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»Was befürchtet Ihr?« fragte Angélique beunruhigt.
»Oh, nichts. Es wäre mir eben lieber, wenn er da wäre, das ist alles. Eigentlich sollte die wissenschaftliche Demonstration der Goldextraktion diese Richter überzeugen, auch wenn sie noch so borniert sind. Aber es genügt nicht, sie zu überzeugen, man muß sie auch verblüffen. Einzig die Stimme des Paters Kircher vermag sie zu bestimmen, sich über die königlichen Wünsche hinwegzusetzen. Kommt, die Verhandlung wird wiederaufgenommen, und Ihr wollt doch sicher nicht vor verschlossenen Türen stehen.«
Die Nachmittagssitzung begann mit einer Erklärung des Präsidenten de Masseneau und der Anklagerede des Generalstaatsanwalts Denis Talon, der abermals für die »Hexenmeister und Alchimisten« vorgese-hene Todesstrafe unter Anwendung der peinlichen und hochnotpeinlichen Befragung forderte. Dann kündigte der Präsident an, daß die Zeugen der Verteidigung vernommen würden. Desgray machte einer der Wachen ein Zeichen, und ein munterer Bursche betrat den Saal.
Er erklärte, Robert Davesne zu heißen und Schlosserlehrling beim Meister Dasron in der Rue de la Ferronnerie zu sein. Mit klarer Stimme schwor er unter Anrufung des heiligen Eligius, Schutzpatron der Zunft der Schlosser, die reine Wahrheit zu sagen.
Dann trat er zum Präsidenten Masseneau und übergab ihm einen kleinen Gegenstand, den dieser verwundert und mißtrauisch betrachtete.
»Was ist denn das?«
»Das ist eine Nadel mit Springfeder«, antwortete der Junge ungezwungen. »Da ich geschickte Finger habe, hat mich mein Meister beauftragt, ein solches Ding zu machen, das ein Mönch bei ihm bestellt hatte.«
»Was ist denn das wieder für eine Geschichte?« fragte der Richter, zu Desgray gewandt.
»Herr Präsident, die Anklage hat als belastendes Moment für meinen Mandanten dessen Reaktionen im Verlauf eines Exorzismus erwähnt, der in den Verliesen der Bastille unter Leitung von Conan Becher, dessen geistliche Titel auszusprechen ich mich aus Achtung vor der Kirche weigere, stattgefunden haben soll. Conan Becher hat erklärt, bei der Probe der >Teufelsflecken< habe der Angeklagte auf eine Weise reagiert, die über seinen Umgang mit dem Leibhaftigen keinen Zweifel zulasse. Bei Berührung jedes der im römischen Ritual bezeichneten neuralgischen Punkte soll der Angeklagte Schreie ausgestoßen haben, die sogar die Wärter erschauern ließen. Nun, ich möchte feststellen, daß die Nadel, mit der diese Probe durchgeführt wurde, nach ebendiesem Muster hergestellt worden ist, das Ihr in der Hand haltet. Meine Herren, dieser falsche >Exorzismus<, auf den der Gerichtshof sein Urteil zu stützen geneigt sein könnte, ist mit einem betrügerischen Instrument vorgenommen worden. Es enthielt eine lange Nadel mit Springfeder, die durch einen unmerklichen Druck mit dem Nagel ausgelöst und im gewünschten Augenblick ins Fleisch des Opfers getrieben werden konnte. Ich möchte wetten, daß auch der Beherzteste diese Probe nicht besteht, ohne wie ein Besessener aufzuschreien. Bringt einer von Euch, Ihr Herren Richter, den Mut auf, an sich selbst die Tortur vornehmen zu lassen, der mein Mandant unterworfen wurde und hinter der man sich verschanzt, um ihn des Besessenseins zu zeihen?«
Starr und bleich erhob sich Fallot de Sancé und streckte seinen Arm aus. Doch Masseneau schritt unwillig ein:
»Genug der Komödie! Ist dieses Instrument das gleiche, mit dem der Exorzismus vorgenommen wurde?«
»Es ist seine genaue Kopie. Das Original ist von ebendiesem Lehrling vor ungefähr drei Wochen in die Bastille gebracht und Becher übergeben worden. Der Lehrling kann es bezeugen.«
Im gleichen Augenblick betätigte der Junge arglistigerweise den Mechanismus, und die Nadel schoß unter der Nase Masseneaus hervor, so daß dieser zurückfuhr.
»Als Präsident des Gerichtshofs lehne ich diesen in letzter Stunde herangeholten Zeugen ab, der auf der Liste des Gerichtsschreibers nicht figuriert. Überdies handelt es sich um ein Kind. Seine Aussage ist ohnehin von fragwürdigem Wert. Endlich ist es zweifellos eine beeinflußte Aussage. Wieviel hat man dir gegeben, damit du hierherkommst?«
»Noch nichts, aber man hat mir das Doppelte dessen versprochen, was mir der Mönch bereits gegeben hatte, nämlich zwanzig Livres.«
Masseneau wandte sich zornig an den Advokaten.
»Ich mache Euch darauf aufmerksam, daß ich, falls Ihr auf der Protokollierung einer solchen Zeugenaussage besteht, gezwungen sein werde, die Vernehmung Eurer übrigen Entlastungszeugen abzulehnen.«
Desgray neigte den Kopf als Zeichen der Unterwerfung, und der Junge machte sich durch die kleine Kanzleitür davon, als sei ihm der Teufel auf den Fersen.
»Laßt die übrigen Zeugen herein«, befahl der Präsident trocken.
Ein Lärm erhob sich, wie ihn ein Trupp Möbeltransporteure zu verursachen pflegt. Von zwei Polizisten angeführt, erschien ein sonderbarer Aufzug. Zuerst schleppten mehrere schwitzende, zerlumpte Auslader von den Markthallen unförmige Pakete herein, aus denen Eisenrohre, Blasebälge und andere seltsame Gegenstände ragten. Dann folgten zwei kleine Savoyarden, die Körbe mit Holzkohlen und Steinguttöpfe mit merkwürdigen, gemalten Aufschriften brachten.
Schließlich sah man hinter zwei Wachen einen mißgestalten Gnom auftauchen, der den riesigen Schwarzen Kouassi-Ba vor sich herzuschieben schien. Der Mohr war über dem Gürtel nackt und hatte sich mit weißem Koalin ein Streifenmuster auf die Brust gemalt. Angélique erinnerte sich, daß er dergleichen an Feiertagen auch in Toulouse getan hatte, aber sein Erscheinen in diesem ohnehin schon wunderlichen Zuge erfüllte die Versammlung mit ängstlichem Staunen. Angélique hingegen seufzte erleichtert auf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Oh, die tapferen Leute«, dachte sie, während sie Fritz Hauer und Kouassi-Ba betrachtete. »Obwohl sie doch wissen, was sie aufs Spiel setzen, wenn sie ihrem Herrn zu Hilfe kommen.«
Sobald die Träger ihre Pakete abgelegt hatten, verschwanden sie wieder. Der alte Sachse und der Mohr machten sich ans Auspacken und Aufstellen des tragbaren Schmelzofens und der Blasebälge. Dann band der Sachse zwei Säcke auf, aus denen er mühsam einen schweren, schwarzen Fladen von schlacken-artigem Aussehen und einen offensichtlich aus Blei bestehenden Barren hervorholte.
Die Stimme von Desgray ließ sich vernehmen:
»In Erfüllung des vom Gerichtshof einmütig geäußerten Wunsches, alles zu sehen und zu hören, was die Anklage wegen Transmutation von unedlen in edle Metalle mit Hilfe der Schwarzen Kunst betrifft, erscheinen hier die Zeugen und >Komplicen< des angeblich magischen Vorgangs. Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß sie vollkommen freiwillig erschienen und ihre Namen nicht etwa meinem Mandanten, dem Grafen Peyrac, durch die Folter entrissen worden sind. Herr Präsident, wollt Ihr jetzt dem Angeklagten verstatten, vor Euch und mit seinen üblichen Gehilfen das Experiment vorzuführen, das die Anklageschrift als >magisches Hexenwerk< bezeichnet, während er behauptet, daß es sich dabei um die Extraktion unsichtbaren Goldes auf wissenschaftlicher Grundlage handelt.«
Maître Gallemand flüsterte seinem Nachbarn zu: »Die Herren schwanken zwischen der Neugier, der Lockung der verbotenen Frucht, und den strengen Anweisungen, die von sehr hoher Steile kommen. Wären sie wirklich bösartig, würden sie es strikt ablehnen, sich beeinflussen zu lassen.«
Angélique erschauerte bei dem Gedanken, der sichtbare Beweis der Schuldlosigkeit ihres Gatten könne im letzten Augenblick unterbunden werden, doch die Neugier oder vielleicht sogar der Gerechtigkeitssinn trug den Sieg davon. Joffrey de Peyrac wurde von Masseneau aufgefordert, die Demonstration zu leiten und alle sich ergebenden Fragen zu beantworten.
»Könnt Ihr uns zuvor schwören, Graf, daß bei dieser Goldgeschichte weder der Justizpalast noch die darin befindlichen Menschen in Gefahr geraten?«
Joffrey versicherte, nicht das geringste sei zu befürchten.
Darauf beantragte der Richter Bourié, man möge den Pater Becher zurückkommen lassen, um ihn während des sogenannten Experiments mit dem Angeklagten konfrontieren zu können und auf diese Weise jeden Betrug auszuschließen.
Masseneau neigte gemessen seine Perücke, und Angélique konnte das nervöse Zittern nicht unterdrücken, das sie jedesmal beim Anblick dieses Mönchs befiel, der nicht nur der böse Geist dieses Prozesses war, sondern auch der Erfinder der Folternadel und vermutlich der Anstifter der Carmencita-Komödie. Er verkörperte alles, was Joffrey de Peyrac bekämpft hatte, den Zerfall, den Bodensatz einer verklungenen Welt, einer dunklen Epoche, die sich wie ein gewaltiger Ozean über Europa gebreitet hatte und während ihres Rückzugs im neuen Jahrhundert nur den nutzlosen Schaum der Sophistik und Dialektik zurückließ.
Die Hände in den weiten Ärmeln seiner Kutte verborgen, mit gerecktem Hals und starrem Blick, verfolgte der Mönch die Vorbereitungen des Sachsen und Kouassi-Bas, die das Feuer anzufachen begannen.
Hinter Angélique wisperte ein Priester vernehmlich mit einem seiner Kollegen:
»Die zarten Seelen der abergläubischen Laien dürften durch ein solches Gespann menschlicher Unholde, vor allem durch diesen wie zu einer Zauberzeremonie bemalten Mohren kaum beruhigt werden. Glücklicherweise vermag der Allmächtige die Seinen stets zu erkennen. Ich habe mir sagen lassen, ein auf Veranlassung der Diözese von Paris heimlich, aber nach den Regeln angestellter Exorzismus habe ergeben, daß die Anklage der Hexerei, die man gegen diesen Edelmann erhoben hat, völlig gegenstandslos sei. Möglicherweise wird man ihn nur wegen mangelnder Gottesfurcht bestrafen ...«
Verzweiflung und Zuversicht stritten sich in Angéliques Herzen. Sicher hatte der Geistliche recht. Warum nur mußte der gute Fritz Hauer einen Buckel und dieses bläuliche Gesicht haben, warum mußte Kouassi-Ba so furchterregend aussehen? Und als Joffrey de Peyrac mühsam seinen langen, geräderten Körper aufrichtete, um sich hinkend dem rotglühenden Schmelzofen zu nähern, vervollständigte er nur das grausige Bild.
Der Angeklagte forderte einen der Wächter auf, den porös und schwarz wirkenden Schlackebrocken aufzuheben und ihn zuerst dem Präsidenten, dann allen andern Mitgliedern des Gerichts zu zeigen. Ein anderer Wächter reichte ihnen ein starkes Vergrößerungsglas, damit sie den Stein genau unter-suchen konnten.
»Dies, Ihr Herren, ist der geschmolzene >Rohstein<, goldhaltiger Eisenkies, der im Bergwerk von Salsigne gewonnen wurde«, erklärte Peyrac.
»Es ist genau die gleiche schwarze Materie«, bestätigte Becher, »die ich zerstoßen und gewaschen habe, ohne eine Spur Gold zu finden.«
»Nun, Pater«, sagte der Angeklagte in einem ehrerbietigen Ton, den Angélique bewunderte, »Ihr werdet aufs neue Eure Goldwäschertalente unter Beweis stellen. Kouassi-Ba, reiche einen Mörser.«
Der Mönch krempelte seine weiten Ärmel hoch und machte sich mit Eifer daran, das schwarze Gestein zu zerstoßen, das sich ohne sonderliche Mühe in Pulverform verwandeln ließ.
»Herr Präsident, wollet jetzt die Güte haben, einen großen Zuber mit gewöhnlichem Wasser und ein gründlich gereinigtes Zinnbecken bringen zu lassen.«
Während zwei Wachen hinausgingen, um das Nötige zu holen, ließ der Gefangene den Richtern auf die gleiche Weise einen Metallbarren vorlegen. »Das ist das Blei, wie man es für Kugeln oder für Wasserrohre benützt, vom Fachmann >armes Blei< genannt, denn es enthält praktisch weder Gold noch Silber.«
»Wie können wir dessen sicher sein?« wollte der Protestant Delmas wissen.
»Ich kann es Euch durch die Kupellenprobe beweisen.«
Der Sachse reichte seinem einstigen Herrn eine dicke Unschlittkerze und zwei kleine, weiße Würfel. Mit einem Federmesser schürfte Joffrey an der Seite eines der Würfel eine kleine Höhlung aus.
»Was ist das für eine weiße Masse? Ist es Porzellanerde?« erkundigte sich Masseneau.
»Das ist eine Kupelle aus Knochenasche, jener Asche, die Euch bereits zu Beginn dieser Verhandlung so sehr beeindruckt hat. Nun, Ihr werdet sehen, daß diese weiße Masse ganz einfach dazu dient, das Blei zu absorbieren, nachdem man es durch die Flamme dieser Unschlittkerze erhitzt hat .«
Die Kerze wurde angezündet, und Fritz Hauer brachte ein kleines, rechtwinklig gebogenes Rohr, mit dessen Hilfe der Graf die Kerzenflamme auf das in der Kupelle liegende Stück Blei blies.
Man sah die Flamme sich seitwärts krümmen und das Blei berühren, das zu schmelzen und fahlblaue Dämpfe zu entwickeln begann.