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»Die echten Gelehrten nennen das >den Stein der Weisen anblasen<«, erklärte er in verbissenem Ton.
Der Graf unterbrach sein Experiment für einen Augenblick.
»Ginge es nach diesem Toren, hätte jeder aus einem Kamin steigende Rauch für Teufelsodem zu gelten.«
Der Mönch setzte die Miene eines Märtyrers auf, und der Präsident rief den Angeklagten zur Ordnung.
Joffrey de Peyrac blies von neuem. Im abendlichen Dämmerlicht, das den Saal zu erfüllen begann, sah man, wie das Blei rötlich brodelte, sich dann beruhigte und, nachdem der Graf das Rohr abgesetzt hatte, eine dunkle Färbung annahm. Plötzlich löste sich die kleine, beißende Rauchwolke auf, und man stellte fest, daß das geschmolzene Blei vollständig verschwunden war.
»Das ist nichts anderes als ein Trick, der absolut nichts beweist«, bemerkte Masseneau.
»Er zeigt, daß die Knochenasche das gesamte oxydierte arme Blei absorbiert oder, wenn Ihr wollt, getrunken hat, und das beweist, daß dieses Blei der edlen Metalle bar ist, was ich Euch durch dieses Verfahren demonstrieren wollte. Nun bitte ich Pater Becher, mit dem Waschen jenes von mir als goldhaltig bezeichne-ten schwarzen Pulvers zu beginnen, und wir werden alsdann zur Extraktion des Goldes schreiten.«
Die beiden Gardisten waren mit einem Wasserkübel und einem Becken zurückgekehrt.
Nachdem der Mönch das von ihm im Mörser hergestellte Pulver durch kreisende Bewegungen gewaschen hatte, zeigte er dem Gericht mit triumphierender Miene die kümmerlichen Rückstände der schweren Materie, die sich auf dem Grund der Schüssel niedergeschlagen hatten.
»Genau das, was ich behauptet habe: auch nicht die geringste Spur von Gold. Man vermag es nur mit zauberischen Mitteln herauszuziehen.«
»Das Gold ist unsichtbar«, wiederholte Joffrey. »Aus diesem zerstampften Gestein werden meine Gehilfen es mittels Blei und Feuer extrahieren. Ich will mich dabei nicht beteiligen. So werdet Ihr die Gewähr haben, daß ich kein neues Element hinzubringe und mich keiner kabalistischen Formeln bediene, sondern daß es sich hier um einen handwerksmäßigen Vorgang handelt, der von Arbeitern durchgeführt wird, die ebensowenig Hexenmeister sind wie jeder beliebige Schmied.«
Maître Gallemand flüsterte:
»Er redet zu schlicht und zu gut. Gleich werden sie ihm vorwerfen, er behexe das Gericht und den ganzen Saal.«
Von neuem machten sich Kouassi-Ba und Fritz Hauer geschäftig ans Werk. Sichtlich mißtrauisch, aber erfüllt von seiner »Mission« und der beherrschenden Rolle, die ihm in diesem Prozeß ganz allmählich zuwuchs, verfolgte Becher das Füllen des Schmelzofens mit Holzkohle.
Der Sachse ergriff einen großen Schmelztiegel aus Ton, tat das Blei und danach das schwärzliche Pulver der zerstoßenen Schlacke hinein und bedeckte alles mit einem weißen Salz - Borax, wie Angélique annahm. Schließlich wurde Holzkohle darübergelegt, und Kouassi-Ba begann die beiden Blasebälge mit dem Fuß zu betätigen.
Angélique bewunderte die Geduld, mit der ihr Gatte, der kurz zuvor noch so stolz und arrogant gewesen war, sich in diese Komödie schickte.
Absichtlich stand er ziemlich weit vom Schmelzofen entfernt, neben dem Angeklagtenbänkchen, doch der Feuerschein erhellte eben noch sein hageres, von üppigem Haar umrahmtes Gesicht. Etwas Düsteres und Bedrückendes ging von dieser seltsamen Szene aus.
Inzwischen schmolz im intensiven Feuer die Masse des Bleis und der Schlacke. Die Luft füllte sich mit Rauch und einem scharfen schwefligen Geruch. In den ersten Reihen begannen einige der Zuschauer sich zu räuspern und zu husten, und zeitweilig verschwand sogar der ganze Gerichtshof hinter den dunkel aufsteigenden Dämpfen.
Angélique fand es nun doch recht verdienstvoll von den Richtern, sich solcherweise wenn auch nicht Hexereien, so immerhin reichlich unangenehmen Experimenten auszusetzen.
Der Richter Bourié erhob sich und bat um die Erlaubnis, näher treten zu dürfen, die ihm von Masseneau auch erteilt wurde. Doch Bourié, von dem der Advokat behauptet hatte, der König habe ihm für den Fall, daß der Prozeß den gewünschten ungünstigen Ausgang nehme, große Versprechungen gemacht, blieb nur zwischen dem Schmelzofen, dem er den Rücken zuwandte, und dem Angeklagten stehen, den er unausgesetzt beobachtete. Der Richter Fallot aber schien selbst förmlich wie auf glühenden Kohlen zu sitzen. Er wich den Blicken seiner Kollegen aus und rutschte unruhig auf seinem großen roten Polstersessel herum.
»Armer Gaston!« dachte Angélique. Doch dann verlor sie jedes Interesse an ihm.
Schon wurde der Schmelztiegel unter der Einwirkung des Feuers, das ein Gardist ständig mit Holzkohle nährte, rot und darauf fast weiß.
»Halt!« befahl der sächsische Bergmann, der, mit Ruß, Schweiß und Knochenasche bedeckt, immer mehr einem der Hölle entstiegenen Ungeheuer glich.
Einem der mitgebrachten Säcke entnahm er eine schwere Zange, faßte mit ihr den in den Flammen stehenden Schmelztiegel, stützte sich fest auf seine kurzen Beine und hob ihn ohne sichtbare Mühe an. Kouassi-Ba schob ihm eine Sandform zu. Ein silbern glänzender Strahl ergoß sich funkensprühend in die Gießflasche.
Joffrey erwachte aus seinem Versunkensein und erklärte mit müder Stimme:
»Dies war der Strom des Bleis, der die edlen Metalle des goldhaltigen Rohgesteins festhält. Wir werden die Form zerbrechen und dieses Blei sofort auf einer unten im Ofen befindlichen Aschen->Sohle< kupellieren.«
Fritz Hauer zeigte diese »Sohle«, die aus einer dicken weißen, mit einer Höhlung versehenen Feuerplatte bestand, und stellte sie über die Flammen. Um den Barren vom Schmelztiegel zu lösen, mußte er sich eines Ambosses bedienen, so daß der ehrwürdige Justizpalast eine Weile von dröhnenden Hammerschlägen widerhallte. Dann wurde das Blei vorsichtig in die Höhlung gelegt und das Feuer angefacht. Als Sohle und Blei zu glühen begannen, ließ Fritz die Blasebälge ruhen, und Kouassi-Ba räumte die noch im Ofen befindliche Holzkohle aus.
In ihm blieb nur, eingefangen in der Höhlung der rot leuchtenden »Sohle«, das weißglühend brodelnde geschmolzene Blei, das allmählich klarer wurde.
Kouassi-Ba ergriff einen kleinen Handblasebalg und richtete ihn auf das Blei. Statt sie zu löschen, belebte die kalte Luft die Weißglut, und das Bad strahlte hell auf.
»Seht das Hexenwerk!« kreischte Becher. »Ohne Kohle beginnt das Höllenfeuer das Große Werk! Seht! Die drei Farben erscheinen.«
Der Mohr und der Sachse bliesen abwechselnd auf das geschmolzene Bad, in dem es wie Irrlichter zuckte und tanzte. Ein feuriges Ei zeichnete sich in seiner wogenden Masse ab. Als der Schwarze schließlich mit seinem Blasebalg zurücktrat, richtete das Ei sich auf, drehte sich wie ein Kreisel, verlor an Glanz und wurde immer dunkler.
Doch plötzlich erhellte es sich von neuem, strahlte weiß auf, hüpfte, sprang aus der Höhlung und rollte über den Boden bis zu den Füßen des Grafen.
»Das Ei des Teufels kehrt zu dem zurück, der es geschaffen hat«, schrie Becher. »Das ist der Blitz! Das Knallgold! Es wird vor uns zerplatzen!«
Der Saal schrie auf.
Im Halbdunkel, in das man plötzlich getaucht war, rief Masseneau nach Leuchtern. Als endlich einige hereingebracht wurden, legte sich der Tumult ein wenig.
Der Graf, der sich nicht gerührt hatte, berührte den Metallbrocken mit dem Ende seiner Krücke.
»Heb den Barren auf, Kouassi-Ba, und bring ihn dem Richter.«
Ohne zu zögern, sprang der Schwarze herzu, nahm das metallische Ei auf und bot es auf seiner schwarzen Handfläche dar.
»Das ist Gold!« keuchte der Richter Bourié. Er wollte gierig nach ihm greifen, aber kaum hatte er es berührt, als er einen fürchterlichen Schrei ausstieß und seine Hand verbrannt zurückzog.
»Das Höllenfeuer!«
»Wie kommt es, Graf«, fragte Masseneau, indem er seiner Stimme Festigkeit zu geben versuchte, »daß die Hitze dieses Goldes Euren schwarzen Diener nicht versengt?«
»Jedermann weiß, daß Mohren Glut in der Hand zu halten vermögen - genau wie die auvergnatischen Köhler.«
Ohne dazu aufgefordert zu sein, leerte Becher mit hervorquellenden Augen ein Fläschchen Weihwasser über dem bewußten Metallbrocken.
»Ihr Herren des Gerichtshofs, Ihr habt gesehen, wie vor Euch und im Widerspruch zu allen rituellen Exorzismen Teufelsgold gemacht worden ist. Nun urteilt selbst, ob Zauberkraft wirkte!«
»Glaubt Ihr, daß dieses Gold echt ist?« fragte Masseneau.
Der Mönch grinste und holte aus seiner unergründlichen Tasche ein weiteres Fläschchen hervor, das er vorsichtig entkorkte.
»Dies ist Scheidewasser, das nicht nur Messing und Bronze angreift, sondern auch die Gold-SilberLegierung. Aber ich bin im voraus überzeugt, daß es sich um Purum Aurum handelt.«
»Dieses in Eurer Gegenwart aus dem Gestein ausgeschiedene Gold ist keineswegs vollkommen rein«, mischte sich der Graf ein. »Sonst hätte sich am Ende des Kupellierungsprozesses nicht das Phänomen des Blitzes gezeigt, der jenes andere Phänomen erzeugte, das den Barren von allein springen ließ. Vulpius ist der erste Gelehrte, der diese merkwürdige Wirkung beschrieb.« Die verdrießliche Stimme des Richters Bourié fragte:
»Ist dieser Vulpius wenigstens römisch-katholisch?«