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Solange wir uns weigern, unsere Rolle bei der Entwicklung des Weltklimas ernst zu nehmen, betreiben wir reines Glücksspiel. Unser Einsatz ist das Größte, Bedeutendste und Wertvollste, was die Menschheit je hervorgebracht hat – unsere Zivilisation. Zu viel baut sich im Moment auf, drückt gegen den Schalter und droht ihn umzulegen. Wenn das geschieht, werden wohl auch wir den Weg unserer Ahnen gehen und nichts als Mythen und verblassende Erinnerungen hinterlassen.
Die Geschichte unseres Klimas in den letzten drei Millionen Jahren bestätigt, dass wir auf einem Pulverfass sitzen – egal ob mit oder ohne menschliches Eingreifen. Durch unser Zutun beschleunigen wir die Entwicklung, mit der Folge, dass ein Wandel, wenn er denn kommt, extrem plötzlich eintreten wird. Bei diesem Ereignis wird nicht einfach ein Schalter betätigt, er wird mit Gewalt umgelegt. Wenn wir nichts unternehmen, wird es so kommen. Wann? In Anbetracht der momentanen Entwicklung, vor allem in der Arktis, steht diese Gefahr bereits unmittelbar bevor.
Ob dann auch eine neue Eiszeit anbricht oder nicht, wird weitgehend davon abhängen, wann sich der Supersturm aufbaut und wie lange er dauert.
Wie wir am Zustand der Fossilien sehen konnten, die der letzte Supersturm zurückließ, trat dieser in einem Sommer auf. Ein Apfelbaum in voller Pracht, der von einem Moment auf den anderen einfror, um dann bis zu seiner Entdeckung jahrtausendelang in seiner Gruft im Permafrostboden zu ruhen, lässt keinen anderen Schluss zu.
Weil nun dieser Sturm in einem Sommer auftrat, löste er keine Eiszeit aus, sondern »nur« eine Unmenge von Fluten, die so gewaltig waren, dass praktisch jede Kultur der Welt die Erinnerung daran pflegt.
Wir setzen in der Tat sehr viel aufs Spiel und drohen alles zu verlieren. Aber warum warnen uns die Wissenschaftler dann nicht? Warum haben sie nicht längst Alarm geschlagen? Wir, die Autoren, sind Laien. Wir glauben nicht, dass wir uns täuschen, aber gesicherte Erkenntnisse haben wir erst, wenn die wissenschaftlichen Grundlagen geschaffen werden.
Damit die Menschheit – mit Sachverstand – über den Ernst der Lage aufgeklärt werden kann, muss mehr Forschung zu Phänomenen wie den Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Ozeanströmungen geleistet werden. Die Wissenschaftler stehen in der Verantwortung. Sie müssen die Voraussagen treffen, auf deren Grundlage die Veränderungen in der Gesellschaft durchgeführt werden.
Das Problem ist nur, dass die Wissenschaft keine Prognosen über das zukünftige Wetter abgeben kann, zumindest keine, die so genau sind, dass die Politiker nicht umhin kämen, drastische Schritte einzuleiten. Wir stecken also in einem Teufelskreis. Wissenschaftler glauben vielleicht, dass der Klimawandel Gefahren birgt, doch solange sie uns kein Modell an die Hand geben können, das den Beweis erbringt, wird sich auf Regierungsebene gar nichts tun.
Es ist wahrlich nicht so, als versuchte man nicht schon seit Jahrzehnten, ein Modell zu entwickeln, das langfristige Klimaveränderungen genau berechnen kann. Nur sind sie bisher alle daran gescheitert, Echtzeitergebnisse zu liefern, die sich zuverlässig auf die Zukunft hochrechnen lassen.
Eines der Probleme besteht darin, dass die Menge exakter Klimadaten gegen Null geht, sobald man weiter als 100 Jahre in die Vergangenheit zurückschaut. Davor waren die Aufzeichnungen größtenteils zu ungenau, um daraus eine kontinuierliche Entwicklung abzuleiten. Darum beginnen die meisten Klimamodelle mit der unmittelbaren Vergangenheit, weil hier genügend Daten zur Verfügung stehen. So können wir heute dank der Vernetzung von Informationen von Wetterstationen, Windmessgeräten, Flugzeugen, Dopplerradar und Satelliten ein deutlicheres Bild vom Wetter gewinnen. Aber allein schon bei Prognosen zu regionalen Klimaveränderungen kommt man damit nicht weit. (Etwas anderes ist es mit den kurzfristigen Wetterberichten.) Laut dem amerikanischen Energieministerium müsste die Kapazität dieser Modelle mindestens verzehnfacht werden, wollte man korrekte Aussagen treffen.
Während die Fachleute lamentieren, bleibt die Welt weiter unfähig zu handeln. Niemand ist bereit oder in der Lage, die Menschheit mit unwiderlegbaren wissenschaftlichen Beweisen wachzurütteln. Und doch ist es klar, dass die Uhr tickt. Nur zu klar.
Weil die Wissenschaft keine Gewissheit bieten kann, haben die Lobbyisten und Politiker alle offiziellen Schritte, die die Welt vielleicht noch retten könnten, auf Eis gelegt.
1988 erklärte Dr. James Hansen vom Goddard Institute of Space Studies der NASA, dass die globale Erwärmung vor allem deswegen voranschreitet, weil jährlich für jeden Menschen auf dieser Welt etwa eine Tonne Kohlendioxid in die Atmosphäre gejagt wird. Die Öl- und die Chemieindustrie, einige Erdöl produzierende Länder, religiöse Fundamentalisten und politische Extremisten in Amerika reagierten sofort. Seitdem verbreiten diese Kräfte gebetsmühlenhaft immer die gleiche Botschaft: Nichts ist bewiesen; warten wir darum lieber ab, bis wir mehr wissen. 1998 ging der US-Kongress so weit, dass er versuchte, Regierungsvertreter daran zu hindern, öffentlich über die globale Erwärmung zu sprechen. Die Absicht war offenkundig: Amerikas Teilnahme am Weltklimagipfel von Kyoto, dem jüngsten internationalen Versuch, sich diesem Thema zu stellen, sollte unterbunden werden.
Die Ölindustrie füttert eine Propagandamaschine mit dem Namen Global Climate Coalition mit jeder Menge Dollars, damit sie die Botschaft vom »Abwarten« unters Volk bringt. Die National Coal Association tut das Gleiche. Das National Petroleum Institute leistet sich eine Beraterfirma, die es bei seinem Feldzug gegen Steuern auf fossile Brennstoffe mit Propagandamaterial versorgt. Dieses Unternehmen allein – es ist nur eines von den 54 Mitgliedern der Global Climate Coalition – hat einen Etat, der so hoch ist wie der aller größeren Umweltschutzverbände zusammen.
Die OPEC, das Kartell der Erdöl produzierenden Länder, hat sich dem Verband angeschlossen, ebenso eine Reihe namhafter Ölgesellschaften, wie Arco, Exxon, Sun, Shell und Unocal, sie alle mit derselben Absicht: Beim Volk soll die Botschaft verbreitet werden, dass die Emissionen fossiler Brennstoffe nicht kontrolliert werden müssen.
Die Kohlefirma Western Fuels, die sich durch besonderen Aktivismus hervortut, hat zu diesem Zweck eigens ein internationales Video mit dem Titel »Greening of the Planet Earth« produziert. Darin wird behauptet, der Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre würde unser Leben sogar verbessern, denn er würde es uns ermöglichen, Wüstengebiete in Grasland zu verwandeln. Die Theorie läuft darauf hinaus, dass die Pflanzen robuster würden. Der Fehler an dem Ganzen ist freilich, dass nicht mangelndes Pflanzenwachstum zu Verwüstung führt, sondern geografische Bedingungen wie Berge, die feuchte Luftströmungen ablenken, oder Bodenbedingungen, die Pflanzen einfach nicht zulassen. Die Erhöhung des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre wird keineswegs Wüsten zum Blühen bringen. Im Gegenteil, jeder Bewohner des Mittleren Westens, der die Überschwemmungen von 1996 mitgemacht hat, oder jeder Chinese, der 1998 von der Überflutung des Yang-Tse-Tals betroffen war, wird es bestätigen: Der Anstieg von Kohlendioxid verursacht dort, wo es ohnehin reichlich regnet, wahre Sintfluten. Schlimmer noch: Kohlendioxid ist momentan das hauptsächliche Treibhausgas und seine Zunahme eines unserer größten Probleme. Obwohl die Werte im Verhältnis zu den Höchstständen in der geologischen Geschichte gering ausfallen, sorgen sie auch jetzt schon für eine Erwärmung, unter der die Polkappen abzuschmelzen drohen – und das wäre eine potenziell sehr gefährliche Entwicklung.
Mit Unterstützung von finanziell reich gesegneten Stiftungen unterhält die Ölindustrie eine Streitkraft von Spezialisten mit akademischem Abschluss, die das Thema geschickt herunterspielen. Unterstützt werden sie dabei von konservativen Kongressabgeordneten, insbesondere Republikanern, die jede Diskussion über dieses weltweit so wichtige Thema als »liberales Gerede« abtun. Dabei müsste doch längst jedem klar sein, dass es absolut nichts mit politischer Ideologie zu tun hat. Die Umweltproblematik hätte nie auf solche Weise für politische Zwecke instrumentalisiert werden dürfen. Sie sollte vielmehr über der Politik stehen.
Die amerikanische Öffentlichkeit ist in die Irre geführt worden. Die politisch gewollte »Abwarten-und-Tee-trinken-Haltung« läuft auf ein gigantisches Vabanquespiel hinaus, auf einen Großversuch, der ergeben wird, ob die Natur eine derartige Ignoranz ertragen kann oder nicht.
Leider können da auch unsere wissenschaftlichen Institutionen keine Abhilfe schaffen. Sie sind einfach nicht fähig, das Problem mit der erforderlichen Entschiedenheit und Klarheit aufzugreifen. Während wir um uns herum einen massiven Klimawandel erleben, hat sich die Wissenschaft in einer für sie verheerenden, wenn auch unvermeidlichen Diskussion über ihre Fähigkeit, Prognosen abzugeben, verheddert.
Selbst wenn man die Bemühungen um bessere Klimamodelle anerkennt, lässt sich doch nicht leugnen, dass dieser Ansatz grundsätzlich mit Fehlern behaftet ist, die die Wissenschaft noch ohnmächtiger machen.
Das so genannte Modell von der allgemeinen Zirkulation, eines der grundlegenden Werkzeuge der Klimaforschung, vermag nicht hinreichend zu erklären, wie der Austausch von Kohlendioxid zwischen den Meeren und der Luft abläuft. Darum taugt es nicht als Modell für den definitiven Beweis, dass tatsächlich eine globale Erwärmung im Gange ist. Wenn nun die Skeptiker darauf hinweisen, dass die Durchschnittstemperaturen in den letzten 50 Jahren ganz anders als die Kohlendioxidemissionen nur geringfügig angestiegen sind, hat die Wissenschaft keine treffende Antwort parat.
Das Problem umfasst mehr als nur einen Mangel an brauchbaren Modellen und den dafür nötigen Werkzeugen. Die Wissenschaft selbst ist das Problem, weil sie aufgrund ihrer ganzen Struktur deutliche oder aggressive Prognosen erst gar nicht zulässt. Die Wissenschaft ist in Tausende verschiedene, eng begrenzte Fachgebiete zersplittert, deren jeweilige Erkenntnisse fast zwangsläufig in isolierten Kreisen erörtert werden. Vereinzelte Forschungsergebnisse mögen zwar stichhaltig sein, werden aber nur äußerst selten in ein großes Gesamtbild eingefügt. Zwangsläufig kommen dabei zentrale Themen unter die Räder. Dabei wäre es doch überlebensnotwendig, für Probleme wie die Frage, ob unser Planet auf einen plötzlichen Klimawandel zusteuert, klare, eindeutige Antworten zu geben, auf die wir angewiesen sind, um endlich handeln zu können.
Ohne ein unwiderlegbares Modell, in dessen Rahmen die Daten ausgewertet werden, scheint es endlos viel Raum für Debatten zu geben. Doch vermutlich ist der Hang der Wissenschaft, lückenlose Argumentationsketten liefern zu wollen, eine gefährliche Illusion, wenn man bedenkt, dass der letzte Supersturm offenbar blitzartig aufzog und Tiere mitten in der Nahrungsaufnahme zu Eis erstarren ließ. Wir treiben Spielchen mit einer Klimastörung, deren Auswirkungen verheerender wären als die eines Atomkriegs.
Da die Wissenschaft zu eindeutigen Stellungnahmen nicht in der Lage ist und ihr zudem eine große, effektive und finanziell bestens ausgestattete Streitmacht von Interessenvertretern gegenübersteht, gibt es so gut wie keine Aussicht, dass sich unsere Gesellschaft zu entschiedenen Maßnahmen aufrafft.
Von entscheidender Bedeutung wird es also sein, zu erkennen, wann der Supersturm sich tatsächlich ankündigt, und dann entschlossen und radikal zu handeln. Zu hoffen wäre nur, dass es dann nicht zu spät ist.
Die Bühne ist frei für den Supersturm, wenn die Wintertemperaturen über dem Polarkreis unverhältnismäßig hoch ansteigen, während gleichzeitig der Salzgehalt des Arktischen Meeres abnimmt. Ist ein bestimmter Tiefstwert unterschritten, wechselt die Nordatlantikströmung die Richtung. Ein solches Zusammentreffen von Ereignissen löst eine Vielzahl kleinerer Stürme aus, ehe schließlich der Supersturm ausbricht. Es kann sogar sein, dass die große Katastrophe hinter den Dutzenden von lokalen Unwettern gar nicht zu erkennen ist. Schließlich weiß niemand genau, wie sich ein Supersturm ankündigt.
Aber wenn er ausgebrochen ist, wird der Supersturm sich erst dann wieder beruhigen, wenn die Energie, die ihn antreibt, verpufft ist – und das kann womöglich dauern, bis die Nordatlantikströmung in ihre alte Bahn zurückkehrt.
Jeder Versuch, das Wetter in der Endphase zu beeinflussen, in der sich der Supersturm zusammenbraut, dürfte vergeblich sein. Die einzige Möglichkeit, ihn dann noch aufzuhalten, bestünde darin, die Erwärmung der Atmosphäre über den gemäßigten Klimazonen der nördlichen Hemisphäre radikal zu unterbrechen.
Schwierig wäre es allerdings, das Aufziehen des Sturms rechtzeitig zu erkennen. Zurzeit sind die Wetterberichte – in den USA zumindest – in der Regel auf Regionen begrenzt. Die Grenzen unseres Kontinents überschreiten sie leider nur selten.
Aber selbst wenn wir rechtzeitig vor einem Supersturm gewarnt würden, hätten wir nicht die Mittel, etwas dagegen zu unternehmen. Schlimmer noch, die Mächte, die jetzt jede umweltfreundliche Reform bekämpfen, würden selbst dann noch ihre altbekannten Methoden einsetzen, um uns bis zum Schluss einzulullen.
Es ist also durchaus möglich, dass wir auch dann nicht auf den Sturm reagieren, wenn er heraufzieht, und nichts von all dem unternehmen, was kurzfristig Abhilfe schaffen würde: nicht mehr Auto fahren, den Stromverbrauch auf das Nötigste drosseln, die Heizungen abschalten, den Flugverkehr einschränken. So ist zu befürchten, dass wir bei einem verheerenden Sturm und sinkenden Temperaturen nichts anderes tun, als alles Öl oder Gas zu verbrennen, und wenn auch das nichts mehr hilft, unser Heil in einer Massenflucht zu suchen, bei der wir natürlich noch mehr Kohlendioxid produzieren.
Wir kennen Stürme, haben aber nie die Gewalt eines Supersturms erfahren. Freilich können wir davon ausgehen, dass die Menschen in Panik geraten, sobald klar wird, dass etwas noch nie Dagewesenes auf sie zukommt, der totale Zusammenbruch ihrer Umwelt.
Das Szenario sähe etwa so aus:
Von Wladiwostok bis Toronto droht nahezu allen Städten nördlich des 40. Breitengrades der Notstand. Anhaltende Winde von fast 200 Stundenkilometern machen die Menschen zu Gefangenen in ihren Häusern oder Autos. In der Arktis und Subarktis lassen ultrakalte Böen alles, worauf sie stoßen, binnen Minuten zu Eis gefrieren. Die Panik greift um sich, wenn schwere Wolken die über Satelliten gesteuerte Kommunikation stören und die Infrastruktur nach und nach zusammenbricht. Zu Stromausfällen kommt es wohl schon in einem frühen Stadium des Sturms, was die Kommunikation und die Überlebenschancen in der klirrenden Kälte noch drastischer verringert.
Bei längerem Anhalten des Sturms müssen Kohlekraftwerke mangels Nachschub bei ausbleibender Lieferung abgeschaltet werden. Die Öl- und Gasversorgung durch Pipelines muss unterbrochen werden, weil frei liegende Rohre platzen oder Öl bei extremer Kälte verklumpt.
Irgendwann bricht in den meisten Ländern das gesamte Stromnetz zusammen. Allenthalben setzt eine verzweifelte Massenflucht ein, sobald die Leute begreifen, dass das Überleben im Sturmgebiet im günstigsten Fall problematisch ist. Doch die Straßen sind alle blockiert, weil nach dem Wegfall der Benzinversorgung auch der Schneeräumdienst nicht mehr fährt. Zunächst einigen, später Hunderten von Millionen Menschen gehen die Lebensmittelvorräte aus.
In London genauso wie in New York, Moskau oder Toronto beginnen die Lichter der Zivilisation zu flackern und matter zu werden. Die Zahl der eingestürzten Gebäude steigt in astronomische Höhen; sie sind der nie für möglich gehaltenen Belastung durch die Winde und dem Gewicht der Schneemassen einfach nicht mehr gewachsen.
Es ist nicht auszuschließen, dass die Todesrate unter den vom Sturm Eingeschlossenen sich den 100 Prozent nähert. Nur wenige Glückliche bleiben am Leben – sofern man sie glücklich nennen kann. Wenn sie dann noch durchhalten, bis Mitte März endlich wieder die Sonne herauskommt – immer angenommen, der Sturm ist im Februar ausgebrochen –, finden sie sich in einer riesigen, grellen Eiswüste wieder, einer heimtückischen Ebene, über die böige Winde hinwegfegen.
Die großen Zentren der Zivilisation sind zum größten Teil zerstört. Die gebildete Minderheit der Menschheit ist innerhalb weniger Wochen um gut 20 Prozent dezimiert worden.
In den USA liegt die südliche Grenze des Sturms unterhalb von Kansas City. Wenn noch Mitglieder der Bundesverwaltung am Leben sind, haben sie die neue Zentrale nach Atlanta oder noch weiter südlich verlegt.
Die Vereinigten Staaten haben wahrscheinlich zwischen einem Drittel und der Hälfte ihrer Bevölkerung verloren. Kanada, Russland, Finnland, Schweden, Norwegen, Island und Schottland sind praktisch ausgestorben. Die britischen Inseln sind verwüstet. Von den europäischen Ländern sind nur Spanien, Portugal und Italien verschont geblieben. Dort, wo der Sturm nicht zu permanentem Frost geführt hat, löst die Frühlingsschmelze in jedem Flusssystem der nördlichen Hemisphäre gewaltige Überschwemmungen aus. In diesem Teil der Welt muss man schon bis nach Mexiko oder nach Nordafrika vorstoßen, um völlig intakt gebliebene Länder zu finden. In den Brennpunkt der menschlichen Zukunft rücken Länder wie Brasilien, Argentinien, Mexiko und Südafrika. Hongkong und Singapur steigen zu globalen Finanzmetropolen auf. Australien, Neuseeland und Japan sind zwar vom Sturm gestreift worden, werden sich aber sehr bald wieder erholen.
Von der Jahreszeit, in der der Sturm aufgetreten ist, hängt es ab, ob es nach seinem Abflauen verheerende Überschwemmungen oder eine neue Eiszeit gibt.
Die Mythen der Urvölker schildern Fluten von wahrhaft epochalem Ausmaß. Genauso kennen auch viele Stämme der Great Plains wie die Mandaw, Choctaw oder Knisteneaux eine verheerende Flut. In einer Legende der Knisteneaux ist sie so gewaltig, dass sie die Prärie in einen einzigen Ozean verwandelt und praktisch die ganze Bevölkerung ertränkt. Die Tatsache, dass an höher gelegenen Stellen haufenweise Knochen von Mammuts, Rhinozerossen und anderer Tiere gefunden worden sind, bestätigt den Wahrheitsgehalt dieser Erzählungen.
Wenn nun aber das Eis schmilzt, sind verheerende Fluten unvermeidlich. Südlich der ohnehin schon verwüsteten Randgebiete verwandelt sich dann der Mississippi vorübergehend in einen Hunderte von Kilometern breiten Strom, der alles, was ihm im Weg liegt, überflutet. Ohne Kommunikation und Brennstoffe wird jede Siedlung ihrer Infrastruktur beraubt, sodass die Bewohner es nicht schaffen werden, sich lange gegen die neue Gefahr zu behaupten.
Bleibt die Schmelze aus, hat man in den nicht direkt vom Sturm betroffenen Gebieten zunächst vergleichsweise gute Aussichten zu überleben. Die südlich gelegenen Staaten der USA dürften ihre bisherige Organisation hinreichend lange beibehalten. Südkalifornien kann auf seine natürlichen Anbaugebiete im Imperial Valley zurückgreifen und auch der Old South wird sich selbst ernähren können, wenngleich durch den Ausfall der Mais- und Weizenlieferungen aus dem nun verwüsteten Mittleren Westen Engpässe zum Alltag gehören werden und vor allem Brot knapp werden dürfte.
In weiten Teilen der übrigen Welt, die von Getreideimporten aus Nordamerika abhängt, breitet sich bald eine Hungersnot aus. Der Treibstoffmangel tut ein Übriges, was vor allem Inselstaaten betrifft, wo die Bevölkerung in jeder Hinsicht vom Rest der Welt abgeschnitten ist.
Auf dem Festland löst der Hunger eine wahre Völkerwanderung aus. Immer mehr Mexikaner suchen im Südwesten der USA Arbeit, was zu einem Anstieg der Gewalt führt, zumal die Einheimischen panisch ihre Lebensmittelvorräte und die letzten Reste dessen verteidigen, was einmal ihre Gemeinschaft ausgemacht hat.
Da sich der Sturm vermutlich innerhalb einer bestimmten Demarkationslinie entwickeln wird, werden die Unterschiede zwischen den betroffenen Gebieten und denen, die verschont bleiben, gewaltig sein. Die nähere Umgebung der Rockies, der Alpen und des Himalaja erstickt nach und nach im Schnee. In Russland, Kanada, dem Norden der USA und in Nordchina ist schon zu Anfang alles erfroren. Länder wie Singapur, die bis dahin im Schatten ihrer größeren Nachbarn gelebt haben, steigen geopolitisch in die erste Reihe auf, wenn auch nur dank des Ausfalls der anderen.
Wenn die Eismassen im Laufe der Jahre anwachsen, werden auch die Bewohner der am Anfang noch sicheren Gebiete immer mehr durch die sich verschlechternden Bedingungen beeinträchtigt. Letztlich könnte sich in Spanien oder Louisiana ein Klima entwickeln, wie es heute in Sibirien herrscht. Von einer gemeinsamen Kultur der Menschheit kann dann nicht mehr die Rede sein. Man kämpft nur noch ums Überleben in einer zunehmend feindseligen Umwelt.
Leider dauern Eiszeiten sehr viel länger als Perioden der Erwärmung. Das Schicksal der Menschheit wird inzwischen einen tiefen Wandel erfahren haben.
Wenn man in der Lage war, die wissenschaftlichen Erkenntnisse unserer heutigen Zeit zu bewahren und zu erweitern, wird man zweifellos bestrebt sein, das Wetter zu verstehen und letztlich zu kontrollieren. Und wenn die Mechanismen des Wetters einmal umfassend begriffen worden sind, setzt man womöglich alles daran, die Situation zu verbessern. Das könnte so weit führen, dass man die größte bauliche Leistung in der Geschichte der Menschheit in Angriff nimmt: nichts weniger als die Trennung der zwei Amerika, die noch durch eine Landbrücke miteinander verbunden sind.
Durch einen Teil von Zentralamerika könnte von einer Zivilisation, die die Natur des Wetters verstanden hat, ein viele Meilen breiter Kanal gegraben werden. Damit ließe sich die Äquatorialströmung der Vorzeit wieder beleben, und mit ihr könnte das klimatische Gleichgewicht zurückkehren, das so viele Millionen Jahre lang günstige Lebensbedingungen garantierte.
Die so geschaffene Strömung würde weitgehend wie in der archaischen Vorzeit um den Äquator fließen und erneut Wärme auch zu den abgelegeneren Teilen der Welt transportieren. Ausgeglichenere Jahreszeiten wären die Folge. Das Eis würde schmelzen, und eine stark dezimierte, doch weiser gewordene Menschheit würde schrittweise die verloren gegangene Welt zurückgewinnen und mit ihr die Mythen, die Erinnerungen und den Glanz unseres heutigen Zeitalters.