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Der Präsident wandte sich an den Zeugen und redete ihm feierlich ins Gewissen, sich zu bedenken und seine Worte abzuwägen. Er fragte ihn als Mann der hermetischen Wissenschaften und Verfasser bekannter und von der Kirche ausdrücklich genehmigter Bücher, wie dergleichen möglich sein könne, und vor allem, ob er auf diesem Gebiet Präzedenzfälle kenne.
Becher warf sich in die Brust und schien abermals zu wachsen. Fast sah es so aus, als wolle er in seiner weiten, schwarzen Kutte wie ein Unheil verkündender Rabe davonfliegen.
In emphatischem Tone rief er aus:
»An berühmten Abhandlungen über dieses Thema fehlt es nicht. Paracelsus hat schon in De Natura Rerum erklärt, daß die Pygmäen, die Faune, die Nymphen und die Satyrn von der Alchimie gezeugt worden sind! Andere Schriften besagen, daß man Homunculi oder kleine Männchen, die häufig nicht größer als ein Daumen sind, im Urin der Kinder finden kann. Der Homunculus ist zuerst unsichtbar und nährt sich von Wein und Rosenwasser: ein kleiner Schrei kündigt seine eigentliche Geburt an. Nur die fähigsten Magier vermögen ein solches Zauberwerk teuflischer Schöpfung zu erschaffen, und der hier gegenwärtige Graf Peyrac war ein solcher Magier, denn er hat selbst erklärt, er bedürfe des Steins der Weisen nicht, um die Transmutation des Goldes zu bewerkstelligen.«
Der Richter Bourié stand erregt auf.
»Was habt Ihr auf eine solche Anschuldigung zu erwidern?«
Peyrac zuckte ungeduldig die Schultern und sagte voller Überdruß:
»Wie soll ich die Phantastereien eines offensichtlich geistig erkrankten Individuums widerlegen?«
»Ihr habt nicht das Recht, Angeklagter, einer Antwort auszuweichen«, mischte sich Masseneau ruhig ein. »Gebt Ihr zu, diesen mißgestalten Wesen, von denen die Rede ist, >das Leben gegeben< zu haben, wie dieser Priester sagt?«
»Absolut nicht, und selbst wenn dergleichen möglich wäre, würde es mich nicht im geringsten interessieren.«
»Ihr haltet es also für möglich, auf künstlichem Wege Leben zu zeugen?«
»Wie kann ich das wissen? Die Wissenschaft hat noch nicht das letzte Wort gesprochen, und bietet die Natur nicht verwirrende Beispiele? Im Orient beobachtete ich die Verwandlung gewisser Fische in Wassermolche. Ich brachte sogar einige dieser Wesen nach Toulouse mit, aber die Mutation hat sich nie wiederholen wollen, was wahrscheinlich auf unser gemäßigteres Klima zurückzuführen ist.«
»Mit einem Wort«, sagte Masseneau mit einem dramatischen Tremolo in der Stimme, »Ihr billigt dem Herrn bei der Erschaffung der Lebewesen keine Rolle zu?«
»Das habe ich nie gesagt«, erwiderte der Graf ruhig. »Ich kenne nicht nur mein Credo, sondern glaube auch, daß Gott alles geschaffen hat. Nur sehe ich nicht ein, was Ihr dagegen einzuwenden habt, daß er gewisse Übergangsformen zwischen Pflanze und Tier, zwischen Kaulquappe und Frosch vorsah. Jedenfalls habe ich persönlich niemals Wesen >herge-stellt<, die Ihr Homunculi nennt.«
Nun zog Conan Becher eine kleine Phiole aus den weiten Falten seiner Kutte und reichte sie dem Präsidenten. Langsam wanderte sie durch die Hände der Geschworenen. Von ihrem Platz aus konnte Angélique ihren Inhalt nicht erkennen, sah aber, daß die meisten Mitglieder des Gerichtshofs sich bekreuzten. Einer der Richter ließ einen Gerichtsdiener rufen und schickte nach Weihwasser in die Kapelle.
Auf den Gesichtern der Gerichtspersonen malte sich Entsetzen, dann Todesangst. Der Richter Bourié rieb sich unaufhörlich die Hände, und man wußte nicht, ob vor Befriedigung oder um die Spuren schändlichen Gottesfrevels an seinen Fingern zu tilgen. Nur Peyrac schien für diese Prozedur kein Interesse aufzubringen.
Die Phiole kam zum Präsidenten Masseneau zurück, der sich, um sie zu untersuchen, eines Lorgnons mit dicker Schildpattumrandung bediente. Endlich brach er das angsterfüllte Schweigen.
»Dieses Ungeheuer ähnelt eher einer eingetrockneten Eidechse«, bemerkte er in enttäuschtem Ton.
»Ich habe zwei dieser vermutlich als Zaubermittel dienenden pergamentartigen Homunculi entdeckt, nachdem ich unter Lebensgefahr in das alchimistische Laboratorium des Grafen eingedrungen war«, erklärte der Mönch Becher bescheiden.
Masseneau wandte sich an den Angeklagten: »Erkennt Ihr diesen ... dieses Ding wieder? Wache, bringt dem Angeklagten die Phiole!«
Der angesprochene Koloß in Uniform wurde von konvulsivischen Zuckungen erfaßt. Er stammelte, zögerte und ergriff schließlich beherzt die Phiole, ließ sie dann aber so unglücklich fallen, daß sie zerbrach.
Ein enttäuschtes »Oh!« lief durch die Menge, die alsbald nach vorne drängte, um die Sache aus der Nähe zu besehen. Aber die Wachen hatten sich vor der ersten Reihe aufgepflanzt und hielten die Neugierigen zurück.
Schließlich trat ein Hellebardier hinzu und spießte mit seiner Waffe einen kleinen, undefinierbaren Gegenstand auf, den er dem Grafen Peyrac vor die Nase hielt.
»Das ist zweifellos einer der Wassermolche, die ich aus China mitgebracht habe«, sagte dieser gelassen. »Sie sind offenbar aus dem Aquarium entkommen, in das ich meinen Brennkolben zu tauchen pflegte, um das Wasser, in dem sie schwammen, gleichmäßig warm zu halten. Arme kleine Tiere .!«
»Eine der letzten Fragen des Verhörs«, sagte Masseneau. »Angeklagter, erkennt Ihr dieses Blatt hier wieder, auf dem ketzerische und alchimistische Werke verzeichnet sind? Diese Liste enthält, wie festgestellt wurde, die Titel derjenigen Bücher Eurer Bibliothek, die Ihr am häufigsten zu Rate gezogen habt. Ich sehe in dieser Aufzählung vor allem De Natura Rerum von Paracelsus, in dem die Stelle, die die teuflische Herstellung von Unholden wie dieser Homunculi betrifft, rot unterstrichen und mit einigen Worten von Eurer Hand versehen ist.«
Der Graf antwortete mit einer Stimme, die vor Erschöpfung heiser wurde:
»Das stimmt. Ich erinnere mich, in solcher Weise eine Anzahl Absurditäten unterstrichen zu haben.«
»Auf dieser Liste stehen außerdem Bücher, die nicht von der Alchimie handeln, die aber nichtsdestoweniger verboten sind. Ich zitiere: >Das Liebesleben der Gallier<, >Die widernatürliche Liebe in Frankreich<, >Die galanten Intrigen am französischen Hof<. Diese Bücher wurden in Den Haag oder in Lüttich gedruckt, wohin sich, wie wir wissen, die gefährlichsten der aus dem Königreich vertriebenen Pamphletisten flüchten. Diese Bücher werden heimlich nach Frankreich eingeführt, und wer sie zu erwerben versucht, macht sich im höchsten Grade schuldig. Ich lese auf dieser Liste auch Namen wie Galilei und Kopernikus, deren wissenschaftliche Theorien die Kirche mißbilligt hat.«
»Ich vermute, diese Liste stammt von einem Haushofmeister namens Clément, einem Spitzel im Solde ich weiß nicht welcher hohen Persönlichkeit, der mehrere Jahre in meinem Dienst war. Sie stimmt. Aber ich möchte daraufhinweisen, meine Herren, daß zwei Motive einen Amateur dazu bewegen können, dieses oder jenes Buch in seine Bibliothek zu stellen. Entweder man wünscht ein Zeugnis der menschlichen Klugheit zu besitzen, und das ist der Fall, wenn es sich um Werke von Kopernikus und Galilei handelt, oder aber man wünscht am Maßstab der menschlichen Dummheit die Fortschritte abzulesen, die die Wissenschaft seit den letzten Jahrhunderten gemacht hat und noch machen muß. Dieses ist der Fall, wenn man sich mit den Geistesprodukten des Paracelsus oder des Conan Becher befaßt. Glaubt mir, Ihr Herren, allein die Lektüre dieser Werke ist eine Strafe.«
»Mißbilligt Ihr die ordnungsmäßige Verdammung der gottlosen Theorien des Kopernikus und des Galilei durch die römische Kirche?«
»Ja, denn die Kirche hat sich offenkundig getäuscht. Was nicht besagt, daß ich sie auch in anderer Hinsicht anklage. Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte mich auf sie und ihr Wissen um Exorzismus und Hexerei verlassen können, als daß ich mich nun einem Prozeß ausgeliefert sehe, der sich in sophistischen Diskussionen verliert .«
Der Präsident hob in einer theatralischen Geste die Arme, wie um darzutun, daß es unmöglich sei, einen so unzugänglichen Angeklagten zur Vernunft zu bringen. Sodann beriet er sich flüsternd mit seinen Kollegen und verkündete endlich, das Verhör sei abgeschlossen, und man werde zur Vernehmung einiger Belastungszeugen übergehen.
Auf ein Zeichen von ihm setzten sich zwei Wachen in Bewegung, und hinter der Tür, durch die bereits der Gerichtshof eingetreten war, wurden Geräusche vernehmbar. Gleich darauf erschienen zwei Mönche in Weiß im Saal, sodann vier Nonnen und schließlich zwei Rekollekten in brauner Kutte. Die Gruppe stellte sich in einer Reihe vor der Geschworenentribüne auf.
Masseneau erhob sich.
»Meine Herren, wir treten nun in den heikelsten Teil des Prozesses ein. Vom König, dem Beschützer der Kirche Gottes, berufen, einen Hexenprozeß zu führen, mußten wir Zeugnisse beibringen, die gemäß dem römischen Ritual den schlagenden Beweis liefern sollten, daß der Sieur Peyrac mit dem Teufel im Bund steht. Vor allem bezüglich des dritten Punkts des Rituals, der besagt .«
Er beugte sich vor, um einen Text abzulesen.
». der besagt, daß die Person, die mit dem Teufel in Verbindung steht und die man gemeinhin >echte Besessene< nennt, übernatürliche Macht über den Geist und den Körper der andern< besitzt, liegt fol-gender Tatbestand vor .«
Der bitteren Kälte zum Trotz, die in dem großen Saal herrschte, wischte sich Masseneau diskret die Stirn, dann las er, ein wenig stockend, weiter.
». Es sind uns die Klagen der Äbtissin des Kloster der Jungfrauen des heiligen Leander in der Auvergne zu Ohren gekommen. Diese erklärte, eine vor kurzem in die Gemeinschaft aufgenommene Novize, die zunächst zu keinen Klagen Anlaß gegeben habe, bekunde neuerdings Zeichen eines Besessenseins, das sie dem Grafen Peyrac zur Last lege. Sie verhehle nicht, daß dieser sie früher zu sittenwidrigen Handlungen gezwungen und die Reue über diese Verfehlungen sie veranlaßt habe, sich ins Kloster zurückzuziehen. Aber sie finde dort nicht den Frieden, denn jener Mann fahre fort, sie aus der Ferne zu versuchen, und zweifellos habe er sie behext. Kurze Zeit darauf brachte sie dem Kapitel einen Rosenstrauß, der ihr, wie sie behauptete, über die Klostermauer von einem Unbekannten zugeworfen worden sei; der die Gestalt des Grafen Peyrac gehabt habe, der aber ein böser Geist gewesen sein müsse, denn es wurde nachgewiesen, daß der genannte Edelmann sich zu eben jener Zeit in Toulouse befunden hatte. Der besagte Strauß rief innerhalb der Gemeinschaft höchst seltsame Verwirrungen hervor. Andere Nonnen gerieten in merkwürdige und obszöne Verzückungszustände. Als sie wieder zur Besinnung kamen, sprachen sie von einem hinkenden Teufel, dessen Anblick sie mit übermenschlicher Wonne erfüllt und in ihrem Fleisch ein unauslöschliches Feuer entzündet habe. Begreiflicherweise verblieb die Novize infolge dieser Gemütswallungen in einem nahezu ununterbrochenen Trancezustand. Besorgt wandte sich die Äbtissin von Sankt Leander schließlich an ihre Vorgesetzten. Da zu jener Zeit gerade die Voruntersuchung im Prozeß des Sieur Peyrac begann, übersandte mir der Kardinalerzbischof von Paris die Akten. Und wir werden jetzt die Nonnen jenes Klosters vernehmen.«
Masseneau beugte sich über sein Pult und wandte sich respektvoll an eine der Haubenträgerinnen.
»Schwester Carmencita de Mérecourt, erkennt Ihr in jenem Manne denjenigen wieder, der Euch aus der Ferne verfolgt und behext hat?«
Eine pathetische Altstimme erklang:
»Ich erkenne meinen alleinigen und einzigen Gebieter.«
Mit Verblüffung entdeckte Angélique unter den strengen Schleiern das sinnliche Gesicht der schönen, heißblütigen Spanierin.
Masseneau räusperte sich und brachte mit sichtlicher Mühe heraus:
»Nun, Schwester, habt Ihr nicht das Ordenskleid angelegt, um Euch ausschließlich dem Herrn zu weihen?«
»Ich wollte dem Bilde des Mannes entrinnen, der mich behexte. Vergebens. Er verfolgt mich bis zum Meßamt.«
»Und Ihr, Schwester Louise de Rennefonds, erkennt Ihr denjenigen, der Euch während der Zwangsvorstellungen erschienen ist, deren Opfer Ihr wart?«
Eine junge und zitternde Stimme antwortete zaghaft: