142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 118

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»Ah«, meinte er bitter, »man kann wohl sagen, daß in deinem Herzen kein Platz für mich war. Bestimmt hast du in all diesen Jahren nie an mich gedacht!«

»Bestimmt«, wiederholte sie lässig. »Ich hatte anderes zu tun, als an einen Bauernknecht zu denken.«

»Dirne!« schrie er außer sich. »Überleg dir, was du sagst. Der Bauernknecht ist jetzt dein Herr. Du gehörst mir .«

Er schrie noch, als sie einschlief Weit davon entfernt, sie zu reizen, gab ihr diese Stimme vielmehr das Gefühl, auf brutale, aber dennoch wohltuende Weise beschützt zu sein. Mitten im Wort hielt er inne.

»Jetzt ist es wieder wie früher«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »als du mitten in unseren Streitigkeiten auf dem Moos einschliefst. Nun, dann schlaf schön, mein Schätzchen. Du gehörst mir trotzdem. Ist dir’s kalt? Soll ich dich zudecken?«

Mit den Augenlidern gab sie ein kaum merkbares zustimmendes Zeichen. Er holte einen prächtigen Mantel aus schönem Tuch und breitete ihn sorgsam über sie.

Dann strich er in einer fast scheuen Bewegung mit der Hand leise über ihre Stirn.

Dieses Zimmer war wirklich eine wunderliche Stätte. Die Mauern wie bei alten Warttürmen aus riesigen Steinen gefügt, war es rund und wurde von dem durch eine vergitterte Schießscharte einfallenden Tageslicht nur kümmerlich erhellt. Die Einrichtung bestand aus einem Sammelsurium seltsamer Gegenstände, angefangen von kostbaren Spiegeln in Ebenholz- und Elfenbeinrahmen bis zu altem Eisenkram, Handwerkszeug wie Hämmern und Hacken, Waffen .

Angélique rekelte sich. Schlaftrunken und verwundert umherschauend, richtete sie sich auf und griff nach einem der Spiegel. Sie entdeckte in ihm die fremde Physiognomie eines blassen Mädchens mit verwegenen, allzu starren Augen, die denen einer auf der Lauer liegenden Katze glichen. Erschrocken legte sie den Spiegel zurück. Diese Frau mit dem gehetzten, heruntergekommenen Ausdruck - das konnte doch unmöglich sie sein! Was ging mit ihr vor? Wo war sie? Wozu all die Dinge in diesem runden Raum: Degen, Kochtöpfe, Kasten voller Kleinkram, Schärpen, Fächer, Handschuhe, Schmuck, Spazierstöcke, Musikinstrumente, eine Wärmflasche, ganze Stapel von Hüten und vor allem Mäntel .? Ein einziges Möbelstück, ein zierliches Nähtischchen mit Intarsien, schien höchst verwundert, sich zwischen diesen feuchten Mauern wiederzufinden.

An ihrem Gürtel spürte sie einen harten Gegenstand. Sie zog an einem ledernen Griff und brachte

einen langen, spitzen Dolch zum Vorschein. Wo hatte sie diesen Dolch gesehen? Es war in einem schmerzhaften Alptraum gewesen, in dem der Mond mit Totenschädeln jongliert hatte. Der Mann mit der braunen Hautfarbe hatte ihn in der Hand gehalten. Dann war der Dolch auf die Erde gefallen, und Angélique hatte ihn aufgehoben, während zwei Männer sich auf der Erde wälzten. Es war der Dolch Rodogones des Ägypters ... Sie steckte ihn wieder zu sich. Ihr Geist suchte wirre Bilder zu klären. Nicolas ... Wo war Nicolas?

Sie lief ans Fenster. Zwischen den Gitterstäben erblickte sie die gemächlich dahinfließende Seine, absinthfarben unter dem bewölkten Himmel, und das unaufhörliche Hin und Her der Kähne und Zillen. Am andern Ufer, schon in Dämmerung gehüllt, erkannte sie die Tuilerien und den Louvre ...

Diese Vision ihres früheren Lebens versetzte ihr einen Schock und bestärkte sie in dem Gefühl, nicht bei Sinnen zu sein. Nicolas! Wo war Nicolas?

Sie stürzte zur Tür, und da sie sie doppelt verschlossen fand, schlug sie aus Leibeskräften mit den Fäusten gegen das verwitterte Holz und schrie nach Nicolas.

Ein Schlüssel knarrte, und Jactance, der Mann mit der roten Nase, erschien.

»Was soll denn das Geschrei, Marquise?«

»Warum war diese Tür verschlossen?«

»Weiß nicht.«

»Wo ist Nicolas?«

»Weiß nicht.«

Er betrachtete sie nachdenklich, dann schlug er vor:

»Komm auf ’ne Weile mit zu den Kameraden, das wird dich ablenken.«

Sie folgte ihm über eine feuchte steinerne Wendeltreppe nach unten. Lautes Stimmengewirr wurde vernehmbar, in das sich derbes Gelächter und Kindergeheul mischten.

Sie gelangte in einen großen, gewölbeartigen Saal, der von einer bunten Menschenmenge erfüllt war. Zuerst erblickte sie Cul-de-Bois, der wie ein grotesker Tafelaufsatz mitten auf dem großen Tisch aufgebaut war. Im Hintergrund flackerte ein Feuer, und Leichtfuß überwachte, auf dem Kaminstein hok-kend, den Kochkessel. Eine dicke Frau rupfte eine Ente, eine andere, jüngere hielt ein halbnacktes Kind auf den Knien und gab sich dem wenig appetitlichen Geschäft des Lausens hin. Überall auf dem mit Stroh ausgelegten Estrich lagen mit Lumpen bedeckte Greise und Greisinnen, dazwischen schmutzstarrende Kinder, die sich mit den Hunden um Abfälle balgten. Einige Männer saßen auf alten Fässern am Tisch, spielten Karten oder rauchten und tranken.

Als Angélique erschien, richteten sich aller Augen auf sie, und es trat beinahe Stille ein.

»Komm näher, mein Kind«, sagte Cul-de-Bois mit feierlicher Geste. »Du bist das Mädchen unseres Chefs Calembredaine. Man ist dir Achtung schuldig. Macht also der Marquise Platz!«

Einer der Pfeifenraucher stieß seinem Nachbarn den Ellenbogen in die Seite.

»Verdammt hübscher Fratz! Calembredaine hat diesmal fast ebenso viel Geschmack entwickelt wie du.«

Der Angeredete stand auf, näherte sich Angélique und faßte sie ebenso freundlich wie ungeniert unters Kinn.

»Ich bin Beau-Garçon[7]«, sagte er.

Sie schlug ärgerlich seine Hand herunter.

»Das ist Geschmacksache.«

Die Zuschauer brachen ob dieser Schlagfertigkeit in johlendes Gelächter aus.

»Das ist nicht Geschmacksache«, sagte Cul-de-Bois belustigt, »sondern ganz einfach sein Name. Beau-Garçon - so wird er genannt. Komm, Jactance, bring der Neuen was zu trinken. Mir gefällt sie.«

Ein großes, mit einem Adelswappen verziertes Stengelglas wurde vor sie gestellt, das die Bande Calembredaines vermutlich in einer mondlosen Nacht aus einem Palais hatte mitgehen lassen. Jactance füllte es bis zum Rand mit Rotwein und schenkte dann reihum ein.

»Auf dein Wohl, Marquise! Wie heißt du?«

»Angélique.«

Abermals erschallte das wüste Gelächter der Banditen unter den Gewölben. »Das ist gut! Angélique! Ein leibhaftiger Engel. So was hat’s bei uns noch nie gegeben! Und warum eigentlich nicht? Warum sollten schließlich nicht auch wir Engel sein! Da sie doch unsre Marquise ist .! Auf dein Wohl, Marquise der Engel!«

Sie lachten und schlugen sich dröhnend auf die Schenkel.

»Auf dein Wohl, Marquise! Komm, trink . so trink doch!«

Aber sie rührte sich nicht, während sie die Horde unrasierter Saufbolde anstarrte, die sich um sie drängte.

»Trink doch, Schlumpe«, brüllte Cul-de-Bois mit seiner grausig-hohlen Stimme.

Sie trotzte dem Unhold, ohne zu antworten.

Unheimliche Stille trat ein, dann seufzte Cul-de-Bois und sah sich ratlos im Kreise um.

»Sie will nicht trinken! Was ist los mit ihr? Beau-Garçon, du kennst dich bei den Frauen aus - sieh zu, ob du sie zur Vernunft bringst.«

Beau-Garçon setzte sich neben Angélique und streichelte ihr wie einem Kind liebevoll die Schulter.

»Hab keine Angst. Sie sind nicht böse, weißt du. Das ist so ihre Art, wenn sie die Bürgersleute einschüchtern wollen. Aber dich haben wir schon richtig gern. Du bist unsere Marquise. Die Marquise der Engel! Gefällt’s dir nicht? Marquise der Engel! Ein hübscher Name. Und er paßt so gut zu deinen schönen Augen. Komm, trink einen Schluck, mein Herzchen, das ist ein guter Wein. Ein Faß vom Grève-Hafen, das ganz allein zur Tour de Nesles gerollt ist. So gehen bei uns die Dinge vor sich, bei uns am Hof der Wunder.«

Er führte das Glas an ihre Lippen. Sie konnte dem Klang dieser männlichen, schmeichelnden Stimme nicht widerstehen und trank. Der Wein war gut. Er erzeugte in ihrem erstarrten Körper eine wohlige Wärme, und mit einemmal wurde alles einfacher und weniger beängstigend. Sie trank ein zweites Glas, dann stützte sie ihre Ellbogen auf den Tisch und betrachtete ihre Umgebung.

Abends vereinigten sich die unter Calembredaines Befehl stehenden Bettler und Bettlerinnen in diesem Schlupfwinkel. Viele der Frauen trugen verkrüppelte Kinder oder in Lumpen gewickelte, plärrende Säuglinge auf ihren Armen, von denen einer, dessen Gesicht mit eitrigen Pusteln bedeckt war, eben der an der Feuerstelle sitzenden Frau übergeben wurde. Diese riß mit behender Hand den Schorf vom Gesicht des Neugeborenen, fuhr mit einem Lappen über das Frätzchen, das wieder rosig und rein wurde, dann legte sie das Kind an ihre Brust.

Angélique war unwillkürlich zusammengefahren. Cul-de-Bois lächelte und erklärte mit seiner heiseren Stimme:

»Du siehst, bei uns wird man schnell gesund. Du brauchst nicht zu den Prozessionen zu gehen, um Wunder zu sehen. Hier gibt’s alle Tage welche. Vielleicht erzählt in diesem Augenblick ‘ne Dame von den Guten Werken, wie sie das nennen: >Oh, meine Liebe, ich habe ein Kind auf dem Pont-Neuf gesehen, welch ein Jammer! Ganz mit Pusteln bedeckt ... Natürlich hab’ ich der armen Mutter ein Almosen gegeben .< und fühlt sich ordentlich Gott wohlgefällig bei ihrem Sabbeln. Dabei waren’s bloß ein paar Plätzchen aus trockenem Brot mit Honig drauf, um die Fliegen anzulocken. Aha, da kommt Mort-aux-Rats. Jetzt kannst du gehen .«