142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 105

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2.    das Vermögen, die geheimen Dinge zu erahnen und zu wissen;

3.    übernatürliche Körperkräfte,

haben wir in dieser Nacht des 25. Dezember 1660 als einziger vom Römischen Kirchengericht beauftragter Exorzist für die gesamte Diözese von Paris, gleichwohl unter Assistenz zweier weiterer Priester unserer heiligen Kongregation, den Gefangenen Joffrey de Peyrac den im Ritual vorgesehenen Prüfungen und Verhören unterzogen.

Woraus sich ergab, daß der Exorzisierte nur von erlernten Sprachen Kenntnis hatte, daß er sehr gelehrt, aber keineswegs hellsichtig wirkte, daß er keine übernatürlichen Körperkräfte aufzuweisen hatte, vielmehr nur eitrige, durch tiefe Stiche verursachte Wunden und alte Körperschäden. Daher erklären wir, daß der geprüfte Joffrey de Peyrac keinesfalls vom Teufel besessen ist ...< Es folgen die Unterschriften des R. P. Kircher von der Gesellschaft Jesu, Großexorzisten der Diözese von Paris, und diejenigen der ehrwürdigen Patres de Marsan und die Montaignat, die ihm assistierten.«

Die Verblüffung und Erregung im Saale waren geradezu greifbar, obwohl niemand sich rührte oder auch nur flüsterte.

Desgray betrachtete die Richter.

»Was vermöchte ich diesen Ausführungen hinzuzufügen? Meine Herren Richter, Ihr werdet Euer Urteil fällen, und zwar im vollen Bewußtsein einer Tatsache: daß nämlich die Kirche, in deren Namen man von Euch die Verdammung dieses Mannes verlangt, ihn des Verbrechens der Hexerei, dessentwegen man ihn hierhergezerrt hat, für nicht schuldig erkennt. Meine Herren, ich überlasse Euch Eurem Gewissen.«

Mit selbstsicherer Geste griff Desgray nach seinem Barett, setzte es auf und stieg die Stufen der kleinen Tribüne hinab.

Da erhob sich der Richter Bourié, und seine scharfe Stimme widerhallte in der betretenen Stille:

»So soll er kommen! So soll er persönlich kommen! Pater Kircher möge von dieser heimlichen Prozedur Zeugnis ablegen, die in mehr als einer Hinsicht verdächtig erscheint, weil sie ohne Wissen der Justiz durchgeführt wurde.«

»Pater Kircher wird kommen«, versicherte Desgray in ruhigem Ton. »Er müßte bereits hier sein. Ich habe ihn holen lassen.«

»Nun, und ich sage Euch, daß er nicht kommen wird«, schrie Bourié, »denn Ihr habt gelogen. Ihr habt diese ganze alberne Geschichte mit dem heimlichen Exorzismus frei erfunden, um die Richter zu beeindrucken. Ihr habt Euch hinter den Namen bedeutender kirchlicher Persönlichkeiten verschanzt, um den Freispruch zu erzwingen. Der Betrug wäre entdeckt worden, aber zu spät .!«

Der junge Advokat faßte sich rasch und fuhr mit gewohnter Behendigkeit auf ihn los.

»Ihr beleidigt mich, Monsieur. Ich bin kein ausgepichter Fälscher wie Ihr. Ich gedenke des Eides, den ich vor der Königlichen Anwaltskammer abgelegt habe, als ich meine Zulassung bekam.«

Das Publikum bekundete aufs neue lärmend sei-ne Meinung. Masseneau suchte sich verständlich zu machen. Doch noch immer war Desgrays Stimme beherrschend.

»Ich beantrage ... ich beantrage die Vertagung der Verhandlung auf morgen. Der R. P Kircher wird seine Erklärung bekräftigen, ich schwöre es.«

In diesem Augenblick öffnete sich eine Tür. Ein kalter Luftzug, in dem sich Schneeflocken mischten, drang durch einen der Eingänge des Halbrunds, der an der Hofseite lag. Alles wandte sich dieser Pforte zu, in deren Rahmen zwei schneebedeckte Polizisten erschienen waren und nun zur Seite traten, um einen kleinen, untersetzten, aufs sorgfältigste gekleideten Mann durchzulassen, dessen Perücke und Mantel ohne Schneespuren bewiesen, daß er soeben einer Kutsche entstiegen war.

»Herr Präsident«, sagte er mit rauher Stimme, »ich habe erfahren, daß Ihr zu dieser späten Stunde noch Sitzung abhaltet, und ich glaubte, Euch umgehend eine Nachricht bringen zu müssen, die ich für wichtig halte.«

»Bitte, Herr Polizeipräfekt«, erwiderte Masseneau verwundert.

Monsieur d’Aubrays wandte sich dem Advokaten zu.

»Maître Desgray hier hatte mich gebeten, in der Stadt Nachforschungen nach einem Jesuitenpater namens Kircher anzustellen. Nachdem ich einige Beamte an die verschiedenen Orte geschickt hatte, wo er hätte sein können, jedoch nicht gesehen worden war, wurde mir mitgeteilt, daß ein im Eis der Seine gefundener Ertrunkener in das Leichenschauhaus des Châtelet gebracht worden sei. Ich begab mich in Begleitung eines Jesuitenpaters aus dem Temple dorthin. Dieser erkannte seinen Ordensbruder, den Pater Kircher, eindeutig wieder. Sein Tod ist vermutlich in den ersten Morgenstunden erfolgt .«

»So schreckt Ihr also auch nicht vor dem Verbrechen zurück!« kreischte Bourié und wies mit ausgestrecktem Arm auf den Advokaten.

Die übrigen Richter ereiferten sich und schienen Masseneau Vorwürfe zu machen. Aus der Menge stiegen Schreie auf:

»Genug! Schluß machen ...!«

Mehr tot als lebendig, gelang es Angélique nicht einmal mehr zu erkennen, wem diese Rufe galten. Sie sah, daß Masseneau aufstand, und gab sich Mühe, ihn zu verstehen.

»Meine Herren, die Verhandlung wird fortgesetzt. Da der vom Verteidiger in letzter Stunde angekündigte Hauptzeuge, der ehrwürdige Jesuitenpater Kircher, tot aufgefunden wurde und der hier anwesende Herr Polizeileutnant keinerlei Dokument bei ihm entdeckte, das bezeugen könnte, was Maître Desgray uns mitgeteilt hat, da im übrigen ausschließlich die Person des R. P Kircher dem angeblich aufgesetzten heimlichen Protokoll Glaubwürdigkeit verleihen könnte, betrachtet das Gericht diese Einwendungen als null und nichtig und wird sich jetzt zur Urteilsfindung zurückziehen.«

»Tut das nicht!« rief Desgray verzweifelt. »Wartet noch mit dem Urteilsspruch. Ich werde Zeugen beibringen. Pater Kircher ist ermordet worden.«

»Von Euch!« warf Bourié ein.

»Maître, beruhigt Euch«, sagte Masseneau. »Habt Vertrauen zur Entscheidung der Richter.«

Dauerte die Beratung ein paar Minuten oder länger?

Es kam Angélique vor, als hätten sich die Richter nie von der Stelle gerührt, als seien sie immer dagewesen mit ihren viereckigen Baretten, ihren roten und schwarzen Roben, als würden sie immer dort bleiben, festgebannt an ihre Plätze, vor denen sie nun standen. Die Lippen des Präsidenten de Masseneau bewegten sich. Mit zitternder Stimme verlas er:

»Im Namen des Königs verkünde ich, daß Joffrey de Peyrac de Morens der Verführung, der Gottlosigkeit, der Magie, der Hexerei und anderer in diesem Prozeß zur Sprache gekommener Verbrechen für schuldig befunden wurde, zu deren Sühnung er den Händen des Scharfrichters übergeben und von allen zum Vorplatz von Notre-Dame geleitet werden soll, um dort barhäuptig und mit bloßen Füßen, den Strick um den Hals und eine Kerze in der Hand, die Vergebung seiner Sünden zu erbitten.

Alsdann soll er zur Place de Grève gebracht und dort lebendigen Leibes auf einem zu diesem Zweck zu errichtenden Scheiterhaufen verbrannt werden, bis daß sein Fleisch und seine Knochen zu Asche zerfallen, welch selbige man in alle Winde verstreuen wird.

Und jedes seiner Güter soll erfaßt und zugunsten des Königs eingezogen werden.

Und bevor er hingerichtet wird, soll er der peinlichen und hochnotpeinlichen Befragung unterworfen werden.

Weiterhin verkünde ich, daß der Sachse Fritz Hauer zum Mitschuldigen erklärt wurde und zur Sühne an einem auf der Place de Grève zu errichtenden Galgen gehenkt und gewürgt werden soll, bis daß der Tod eingetreten ist. Und ich verkünde, daß der Mohr Kouassi-Ba zum Mitschuldigen erklärt und zur Sühne zu lebenslänglicher Galeere verurteilt wurde.«

Neben dem Sünderbänkchen schwankte, auf zwei Stöcke gestützt, die hohe Gestalt Joffrey de Peyracs. Er erhob sein fahles Gesicht zum Tribunal.

»Ich bin unschuldig!«

Sein Schrei verklang in Totenstille.

Dann fuhr er mit ruhiger, dumpfer Stimme fort:

»Baron de Masseneau de Pouillac, ich weiß, daß jetzt nicht mehr Zeit ist, meine Unschuld zu beteuern. Ich werde also schweigen. Doch bevor ich von hier weggeführt werde, möchte ich Euch öffentlich für das Bemühen um Rechtlichkeit Dank sagen, das Ihr in diesem Prozeß gezeigt habt, dessen Vorsitz und Abschluß Euch aufgezwungen wurden. Empfangt von einem Edelmann aus altem Geschlecht die Versicherung, daß Ihr würdiger seid, das Adelswappen zu führen als diejenigen, die Euch regieren.«

Im roten Gesicht des toulousanischen Parlamen-tariers zuckte es. Einen Moment hob er die Hand vor die Augen, dann rief er in jener langue d’oc, die nur Angélique und der Angeklagte verstanden:

»Adieu! Adieu, >Bruder meines Landes<!«

Draußen in der tiefen Nacht, die sich bereits der Morgendämmerung näherte, schneite es, und der Wind trieb große Flocken vor sich her. Im dicken, weißen Teppich stolpernd, verließen die Leute den Justizpalast. Laternen schaukelten an den Wagenschlägen.

Eine halbnärrische Frau, Carmencita de Mérecourt, klammerte sich an die Roben der nach Hause eilenden Richter. Schreiend bezichtigte sie sich, ihre einzige Liebe gemordet zu haben.

Angélique schritt im Gewühl der vor Übermüdung trunkenen Zuschauer dahin, die wie von Entsetzen gelähmt schwiegen. Sie erkannte in der zerzausten, trotz der eisigen Kälte halbentblößten Frau, deren Stimme das Heulen des Schneesturms übertönte, Carmencita nicht wieder.

»Nehmt mich doch fest ... Er ist unschuldig! Ich habe ihn verleumdet! Ich wollte mich rächen, weil er sie liebte! Er liebte sie, die >andere<, und er hat mich nicht mehr geliebt .«

Zehn Leuten gelang es nur mit Mühe, die Rasende loszureißen, die sich an die Rockschöße des Präsidenten de Masseneau geklammert hatte.

Die >andere< wanderte einsam durch die finsteren, verschneiten Straßen von Paris. Beim Verlassen des Justizpalasts hatte Angélique die Nonne im Gedränge verloren. Nun strebte sie mechanisch dem Temple-Bezirk zu. Sie dachte an nichts; sie hatte nur ein einziges Bedürfnis: ihr kleines Zimmer aufzusuchen und sich über Florimonds Bettchen zu beugen.