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Bisher sind fünf Phasen identifiziert worden, in denen eine große Zahl von Gattungen ausgestorben ist. Benannt wurden sie nach der jeweiligen geologischen Epoche. Im Einzelnen sind das: die Umwälzungen des Ordovicium, die vor 439 Millionen Jahren das Verschwinden von 85 Prozent aller Gattungen mit sich brachten; es folgten die Vernichtungen in den Zeitaltern Devon, Perm und Trias und schließlich die der Kreidezeit, die das Ende der Saurier bedeuteten.
Jeder einzelne dieser Prozesse hatte seine spezifischen Merkmale, und noch ist nicht restlos geklärt, wodurch sie ausgelöst wurden. Allerdings besteht Einigkeit darüber, dass meistens Kometen- oder Asteroideneinschläge die Wende zum nächsten Zeitalter einleiteten.
Das Massenaussterben im Perm, bei dem 95 Prozent aller Gattungen verschwanden, war die schlimmste dieser Katastrophen. Geologische Spuren lassen vermuten, dass es durch eine extreme globale Erwärmung ausgelöst wurde, die sich über eine längere Periode hinweg anbahnte. Wie bei den anderen Katastrophen ging dem Höhepunkt ein Absinken des Meeresspiegels voraus. Dieser Prozess fand etwa zwei Millionen Jahre davor statt und leitete eine lang andauernde Auflösung der Biosphäre ein, die zum Aussterben von immer mehr Tierarten führte.
Am Scheitelpunkt des Perm begannen die Thecodonten, Vorläufer der späteren Säugetiere, in einem verzweifelten Versuch, der Hitze zu entrinnen, sich in die Erde zu graben. Ihre Fossilien sind in der südafrikanischen Karroo-Wüste in Tunnels gefunden worden, in denen sie vor ungefähr 250 Millionen Jahren verendet waren. Das Aussterben in der Kreidezeit, dem auch die Saurier zum Opfer fielen, vernichtete ungefähr drei Viertel allen Lebens.
Wie muss man sich die Bedingungen vorstellen, die so viele Gattungen verschwinden ließen? Auf der einen Seite gibt es seit jeher die Vorstellung von einer plötzlichen Katastrophe, die quasi über Nacht eine Massenvernichtung herbeiführte. Doch tatsächlich wurde das Aussterben wohl eher durch eine Kombination aus klimatischem und geologischem Wandel bedingt, der sich schrittweise zu einer dramatischen Krise auswuchs. So scheint das Aussterben im Perm erst aufgetreten zu sein, als geologische Veränderungen die Meeresströmungen blockierten, worauf erst in den Meeren und dann in der Luft ein Stillstand eintrat. Dieser Vorgang spielte sich wahrscheinlich im Laufe von Hunderttausenden von Jahren ab. Parallel dazu starben Lebewesen in immer kürzeren Abständen aus. Diese Entwicklung erreichte schließlich ihren Höhepunkt, als die Meere sich so stark erwärmten, dass sämtliches Plankton abstarb und mit ihm das zentrale Bindeglied in der Nahrungskette verschwand.
Dass dieser Wendepunkt abrupt eintrat, belegen die vielen Fischfossilien aus dieser Zeit. Weil oft die Überreste ganzer Schwärme gefunden wurden, liegt der Schluss nahe, dass diese Tiere auch zusammen gestorben sind – in diesem Fall vermutlich an Erschöpfung, verursacht durch Überhitzung, Sauerstoff- und Nahrungsmangel.
Das endgültige Verschwinden der Saurier schließlich führten verheerende Umwälzungen herbei, die wahrscheinlich vom Einschlag eines gewaltigen außerterrestrischen Objekts in der Nähe des heutigen Yukatan in Mexiko ausgelöst wurden. Bei diesem Zusammenprall wurden Staub und riesige Schutttrümmer in die Atmosphäre geschleudert, während gleichzeitig in einem Umkreis von Tausenden Kilometern Brände ausbrachen, die den ganzen Planeten so stark mit Rauch verdunkelten, dass kein Sonnenstrahl mehr die Erdoberfläche erreichte und die Temperaturen drastisch sanken.
Unter solchen Umständen entwickelten sich vermutlich extreme Orkane, die allerdings nicht vergleichbar mit der Art von Supersturm waren, die offenbar über Nacht eine Wärmeperiode zwischen zwei Eiszeiten beenden kann.
Dieses letzte Ereignis muss jedenfalls eine derart zerstörerische Kraft entfaltet haben, dass aus einer ursprünglich langsamen, kontinuierlichen Entwicklung – wie während des Rückzugs im Perm – eine relativ abrupte Massenvernichtung wurde. Die tatsächliche Dauer dieses Vorgangs ist umstritten, aber dem Anschein nach erfolgte er in einem Zeitraum zwischen 10000 und 20000 Jahren. Seit ähnlich langer Zeit bahnt sich der Höhepunkt des Aussterbens an, von dem wir heute betroffen sind.
Was für ein Bild bietet die Welt nach einer solchen Verwüstung? Die Fossilien der Saurier gewähren uns die aufschlussreichsten Anhaltspunkte, und die sind ernüchternd. Nicht nur diese Riesen wurden restlos vernichtet, mit ihnen verschwanden auch die meisten anderen Gattungen. Im Meer entstanden verheerende Verluste gleichermaßen unter Pflanzen, Säugetieren, Reptilien und Fischen. Es war ein Aussterben, das sich nach dem auslösenden Moment noch jahrtausendelang hinzog. Selbst 1000 Jahre danach muss die Atmosphäre von Schutt, Asche und Rauch verdunkelt gewesen sein, da Vulkane auf den Einschlag aus dem All hin jäh aktiv geworden waren. Durch diese vulkanische Tätigkeit gelangte mehr Verschmutzung in die Atmosphäre, als die Menschheit mit ihren Industrieanlagen je erzeugen wird. Mehr noch, so viel Schwefeldioxid wurde frei, dass sich der Regen damit zu Schwefelsäure verband und alles zersetzte, was er berührte.
Am Ende war sämtliches Land mit gestrüppartigen Pflanzen bedeckt, und in den Ozeanen rührte sich so gut wie kein Leben mehr. Auf dem Land waren Tierpopulationen äußerst selten geworden. Die einzigen Ausnahmen bildeten Insekten und kleine Säugetierarten mit kurzem Vermehrungszyklus, die anpassungsfähig waren und fast alles fraßen, was sie schlucken konnten.
Die widrigen Umweltbedingungen hielten Hunderttausende von Jahren an, und das Leben kehrte nur sehr langsam zurück. Insgesamt dauerte es vermutlich fünf bis zehn Millionen Jahre, ehe sich die Arten wieder in einer Vielfalt zeigten wie vor der Katastrophe. Wären in einer solchen Periode Menschen auf der Welt gewesen, hätten sie wohl genauso wenig davon gewusst, dass sie in einer Phase nach einem Massenaussterben lebten, wie wir heute wahrhaben wollen, dass unsere gesamte Geschichte sich in einer Phase abspielt, die auf ein Massenaussterben zuläuft.
Das gegenwärtige Verschwinden von Arten hat unabhängig vom Menschen eingesetzt, und das übermäßige Wachstum der menschlichen Population spiegelt eher ein klimatisches Ungleichgewicht wider, das vorübergehend unsere Spezies gegenüber anderen begünstigt, die weniger intelligent und anpassungsfähig sind. Die Bevölkerungsexplosion ist Teil des sich weltweit beschleunigenden Aussterbens. Wenn sich die gegenwärtige Beschleunigungsrate nicht ändert, ist damit zu rechnen, dass am Ende dieser Periode etwa zwei Drittel aller Gattungen verschwunden sein werden. Diese Katastrophe wird demnach nicht so verheerend sein wie das Ende des Perm, aber schlimmer als die Umwälzungen des Jura.
Für die Erde wird das bedeuten, dass wieder einmal nur eine kleine Anzahl anpassungsfähiger Arten überleben wird – Unkraut, Ratten, Schaben, Mücken und dergleichen. Und der Mensch? Vielleicht – aber unsere Größe ist dabei kein Vorteil. In Phasen des Massenaussterbens sind die größeren Tiere in der Regel die anfälligsten. In der gegenwärtigen Periode sind bereits viele große Tiergattungen verschwunden, die noch vor 10000 Jahren über alle Kontinente verbreitet waren. Setzt sich das Schema in seinem bisherigen Rhythmus fort, wird die nächste Sterbewelle die Gruppe derjenigen großen Tiere erfassen, der auch die Menschheit angehört. Bisher waren die in hohem Maße an ihre Umwelt angepassten Gattungen mit großen Populationen und einseitiger Ernährung die am höchsten gefährdeten. Wir als Allesesser hätten insofern einen Vorteil. Aber weil wir unsere Habitate zunehmend auf große Städte konzentrieren, wo viele von uns die Fähigkeit verlieren, sich selbst zu versorgen, sind wir in eine alte Falle getappt: Wir haben unsere Flexibilität eingebüßt und sind wie so viele andere große Tierarten anfällig geworden.
Die Struktur des Aussterbens scheint einem groben Muster zu folgen, doch wir müssen uns vor Augen halten, dass die Sprache der Fossilien nicht nur schwer zu lesen ist, sondern auch so viele Lücken aufweist, dass das Ergebnis zwangsläufig neue Fragen aufwirft. Andererseits ist die Epoche, in der die Saurier verschwanden, intensiv studiert worden, sodass sie durchaus als Schablone für andere Zeitalter und Wendepunkte benutzt werden kann.
Das letzte große Aussterben dauerte bereits etwa zweieinhalb Millionen Jahre an, als der Einschlag eines Kometen oder Asteroiden die letzten Saurier ausrottete. Wie zu Anfang der Umwälzungen, die im Perm Hunderte von Jahrmillionen davor fast alles Leben vernichteten, gab es weltweit eine radikale Temperaturveränderung, der ein Absinken des Meeresspiegels folgte. Korallenriffe und alle am Boden der Meere lebenden Tiere wurden ausgelöscht. Danach traten Klimaveränderungen auf, die zum Verschwinden der meisten Pflanzenarten führten. Die Welt wurde trockener und kälter. Riesige Dschungel verdorrten, und Grasland wurde zu Steppe.
Zu diesem Zeitpunkt vollzog sich ein Prozess, der sich heute, Jahrmillionen danach, auf gewisse Weise wiederholen könnte: Damals tummelten sich in den Ebenen intelligente, schnelle Saurier; der begabteste darunter war der so genannte Struthiomimus. Diese Raubtiere jagten wahrscheinlich in hierarchisch geordneten Herden, den Affen nicht unähnlich, die sich am Anfang des gegenwärtigen Massenaussterbens zu verbreiten begannen – Tiere, die sich den geänderten Bedingungen anpassen und überleben konnten.
Hoffentlich werden wir erfolgreicher sein als unsere Vorgängerspezies – wir, die wir nach dem Austrocknen der Dschungel in den gefährlichen Ebenen auftauchten, wo wir dank unserer Schnelligkeit gepaart mit Intelligenz beste Voraussetzungen für den Konkurrenzkampf hatten.
Als nun der Komet einschlug, der die Saurier vernichtete, waren in ihrer Welt – so wie in unserer heute – seit Millionen von Jahren Umwälzungen vor sich gegangen. Wie die unsere hat die Geschichte des Struthiomimus innerhalb eines Massenaussterbens um ihn herum stattgefunden. Aber letztlich wurde auch das Raubtier Struthiomimus trotz seiner Intelligenz von diesem Prozess eingeholt und verschluckt.
Was in unserer Zeit abläuft, ist nicht von einem kontinuierlichen Aussterben geprägt, sondern von Schüben und Erholungsphasen. Stets passt sich das Leben an den Wandel an, und die Artenvielfalt kann sich regenerieren. Doch in der gegenwärtigen Phase ist die Zahl der ausgestorbenen Gattungen nicht nur rasant gestiegen; diese verschwinden so schnell, dass nach dem Ende des Prozesses nicht mit einer raschen Rückkehr zu einer Vielfalt zu rechnen ist.
In den letzten 20000 Jahren haben wir einen Wendepunkt erreicht, der in vieler Hinsicht der Klimax gleicht, die das Ende der Saurier bedeutete. Wie damals verändert sich die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre sehr schnell. Doch während in der Vorzeit Waldbrände und Vulkanausbrüche die Ursache waren, geben heute Chemiefabriken und das Verheizen fossiler Brennstoffe den Ausschlag.
Wie auch immer, die Wirkung ist die gleiche. Die Gattungen heute sterben genauso schnell aus wie nach dem Kometeneinschlag, der das Ende der Saurier bedeutete.
Es dauerte fünf bis zehn Millionen Jahre, ehe sich auf der Erde wieder Tierpopulationen gebildet hatten, die zahlenmäßig an die der Saurier-Ära heranreichten. Vor allem in den Ozeanen entstanden viele Arten, die schnell wieder zugrunde gingen – evolutionäre Fehlschüsse sozusagen. Erst nach 35 Millionen Jahren war die Erde wieder so weit, dass sie stabilen Populationen von Wesen Platz bot, die ähnlich hoch entwickelt und vielfältig waren wie ihre Vorgänger.
In so unendlich weiten Zeiträumen zu denken ist für uns schier unmöglich. Gleichwohl offenbart die Geschichte des Lebens auf der Erde erst vor dem Hintergrund von Äonen ihre tieferen Zusammenhänge.
Vor etwas weniger als drei Millionen Jahren geschah nun etwas, das eine Periode von beinahe sechzig Millionen Jahren relativer klimatischer Stabilität und beständigen Wandels unter den Gattungen aus dem Gleichgewicht brachte. Die Störung war so massiv, dass sie das Massenaussterben auslöste, das unsere Epoche prägt.
Was ist geschehen, das eine solche Veränderung herbeiführen konnte? Wie sind wir in die außergewöhnliche Lage geraten, dass wir unseren Untergang ausgerechnet in dem Moment begreifen, in dem er uns verschlingt?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen wir in die Epoche zurückkehren, in der die lange Serie von Eiszeiten, die unsere Ära kennzeichnen, begann.