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Eine Woge des Gelächters ging durch den Saal, und ein Kanzlist rief:
»Hoho! Schon möglich, daß ihm während seines Aufenthalts in der Bastille welche gewachsen sind.«
Angélique stieg zornige Röte ins Gesicht, und ihre Gefährtin griff nach ihrer Hand, um sie an ihr Versprechen zu erinnern, sich zu beherrschen.
Masseneau fuhr fort, indem er sich an die Äbtissin wandte:
»Madame, ich bin leider genötigt, Euch zu bitten, Eure Aussagen vor diesem Gericht zu bestätigen.«
Die betagte Nonne, die nicht bewegt, sondern nur unwillig zu sein schien, ließ sich nicht lange bitten und erklärte mit klarer Stimme:
»Was sich seit einigen Monaten in jenem Kloster zuträgt, dessen Äbtissin ich dreißig Jahre lang gewesen bin, ist eine wahre Schande. Man muß in den Klöstern leben, Ihr Herren, um zu wissen, zu welch grotesken Possen der Teufel fähig ist, wenn es ihm durch Vermittlung eines Hexenmeisters ermöglicht wird, sich zu offenbaren. Ich verhehle nicht, daß ich die mir heute zufallende Aufgabe als äußerst peinlich empfinde, denn ich bin gezwungen, vor einem weltlichen Gericht Geschehnisse auszubreiten, die eine Beleidigung der Kirche darstellen; doch hat mich Seine Eminenz der Kardinalerzbischof damit beauftragt. Indessen möchte ich bitten, unter Ausschluß der Öffentlichkeit vernommen zu werden.«
Der Präsident gab zur Befriedigung der Äbtissin und zur Enttäuschung der Zuhörerschaft dieser Bitte statt, und der Gerichtshof zog sich alsbald mit den Nonnen in einen Raum im Hintergrund zurück, der gewöhnlich als Kanzlei diente. Nur Carmencita blieb unter dem Schutz der vier Mönche, die sie hergebracht hatten, und zweier Gardisten im Saal.
Angélique betrachtete ihre einstige Rivalin. Die Spanierin hatte nichts von ihrer Schönheit eingebüßt
- im Gegenteil. Die klösterliche Zurückgezogenheit schien ihr Antlitz, in dem die großen schwarzen Augen einen überspannten Traum zu verfolgen schienen, geläutert und verfeinert zu haben.
Auch das Publikum weidete sich offenbar am Anblick der schönen Behexten. Angélique hörte Maître Gallemand spöttisch sagen:
»Verdammt noch eins, der Große Hinkefuß steigt in meiner Achtung!«
Ihr Gatte hatte, wie die junge Frau bemerkte, der letzten Szene keine Beachtung geschenkt. Jetzt, da der Gerichtshof hinausgegangen war, wollte er sich offenbar ein wenig ausruhen. Er versuchte, sich auf dem infamen Bänkchen niederzulassen, was ihm schließlich mit schmerzverzerrtem Gesicht gelang. Das lange Stehen mit seinen Krücken und vor allem die in der Bastille ertragene Tortur mit der Nadel hatten einen Märtyrer aus ihm gemacht. Eine Woge des Mitleids erfüllte fast schmerzhaft Angéliques Herz.
Schwester Carmencita tat plötzlich einige Schritte in die Richtung des Angeklagten, wurde jedoch von den Wachen zurückgetrieben. Jäh verwandelte sich das schöne Madonnengesicht. Es verzerrte sich, die Augen quollen hervor, und der Mund öffnete und schloß sich wie in einem schrecklichen Krampf. Dann führte sie blitzschnell die Hand an die Lippen. Ihre Zähne knirschten, weißer Schaum bildete sich vor dem Mund.
Desgray sprang auf.
»Seht! Da haben wir’s: das ist die große Szene der Seifenblasen.«
Bevor er weitersprechen konnte, wurde er gepackt und hinausgezerrt. Sein Ausruf löste bei der atemlosen Menge, die wie gebannt auf dieses Schauspiel starrte, kein Echo aus.
Ein konvulsivisches Zucken durchlief den ganzen Körper der Nonne. Sie tat ein paar schwankende Schritte auf den Angeklagten zu. Als die Mönche ihr erneut den Weg versperrten, blieb sie stehen, hob die Hände und begann ihre Haube mit ruckartigen Bewegungen herunterzureißen, wobei sie sich immer rascher um sich selbst drehte.
Die vier Ordensgeistlichen umdrängten sie und versuchten, sie zu überwältigen. Doch sei es, daß sie nicht wagten, allzu gewalttätig vorzugehen, sei es, daß sie tatsächlich nicht mit ihr fertig wurden - jedenfalls entglitt sie ihnen wie ein Aal, warf sich zu Boden und kroch mit schlangenartiger Gewandtheit zwischen die Beine und unter die Kutten der Mönche. Dort gab sie sich höchst anstößigen Bewegungen hin, versuchte die Kutten hochzuheben und gab ihre Träger dem Gelächter des Saales preis. Zwei- oder dreimal purzelten die armen Ordensbrüder in denkbar unerbaulicher Haltung übereinander.
Die völlig entgeistert auf dieses tumultuarische Gewirr von Kutten und Rosenkränzen glotzenden Wachen wagten nicht einzugreifen.
Endlich gelang es der nach allen Richtungen sich drehenden und windenden Carmencita, ihr Skapulier herunterzureißen, darauf ihr Kleid und plötzlich im fahlen Licht des Gerichtssaals ihren wundervoll blühenden, nackten Körper aufzurecken.
Der Spektakel war unbeschreiblich. Die Zuschauer schrien wild durcheinander. Eine Anzahl wollte den Saal verlassen, andere wollten keine Sekunde dieses unerhörten Schauspiels verlieren.
Ein ehrbarer Beamter, der in der ersten Reihe saß, riß schließlich seine eigene Robe herunter und verhüllte mit ihr die schamlos Rasende.
Eilends setzten sich die Angélique benachbarten Nonnen unter Führung ihrer Superiorin in Bewegung. Man ließ sie vorbei, da man die Schwestern des Armenhospitals erkannt hatte. Sie umringten Carmencita, und mit Schnüren, die sie wer weiß wo aufgetrieben hatten, banden sie sie wie eine Wurst und schleppten ihre schäumende Beute fast wie in einer Prozession hinaus.
In diesem Augenblick stieg ein greller Ruf aus der entfesselten Menge auf:
»Seht, der Teufel lacht!«
Ausgestreckte Arme wiesen auf den Angeklagten.
Und tatsächlich - Joffrey de Peyrac, in dessen unmittelbarer Nähe sich die Szene abgespielt hatte, ließ seiner Heiterkeit freien Lauf.
Eine Woge des Unwillens und des Abscheus riß die Zuschauermenge nach vorn. Ohne die Wachen, die hinzustürzten und martialisch ihre Hellebarden kreuzten, wäre der Angeklagte in Stücke gerissen worden.
»Kommt mit mir hinaus«, flüsterte Angéliques Gefährtin.
Und da die bestürzte junge Frau zögerte, sagte sie nachdrücklich:
»Aufjeden Fall wird der Saal geräumt werden. Wir müssen schauen, was aus Maître Desgray geworden ist. Von ihm werden wir erfahren, ob die Verhandlung heute nachmittag fortgesetzt wird.«
Sie fanden den Advokaten im Hof des Justizpalastes vor einem kleinen Ausschank, der vom Schwiegersohn und der Tochter des Scharfrichters betrieben wurde.
Der Advokat war sehr erregt.
»Habt Ihr gesehen, wie sie mich unter Ausnutzung der Abwesenheit des Gerichts hinausbeförderten? Verlaßt Euch drauf, wäre ich anwesend gewesen, hätte ich diese Verrückte schon dazu gebracht, das Stückchen Seife auszuspucken, das sie in den Mund genommen hatte! Aber laßt gut sein. Ich werde mir die Übertreibungen dieser beiden Zeugen in meinem Plädoyer zunutze machen .! Wenn nur Pater Kircher nicht so lange auf sich warten ließe, wäre mir wohler zumute. Kommt, setzt Euch an diesen Tisch neben das Feuer, meine Damen. Ich habe bei der kleinen Henkersmaid Eier und Fleischklößchen bestellt. Du hast doch nicht etwa Brühe von Totenköpfen dazu verwendet, meine Schöne?«
»Nein, Monsieur«, erwiderte diejunge Frau freundlich, »man nimmt sie nur zur Suppe der Armen.«
Angélique saß mit aufgestützten Armen am Tisch und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. Desgray betrachtete sie verdutzt. Er war der Meinung gewesen, sie weine, merkte aber, daß sie von nervösem Lachen geschüttelt wurde.
»O diese Carmencita!« stammelte sie mit tränenglitzernden Augen. »Was für eine Komödiantin! Ich habe noch nie etwas so Komisches gesehen! Glaubt Ihr, sie hat es absichtlich getan?«
»Wer kennt sich bei den Frauen aus!« brummte der Advokat.
An einem Nachbartisch erzählte ein alter Jurist vor seinen Kollegen:
»Wenn sie Komödie gespielt hat, die Nonne, nun, dann war es gute Komödie. In meiner Jugend bin ich bei dem Prozeß des Abbé Grandin dabeigewesen, der verbrannt wurde, weil er die Nonnen von Loudun behext hatte. Nun, dabei passierte genau dasselbe. Es gab im Saal gar nicht Mäntel genug, um all die hübschen Mädchen zu bedecken, die, hast du nicht gesehen, sich entkleideten, sobald sie seiner ansichtig wurden. Das heute war noch gar nichts. Bei der Loudun-Verhandlung gab es welche, die sich splitterfasernackt auf den Boden legten und .«
Er beugte sich vor, um besonders anstößige Details zu flüstern.
Angélique faßte sich wieder.
»Vergebt mir, daß ich gelacht habe«, murmelte sie. »Ich bin am Ende mit meinen Nerven.«
»Nun, so lacht doch, Ärmste, lacht ruhig!« erwiderte Desgray düster. »Zum Weinen ist noch Zeit genug. Wenn nur Pater Kircher da wäre! Was zum Teufel mag mit ihm los sein?«
Da er die Rufe eines Tintenverkäufers hörte, der sich mit umgehängtem Fäßchen und einem Bündel Gänsekielen in der Hand im Hof herumtrieb, ließ er ihn kommen und kritzelte auf der Tischecke eine Botschaft, die er einem Gerichtsdiener mit dem Auftrag übergab, sie sofort dem Polizeipräfekten, Monsieur d’Aubrays, zu bringen.
»Dieser d’Aubrays ist ein Freund meines Vaters. Ich teile ihm mit, daß er, koste, was es wolle, alle seine Wachen aussenden soll, um mir den Pater Kircher freiwillig oder mit Gewalt in den Justizpalast zu bringen.«
»Habt Ihr ihn im Temple suchen lassen?«