir nichts anderes übrig, als die zwei genannten Großstädte erneut unter die Lupe zu nehmen. Natürlich haben wir die Suche nicht aufgegeben, aber ich brauche unbedingt einen neuen Anhaltspunkt. Wir müssen irgend etwas übersehen haben. Das Wort >Großstadtlaffen< könnte doch zum Beispiel eine Bedeutung haben. Finden Sie nicht?«

»Wie wär's mit dem Namen einer dritten Stadt?«

»Was soll das?« Der Chef der Abteilung riß mir das Blatt Papier aus der Hand. »Glauben Sie, aus einigen Buchstaben ließe sich der Name einer dritten Stadt bilden?«

»Nein, das würde ich nicht sagen«, wehrte ich ab. »Die Sache ist viel einfacher und eindeutiger.«

»Ich verstehe kein Wort.«

Ich erklärte ihm meine Theorie. Als ich geendet hatte, starrte er mich entgeistert an und schnaubte: »Das ist ja lächerlich.«

»Das können Sie halten, wie Sie wollen«, erwiderte ich.

Daraufhin stürmte er aus meinem Büro. Was danach geschah, hat er mir nie gesagt, und ich tat ihm natürlich auch nicht den Gefallen zu fragen. Durch Freunde in der Abteilung weiß ich jedoch, daß zu diesem Zeitpunkt keine Waffenlieferung für Irland die Vereinigten Staaten verließ. Daraus schloß ich, daß die von mir erwähnte dritte Stadt tatsächlich die dringend benötigte Spur war, und daß dort eine Person mit Namen oder Codenamen »Alice« die Fäden in der Hand hielt. Ich hatte also vermutlich wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen und geholfen, den Waffennachschub zu unterbinden. Aber das ist ja nicht sehr verwunderlich.

Griswold trank mit selbstgefälliger Miene sein Glas aus.

»Weshalb macht ihr so verdutzte Gesichter?« erkundigte er sich.

»Wir sind nicht verdutzt«, widersprach Baranov. »Nur amüsiert. Diesmal hast du dich in dein eigenes Lügengespinst verheddert.«

»In diesem Vers kommt überhaupt keine dritte Stadt vor«, warf Jennings ein.

»Und das weißt du ganz genau«, ergänzte ich.

»Ich habe nie behauptet, daß sie in dem Vers tatsächlich erwähnt wird«, entgegnete Griswold. »Ich habe den Chef lediglich gefragt, ob ihm der Name einer dritten Stadt vielleicht weiterhelfen würde.«

»Welche dritte Stadt?« erkundigte ich mich.

»Auf dem Zettel, mein Freund, stand nicht einfach nur ein harmloser Vers oder ein Gedicht. Es war ein Limerick.«

»Was denn sonst?« bemerkte Jennings. »Das haben wir längst kapiert.«

»Aber Limerick ist nicht nur die Bezeichnung für eine bestimmte Gedichtart, Limerick ist auch eine Stadt in Irland und zwar eine bedeutende Hafenstadt im Südwesten an der Mündung des Shannon. Die besondere Gedichtart ist nach der Stadt benannt worden, obwohl der Ursprung der Versform nicht eindeutig zu ergründen ist. Wenn demnach der Agent die anderen von einer >Alice aus Limerick< hatte reden hören, die eine wichtige Rolle im Waffengeschäft spielte, dann konnte ihn das durchaus dazu inspirieren, einen Limerick über Alice zu schreiben. Und genau das ist offenbar geschehen.«