129318.fb2 Vikonda - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 5

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„Ich spiele für die Krabbieren die ›Kuhhirtin‹. Ich bin eine Art Nachtwächterin“, sagte sie. Weil er verständnislos dreinblickte und weil sie unter den Falten des gelben Umhangs am allerwenigsten nach dergleichen Tätigkeit aussah, erläuterte sie: „Ich hüte Riesenseesterne auf der felsigen Seite der Insel, wo wir gerade herkommen. Die Seesterne sammeln sich dort zwischen den Klippen zu Herden. Für Glitscher sind sie dort eine leichte Beute, besonders nachts. Aber vor den Scheinwerfern des Moduls haben die Glitscher Respekt. In der Nahrungskette der Krabbieren sind die Riesenseesterne…“

Sie brach ihre Erklärung ab und lauschte. Über dem Meer schwoll ein heulender Ton an. Dann raste ein zweiter Raumgleiter wie ein überdimensionales Geschoß über die Insel hinweg, schraubte sich in den Himmel und stieß erneut zum Tiefflug herab. Sein Erscheinen ließ Jill alle guten Vorsätze vergessen. Er riß den Lähmer aus der Tasche und hetzte los. Aber die Schildträger waren auf ein Zeichen aus der Sänfte bereits zur Seite getreten. Sic ließen ihn passieren. Er brauchte den Lähmer nicht einzusetzen. Bei einem Blick zurück sah Jill, wie sie ihm nur langsam folgten. Sie machten keine Anstalten, ihre Waffen gegen ihn zu benutzen oder Atzspeier auf seine Spur zu setzen. Vitree hatte den leeren Kokon an sich genommen und trug ihn über den Strand. Jill hielt das für eine positive Geste, was immer auch sie bedeuten mochte.

Schwer atmend erreichte er seinen Raumgleiter, sprang auf den Deltaflügel und schwang sich durch den Einstieg in den Steuersessel. Die Hände glitten über die Tasten des Terminals. Er gab das Programm für das Aufrichten der Fähre in die senkrechte Startstellung frei und hoffte abzuheben, ehe Vitree oder die Krabbieren in den Bereich der Düsen kamen. Während die Servomotoren der Hydraulik zu arbeiten begannen, stellte Jill einen Funkkontakt her.

„Gleiter eins an Gleiter zwei: Bleibt in der Luft! Ich schalte zur ABENDSTERN!“

„Hier Gleiter zwei. Verstanden. Wir hören mit.“

„Achtung ABENDSTERN! Rapport von Gleiter eins.“

Auf dem Schirm erschien das Gesicht des Kommandanten. „Hier ABENDSTERN. Verdammt, warum habe ich so lange Zeit nichts von dir und Leo gehört! Sprich!“

Jill gab seinen Bericht, die Angaben Vitrees eingeschlossen, und endete mit dem Satz: „Wie die Dinge stehen, ist es erst einmal Zeit für den Countdown, denke ich. Ich sollte mich von diesem heiklen Brutanlagen entfernen.“

„Wir beraten“, sagte Rickmar knapp. „Start frei, falls eine akute Gefahr für dich eintritt. Sonst aber haben die ortsinternen Belange Priorität, samt der Sicherheit für die Kontaktlerin.“

Jill stutzte bei dieser Entscheidung. Sein Raumgleiter hatte sich inzwischen aufgerichtet, während der zweite Gleiter in weiten Schwüngen die Insel umkreiste. Als Jill die Umgebung am Strand musterte, sah er, daß die Chitiner den zweiten Kokon mit der Leiche Leos herbeitransportierten. Er entdeckte, wie wenig ihm der Gang der Ereignisse Zeit zur Trauer gelassen hatte, und stoppte das Startprogramm. Verlegen nahm er den Helm ab. Daß er im Begriff gewesen war zu starten, ohne einen Gedanken an Leo zu verschwenden, war ihm peinlich. Wie von selbst glitten seine Hände wieder über das Terminal und erteilten die Weisung, den Raumgleiter zurück in die waagerechte Stellung zu schwenken.

Vitree legte den gelben Umhang auf den Strand, erkletterte den Einstieg und pochte gegen das Ranzelglas. Jill öffnete ihr. „Ich bin froh, daß du nicht gestartet bist“, sagte sie. „Einen Moment lang dachte ich, du hättest jede nüchterne Überlegung verloren.“

„Falls du dich entschließen würdest mitzukommen, könnte ich durchaus jede nüchterne Überlegung verlieren“, sagte er, und er war überrascht, daß er es gesagt hatte.

Ihr erging es nicht anders. Sie blinzelte. Komplimente dieser Art war sie nicht mehr gewöhnt. Dann räusperte sie sich: „Aber der Start hätte weitere Brutanlagen zerstört“, stotterte sie.

„Gewiß.“

„Jill! Nicht eine einzige Wabe darf mehr vernichtet werden.“

„Wie stellt du dir das vor? Der Raumgleiter kann unmöglich hierbleiben, bis die Brut geschlüpft ist, selbst wenn ich die VIKONDA über mich ergehen lasse und sie positiv ausfällt, ich also keinen Grund zur Flucht hätte. Die Fähre wird benötigt. Sie soll deine Gefährten aus den anderen Modulen suchen und retten helfen! Sie sind bestimmt in Schwierigkeiten. - Los! Faß mit an! Ich möchte Leo hereinheben. Er soll daheim auf der Erde beigesetzt werden.“

„Jill!“

„Was gibt es denn nun schon wieder für Einwände?“

„Laß dir einen Rat geben: Es wäre besser, wenn die Krabbieren ihn im Kokon einharzen und auf das Meer hinaustreiben lassen. Dort könnten wir Leo immer noch unbemerkt bergen.“

„Nein. Jetzt ist es genug. Du mutest mir zuviel zu. Ich kann mir keinen Grund vorstellen, ihn hierzulassen!“ stellte Jill kategorisch fest.

„Wenn er auf das Meer hinaustreibt, ist das eine große Ehre“, erklärte sie geduldig.

„Dank dem Himmel, daß die Chitiner keine Kannibalen sind, sonst würdest du noch behaupten…“

„Sei still. Wenn hier ein solches Brauchtum vorläge, wäre in der Tat sogar das, was du andeutest, eine Ehre. Aber wie du selbst siehst, haben sie den Kokon hergebracht und verweigern ihm die Ehre des Meeres. Leo hier auf dem Strand abzulegen, damit du ihn an Bord nimmst, ist eine Abgrenzung zu uns, ist fast schon eine Geste der Verachtung. Laß es uns hinauszögern. Vielleicht kann ich doch noch eine Meeresbestattung erreichen. Wir müssen die Krabbieren veranlassen, uns Menschen in möglichst vielen Punkten als Gleichgestellte anzuerkennen.“

„Das führt sowieso zu nichts“, sagte Jill verdrossen.

Die ABENDSTERN meldete sich und enthob beide der Mühe, sich weiter auseinanderzusetzen. „Ist die Kontaktlerin erreichbar?“ fragte der Komman-, dant.

„Ja, an der Luke. Moment.“

„Muß sich Jill der VIKONDA stellen?“ fragte der Chef sie, als sie sich bei ihm meldete.

„Nicht unbedingt. Aber es würde ihm und uns allen den Status von Gleichen unter Gleichen verleihen.“

„Und wenn es ihn Kopf und Kragen kostet?“

„Die Krabbieren neigen Jiicht zu Gewalttaten. Jedenfalls ist ihnen Sühne etwa in der Art eines Marterpfahles unbekannt.“

„Na gut. Stammt die Einschätzung der Situation in Hinblick auf die gegenseitige Abhängigkeit von Gierschnablern und Krabbieren im ökologischen System des Archipels von Ihnen, Kosmonautin Laval?“

Sie bestätigte es und fügte hinzu: „Ich halte es für einen Fehler, wenn Jill startet und weitere Wabenfelder beschädigt.“

„Das dachten wir uns ebenfalls. Aber Sie können sich bestimmt vorstellen, zu welchem Ergebnis unsere Beratung hier oben im Orbit eben geführt hat: Wir brauchen den Raumgleiter! — Wie wäre es, wenn man Antigravplatten unter die Landestützen schiebt? Sie würden nach unseren Berechnungen ausreichen, um den Raumgleiter etwas anzuheben. Er könnte dann auf das Meer driften und dort starten.“

„Das ist eine ausgezeichnete Idee“, sagte Vitree.

„Woher soll ich die Antischwerkraftscheiben nehmen?“ protestierte Jill. „Ich habe keine.“

„Wir schicken welche und lassen sie am Fallschirm auf die Insel abwerfen. Würden die Krabbieren es zulassen, daß ihr die Scheiben bergt?“

„Ja, das kann ich wahrscheinlich erreichen“, bestätigte sie. „Und bitte ein paar Sachen für mich“, bat sie schnell noch. „Meine Kleidung ist abgetragen.

Rickmar Iggensen musterte kurz ihre verschlissene Kombination. „Selbstverständlich. Das geht in Ordnung“, sagte er.

„Danke“, sagte Vitree und wurde rot, weil sie sich eitel vorkam. Doch der Kommandant war schon vom Bildschirm verschwunden.

Der zweite Raumgleiter bekam Rückkehrorder. Er schraubte sich in den Himmel und verschwand dort.

Jill schnaufte. Dann stieg er aus. „Wann beginnt die VIKONDA?“ fragte er mit einem Ausdruck von Todesverachtung in der Stimme.

Acht Krabbieren hatten ihn im Kokon den Strand entlanggetragen und auf ein stattliches, langes Floß gelegt. Auf dem Meer berührte die Wega den Horizont. Im letzten Abendlicht sah er am Wassersaum Steine neu zu einem Gebilde angehäuft, das ihn entfernt an die Umrisse einer zum Start aufgerichteten, im Maßstab verkleinerten Fähre erinnerte. Es schien ihm eine aktuelle Ergänzung für die bevorstehende VIKONDA zu sein. In größerem Abstand zueinander waren am Ufer ferner kunstvoll gearbeitete Holzgebilde aufgestellt, wie sie vermutlich auch sonst für einen solchen rituellen Anlaß benutzt wurden. Gern hätte Jill die Kontaktlerin gefragt, welche Bewandtnis es mit diesen Darstellungen hatte. Doch Vitree war mit der Bergung des Fallschirmpakets beschäftigt, das vor einer Weile abgeworfen worden war.

Allmählich wurde es dunkel. Bald standen die Sterne in für Jill fremder Konstellation am Himmel. Nur teilweise hatte sie noch Ähnlichkeit mit der Anordnung am irdischen Nachthimmel. Die Erde war sechsundzwanzig Lichtjahre weit entfernt. Die Szene ringsum wirkte auf Jill unwirklich, allerdings nicht so ungewohnt, wie man es bei einem Abstand von sechsundzwanzig Lichtjahren hätte denken können. Pflanzen waren immer noch Pflanzen,

Gierschnabler mußte für die Glitscher verheerende Folgen gehabt haben. Auf den Flößen wurden neue Fackeln entzündet. Bald setzten wieder die sanften Gesänge ein. Es kam Jill in den Sinn, daß sie nach hiesigen Begriffen vielleicht Balladen sein mochten, und er fragte sich, ob ihnen über den jüngsten Kampf eine neue Strophe hinzugefügt wurde, deren Inhalt sich auch auf ihn bezog?

Er steckte seinen Nadler ein und blieb aufrecht neben seinem Kokon stehen. Die Lust, in ihn zurückzukriechen. war ihm vergangen. Er rückte die Pflanzenkübel, die verrutscht waren, an ihre alten Positionen. Dabei bemerkte er, daß beim Kampf alle Wabendeckel fortgespült worden waren. Darin sah er ein gutes Omen für seine VTKONDA.

Gegen Morgen kamen Nebelschwaden auf. Das Floß dümpelte und drang, isoliert von den anderen, in eine graue Welt ein. Jill konnte nur hoffen, daß die Glitscher nicht noch einmal angriffen, denn jetzt im Nebel wäre eine Koordination der Verteidigung kaum möglich. Und allein auf den Schutz der Gierschnabler mochte er nicht bauen.

Der Rest der Nacht verging jedoch ruhig. Die Gesänge der Krabbieren durchdrangen ab und zu die Nebelschwaden. Die Untätigkeit behagte Jill nicht. Spielerisch fischte er Früchte aus dem Wasser und schichtete sie auf. Der Tang schien hier ähnlich vielfältige Früchte zu tragen wie daheim auf der Erde die Landpflanzen. Zu Jills Überraschung regte sich auch der Visionär, stelzte zur anderen Kante des Floßes und häkelte ebenfalls Tangfrüchte aus dem Wasser. Ihm schien das Zeremoniell der VIKONDA auch langweilig geworden zu sein.

Als das erste Morgenrot am Kap hervorsickerte, verstummten die Gesänge auf den Begleitflößen. Eine frische Brise vertrieb die Schwaden. Der Visionär stellte sich auf seinen polierten Holzklotz und begann, allein zu singen.

Was du kannst, darauf verstehe ich mich auch, dachte Jill. Und als der Visionär eine Pause machte, stimmte der Kosmonaut, selbst auf die Gefahr hin, dem Ritual der VIKONDA nicht den erforderlichen Respekt entgegenzubringen, seinerseits ein Lied an.