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4. Im Visier

In unserer Zeit spricht man wohl überall über den Terrorismus - sogar in den heiligen Hallen des Union Club. Es überraschte daher niemanden, als Jennings fünf emotionsgeladene Minuten lang über die Gefahren vom Leder zog, denen wir alle ausgesetzt waren, weil Terroranschläge nie nach einem berechenbaren System durchgeführt wurden.

Als Jennings schließlich die Luft ausgegangen war, meldete sich Baranov zu Wort. »Nun mal sachte, alter Junge. Der Blitz schlägt nur in die hohen Türme, wie man so sagt. Keiner von uns ist eine so wichtige Persönlichkeit, um für diese Leute interessant zu sein.«

»Manchmal trifft es auch ganz unschuldige Opfer«, warf ich ein. »Das hat Jennings vermutlich gemeint.«

Baranov schnaubte verächtlich. »Ein Autounfall kann jedem passieren. Trotzdem regt sich deshalb niemand auf. Man tut eben sein Bestes, um zu überleben.«

In diesem Moment kam Bewegung in Griswold. Ein erstes Anzeichen war das Klirren der Eiswürfel in seinem Glas Scotch mit Soda. Als nächstes schlug er ein Auge auf und blies durch seinen prächtigen weißen Schnurrbart.

»Es mag schon sein, daß der Blitz nur in die hohen Türme schlägt...« Es verwunderte uns immer wieder, wie genau er jedes unserer Worte verfolgte, auch wenn er tief zu schlafen schien. »... Und ihr drei seid deshalb verhältnismäßig sicher. Aber ich bin vor einigen Jahren Ziel einer terroristischen Drohung gewesen. Es war genaugenommen 1969 ...«

»Ich glaube, es gibt heute gedünsteten Lachs zum Abendessen«, warf ich hastig ein, doch Griswold hatte mittlerweile beide Augen geöffnet, deren eisblaue Pupillen uns magisch in unseren Sesseln hielten.

Es war 1969 - begann Griswold - in jenem schwarzen Jahr für prominente Amerikaner. Robert Kennedy und Martin Luther King waren vor gar nicht langer Zeit auf offener Straße erschossen worden, und ich hatte bereits das Gefühl, ich könnte der nächste sein. Ich hatte damals mit Dingen zu tun, über die ich selbst heute noch nicht sprechen darf. Aber welche Geheimhaltung funktioniert schon perfekt? Und ich hatte mir Feinde gemacht.

Zu der allgemein gespannten Lage kam noch die Unruhe an den amerikanischen Universitäten hinzu. In Anbetracht dessen mußte eigentlich jedem klar sein, daß der Topf eines Tages überkochen würde.

Ausgerechnet im Mai jenes Jahres sollte ich von einer Universität in Connecticut - den Namen habe ich vergessen - die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen.

Zwei Tage vor der feierlichen Veranstaltung erhielt der Präsident dieser Universität einen anonymen Brief, in dem er kategorisch aufgefordert wurde, mir die Ehrendoktorwürde aufgrund meiner undurchsichtigen Rolle im Vietnamkrieg nicht zu verleihen. Falls die Veranstaltung nicht abgesagt, und ich trotz aller Warnungen dort erscheinen würde, würde man mich umbringen. Im Brief hieß es wörtlich: »Falls dieses Ungeheuer bei der feierlichen Verleihung seinen großen Auftritt bekommt, kann mich nichts und niemand davon abhalten, ihn aufs Korn zu nehmen und abzudrücken.«

Am Ende des Briefes versicherte der anonyme Verfasser dem Präsidenten, daß außer mir niemand zu Schaden kommen würde, was für mich kaum tröstlich war.

Der Präsident behandelte den Brief streng vertraulich, zeigte ihn nur mir und schlug vor, ich solle eine Erkrankung vorschützen, um der gefährlichen Konfrontation mit dem Attentäter aus dem Weg zu gehen. Die Ehrendoktorwürde sollte mir dann in Abwesenheit verliehen und die Urkunde per Post zugeschickt werden.

Mir war sofort klar, daß es der Präsident war, der dieser Konfrontation aus dem Weg gehen wollte, was wiederum den Don Quichotte in mir weckte. Falls er den Feigling mimen wollte, war das seine Sache. Ich dachte gar nicht daran.

Außerdem sah ich nicht ein, weshalb ich auf meinen Teil von Ruhm und Ansehen, so verschwindend gering er auch sein mochte, verzichten sollte. Vor allem hatte ich während des Vietnamkriegs nichts getan, das irgendeine Empörung gerechtfertigt hätte. Meine Mission dort war nur eine Tarnung meiner eigentlichen Aufgaben im Nahen Osten nach dem Sechs-Tage-Krieg gewesen.

Im übrigen glaubte ich nicht, daß der Brief ernst zu nehmen war. Das sagte ich dem Präsidenten auch offen und teilte ihm mit, daß ich mich nicht bluffen lassen wolle.

»Bluff?« fragte er nervös. »Sie halten das für einen Bluff? Wie kommen Sie darauf?«

»Weil unser Freund das Attentat angekündigt hat, Sir«, erwiderte ich mit donnernder Stimme. »Oder glauben Sie, Lee Harvey Oswald oder Sirhan Sirhan hätten ihren Opfern zur Warnung nette Briefchen geschickt? Der Absender dieses Wischs möchte lediglich die feierliche Veranstaltung stören und mich demütigen. Da mache ich nicht mit.«

Der Präsident schüttelte den Kopf. »Aber wir können die Sache doch nicht einfach als üblen Scherz abtun. Wenn wir den Brief einfach ignorieren, keine Vorsichtsmaßnahmen treffen und Sie dann erschossen werden ... Nicht auszudenken, was passiert, falls danach die Existenz dieses Briefes bekannt wird. Meine Position ...«

»... wäre in diesem Fall wesentlich angenehmer als meine«, unterbrach ich ihn ironisch. »Weshalb wollen Sie es also nicht riskieren, wenn ich dazu bereit bin?«

»Weil ich nicht nur für mich, sondern für die Universität Verantwortung trage, mein lieber Griswold«, entgegnete der Präsident. »Vielleicht ist dieser Brief nur in einer momentanen Wut geschrieben worden. Wenn wir ihn jetzt allerdings ignorieren, fühlt sich der Absender möglicherweise ähnlich wie Sie in seinem Stolz gekränkt und macht tatsächlich den Versuch, Sie umzubringen - auch wenn er das eigentlich gar nicht vorhatte.«

Ich überdachte kurz die Situation und glaubte sie zu durchblicken; ich war mir jedoch bewußt, daß ich mich täuschen konnte. »Also gut«, sagte ich schließlich. »Treffen Sie die nötigen Vorsichtsmaßnahmen.«

»Aber mein lieber Griswold«, erwiderte der Präsident. »Das dürfte kaum genügen. Vorsichtsmaßnahmen stören die Universitätsfeierlichkeiten doch genauso. Ich müßte überall auf dem Gelände Wachmänner aufstellen, meine sämtlichen Studenten samt Eltern und Freunden nach versteckten Waffen durchsuchen lassen. Damit wäre der Ablauf der Feier auf Stunden hinausgezögert. Es wäre besser...«

»Unsinn«, fiel ich ihm ins Wort. »An der Hälfte aller unserer Universitäten werden in diesem Jahr die Prüfungsfeierlichkeiten nicht störungsfrei ablaufen. Das Publikum wird die Anwesenheit von Wachmännern sicher als angemessene Vorsichtsmaßnahme hinnehmen, die einem dazu noch einen willkommenen Nervenkitzel verschafft. Wenn Sie wirklich glauben, jemand könne ein Präzisionsgewehr mit Zielfernrohr aufs Universitätsgelände schmuggeln, dann ist Ihre Aufgabe verhältnismäßig einfach. Eine derartige Waffe läßt sich nämlich kaum verstecken. Die Wachmänner brauchen nur auf lange Schachteln, verdächtige Spazierstöcke, Krücken, Angelruten oder sämtliche längliche, schmale Gegenstände zu achten. Da es laut Wetterbericht am Sonntag schön und heiß werden soll, und sich jeder, der einen Mantel oder Ahnliches trägt, verdächtig machen würde, muß die Waffe in irgendeiner Hülle mitgebracht werden.«

»Die Examensklasse hat traditionsgemäß lange schwarze Talare an ... «

»Aber die jungen Leute gehen einer hinter dem anderen in einer langen Reihe, und wer ein Gewehr unter dem Talar trägt, müßte durch einen steifen Gang auffallen«, entgegnete ich. »Dasselbe gilt natürlich für den Lehrkörper und uns beide. Im übrigen sollten Sie die Instrumentenkästen des Orchesters überprüfen, um sicher zu sein, daß sie nur Musikinstrumente enthalten.«

Kurz gesagt, ich habe ihn abgelenkt und beschäftigt. Keinen Augenblick lang habe ich den Verdacht gehabt, jemand könnte versuchen, ein Gewehr auf das Universitätsgelände zu schmuggeln, um damit auf mich zu schießen. Ich glaubte zu wissen, womit ich rechnen mußte. Trotzdem hielt ich es für angebracht, den Präsidenten mit routinemäßigen Vorsichtsmaßnahmen zu beschäftigen. Das sollte als nützliche Ablenkung dienen. Außerdem mußte ich, wie gesagt, damit rechnen, daß ich mich täuschte.

Zwei Tage später betrat ich am Ende der langen Schlange von Studenten und Professoren an der Seite des Präsidenten den Hof der Universität. Es war, wie vorausgesehen, ein heißer strahlender Sommertag. Die Studenten hatten in ihren schwarzen Talaren und mit den dunklen Mützen auf den Köpfen vor ihren Sitzen Aufstellung genommen. In den dicht besetzten Reihen der Zuschauer waren nur glückliche Menschen zu erkennen, deren bunte Kleidung ein farbenfrohes Muster ergab. Das Geviert der Zuschauer war von Hunderten von Amateurfotografen umlagert, die darauf warteten, die hoffnungsvollen Universitäts absolventen im Augenblick der Ubergabe der Diplome oder beim feierlichen Abzug vom Podium zu fotografieren. Offenbar angelockt von meiner beeindruckenden Erscheinung knipsten einige sogar mich.

Es war kaum zu übersehen, daß der Präsident einen ungewöhnlich großen Abstand zu mir hielt. Offenbar rechnete er mit einem Schuß aus dem Hinterhalt und wollte vermeiden, eines jener häufigen zufällig am Tatort anwesenden unschuldigen Opfer zu werden.

Vom Podium aus schweifte mein Blick über die Zuschauer. Mehr denn je war ich in diesem Moment davon überzeugt, daß der Attentäter nicht aus den Reihen der Zuschauer auf mich schießen würde, daß es ihm nicht gelingen würde, mich unbemerkt von dort »aufs Korn zu nehmen«, wie er es in seinem Brief angekündigt hatte. Sollte er die Absicht haben, mit einem Gewehr auf mich anzulegen, dann mußte er das von einem ungestörten Ort aus tun, wo er in Ruhe zielen konnte ... Oswald hatte das beim Attentat auf Kennedy schließlich perfekt vorexerziert.

Ich sah mich nach einem geeigneten Fenster um, konnte jedoch keines entdecken. Das Podium war auf der Rückseite ganz, und an den Seiten zumindest teilweise abgeschirmt, und vor uns befanden sich nur die Zuschauer, deren Reihen bis zum Zaun des Sportplatzes reichten; dahinter erstreckte sich nichts als strahlend blauer Himmel.

Im Vordergrund erkannte ich Festordner, Fotografen und Reporter. Letztere hatten eine gewisse Hektik in die Szene gebracht. Das allerdings konnte mir nur recht sein. Unter den Fotografen befand sich nämlich einer meiner Leute, der genau wußte, worauf er achten mußte, und den ich, unbemerkt von allen anderen, eingeschmuggelt hatte. Irgendwo mußten inzwischen in der Umgebung der Zuschauerreihen auch die Wachmänner des Präsidenten Aufstellung genommen haben, die wiederum ich nicht kannte.

Der Präsident hielt eine Rede, der Universitätsgeistliche bat um den Segen Gottes, einer der Studenten verlas verlegen eine kurze Ansprache, dann erhob ich mich von meinem Platz, während der Präsident in einer Laudatio die Verleihung der Ehrendoktorwürde an meine Person rechtfertigte. Nachdem der formelle Teil vorüber war, bekam ich eine Mütze aufgestülpt. Alle anderen traten zurück. Ich stand plötzlich allein auf dem vorderen Teil des Podiums, wo ich meine zwanzigminütige Dankesrede halten sollte.

Das waren die entscheidenden Minuten. Hatte der mögliche Attentäter tatsächlich die Absicht, mich umzubringen, dann mußte er es jetzt tun, falls er ein ehrliches Interesse daran hatte, außer mir niemanden zu verletzen. Ich stand allein - oder so gut wie allein - vor dem Publikum, denn die anderen hatten sich hinter mir auf ihre Plätze gesetzt. Wenn eine für meinen Kopf bestimmte Kugel mich verfehlte, dann konnte sie auf diese Weise niemanden anderen treffen.

Ich konnte jetzt nur noch auf einen Fehlschuß hoffen - oder noch besser: daß er an der Ausführung seines Plans gehindert wurde.

Vor mir lag das Manuskript meiner Rede, doch ich würde improvisieren müssen, um während der Ansprache das Publikum keinen Moment aus den Augen zu verlieren. Das allerdings war problematisch. Auf diese Entfernung war es praktisch unmöglich, die entscheidende Bewegung des Attentäters zu erkennen. Sobald ich nämlich das Geräusch eines Schusses hörte, war es bereits zu spät.

Diesen Teil mußte ich folglich den Wachmännern überlassen. Ich dagegen nahm mir vor, mich auf das zu konzentrieren, was sich unmittelbar vor mir abspielte. Ansonsten vertraute ich auf meinen Freund, den ich seitlich vor mir entdeckte. Zwei Augenpaare sahen besser als eines.

»Nehmen wir es als eine dankenswerte Erscheinung, meine Damen und Herren«, begann ich in bestechend flüssigem Stil, »daß die Welt von heute nicht satte Bequemlichkeit von uns fordert, sondern daß diese konfliktreiche Zeit uns vor schwere Aufgaben stellt, die ...«

Bei den Worten »konfliktreiche Zeit« entdeckte ich den Attentäter, und mein Freund im Publikum tat es ebenfalls. Ich konnte auf das verabredete Zeichen verzichten, denn er handelte sofort.

Der Attentäter wurde so geschickt und unauffällig an seinem Vorhaben gehindert und abgeführt, daß wohl nicht einmal der Präsident etwas davon bemerkt haben dürfte. Ich beendete meine Rede gelassen, selbstbewußt und mit der inneren Befriedigung, mir der Bewunderung des Präsidenten angesichts meiner Selbstbeherrschung im Augenblick höchster Gefahr sicher sein zu dürfen. Erst später erfuhr er natürlich, daß zu diesem Zeitpunkt die Gefahr bereits abgewendet worden war.

Bis dahin mußte ich jedoch auf dem Podium sitzen bleiben und die dann folgende endlose Prozedur der Überreichung der Diplome über mich ergehen lassen. Es war alles furchtbar langweilig -sehr ...

Griswolds Glas war zu diesem Zeitpunkt leer, so daß wir diesmal keine Gewissensbisse hatten, ihn wachzurütteln.

»Wie zum Teufel hast du den Schützen entdeckt?« wollte ich ärgerlich wissen. »Wo war er denn? Und wie konnte er unbemerkt das Gewehr auf das Universitätsgelände schmuggeln? Wodurch hat er sich verraten?«

Griswold schien Mühe zu haben, sich auf die Fragen zu konzentrieren. Schließlich murmelte er: »Was für ein Gewehr? Ich habe euch doch deutlich genug zu verstehen gegeben, daß ein Gewehr als Tatwaffe gar nicht in Frage kam. Ich habe von Anfang an nicht erwartet, daß ein Gewehr auf mich gerichtet würde. Dieser Möchte-Gern-Attentäter sprach in seinem Brief davon >mich aufs Korn zu nehmen und abzudrückend In unserer Sprache kann sich diese Ausdrucksweise sowohl auf eine Schußwaffe als auch auf einen Fotoapparat beziehen, und auf einer Examensfeier sieht man stets Hunderte von Kameras. Jeder bringt seine Fotoausrüstung mit. Aus diesem Grund habe ich die Personen in der Reihe direkt vor mir aufmerksam beobachtet. Als schließlich ein Mann die Kamera hob und auf mich richtete, der zuvor noch kein einziges Bild gemacht hatte, hat mein Freund dies sofort gemerkt und ihn sich geschnappt.«

»Soll das heißen, daß er dich bloß fotografieren wollte?« fragte Jennings verwundert.

»Nein, nicht ganz«, antwortete Griswold. »Hätte er die Chance gehabt, auf den Auslöser zu drücken, wäre ein Giftpfeil auf mich abgeschossen worden.

Dieser hätte mich wahrscheinlich verfehlt, aber wenn er getroffen hätte, wäre ich sicher tot gewesen. Der Täter wurde zur Beobachtung in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo er, soviel ich weiß, noch heute ist... «