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Die Königin bittet die Zwergin, ihr recht dicke Schokolade mit einem geschlagenen Ei und Zimt zu bereiten. Sie wird sie in ganz kleinen Schlucken trinken und dabei an Spanien denken ...
Der König liegt in den Armen von Mademoiselle de La Mothe-Houdancourt, und wenn er sie küßt, schwärzt er ihr frisches Gesicht.
Péguillin andrerseits ist ein wenig unruhig. Die großen, hellen und verschüchterten Augen seiner Eroberung, die Schwierigkeiten des Nehmens machen ihn unsicher. War er gar der erste, der dieses köstliche Porzellanfigürchen mit den zarten Gliedern, das sich immer wieder seinen Umarmungen entzog, die Liebeskünste lehrte?
»Sagt mir, mein Herz«, flüstert er, »seid Ihr noch Jungfrau?«
Im gleichen Augenblick zwickt ihn die Unschuldige in die Nase. Nun, man würde sich verständigen. Sie macht sich über ihn lustig, weiter nichts, ohne zu ahnen, daß die Zeit kostbar ist und daß da droben de Vardes und Bontemps gähnen und steif werden, während sie die Leiter halten. Man muß die Minuten nutzen, zum Teufel! Oh, das ist schon besser! Wirklich köstlich, diese Kleine. Komisch, daß er sie bisher nicht bemerkt hat. Dennoch hat er das Gefühl, sie schon lange zu kennen, und in ihrem Lachen ist etwas Vertrautes.
»Sagt mir Euren Namen, mein Schätzchen«, bittet er beim Abschied.
Sie verzieht trotzig das Gesicht.
»Sagt mir den Eurigen!«
»Ich bin doch Péguillin. Habt Ihr mich nicht erkannt?«
Sie lacht abermals. »Péguillin, der Schornsteinfeger.«
Dann geruht sie, sich mit kindlichem Ernst vorzu-stellen:
»Ich heiße Marie-Agnès de Sancé.«
In seinen Gemächern im Louvre fühlt Monsieur de Mazarin den Tod nahen. Heute hat er sich ins Palais der Rue Neuve-des-Petits-Champs tragen lassen, um die herrliche Bibliothek zu besichtigen, in der Gabriel Nausé fünfunddreißigtausend Bände aufgestellt hat, die er aus Holland, Flandern, England und Italien kommen ließ. Dann hat man ihn in seine riesigen Stallungen geführt, die die Ausländer als das achte Weltwunder bestaunen. Und er mußte beim Anblick der so herrlich bestickten Schabracken seiner Maultiere lachen, weil die Theatinerpatres sie unbedingt haben wollen, um ihre Kirche damit auszuschmücken. Doch bei der Rückkehr von diesem Ausflug ist der Kardinal in Ohnmacht gesunken. Der Tod ist nicht fern, er weiß es. Er muß all die köstlichen Dinge im Stich lassen, die er um den Preis so vieler Mühen und Demütigungen erworben hat.
Vor dem Kamin schreibt Monsieur Colbert, sein erster Beamter, mit kratzendem Gänsekiel an einem kleinen Tisch.
Die Kerzen sind heruntergebrannt, die letzten Gäste Madame de Soissons’ haben die Tuilerien verlassen. Betrunken grölend, wanken sie die Rue du Faubourg Saint-Honoré hinunter, schlagen gegen die Schutzgitter der Läden und löschen die Laternen aus.
Umnebelt vom süßen Weindunst sucht Madame de Soissons ihr Schlafzimmer auf. Dank ihrer ist der düstere Louvre endlich zu Luxus und Fröhlichkeit erwacht. Tanz und Feste am Tage. In der Nacht ... die Freuden der Liebe. Das Bett der Olympia Mancini, Herzogin von Soissons, ist nie leer. Gleichwohl überkommt die schöne Italienerin eine leise Unruhe. Wird sich Vardes von ihr lösen .? Nachdem sie den König den Reizen ihrer unerträglichen kleinen Schwester Marie hatte überlassen müssen, war sie so stolz gewesen, Vardes, dieses Raubtier mit dem grausamen Lächeln, erobert und mürbe gemacht zu haben ... Seit einiger Zeit wirkt er zerstreut, geistesabwesend. Er bekommt sich wieder in die Gewalt. Er ist nicht mehr so empfindlich gegen ihre Stiche oder ihre Verachtung.
Sie muß unbedingt einmal die berühmte Wahrsagerin La Voisin aufsuchen. Die wird ihr den Namen ihrer Rivalin offenbaren. Denn wenn es eine Rivalin gibt, wird sie sterben ... Ist Vardes eigentlich all diesen Kummer wert? Den König müßte sie zurückerobern. Sicher ist er seiner faden, kleinen Gemahlin überdrüssig, dieser Infantin, die noch kein Wort Französisch spricht und den strengen Anweisungen ihres jesuitischen Beichtvaters blind gehorcht. Sie wird nie irgendeine Rolle am Hofe spielen. Am Hofe Ludwigs XIV. wird die jeweilige Mätresse herrschen. Aber wer wird diese Favoritin sein?
Die Herzogin von Soissons streckt ihren schönen, weißen Körper auf dem wappenbestickten Laken ihres Bettes aus. ja, sie wird La Voisin aufsuchen. Die hat Drogen aller Art, und sicher wird sie ihr das Nötige verschaffen, um die unangenehmen Ursachen jenes »Ausbleibens« zu beseitigen, das sie schon seit zwei Monaten festgestellt hat. Ein Mittel solcher Art zu nehmen ist lästig, aber neun Monate lang ein Kind zu tragen ist noch lästiger, zumal wenn man einen eifersüchtigen Gatten und das unbezähmbare Verlangen hat, sich zu amüsieren.
Was hätte man schon vom Leben, wenn man nicht mit den Männern spielte .? Obwohl sie im Grunde alle einander gleichen und ein wenig anstrengend sind.
Eigentlich hat nur ein einziger ihr neuartige Sinnenfreuden verschafft. Aber kann man da überhaupt von einem Mann sprechen? Ein unheimliches Wesen war es, stumm, rasend wie der Stier, sanft wie der Wind, blind und hemmungslos wie ein Naturelement, dessen Umarmung eine unbestimmte, zugleich schreckenerregende und berauschende mythische Erinnerung auslöste.
Die Herzogin von Soissons erschauert. Ihr Mund ist mit einem Male wie ausgedörrt, und sie richtet sich auf, um zu lauschen. Nein, ihr schwarzer Sklave wird nicht mehr kommen. Er ist ein Galeerensträfling.
Die finsteren Gänge des Louvre werden den stummen Mohren nicht mehr vorübergehen sehen, der geräuschlos die Türen öffnete und als verachtungsvoller Eroberer auf die sich darbietende weiße Fürstin zutrat.
Der König taucht aus dem Kamin auf, und Péguillin folgt ihm hinterdrein. Sie sind beide höchst befriedigt.
Der Marquis de Vardes und der Kammerdiener niesen und sind weniger befriedigt.
Der König Ludwig XIV. spaziert über die Dächer des Louvre.
Der König der Rotwelschen, der Große Coesre, macht sich auf den Weg, um auf dem Friedhof der Unschuldigen Kindlein Gericht zu halten.
Die Nacht ist für die Unterhaltung der Fürsten und für die Arbeit der Bettler und Gauner geschaffen.
Die desertierten Soldaten mit ihren Haudegen an der Seite, die echten und falschen Krüppel, die Kuppler, Hehler, Betrüger, Tagediebe und Strolche, sie alle samt den dazugehörigen Weibern verlassen ihre Mauselöcher. Längs der Seineufer sehen die um ihre Feuer versammelten Flußschiffer flüchtige Schatten vorüberziehen. Zuweilen schlüpft eine Gestalt zwischen den Zillen hindurch: ein Zunftbruder, der in der Wärme der Heukähne erwachte und vom Turm des Justizpalastes oder der Präfektur die Mitternachtsstunde schlagen hörte.
Zwischen den Füßen eines Pferdes hat sich der Schmutzpoet zum Schlafen ausgestreckt. Genauer gesagt, zwischen den Füßen des Bronzepferdes Heinrichs IV. auf dem Pont-Neuf. Nicht daß es dort besonders warm wäre, aber wenn es regnet, bietet der Bauch des königlichen Streitrosses hinreichend Schutz. Von diesem Beobachtungsposten aus betrachtet Claude Le Petit die vorüberstreichenden Stromer, die ihn kennen und in Frieden lassen. Er sieht Calembredaine, zerlumpt und schrecklich anzusehen mit seinen struppigen Haaren und der entstellenden violetten Geschwulst, die er sich auf die Wange zu kleben pflegt, mit seinem Gefolge von Unterführern und Gehilfen, »Marquisen« und Dirnen. Wehe den Bürgern, die sich heute nacht in Paris verspäten!
O Paris bei Nacht! Stätte der Wonne für die Diebe, die Mäntel stehlen, Börsen abjagen, Passanten schlagen und ermorden, Stätte der Wonne für die lockeren Vögel, die eingehängt und singend aus den Kneipen und Bordells kommen.
Le Petit, Poet des Pont-Neuf, lauscht den vertrauten und geliebten Geräuschen der nächtlichen Stadt: dem Pfiff der Diebe, dem Klirren der Degen, dem Krakeelen der Betrunkenen, dem Jammern der Unglücklichen, die umgebracht werden, den Schreien jener, die um Hilfe rufen, und er lächelt über das grausige Lautgewirr, das zuweilen von der grellen Stimme eines Oblaten- oder Tabakverkäufers übertönt wird, des gleichgültigen oder vielleicht auch mitschuldigen Zeugen dieser Verbrechen.
Aber es ist ganz hübsch kalt. Ein scharfer Wind hat sich von der Seine erhoben. Claude Le Petit schleicht aus seinem Schlupfwinkel. Er wird sich an den Schenkentüren herumtreiben und den köstlichen Duft der Bratküchen einatmen.
Die Rue de la Vallée de Misère ist die Straße der Bratküchen. Zu dieser späten Stunde ist sie noch voller Leben, und die Geflügelspieße drehen sich brotzelnd im Hintergrunde jedes Ladens. Nur die letzte, die »Zum kecken Hahn« heißt, ist dunkel und ohne Gäste. Meisterin Bourgeaud, die Herrin des Lokals, ist heute abend an den Pocken gestorben, und Meister Bourgeaud weint an ihrem Totenbett droben in der großen Stube. Sein Neffe Louis Calhaillou, der aus Toulouse gekommen ist, betrachtet ihn ratlos von der anderen Seite des Tisches her, auf dem zwei Leuchter stehen und in einem Teller mit Weihwasser ein Buchsbaumzweig. Gehen wir ein Stück weiter, dorthin, wo es warm und lustig ist.
Die Kneipen und Bratküchen sind die Sterne des nächtlichen Paris, duftende, warme Höhlen. Da sind der »Tannenzapfen« in der Rue de la Licorne und die »Löwengrube« in der Rue de la Coiffure, die »Guten Kinder« in der Straße gleichen Namens und der »Reiche Landmann« in der Rue des Mauvais Garçons, die »Drei Mohren«, die »Schwarze Trüffel« und das »Grüne Gitter« in der Rue Hyacinthe, wo die Kapuziner, Coelestiner und Jakobiner zusammenkommen und wohin der Mönch Becher sich eben mit verstörter Miene geschlichen hat, um zu versuchen, beim Wein die Flammen eines Scheiterhaufens zu vergessen.
Angélique betrachtete durch das Fenster das Gesicht des Mönchs Becher. Unbekümmert um den geschmolzenen Schnee, der vom Dach auf ihre Schultern tropfte, blieb sie vor der Schenke »Zum grünen Gitter« stehen. Der Mönch saß vor einer Zinnkanne und trank starren Blicks.
Angélique konnte ihn trotz des dicken Fensterglases deutlich erkennen. Der Schankraum war kaum verräuchert. Die Mönche und Geistlichen, die den Hauptteil der Gäste bildeten, machten sich nichts aus der Pfeife. Sie kamen hierher, um zu trinken und vor allem des Dame- und Würfelspiels wegen.
»Schätzchen, solltest dich heut nacht nicht hier rumtreiben. Hast du keine Pinke, um was in den Topf zu schmeißen?«
Angélique wandte sich um und suchte zu erkennen, wer diese seltsamen Worte an sie richtete, aber sie sah niemand. Plötzlich kam der Mond zwischen zwei Wolken zum Vorschein, und sie entdeckte zu ihren Füßen die untersetzte Gestalt eines Zwergs, der zwei auf merkwürdige Weise gekreuzte Finger zu ihr emporhob. Sie erinnerte sich der Geste, die der Mohr Kouassi-Ba ihr einmal mit den Worten gezeigt hatte: »Du kreuzest die Finger so, und meine Freunde sagen: Es ist gut, du bist einer der Unsrigen.«
Mechanisch machte sie Kouassi-Bas Zeichen. Das Gesicht des Knirpses verzog sich zu einem breiten Grinsen.
»Du gehörst dazu, ich hab’ mir’s gedacht. Aber ich weiß dich nicht unterzubringen. Gehörst du zu Rodogone dem Ägypter, zu Johann dem Zahnlosen, zum Blauen Mathurin oder zum Raben?«
Ohne zu antworten, wandte sich Angélique ab und starrte abermals durch die Scheibe auf den Mönch Becher. Mit einem Satz sprang der Zwerg auf die Fensterbrüstung. Der aus der Schenke dringende Lichtschein beleuchtete sein derbes Gesicht, auf dem ein speckiger Hut saß. Er hatte rundliche, fleischige Hände und winzige Füße, die in Leinenschuhen steckten, wie die Kinder sie tragen.
»Wo ist er denn, dieser Gast, den du nicht aus den Augen läßt?«
»Der dort in der Ecke.«
»Glaubst du, der alte Knochensack, dessen eines Auge dem andern zuplinkt, gibt dir was für deine Mühe?«
Angélique holte tief Atem. Plötzlich begann das Leben wieder in ihr zu pulsieren: Sie wußte, was sie zu tun hatte.
»Diesen Mann dort muß ich umbringen«, sagte sie.
Behende tastete der Zwerg um ihre Taille.
»Du hast ja nicht mal dein Messer. Wie willst du’s machen?«